Spruch:
Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben. Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung zu lauten hat:
„Der Antrag der Klägerin, der beklagten Partei ab sofort bei Exekution zu verbieten, wörtlich oder sinngemäß zu behaupten, im Gegensatz zur orangen Familienpolitik schaue die Klägerin als Repräsentantin roter Familienpolitik auf sich selbst und ihren Ehemann und sonst nix, wird abgewiesen.
Die Klägerin ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.346,12 EUR (darin 391,03 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Provisorialverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen."
Text
Begründung
Die Klägerin ist Landeshauptmannstellvertreterin von K***** und dort auch Landesparteivorsitzende der SPÖ. Die beklagte Partei ist eine politische Partei, deren Obmann der Landeshauptmann von K*****, Dr. Jörg H*****, ist.
Die beklagte Partei gab Anfang Jänner 2006 ein ganzseitiges Inserat in der in K***** erschienenen Zeitschrift „Alles Fasching" in Auftrag. Die Zeitschrift wurde im Handel in ganz K***** vertrieben und insbesondere auch einer Wochenendausgabe der im selben Verlag erscheinenden Tageszeitung „Kleine Zeitung" beigelegt. Das Inserat erschien auf Seite 15 und wies folgenden Text auf:
„Kindergeld, Steuerreform, Trümmerfrauen-Bonus, Erhöhung des Pendlerpauschales und Kilometergeldes, Heizkostenzuschuss, Erhöhung der Mindestpensionen, Pflegescheck, Mütterpension ... Orange Familienpolitik.
Rote Familienpolitik:
Wir schauen auf uns selbst, unsere Ehemänner und Söhne und sonst
nix!"
Über den Schlagworten „Orange Familienpolitik" befand sich halbseitig ein Bild des Landeshauptmanns, dieser umgeben von fröhlichen Menschen unterschiedlichen Alters und Geschlechts. In der linken (unteren) Ecke der Inseratseite befand sich ein Bild der Klägerin und ihres Ehegatten, darüber der Text „Gabriele schaut auf ihren Ehemann (Seebühne)", in der rechten (unteren) Ecke ein Bild eines Parteimitglieds der SPÖ K***** (Ewald W*****) und dessen Sohnes, darüber der Text „Ewald schaut auf seinen Sohn (Stadtwerke)". Das Inserat nahm damit Bezug auf zwei (damalige) Streitthemen, nämlich die Wörtherseebühne und die Stadtwerke, die in der Vergangenheit zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen der SPÖ K***** und der beklagten Partei geführt hatten. Am 29. 11. 2005 war in Radio K***** eine Berichterstattung über die Wörtherseebühne erfolgt, desgleichen am 30. 11. 2005 in der K***** Woche und in der K***** Zeitung. Schließlich hatte die beklagte Partei auch Inserate mit der Schlagzeile „Seebühne: S***** kritisiert - ihr Mann kassiert!" veröffentlicht.
Die Klägerin beantragt zur Sicherung ihres inhaltsgleichen Unterlassungsbegehrens, der beklagten Partei zu verbieten, wörtlich oder sinngemäß zu behaupten, im Gegensatz zur orangen Familienpolitik schaue sie als Repräsentantin roter Familienpolitik auf sich selbst und ihren Ehemann und sonst nix. Die Klägerin stützt sich auf § 1330 Abs 1 und 2 ABGB. Die beklagte Partei habe ihr in diesem Inserat wahrheitswidrig vorgeworfen, Nepotismus zu betreiben, ihr öffentliches Amt zu missbrauchen und sich selbst sowie ihrem Ehegatten aus öffentlichen Mitteln unberechtigt geldwerte Vorteile zuzuschanzen; es werde ihr der Vorwurf des Amtsmissbrauchs gemacht. Die beklagte Partei beantragt, das Sicherungsbegehren abzuweisen. Sie beruft sich auf die Freiheit der Meinungsäußerung, die Kunstfreiheit und den Umstand, dass zwischen den Parteien dieses Verfahrens eine politische Auseinandersetzung geführt werde. Im Inserat würden keine Tatsachen behauptet, sondern lediglich ein Werturteil verbreitet. Politische Kritik dürfe stören, provozieren und schockieren; im Übrigen habe es sich um eine Faschingszeitung gehandelt, es sollte die Faschingslaune der Leser aktiviert werden.
Das Erstgericht verbot der beklagten Partei, wörtlich oder sinngemäß zu behaupten, im Gegensatz zur orangen Familienpolitik schaue sie als Repräsentantin roter Familienpolitik auf sich selbst und ihren Ehemann und sonst nix. Mit dem Inserat werde zum Ausdruck gebracht, die beklagte Partei erbringe Leistungen für die Bevölkerung, die Klägerin als höchste Repräsentantin der SPÖ K***** betreibe hingegen lediglich Politik zugunsten ihres Ehegatten. Damit werde der Klägerin Nepotismus, Amtsmissbrauch und das Zuschanzen von geldwerten Vorteilen an ihren Ehegatten vorgeworfen, also der Vorwurf des Amtsmissbrauchs erhoben, jedenfalls aber der Vorwurf, nicht für die Bevölkerung, sondern „in die eigene Tasche der Familie" zu arbeiten. Dies sei eine rufschädigende Tatsachenbehauptung gemäß § 1330 Abs 2 ABGB; die beklagte Partei habe den Wahrheitsbeweis nicht erbracht. Dass das Inserat in einer Faschingszeitung erschienen sei, ändere daran nichts; es sei der Rahmen der Kunstform einer politischen Kritik, Karikatur und Satire überschritten worden. Die Klägerin habe Anspruch auf Schutz ihrer Ehre.
Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 20.000 EUR übersteige und dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Die beklagte Partei habe im inkriminierten Inserat kein Werturteil verbreitet. Der Vorwurf im weitesten Sinn, es würden politische Ämter dazu missbraucht, Familienangehörigen nicht gerechtfertigte (Vermögens-)Vorteile zuzuwenden, habe einen überprüfbaren Tatsachenkern; es sei der Vorwurf der ungerechtfertigten Bevorzugung von Familienangehörigen bei der Ausübung eines öffentlichen Amtes, somit im weitesten Sinn dessen Missbrauch. Dies sei ehrenrührig und rufschädigend. Die gesamte Aufmachung des Inserats zeige, dass es sich dabei keinesfalls um eine Karikatur handelte.
Der außerordentliche Revisionsrekurs der beklagten Partei ist zulässig; er ist auch berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
§ 1330 ABGB schützt die Ehre von Personen, also ihre Personenwürde (Abs 1) und ihren Ruf (Abs 2). Abs 1 sanktioniert Ehrenbeleidigungen, die zugleich Tatsachenbehauptungen sein können, Abs 2 hingegen nur unwahre rufschädigende Tatsachenbehauptungen, nicht jedoch Werturteile (Danzl in Koziol/Bydlinski/Bollenberger, ABGB [2005] § 1330 Rz 2 mwN). Das Recht auf freie Meinungsäußerung deckt unwahre Tatsachenbehauptungen nicht. Daher dürfen auch Werturteile, die konkludente Tatsachenbehauptungen sind, nicht schrankenlos geäußert werden; allerdings sind angesichts der heutigen Reizüberflutung selbst überspitzte Formulierungen unter Umständen hinzunehmen, soweit kein massiver Wertungsexzess vorliegt (Danzl, aaO Rz 3 mwN). Ob durch eine Äußerung Tatsachen verbreitet werden oder eine wertende Meinungsäußerung vorliegt, richtet sich nach dem Gesamtzusammenhang und dem dadurch vermittelten Gesamteindruck für den unbefangenen Durchschnittsadressaten. Wesentlich ist, ob sich ihr Bedeutungsinhalt auf einen Tatsachenkern zurückführen lässt, der einem Beweis zugänglich ist, sodass sie nicht nur subjektiv angenommen oder abgelehnt, sondern als richtig oder falsch beurteilt werden kann (6 Ob 295/03f = MR 2005, 371 mwN). Die Ermittlung ihres Bedeutungsinhalts ist im Allgemeinen eine Rechtsfrage, die von den näheren Umständen des Einzelfalls, insbesondere der konkreten Formulierung und dem Zusammenhang, in dem sie geäußert wurde, abhängt (6 Ob 160/99v).
Die Parteien dieses Verfahrens standen und stehen in einer politischen Auseinandersetzung. Der erkennende Senat hat in diesem Zusammenhang zwar erst jüngst darauf hingewiesen (6 Ob 273/05y mwN), dass auch eine in die Ehre eingreifende politische Kritik auf Basis unwahrer Tatsachenbehauptungen gegen § 1330 ABGB verstößt. Das Recht auf freie Meinungsäußerung finde in der Interessenabwägung gegenüber der ehrenbeleidigenden Rufschädigung seine Grenze in einer unwahren Tatsachenbehauptung. Es könne eine Herabsetzung durch unwahre Tatsachenbehauptungen, mit denen jemand eines verwerflichen Verhaltens bezichtigt wird, nicht rechtfertigen. Dies entspreche auch der Rechtsprechung des EGMR, der selbst im politischen Meinungsstreit prüft, ob die notwendige Tatsachenbasis für einen wertenden Vorwurf vorliege, weil auch ein Werturteil ohne jede unterstützende Tatsachengrundlage exzessiv sein kann.
Nach ständiger Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0054817, RS0115541, RS0082182) werden bei Politikern die Grenzen aber erheblich weiter gezogen als bei Privatpersonen (vgl die konkreten Beispiele aus der Rechtsprechung bei Danzl, aaO Rz 3). Der Politiker muss ein größeres Maß an Toleranz zeigen, und zwar insbesondere dann, wenn er selbst öffentlich Ankündigungen tätigt, die geeignet sind, Kritik auf sich zu ziehen (6 Ob 83/04f = MR 2004, 325 mwN). Dass das im hier inkriminierten Inserat angesprochene Thema „Seebühne" ein Thema der politischen Auseinandersetzung zwischen den Parteien dieses Verfahrens gewesen ist, gesteht die Klägerin selbst zu (vgl ON 7), auch wenn Auffassungsunterschiede zu den tatsächlich eingenommenen Positionen bestehen. Dies bedarf aber jedenfalls im Provisorialverfahren keiner näheren Erörterung, überschreitet doch der von den Vorinstanzen angenommene Bedeutungsinhalt des Inserats, die Klägerin missbrauche „im weitesten Sinn" ihr öffentliches Amt, insbesondere dann die Auslegungsgrenzen, wenn - wie dargestellt - von Politikern ein größeres Maß an Toleranz verlangt und weiters berücksichtigt wird, dass das Inserat in einer Faschingszeitung erschienen ist. Ein massiver Wertungsexzess liegt jedenfalls nicht vor.
Soweit sich die Klägerin in der Revisionsrekursbeantwortung mit der im Inserat erfolgten Gegenüberstellung der Leistungen „oranger" und „roter" Familienpolitik inhaltlich auseinandersetzt, kommt es darauf nicht an. Es ist nicht Aufgabe der Gerichte, außerhalb des § 1330 ABGB Aussagen politischer Parteien über ihre eigenen oder über fremde Leistungen einer inhaltlichen Überprüfung zu unterziehen. Dies ist Aufgabe des Wählers.
Damit haben die Vorinstanzen dem Sicherungsbegehren der Klägerin aber zu Unrecht statt gegeben.
Die Entscheidung über die Kosten des Provisorialverfahrens gründet auf § 393 EO, §§ 41, 50 ZPO.
Die beklagte Partei hat im Verfahren erster Instanz 42,08 EUR an Barauslagen verzeichnet. Dabei handelt es sich um Kopierkosten für die von ihr vorgelegten Beilagen ./1 bis ./9. Über deren Ersatzfähigkeit wird das Erstgericht im Rahmen der Kostenentscheidung im Hauptverfahren abzusprechen haben.
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