OGH 2Ob61/07w

OGH2Ob61/07w18.10.2007

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Baumann als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Danzl, Dr. Veith, Dr. Grohmann und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Eva G*****, ***** 2. mj. Alexander G*****, ***** beide vertreten durch Dr. Steiner & Mag. Isbetcherian Rechtsanwaltspartnerschaft in Wien, gegen die zweitbeklagte Partei Franz Z*****, ***** vertreten durch Mag. Dr. Edwin Mächler, Rechtsanwalt in Graz, sowie die vormals erstbeklagte Partei und nunmehrige Nebenintervenientin auf Seite der zweitbeklagten Partei Ö***** AG, ***** vertreten durch die Finanzprokuratur, wegen EUR 32.636,26 sA (Erstklägerin EUR 29.570,92, Zweitkläger EUR 3.065,34), Rente und Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Parteien gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 22. Jänner 2007, GZ 15 R 228/06v-30, womit infolge der Berufungen der zweitbeklagten Partei sowie der vormals erstbeklagten Partei als Nebenintervenientin das Zwischen- und Teilurteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 11. August 2006, GZ 4 Cg 165/05x-23, abgeändert wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

1) Der Revision wird hinsichtlich der Erstklägerin Folge gegeben. Die Teilurteile der Vorinstanzen werden hinsichtlich der Erstklägerin aufgehoben und es wird die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach allfälliger Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hinsichtlich der Erstklägerin (jeweils 90,61 % der Bemessungsgrundlage) sind weitere Verfahrenskosten.

2) Die Revision wird hinsichtlich des Zweitklägers zurückgewiesen. Der Zweitbeklagte hat die auf den Zweitkläger entfallenden Kosten der Revisionsbeantwortung (EUR 168,28, davon EUR 28,05 USt) selbst zu tragen.

Text

Begründung

Zu 1): Am 7. 10. 2002 ereignete sich gegen 9.00 Uhr auf der eingleisigen „Donauuferbahn" im Streckenabschnitt zwischen Klein-Pöchlarn und Weitenegg eine Kollision zwischen einer sogenannten Draisine (Schwerkleinwagen) mit der Nummer N 4/993 und dem Güterzug Z 71376. Die Draisine wurde von Manfred S***** gelenkt; auf dieser fuhren neben Manfred S***** und Karl G***** weitere vier bei der ÖBB beschäftigte Mitarbeiter mit. Der Zweck dieser Fahrt bestand im Transport zu Arbeiten an der Bahnstrecke. Triebfahrzeugführer des Güterzuges war Herbert H*****. Der Zweitbeklagte war als Fahrdienstleiter des Zugleitbahnhofs Spitz an der Donau für die Strecke 172, die Donauuferbahn von Krems bis einschließlich des Bahnhofs Marbach/Maria Taferl, zuständig. Da der Zweitbeklagte sowohl Manfred S***** als auch dem Triebfahrzeugführer eine Fahrerlaubnis für denselben Streckenabschnitt erteilte, kam es zum Zusammenstoß zwischen der Draisine und dem entgegenkommenden Güterzug. Dabei wurde Karl G*****, der Ehegatte der Erstklägerin und der Vater des Zweitklägers, mit drei weiteren Mitarbeitern getötet; zwei Mitarbeiter, darunter Manfred S*****, wurden schwer verletzt. Mit Urteil des Landesgerichtes St. Pölten vom 29. 1. 2003, 15 Hv 49/02m-13, wurde der Zweitbeklagte wegen des Vergehens der fahrlässigen Tötung unter besonderen gefährlichen Verhältnissen nach § 81 Z 1 StGB sowie des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und 4 zweiter Fall StGB (§ 81 Z 1 StGB) zu einer (teilbedingten) Freiheitsstrafe in der Dauer von 18 Monaten verurteilt. Mit Urteil des Oberlandesgerichtes Wien vom 13. 6. 2003, 21 Bs 120/03-18, wurde der Berufung des Zweitbeklagten wegen Nichtigkeit und Schuld nicht Folge gegeben.

Für den vorliegenden Fall kommt folgenden Bestimmungen der nachstehend angeführten Betriebsvorschriften „der ÖBB" Bedeutung zu:

Betriebsvorschrift V3, Abschnitt VI - Nebenfahrten:

„§ 75 Allgemeines

(1) Kl (Kleinwagen) sind Nebenfahrzeuge; sie dürfen bei Nebenfahrten verwendet werden. ...

(2) Zur Durchführung von Nebenfahrten - im Bahnhof und auf der freien Strecke - ist ein Kl-Führer erforderlich. ... Kl-Führer und SKl-Führer müssen als solche geprüft sein. ...

(3) Grundsätzlich ist der Kl-Führer für die Fahrt allein verantwortlich. Fehlen ihm die Voraussetzungen für die Bedienung des Fahrzeuges, muss ihm ein Kl-Fahrer beigegeben werden. Kl-Fahrer müssen als solche geprüft sein. Wird mit Tfz und Wagen gefahren, übernimmt der Tfzf [Triebfahrzeugführer] die Aufgaben gemäß Absatz 4.

...

(4) Der Kl-Fahrer bzw Tfzf ist verantwortlich für

...

(5) Kl-Führer und Kl-Fahrer müssen streckenkundig, bei Fahrten im Bahnhof auch ortskundig sein (siehe § 3 Abs 3). Fehlt ausnahmsweise dem Kl-Fahrer die Streckenkenntnis, übernimmt der Kl-Führer auch die Aufgaben des Lotsen; diesfalls ist er gemäß Abs 4 mitverantwortlich. Fehlt ausnahmsweise die Ortskenntnis, darf wie beim Verschub vorgegangen werden (siehe § 11 Abs 7)."

Betriebsvorschrift V5 - Zugleitbetrieb:

„§ 13 Fahrdienst in den Betriebsstellen

...

(10) Kein Zug darf ohne Fahrerlaubnis verkehren. Die Fahrerlaubnis erteilt der Zl-Fdl (Zugleit-Fahrdienstleiter) dem Tfzf (Kl-Führer) auf Grund der Fahranfrage.

...

(14) ...

Das Einstellen der notwendigen Fahrstraßen (Zughilfsstraßen) und das Freistellen der Signale erfolgt durch den Zl-Fdl im Zl-Bf. Die Erlaubnis zur Vorbeifahrt an untauglichen Signalen erteilt der Zl-Fdl über den Zugleitfunk.

...

§ 14 Fahrdienst beim Zug

...

(6) Unvorhergesehenes Anhalten auf der Strecke meldet der Tfzf (Kl-Führer) dem Zl-Fdl.

..."

Mit der am 3. 10. 2005 eingelangten Klage begehrte die Erstklägerin EUR 29.570,92 sA, der Zweitkläger EUR 3.065,34 sA. Die Erstklägerin stellte weiters ein Rentenbegehren von monatlich EUR 112,56 bis zur Volljährigkeit des mj. Zweitklägers. Schließlich begehrten die Kläger die Feststellung der Haftung der Beklagten für sämtliche Schäden, Spät- und Dauerfolgen aufgrund des Unfalls.

Die Leistungsbegehren bezogen sich auf folgende Positionen:

seelisches Schmerzengeld, Verdienstentgang, Wertverlust des auf Karl G***** angemeldeten und ausschließlich von diesem benutzten Fahrzeugs, unfallskausale Spesen, frustrierte Motorradprämien, Kreditrückzahlung, Trauerkleidung, Kosten des Verlassenschaftsverfahrens sowie Erbschaftssteuer. Mit Beschluss des BG Melk vom 30. 9. 2005, 1 P 81/03m, wurde die Klagsführung des Zweitklägers pflegschaftsgerichtlich genehmigt.

Die Kläger brachten im Wesentlichen vor, der Zweitbeklagte sei gegenüber dem verstorbenen Karl G***** nicht weisungsbefugt und daher nicht Aufseher im Betrieb iSd § 333 Abs 4 ASVG gewesen. Der Zweitbeklagte habe die Fahrerlaubnis Manfred S***** erteilt; dieser sei Fahrer und Führer der Draisine gewesen. Karl G***** sei hingegen nur Gleismeister und Mitfahrer im Kleinwagen gewesen. Der Zweitbeklagte sei lediglich für die Streckenfreigabe verantwortlich gewesen.

Der Zweitbeklagte entgegnete im Wesentlichen, ihm komme das Dienstgeberhaftungsprivileg gemäß § 333 Abs 1 und Abs 4 ASVG zugute, weil er gegenüber der Arbeitspartie des Karl G***** Aufseher im Betrieb gewesen sei. Als Fahrdienstleiter sei er für das Zusammenspiel persönlicher und technischer Kräfte verantwortlich. Ihm sei die Überwachung anderer Betriebsangehöriger und wichtiger Teile des Betriebs in eigener Verantwortung zugekommen; im Unfallszeitpunkt habe er eine mit Selbständigkeit und Weisungsbefugnis verbundene Stellung innegehabt. Der verstorbene Karl G***** sei zum Unfallszeitpunkt als Kleinwagenführer eingesetzt gewesen; diese Funktion sei von jener des Kleinwagenfahrers (Manfred S*****) zu unterscheiden. Der Kleinwagenführer sei als „Zugchef" den übrigen Insassen einschließlich des Kleinwagenfahrers übergeordnet. Karl G***** sei somit unmittelbar Ansprechpartner für Anordnungen und Weisungen des Zweitbeklagten als Fahrdienstleiter gewesen. Auch gegenüber den übrigen Insassen sei der Zweitbeklagte als Aufseher im Betrieb anzusehen, weil er auch in Bezug auf diese für das Zusammenspiel persönlicher und technischer Kräfte verantwortlich gewesen sei. Die Eigenschaft als Aufseher im Betrieb gehe nicht dadurch verloren, dass die Anordnungs- und Überwachungsbefugnis des Zweitbeklagten als Fahrdienstleiter gegenüber den übrigen Insassen durch den Kleinwagenführer und Kleinwagenfahrer „mediatisiert" werde. Dies gelte auch dann, wenn der Zweitbeklagte seine Aufsehereigenschaft gegenüber Karl G***** faktisch nicht ausgeübt haben sollte. Für die Begründung der Aufsehereigenschaft sei nur die Einräumung entsprechender Überwachungs- und Leitungsbefugnisse durch den Dienstgeber, nicht aber die tatsächliche Ausübung dieser Befugnisse gegenüber den unterworfenen Betriebsangehörigen erforderlich. Selbst wenn Karl G***** im Unfallszeitpunkt lediglich Mitfahrer im Kleinwagen gewesen wäre, so wäre er dennoch in den von § 333 Abs 4 ASVG vorausgesetzten Koordinierungs- und Überwachungszusammenhang eingebunden gewesen. Hinsichtlich der bloßen Mitfahrer ergebe sich eine Unterordnung gegenüber dem Kleinwagenführer und dem Kleinwagenfahrer sowie auch gegenüber dem Fahrdienstleiter.

Mit Teilurteil des Erstgerichts vom 31. 3. 2006 wurde das (gesamte) Klagebegehren gegen die Erstbeklagte und nunmehrige Nebenintervenientin rechtskräftig abgewiesen.

Mit Zwischen- und Teilurteil vom 11. August 2006 sprach das Erstgericht aus, dass die Leistungsbegehren zu Pkt 1 (EUR 29.570,92 sA in Ansehung der Erstklägerin) und zu Pkt 2 (EUR 3.065,34 sA in Ansehung des Zweitklägers) „hinsichtlich des Zweitbeklagten dem Grund nach zu Recht bestünden".

Über den eingangs referierten Sachverhalt hinaus traf das Erstgericht folgende wesentliche Feststellungen:

Von der Stellung des Kleinwagenführers ist die Funktion des Kleinwagenfahrers zu unterscheiden. Dieser ist derjenige, der mit den tatsächlichen Verrichtungen des Fahrvorganges vertraut ist. Kleinwagenfahrer und Kleinwagenführer können in ein und derselben Person vereinigt sein; es kann sich dabei aber auch um verschiedene Personen handeln. Der Führer des Kleinwagens hat dann, wenn der Fahrer entweder nicht ortskundig ist oder keine Sicht nach vorne hat („geschobene Fahrt"), dem Fahrer Anweisungen zu erteilen. Die Verteilung dieser Funktionen hängt von den tatsächlichen Verhältnissen, nämlich der Strecke, der Ortskundigkeit des Fahrers und der Art der Fahrt ab.

Um die Funktion eines Kleinwagenführers zu erfüllen, ist die Ablegung von Prüfungen notwendig. Diese Prüfungen hatten sowohl Karl G***** als auch Manfred S***** abgelegt.

Hinsichtlich jener Fahrt, auf der sich der Unfall ereignete, war S***** „sowohl Kleinwagenfahrer als auch Kleinwagenführer." Er war ortskundig und hatte, da es sich bei dieser Fahrt um eine „gezogene Fahrt" handelte, freie Sicht nach vorne.

Die Fahrerlaubnis wurde vom Zweitbeklagten an S***** erteilt. Der verstorbene Karl G***** hatte während dieser Fahrt „keinerlei Funktionen", sondern wurde nur auf dem Kleinwagen zur Arbeitsstelle transportiert.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, der Zweitbeklagte habe bei der gegenständlichen Fahrt nur gegenüber dem Kleinwagenführer und -fahrer, nämlich Manfred S*****, eine Weisungsbefugnis gehabt, indem er diesem die Fahrerlaubnis erteilt habe. Da der Zweitbeklagte gegenüber den verstorbenen Karl G***** keinerlei Überwachungstätigkeit zu entfalten gehabt habe, komme dem Zweitbeklagten nicht die Stellung eines Aufsehers im Betrieb gegenüber dem Verstorbenen zu, sodass ihm das Haftungsprivileg des § 333 Abs 4 ASVG nicht zustatten komme und er nach Schadenersatzrecht den Klägern hafte.

Das vom Zweitbeklagten und von der vormals Erstbeklagten als jetzige Nebenintervenientin angerufene Berufungsgericht änderte mit dem nunmehr angefochtenen Teilurteil das Ersturteil dahingehend ab, dass es hinsichtlich des Zweitbeklagten das Leistungsbegehren der Erstklägerin im Umfang von EUR 28.970,92 samt Zinsen sowie das Leistungsbegehren des Zweitklägers zur Gänze abwies. Im darüber hinausgehenden Betrag von EUR 600 (Bestehen des Anspruchs der Erstklägerin dem Grunde nach, betreffend Wertverlust, Spesen und frustrierte Prämien) hob es das erstgerichtliche Urteil auf und trug dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf.

Eine (inhaltliche) Behandlung der Beweisrügen der Berufungen sei nicht nötig, weil es sich bei den bekämpften Darlegungen des Erstgerichtes in Wirklichkeit um rechtliche Erwägungen handle. Den bekämpften Ausführungen komme darüber hinaus auch keine Entscheidungserheblichkeit zu.

In rechtlicher Hinsicht vertrat das Berufungsgericht die Auffassung, nach § 75 Abs 3 der Betriebsvoschrift V3 werde ein Kleinwagenfahrer dem Kleinwagenführer „beigegeben". Daraus folge, dass die organisatorischen Maßnahmen gemäß § 75 der Betriebsvorschrift V3 vom Betreiber (der vormals Erstbeklagten) zu treffen seien. Die Frage, welche Personen als Kleinwagenführer und/oder Kleinwagenfahrer bei einer konkreten Nebenfahrt im Sinn der Betriebsvorschrift V3 fungierten, hänge somit von der dienstlichen Einteilung und nicht davon ab, ob aufgrund der Gegebenheiten (Streckenkenntnis des Fahrers, Art der Fahrt) eine gesonderte Tätigkeit als Kleinwagenführer entfaltet werden müsse, also ein konkreter Bedarf in diese Richtung bestehe. Für die Verteilung der genannten Funktionen seien somit nicht die tatsächlichen Verhältnisse maßgeblich. Nach der einschlägigen Betriebsvorschrift V3 erfolge die Aufteilung der Funktion „nicht schwimmend" und könne die Zuordnung der Funktionen auch nicht zwischen den an den Arbeiten Beteiligten „ausgemacht" werden. Nach der erfolgten verwaltungstechnischen Einteilung sei dem verstorbenen Karl G***** die Funktion des Kleinwagenführers zugekommen. Diese Einteilung sei für die Festlegung seiner Funktion bei der konkreten Draisinenfahrt maßgeblich gewesen. Die Tatsache, dass Manfred S***** streckenkundig gewesen sei und es sich um eine gezogene Fahrt gehandelt habe, habe nach § 75 Abs 5 der Betriebsvorschrift V3 lediglich zur Konsequenz gehabt, dass der Kleinwagenführer Karl G***** nicht als Lotse habe fungieren müssen. Der Umstand, dass die Fahrerlaubnis vom Zweitbeklagten tatsächlich an Manfred S***** erteilt worden sei sowie dass auch Manfred S***** die Prüfung auch als Kleinwagenführer abgelegt gehabt habe, vermöge an der dienstlichen Zuteilung der Funktionen nichts zu ändern. Da der Fahrdienstleiter gegenüber dem Kleinwagenführer verantwortlich und weisungsbefugt sei, sei dem Zweitbeklagten im Unfallszeitpunkt gegenüber dem verstorbenen Karl G***** die Funktion als Aufseher im Betrieb zugekommen. Darüber hinaus sei der Zweitbeklagte auch gegenüber den auf der Draisine mitfahrenden Arbeitskollegen als Aufseher im Betrieb zu qualifizieren. Dem Zweitbeklagten komme daher gegenüber dem getöteten Karl G***** gemäß § 333 Abs 4 ASVG das Dienstgeberhaftungsprivileg nach Abs 1 der Bestimmung zugute. Die Abweisung könne sich ohne weitere Beurteilung durch das Erstgericht jedoch nur auf solche Ansprüche beziehen, die Personenschäden des getöteten Dienstnehmers und originäre Ansprüche seiner Hinterbliebenen beträfen. Dazu habe der Zweitbeklagte vorgebracht, dass die Positionen Fahrzeugwertverlust, unfallkausale Spesen und frustrierte Motorradprämien nicht unter das Haftungsprivileg fielen. Diese Positionen von insgesamt 600 EUR seien daher von der Abweisung des Leistungsbegehrens auszunehmen gewesen. Insoweit habe das Erstgericht eine neue Entscheidung zu fällen.

Gegen den klagsabweisenden Teil der Berufungsentscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der klagenden Parteien mit dem Antrag, das Urteil des Erstgerichtes wiederherzustellen. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Oberste Gerichtshof stellte dem Zweitbeklagten sowie der (vormals Erstbeklagten und nunmehrigen) Nebenintervenientin die Erstattung einer Revisionsbeantwortung frei.

In seiner Revisionsbeantwortung beantragt der Zweitbeklagte, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Nebenintervenientin hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist hinsichtlich der Erstklägerin zulässig und im Sinne des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrages berechtigt. Die Revision rügt zusammengefasst, das Berufungsgericht habe zu Unrecht nicht auf den vom Erstgericht festgestellten Umstand abgestellt, dass Karl G***** bei der konkreten Fahrt keinerlei Funktionen gehabt habe. Stadler, der ortskundig gewesen sei und auch aufgrund der „gezogenen Fahrt" freie Sicht gehabt habe, habe sowohl die Funktion des Kleinwagenführers als auch die des Kleinwagenfahrers erfüllt. Der Zweitbeklagte sei somit gegenüber dem verstorbenen Karl G***** nicht Aufseher im Betrieb gewesen.

Hiezu wurde erwogen:

Der Aufseher im Betrieb im Sinne des § 333 Abs 4 ASVG muss eine mit einem gewissen Pflichtenkreis und Selbständigkeit verbundene Stellung zur Zeit des Unfalls innehaben. Er muss die Verantwortung für das Zusammenspiel persönlicher und technischer Kräfte tragen (RIS-Justiz RS0088337; RS0085519). Aufseher im Betrieb im Sinne des § 333 Abs 4 ASVG kann nur der sein, der andere Betriebsangehörige oder wenigstens einen Teil des Betriebes zu überwachen hat (RIS-Justiz RS0085510). Nicht entscheidend ist, ob die Aufsicht ganz unbeschränkt oder mit Unterordnung unter einem Vorgesetzten ausgeübt wird. Eine Dauerfunktion im Betrieb ist nicht erforderlich (RIS-Justiz RS0085519). Ob der Arbeitsaufseher tatsächlich von seinem Weisungsrecht gegenüber dem untergeordneten Arbeitnehmer Gebrauch machte, ist unerheblich (RIS-Justiz RS0085519 [T3]; zu den Eigenschaften des Aufsehers im Betrieb gemäß § 333 Abs 4 ASVG vgl auch Neumayr in Schwimann, ABGB3 § 333 ASVG Rz 70 ff). Ob ein Fahrdienstleiter bei vergleichbarem Sachverhalt gegenüber dem Kleinwagenführer der Draisine Aufseher im Betrieb ist, wurde - soweit ersichtlich - vom Obersten Gerichtshof noch nicht judiziert. Entgegen dem Berufungsgericht ist auch der Entscheidung 2 Ob 345/64 = ZVR 1965/230 eine eindeutige diesbezügliche Aussage nicht zu entnehmen. Das Oberlandesgericht Wien vertrat in seiner Entscheidung 3 R 12/65 = SV-Slg IX/14.908, ein Fahrdienstleiter der ÖBB sei hinsichtlich einer mit einer Draisine vorzunehmenden Dienstfahrt dem Draisinenführer und den sonstigen die Draisine benützenden Bundesbahnbediensteten gegenüber Betriebsaufseher.

Wendet man die dargestellten Grundsätze der Rechtsprechung auf den vorliegenden Fall an, so ist insoweit in Übereinstimmung mit der zuletzt zitierten Entscheidung die Aufsehereigenschaft des zweitbeklagten Fahrdienstleiters gegenüber dem Kleinwagenführer zu bejahen.

Der Argumentation der Revision, es komme auf die faktischen Verhältnisse, wonach der verstorbene Karl G***** keine Funktion gehabt habe, und nicht auf die verwaltungstechnische Einteilung an, sind die zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichtes entgegenzuhalten. Die einschlägigen Betriebsvorschriften erlauben keine Auslegung dahingehend, die Funktion des Kleinwagenführers könne während einer bestimmten Fahrt mit einer bestimmten Einteilung der Funktionen des Kleinwagenführers und Kleinwagenfahrers jeweils danach wechseln, ob aufgrund der Ortskundigkeit des Kleinwagenfahrers bzw des Umstandes, dass es sich um eine gezogene oder geschobene Fahrt handle, gerade der Bedarf an einem vom Kleinwagenfahrer unterschiedlichen Kleinwagenführer besteht. Dass dies möglicherweise faktisch „schwimmend" je nach der konkreten Situation gehandhabt wurde, kann an den rechtlichen Gegebenheiten der Dienstvorschriften nichts ändern. Die Umstände können sich während einer einzigen Arbeitsfahrt ändern. So kann etwa eine gezogene Fahrt durch Umkuppeln oder den Wechsel der Fahrtrichtung in weiterer Folge zu einer geschobenen Fahrt werden, die jedenfalls einen vom Kleinwagenfahrer unterschiedlichen Kleinwagenführer an der Spitze des Zuges notwendig macht. Der Fahrdienstleiter, der seine Anweisungen an den Arbeitszug weitergibt, kann nicht wissen, ob sich die betreffende Arbeitsfahrt gerade in einer Situation befindet, in der ein vom Kleinwagenfahrer unterschiedlicher Kleinwagenführer nötig ist oder nicht. Für den Fahrdienstleiter muss aber zu jedem Zeitpunkt einer eingeteilten Fahrt feststehen, welcher Person er seine Anweisungen zu geben hat. Dies ist aber nur dann gewährleistet, wenn man für einen Weisungszusammenhang auf die dienstlichen Einteilung und nicht auf die gerade im Arbeitszug auf der Strecke bestehenden faktischen Umstände abstellt.

Diesen Ausführungen steht auch nicht entgegen, dass es nach herrschender Lehre (Neumayr aaO Rz 72) und Rechtsprechung (SZ 35/80; ZVR 1972/203) mehr auf die „tatsächlichen Umstände des Einzelfalls" im Zeitpunkt der Schädigung ankommt. Nach den obigen Ausführungen liegen hier diese „tatsächlichen Umstände des Einzelfalls" in der rechtlich allein maßgeblichen Einteilung des Kleinwagenführers im Zeitpunkt der Schädigung.

Nun enthält aber das erstgerichtliche Urteil keine verlässliche Feststellung dazu, der verstorbene Karl G***** wäre bei der gegenständlichen Fahrt als Kleinwagenführer eingeteilt gewesen; seine Ausführungen beziehen sich offenbar nur auf die Ausübung von Funktionen während der Fahrt. Da sich das Berufungsgericht mit der Beweisrüge in den Berufungen nicht auseinandergesetzt hat, enthält auch das Urteil des Berufungsgerichtes die betreffende Feststellung nicht.

Das Fehlen der Feststellung, ob der Verstorbene am Unfallstag bei der betreffenden Arbeitsfahrt als Kleinwagenführer eingeteilt war oder nicht, stellt einen sekundären Feststellungsmangel dar, der zur Aufhebung der Entscheidung der Vorinstanzen und zur Zurückverweisung der Rechtssache an das Erstgericht führen musste.

Sollte der Verstorbene bei der gegenständlichen Fahrt als Kleinwagenführer eingeteilt gewesen sein, wäre die Entscheidung des Berufungsgerichtes zutreffend. Sollte er hingegen nicht als Kleinwagenführer eingeteilt und nur mitfahrender Gleisbauarbeiter (Gleismeister) gewesen sein, wäre mit den Parteien zu erörtern und wären entsprechende Feststellungen darüber zu treffen, ob dem Zweitbeklagten als Fahrdienstleiter auch die Aufgabe der betrieblichen Koordination in Zusammenhang mit den Bauarbeiten zukam und deshalb seine Eigenschaft als Aufseher im Betrieb gemäß § 333 Abs 4 ASVG (auch) gegenüber dem Verstorbenen zu bejahen wäre. Der Kostenvorbehalt hinsichtlich der Erstklägerin gründet sich auf § 52 ZPO.

Zu 2): Mehrere aus einem Unfall Geschädigte sind nach ständiger Rechtsprechung nur formelle Streitgenossen gemäß § 11 Z 2 ZPO. Ihre Ansprüche sind daher nicht zusammenzurechnen (RIS-Justiz RS0110982, RS0035615). Die Zulässigkeit der Revision ist für jeden formellen Streitgenossen gesondert zu beurteilen (RIS-Justiz RS0035588, RS0035710). Da der Entscheidungsgegenstand hinsichtlich des Zweitklägers EUR 4.000 nicht übersteigt, ist die Revision, soweit sie der Zweitkläger erhoben hat, gemäß § 502 Abs 2 ZPO jedenfalls unzulässig. Sie war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung hinsichtlich des Zweitklägers gründet sich auf die §§ 50, 41 ZPO. Der Zweitbeklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision in Ansehung des Zweitklägers nicht hingewiesen. Bemessungsgrundlage der Revision sind EUR 32.636,26. Davon beträgt der Anteil des Erstklägers (EUR 3.065,34) 9,39 %, woraus sich der im Spruch ausgedrückte, vom Zweitkläger selbst zu tragende Kostenbetrag für die Revisionsbeantwortung errechnet.

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