OGH 6Ob51/08f

OGH6Ob51/08f5.6.2008

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler und Univ.-Prof. Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Sabine Nicole K*****, 2. O***** GmbH, *****, beide vertreten durch Dr. Franz Gütlbauer, Dr. Siegfried Sieghartsleitner und Dr. Michael Pichlmair, Rechtsanwälte in Wels, gegen die beklagte Partei Thomas H*****, vertreten durch Piaty Müller-Mezin Schoeller Rechtsanwälte GmbH in Graz, wegen Unterlassung, Widerrufs und Feststellung (Gesamtstreitwert 25.620 EUR), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 29. November 2007, GZ 6 R 213/07a-33, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 30. August 2007, GZ 10 Cg 35/05s-26, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung wie folgt zu lauten hat:

Das Klagebegehren,

1. die Beklagte sei bei sonstiger Exekution schuldig,

a) das Verbreiten der Behauptung, dass die klagenden Parteien bei Vertrieb des Produkts „K*****" nach dem Muster einer anderen Firma bei Vertrieb des Produkts „C*****" vorgehe und damit gezielt mit den körperlichen Beschwerden eines verzweifelten, unter schwersten Krankheiten leidenden Patienten, Profit schlage, oder einer Behauptung ähnlichen Inhalts zu unterlassen;

b) die mit Schreiben vom 21. 11. 2005 gegenüber der Firma B***** GmbH *****, aufgestellten unrichtigen Behauptungen laut Punkt a des Urteils gegenüber der Firma B***** GmbH ***** binnen vierzehn Tagen als unwahr zurückzunehmen;

2. es werde festgestellt, dass die beklagte Partei den klagenden Parteien für alle künftigen Schäden, die diesen aufgrund der unrichtigen Behauptungen im Schreiben an die Firma B***** GmbH *****, vom 21. 11. 2005 laut Punkt 1 a dieses Urteils entstehen, hafte, wird abgewiesen.

Die klagenden Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der beklagten Partei die mit 13.608 EUR (darin 1.882,72 EUR USt und 2.312,20 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen binnen vierzehn Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Erstklägerin war zu Beginn des Jahres 2006 Geschäftsführerin der Zweitklägerin.

Die Zweitklägerin vertreibt das Nahrungsergänzungsmittel „K*****". In der zweiten Jahreshälfte 2005 erfolgte der Vertrieb in Filialen der B***** GmbH und über den Apothekengroßhandel. Die Bewerbung des Produkts erfolgte unter anderem in der Neuen Kronen Zeitung unter der Überschrift „Zuerst stirbt der Wald, dann der Mensch" mit folgenden Aussagen:

„Der saure Regen sorgte vor Jahren für Schlagzeilen, der 'saure Mensch' wird es in Zukunft tun." Es folgten Ausführungen über die Auswirkungen einer Übersäuerung auf den menschlichen Organismus und was man dagegen tun könne, nämlich „[die Zweitklägerin] hat mit K***** ein einzigartiges Nahrungsergänzungsmittel auf den Markt gebracht, welches mit seinem hochwertigen Korallenkalzium den Säuren-Basen-Haushalt ins Lot bringt.

Wer sollte K***** nehmen?

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Beklagten ist zulässig, weil das Berufungsgericht die der Rechtsprechung des EGMR folgende Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Abgrenzung zwischen Tatsachenbehauptung und Werturteil und zum Recht der freien Meinungsäußerung unrichtig angewendet hat. Das Rechtsmittel ist auch berechtigt.

1. § 1330 ABGB schützt die Ehre von Personen und ihren Ruf. § 1330 Abs 1 ABGB erfasst Ehrenbeleidigungen, die zugleich Tatsachenbehauptungen sein können; Abs 2 erfasst hingegen nur unwahre rufschädigende Tatsachenbehauptungen, nicht jedoch Werturteile. Eingriffe in das absolut geschützte Persönlichkeitsrecht auf Ehre können durch das verfassungsrechtlich gewährleistete Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gerechtfertigt sein. Bei Kollision der widerstreitenden Rechte ist eine umfassende Interessenabwicklung vorzunehmen. Den Interessen des Klägers am Rechtsgut der Ehre sind die Interessen des Äußernden und diejenigen der Allgemeinheit gegenüberzustellen (SZ 64/36; 6 Ob 321/04f; 6 Ob 79/07x). Bei der Interessenabwägung kommt es auf die Art der eingeschränkten Rechte, die Schwere des Eingriffs, die Verhältnismäßigkeit zum verfolgten Zweck, den Grad der Schutzwürdigkeit dieses Interesses, aber auch auf den Zweck der Meinungsäußerung an (SZ 61/210). Diese Kriterien sind für die Abgrenzung zwischen ehrenbeleidigender Rufschädigung einerseits und zulässiger Kritik und Werturteil andererseits entscheidend. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist dem verfassungsrechtlich gewährleisteten Grundrecht auf freie Meinungsäußerung in einer demokratischen Gesellschaft ein hoher Stellenwert einzuräumen. Solange bei wertenden Äußerungen die Grenzen zulässiger Kritik nicht überschritten werden, kann auch massive, in die Ehre eines anderen eingreifende Kritik, die sich an konkreten Fakten orientiert, zulässig sein (6 Ob 93/98i = SZ 71/96 mwN; 6 Ob 321/04f; 6 Ob 79/07x; RIS-Justiz RS0054817). Selbst überspitzte Formulierungen und massive Kritik sind hinzunehmen, soweit kein massiver Wertungsexzess vorliegt (stRsp 6 Ob 159/06k; 6 Ob 250/06t; 6 Ob 79/07x).

2. Der EGMR legt zugunsten des Rechts auf freie Meinungsäußerung in der Diskussion von Fragen allgemein-öffentlichen Interesses einen großzügigen Beurteilungsmaßstab an. Er steckt die Grenzen zulässiger Kritik nicht nur an Politikern, sondern auch an Privatpersonen, die sich zu Themen allgemeinen Interesses öffentlich äußern, weiter als dies sonst bei Privatpersonen der Fall ist (zuletzt EGMR 25. 1. 2007 - Arbeiter gegen Österreich). Sie müssen einen höheren Grad an Toleranz vor allem dann zeigen, wenn sie selbst in der Öffentlichkeit Äußerungen tätigen, die geeignet sind, Kritik auf sich zu ziehen (6 Ob 245/04d; 6 Ob 79/07x). Diese Grundsätze sind auch auf gesundheitsbezogene Werbeaussagen in öffentlichen Medien anzuwenden.

3. Ob durch eine Äußerung Tatsachen verbreitet werden oder eine wertende Meinungsäußerung vorliegt, richtet sich nach dem Gesamtzusammenhang und dem dadurch vermittelten Gesamteindruck für den unbefangenen Durchschnittsadressaten (stRsp RIS-Justiz RS0031883). Gleiches gilt für die Frage, welcher Bedeutungsinhalt der Äußerung entnommen wird. Sie ist so auszulegen, wie sie von den angesprochenen Verkehrskreisen - hier die Repräsentanten jenes Unternehmens, das die Produkte der Kläger vertreibt - bei unbefangener Auslegung verstanden wird (stRsp RIS-Justiz RS0031815 und RS0115084). Wesentlich ist, ob sich ihr Bedeutungsinhalt auf einen Tatsachenkern zurückführen lässt, der einem Beweis zugänglich ist, sodass sie nicht nur subjektiv angenommen oder abgelehnt, sondern als richtig oder falsch beurteilt werden kann (6 Ob 295/03f = MR 2005, 371; 6 Ob 250/06t; 6 Ob 79/07x). Auch der EGMR unterscheidet zwischen Tatsachenbehauptungen und Werturteil und misst bei der Beurteilung der Grenzen der Meinungsäußerungsfreiheit die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs im Zusammenhang mit Werturteilen am Vorhandensein eines ausreichenden und richtigen Tatsachensubstrats (MR 2005, 86; MR 2005, 465). Zu prüfen ist daher, ob die notwendige Tatsachenbasis für einen wertenden Vorwurf vorliegt, weil auch ein Werturteil ohne unterstützende Tatsachengrundlage exzessiv sein kann (6 Ob 250/06t; 6 Ob 79/07x).

4. Wendet man diese Grundsätze im vorliegenden Fall an, so sind die Begehren der Kläger nicht berechtigt.

Die beanstandete Formulierung findet sich in einem Schreiben des Beklagtenvertreters an die Repräsentanten jenes Unternehmens, das das Produkt der Zweitklägerin vertreibt. Es ist davon auszugehen, dass diese Vertriebsgesellschaft die Werbung der Kläger kannte und wusste, für welchen Anwendungsbereich „K*****" empfohlen wird, und dass die Werbung der Kläger auf „zahlreichen Testreihen" hinweist. Betrachtet man den Inhalt des an sie gerichteten Schreibens in seinem Gesamtzusammenhang, so konnten die Empfänger nachstehende - dem Sachverhalt nach auch richtige - Behauptungen entnehmen:

Die Erstklägerin sei auch Geschäftsführerin jenes Unternehmens gewesen, das zuvor das Produkt „C*****" in Verkehr gebracht habe, sie bringe nun mit dem Unternehmen der Zweitklägerin das Produkt „K*****" in Verkehr. Beide Produkte würden insoweit gleich beworben, als die Werbung auf Testreihen verweise. Das Produkt der Kläger wirke beim Beklagten nicht so wie in der Werbung versprochen, der Beklagte habe trotz Aufforderung keine Information der Kläger über die Testreihen erhalten.

Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen bringt das Schreiben jedoch weder zum Ausdruck, dass die Kläger unter Vorspiegelung erfundener Ärzte und/oder erfundener Kliniken für „K*****" warben, noch enthält es die Behauptung, dass die Testreihen nicht existierten. Vielmehr ersuchte der Verfasser des Schreibens B*****, sich dafür einzusetzen, dass die Testreihen übermittelt und die in der Werbung behaupteten Wirkungen einer kritischen Würdigung unterzogen werden, weil die Kläger bisher auf sein Ersuchen nicht reagiert hätten und das Mittel beim Beklagten nicht so wirke, wie angekündigt. Von einer unrichtigen Tatsachenbehauptung kann insoweit keine Rede sein.

Soweit die Empfänger den Ausführungen im Zusammenhang mit dem beigelegten Artikel aus der Zeitschrift „N*****" vom 15. 11. 2005 entnehmen konnten, dass der Beklagte das Vorhandensein der beworbenen Testreihen bezweifelte, so handelt es sich dabei um eine wertende Meinungsäußerung, die der Verfasser im Schreiben selbst damit begründet, dass die Kläger seinem Ersuchen um Übermittlung der Testergebnisse nicht nachgekommen seien. Auch der Passus, nach Kenntnis des Artikels in der Zeitschrift „N*****" entstehe für den Beklagten der Eindruck, es werde gezielt mit den körperlichen Beschwerden verzweifelter, unter schwersten Krankheiten leidender Patienten Profit geschlagen, ist aus seinem Gesamtzusammenhang nicht Tatsachenbehauptung, sondern wertende Meinungsäußerung. Aus dem Gesamtzusammenhang des Schreibens ergibt sich nämlich eindeutig, worauf der Beklagte diese Äußerung seiner persönlichen Meinung gründet: Nämlich auf die Personenidentität der Geschäftsführer beider Unternehmen und den Umstand, dass auch die Kläger mit Testreihen werben, eine entsprechende Auskunft darüber dem Beklagten aber trotz seiner Anfrage nicht zukommen ließen. Dieser seiner kritischen Meinungsäußerung zugrundeliegende Tatsachenkern ist richtig. Die Mitteilung der eigenen wertenden Meinung an jenes Unternehmen, das das Produkt der Kläger vertreibt, ist auch keineswegs exzessiv. Wird ein Nahrungsergänzungsmittel zur Behandlung von Krankheiten unter Hinweis auf Testreihen öffentlich beworben, so muss es dem Anwender dieses Mittels erlaubt sein, sich gegenüber jenem Unternehmen, das den Vertrieb des Produkts vornimmt, kritisch über dessen Wirksamkeit zu äußern, und zwar insbesondere dann, wenn er von den Klägern eine entsprechende Information über die in der Werbung behaupteten Testreihen nicht erhält und deshalb an der Richtigkeit der Werbeaussage zweifeln durfte. Seine auf dem im Schreiben geschilderten Sachverhalt aufbauende Wertung beruht auf einem richtigen Tatsachenkern und überschreitet die Grenzen zulässiger, durch das Recht der freien Meinungsäußerung gedeckten Kritik nicht.

5. Der Revision des Beklagten war Folge zu geben und die Begehren der Kläger in Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen zur Gänze abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO.

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