OGH 4Ob86/62

OGH4Ob86/6224.7.1962

SZ 35/80

Normen

Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §333 (4) Z1
Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §333 (4) Z1

 

Spruch:

Der Lenker eines Lastkraftwagens kann Aufseher im Betrieb nach § 333

(4) ASVG. sein.

Entscheidung vom 24. Juli 1962, 4 Ob 86/62.

I. Instanz: Arbeitsgericht Bad Ischl; II. Instanz: Kreisgericht Wels.

Text

Der Kläger kann bei einem vom Beklagten verschuldeten Verkehrsunfall zu Schaden. Er begehrt 40.000 S Schmerzensgeld, 30 S für die Anschaffung eines Krankenstockes, 3.310.91 S für Verdienstentgang, 740 S für Kleiderschaden und die Feststellung der Ersatzpflicht des Beklagten für allenfalls noch hervorkommende Verletzungsfolgen. Der Beklagte beruft sich auf § 333 Abs. 4 Z. 1 ASVG.(in der vor der 9. Novelle zum ASVG (BGBl. Nr. 13/1962) geltenden Fassung.), da es sich um einen fahrlässig herbeigeführten Arbeitsunfall handle.

Das Erstgericht hat das Klagebegehren zur Gänze abgewiesen.

Das Berufungsgericht hat dem Kläger den Ersatz des Sachschadens in der Höhe von 740 S zugesprochen, im übrigen die Abweisung des Klagebegehrens bestätigt. Es hat folgenden Sachverhalt festgestellt:

Der Beklagte stieß am 5. Oktober 1960 etwa um 3.30 Uhr mit einem Kombi-Wagen seiner Dienstgeberin in L. bei E. an eine in seiner Fahrtrichtung rechts abgestellten Heufuhre, wobei der mitfahrende Kläger schwer verletzt wurde. Der Beklagte wurde wegen dieses Unfalles der Übertretung nach § 335 StG. schuldig erkannt.

Die Streitteile sind in der Bäckerei der Konsumgenossenschaft S. als gleichgestellte Bäckergesellen beschäftigt. Sie waren zur Zeit des Unfalles auf der Fahrt von ihrem Wohnort Bad I. zur Arbeitsstätte in E., wo sie um 4 Uhr mit der Arbeit zu beginnen hatten. In Bad I. wohnten noch Leopold Z. und Anton St. als weitere Dienstnehmer der Konsumbäckerei. Allen diesen Arbeitern stand in der Frühe kein öffentliches Verkehrsmittel zur Verfügung. Die Konsumgenossenschaft S. traf daher die Regelung, daß diese Dienstnehmer, falls sie nicht ein eigenes Fahrzeug benützen wollen, mit dem Kombi-Wagen der Genossenschaft fahren, mit welchem jeweils am Vormittag die Backwaren von E. nach Bad I. gebracht wurden und der dann bis nächsten Morgen dort abgestellt wurde. Als Lenker dieses als LKW typisierten Kastenwagens war zunächst der Beklagte vorgesehen, dem auch die Wartung des Fahrzeuges oblag. Später wurde auch Z. zur Lenkung herangezogen und schließlich ein Turnus eingerichtet. Zuletzt war kurzzeitig auch der Kläger als Fahrer tätig, als der Beklagte und Z. auf Urlaub waren. St. fuhr meist mit einem eigenen Motorrad. Am Unfallstag war der Beklagte als Lenker eingeteilt. Der Beginn der Fahrt hatte so zu erfolgen, daß die Dienstnehmer rechtzeitig in E. zur Arbeit kamen. Von seiten der Genossenschaft wurde den in Bad I. wohnenden Arbeitnehmern nicht erklärt, daß sie auf der Fahrt den Anordnungen des jeweiligen Lenkers nachzukommen haben; die Arbeitnehmer erachteten dies als selbstverständlich. Auf der Fahrt ergab sich für den Beklagten kein Anlaß, dem Kläger Weisungen über sein Verhalten zu erteilen. Zur Rückfahrt nach Bad I. benützten die nicht als Lenker eingeteilten Dienstnehmer meist die Eisenbahn.

Rechtlich kam das Berufungsgericht zu dem Schluß, daß der Beklagte als Aufseher im Betrieb im Sinne des § 333 (4) Z. 1 ASVG. anzusehen sei. Die Stellung des Beklagten bei der Unfallsfahrt habe sich von der des Lenkers eines Werksomnibusses, abgesehen allenfalls von der unerheblichen Anzahl der Fahrgäste, nicht unterschieden. Für den Lenker eines Werksomnibusses habe der Oberste Gerichtshof die entscheidende Frage nach der Qualifikation des Lenkers als Aufsehers im Betrieb bejaht.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Der Kläger bekämpft nur die Ansicht des Berufungsgerichtes, daß der Beklagte als Aufseher im Betrieb im Sinne des § 333 (4) Z. 1 ASVG. anzusehen sei, und macht hiezu im wesentlichen geltend, die Verantwortung des Beklagten habe sich von der Verantwortung, die jeder Kraftfahrer den übrigen Verkehrsteilnehmern und seinen Mitfahrern gegenüber zu tragen habe, nicht unterschieden. Der Beklagte habe keinerlei Weisungsbefugnis gehabt, die ihn als Aufseher im Betrieb oder als Vorgesetzten von den anderen Dienstnehmern unterschieden habe. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes führe dazu, daß ein Fahrzeuglenker schon auf Grund dieser seiner Funktion als Aufseher im Betrieb anzusehen wäre.

Der Lenker eines Kraftwagens kann Aufseher im Betrieb sein, kann diese Qualifikation aber auch nicht haben. Dies hängt vorwiegend davon ab, ob dem betreffenden Lenker ein gewisser Pflichtenkreis und eine mit Selbständigkeit verbundene Stellung zukommt, ob es sich um eine ausgeprägt eigene Verantwortung über einen organischen Teil des Betriebes handelt; ob der Lenker für das Zusammenspiel persönlicher und technischer Kräfte verantwortlich ist oder ob er lediglich den Wagen zu bedienen und zu pflegen und die Beladung zu verantworten hat. So hat der Oberste Gerichtshof einem gewöhnlichen Kraftwagenlenker (Lenker eines gewöhnlichen LKW.) die Qualifikation als Aufseher im Betrieb abgesprochen (SZ. XXIII 320, SZ. XXIV 175, ZVR. 1957 Nr. 106), dagegen in nachstehenden Fällen dem Lenker des Fahrzeuges die Aufseherqualifikation zuerkannt: dem Lenker eines Werksautobusses, der Arbeiter in den Betrieb und von dort wieder nach Hause zu bringen hatte, vorwiegend mit der Begründung, daß der Lenker während dieser Fahrt zu selbständigem Handeln berufen, dienstlich für das Wohl der von ihm beförderten Personen und für sein Fahrzeug verantwortlich sei und in diesem Umfang gegenüber den beförderten Personen ein gewisses Weisungsrecht habe (SZ. XXIII 266); dem Felleinkäufer, der einen Angestellten beauftragt, ihn bei den Felleinkäufen zu begleiten und diese Fahrten in einem PKW unternimmt (SZ. XXV 129); dem Lenker eines LKW., der mit seinem

Fahrzeug Personen befördert (JBl. 1958 S .411 = Arb. 6847 = ZVR.

1959 Nr. 29 = Soz. I A e S. 289; ähnlich Arb. 7347 und Arb. 7367);

dem Lenker eines Traktors mit Anhänger, der mit dem Traktorzug eine Arbeitspartie von einer Arbeitsstelle zu einer anderen befördert (Arb. 7545 = ZVR 1963 Nr. 74) und dem Lenker eines Traktors, der einen bei denselben Arbeiten tätigen Arbeiter auf seinem Traktor mitnimmt (4 Ob 55/62 vom 29. Mai 1962). In allen diesen Fällen hat der Oberste Gerichtshof die als wesentlich hervorzuhebende Verantwortlichkeit für das Zusammenspiel persönlicher und technischer Kräfte bejaht.

Der vorliegende Fall liegt nun rechtlich nicht anders als die Fälle der Beförderung in einem Werksautobus, auf einem LKW. oder auf einem Traktor oder Traktoranhänger. Auf die Zahl der beförderten Personen kommt es nicht an, weil ein Aufseher in einem Betrieb auch nur einen Arbeiter zu beaufsichtigen haben kann (vgl. einzelne der angeführten Beispiele). Auch im vorliegenden Fall hatte der Beklagte nicht nur die Verantwortung für die Bedienung und Pflege des Wagens und bei der Rückfahrt von E. nach Bad I. für die Beladung mit den Backwaren, sondern war während der nächtlichen Fahrt zu selbständigem Handeln (pünktlicher Abfahrt, Sorge für die rechtzeitige Ankunft an der Arbeitsstelle) berufen. Er hatte nicht nur als Fahrzeuglenker die ihm hieraus erwachsenden Verpflichtungen zu erfüllen, sondern war in diesem Fall auch dienstlich für das Wohl der von ihm beförderten Personen verantwortlich und hatte so alles in allem für das Zusammenspiel der persönlichen und technischen Kräfte in eigener Verantwortung zu sorgen.

Nicht entscheidend ist der Umstand, daß sich die Lenker dieses Kombi-Fahrzeuges turnusweise ablösten und daß während des Urlaubes der anderen auch der Kläger den Wagen zu lenken hatte. Für die Qualifikation als Aufseher im Betrieb ist nicht eine Dauerfunktion erforderlich, es kommt auf die tatsächliche Funktion zur Zeit des Unfalles an (SZ. XXVI 215 u. a.). Auch der Rang der beförderten Personen spielt keine für die Entscheidung wesentliche Rolle, wie der Oberste Gerichtshof insbesondere in der Entscheidung EvBl. 1961 Nr. 411 = Arb. 7367 ausgesprochen hat; alle Mitfahrer, auch wenn sich darunter Höhergestellte befinden, haben sich den Anweisungen des Lenkers zu fügen, soweit diese Anweisungen zu dessen Pflichten- und Wirkungskreis gehören.

Aus diesen Darlegungen folgt, daß der Oberste Gerichtshof keineswegs, wie der Beklagte in der Revision behauptet, in einheitlicher Rechtsprechung den Standpunkt vertreten hat, daß ein Kraftfahrer nicht als Aufseher im Betrieb anzusehen sei. Nach der vom Obersten Gerichtshof vertretenen Rechtsansicht ist es auch nicht richtig, daß jeder Fahrzeuglenker schon auf Grund seiner Funktion zum Aufseher im Betrieb wird. Auch im vorliegenden Fall bedarf es einer ausdehnenden Auslegung der Haftungsbeschränkung des § 333 ASVG. nicht, um die Haftung des Beklagten zu verneinen. Die rechtliche Beurteilung des Falles durch das Berufungsgericht ist daher unbedenklich und wird vom Obersten Gerichtshof gebilligt.

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