OGH 2Ob194/06b

OGH2Ob194/06b23.3.2007

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Baumann als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Veith, Dr. Grohmann und Dr. Nowotny als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen I. der klagenden Partei Thomas S*****, vertreten durch Dr. Roman Moser, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagten Parteien 1. Günther H*****, und 2. U***** AG, ***** beide vertreten durch DDr. Hans Esterbauer, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen EUR 5.650 sA und Feststellung (9 Cg 79/04z), und II. der (wider)klagenden Partei Günther H*****, vertreten durch DDr. Hans Esterbauer, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die (wider)beklagten Parteien 1. Thomas S*****, und 2. G***** AG, ***** beide vertreten durch Dr. Roman Moser, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen EUR 70.321,56 sA, Rente und Feststellung (9 Cg 139/04y), über die Revision der (wider)klagenden Partei gegen das Teilurteil und den Rekurs der erstbeklagten und (wider)klagenden Partei gegen den Aufhebungsbeschluss des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 23. Mai 2006, GZ 3 R 48/06h-40, womit das Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 12. Dezember 2005, GZ 9 Cg 79/04z (9 Cg 139/04y)-31, teilweise bestätigt und teilweise aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

I. Der Schriftsatz der erstbeklagten und (wider)klagenden Partei vom 26. 7. 2006 (ON 44) wird zurückgewiesen.

II. 1. Die Revision der (wider)klagenden Partei wird zurückgewiesen. Die (wider)klagende Partei ist schuldig, den (wider)beklagten Parteien die mit EUR 1.584,79 (darin EUR 264,13 USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

2. Der Rekurs der erstbeklagten und (wider)klagenden Partei wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Zu I.:

Rechtliche Beurteilung

Die erstbeklagte und (wider)klagende Partei (in der Folge nur Widerkläger) „ergänzte/berichtigte" mit Schriftsatz vom 26. 7. 2006 das im Rechtsmittelschriftsatz (Revision und Rekurs) enthaltene Kostenverzeichnis mit der Begründung, es seien „im Wege des Gebühreneinzuges" höhere als die von ihm verzeichneten Pauschalgebühren abgebucht worden. Diese „Ergänzung/Berichtigung" ist unzulässig. Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens dritter Instanz sind bei sonstigem Verlust des Ersatzanspruches im Rechtsmittelschriftsatz zu verzeichnen (§ 54 Abs 1 ZPO), mit dessen Überreichung gemäß § 2 Z 1 lit c GGG bereits die Pflicht zur Entrichtung der Pauschalgebühr entsteht. Ein Fall des § 54 Abs 2 ZPO liegt daher nicht vor (vgl Fucik in Rechberger, ZPO³ § 54 Rz 4).

Zu II.:

Die Zurückweisung eines ordentlichen Rechtsmittels wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO, § 528a ZPO).

1. Zur Revision:

Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision gegen sein Teilurteil mit der Begründung zu, dass es im Lichte der Entscheidung 2 Ob 143/03y, die möglicherweise eine Judikaturwende bei den Anforderungen an die Sicherungsfunktion abstrakter Renten signalisiere, einer Klarstellung durch den Obersten Gerichtshof bedürfe.

Die vom Widerkläger erhobene Revision ist entgegen dem gemäß § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichtes wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig. Der erkennende Senat hat in den jüngst ergangenen Entscheidungen 2 Ob 67/05z = ZVR 2007/32 und 2 Ob 126/06b klargestellt, dass mit der Entscheidung 2 Ob 143/03y = SZ 2003/106 = JBl 2004, 317 = ZVR 2004/18, in der ausgesprochen wurde, dass die abstrakte Rente „jedenfalls in den engen Grenzen der bisherigen Rechtsprechung aufrecht zu erhalten" sei, am Erfordernis einer Ausgleichs- und Sicherungsfunktion festgehalten worden ist. Von einem „Aushöhlen der Sicherungsfunktion", wie Wittwer (ZVR 2004/13) diese Entscheidung interpretiert, kann daher keine Rede sein (2 Ob 126/06b). Es bedarf für den Zuspruch einer abstrakten Rente somit weiterhin einer nach den konkreten Umständen des Einzelfalles zu erwartenden oder doch wahrscheinlichen Gefährdung des Arbeitsplatzes des Verletzten (2 Ob 133/02a = JBl 2003, 242; RIS-Justiz RS0030666, RS0030672). Im vorliegenden Fall übt der Widerkläger seit dem 15. 7. 2002 in jenem Speditionsunternehmen, in welchem er seit 19 Jahren beschäftigt ist, wieder seinen Beruf als Kommissionierer aus. Sein Aufgabenbereich besteht darin, mit Hilfe eines Gabelstaplers Waren auf LKWs zu verladen. Firmenintern wurde dafür gesorgt, dass er sich - zur Hintanhaltung von Schmerzen und sonstigen Einschränkungen - möglichst wenig zu Fuß bewegen muss. In erster Instanz konnte nicht festgestellt werden, dass der Widerkläger befürchten müsste, seinen Arbeitsplatz zu verlieren.

Die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, unter diesen Umständen habe der Widerkläger die für die Zuerkennung einer abstrakten Rente erforderliche Wahrscheinlichkeit einer künftigen unfallskausalen Einkommensminderung nicht ausreichend dargetan, hält sich im Rahmen der zitierten ständigen Judikatur und wirft daher keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO auf. Dies gilt auch für die weitere Beurteilung des Berufungsgerichtes, wonach auch eine Feststellung des - vom Widerkläger gewünschten - Inhaltes, dass er im Falle künftiger Rationalisierungsmaßnahmen seines Arbeitgebers einem höheren Kündigungsdruck ausgesetzt sein und im Vergleich mit seinen 14 anderen, gesunden Arbeitskollegen am wahrscheinlichsten seinen Arbeitsplatz verlieren würde, zu keinem anderen Ergebnis führen könnte.

Aber auch der vom Widerkläger in seiner Revision relevierten Höhe des angemessenen Schmerzengeldes kommt keine über die besonderen Verhältnisse des Einzelfalles hinausgehende Bedeutung zu. Lediglich im Falle einer eklatanten Fehlbemessung, die völlig aus dem Rahmen der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes fiele, wäre zur Vermeidung einer gravierenden Ungleichbehandlung eine Revision ausnahmsweise als zulässig anzusehen (2 Ob 261/04b = ZVR 2005/118; 2 Ob 104/06t = ZVR 2006/157; RIS-Justiz RS0031075, RS0042887; Danzl in Danzl/Gutiérrez-Lobos/Müller, Schmerzengeld8 226 f).

Wenn das Berufungsgericht im vorliegenden Fall das Schmerzengeld des Widerklägers mit EUR 50.000 statt der begehrten EUR 60.000 bemessen hat, so hat es die Grenzen des ihm hiebei zustehenden Beurteilungsspielraumes nicht überschritten. Die psychischen Beeinträchtigungen, unter denen der Widerkläger zu leiden hatte, wurden in die Bemessung ohnedies miteinbezogen. Auf den vom Berufungsgericht zitierten Vergleichsfall geht der Widerkläger in der Revision nicht ein. Er vermag daher (auch) im Zusammenhang mit der Bemessung des Schmerzengeldes keine erhebliche Rechtsfrage darzutun.

2. Zum Rekurs:

Das Berufungsgericht ließ den Rekurs gegen seinen Aufhebungsbeschluss mit der Begründung zu, es fehle an neuerer Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zu der über den Einzelfall hinaus bedeutsamen Rechtsfrage, unter welchen Voraussetzungen bei nächtlichen Überholmanövern das Vertrauen überholender Fahrzeuglenker auf eine ordnungsgemäße Beleuchtung allenfalls entgegenkommender Fahrzeuge geschützt sei.

Mit dieser Argumentation zeigt es - wie auch der Widerkläger in seinem Rekurs - abermals keine erhebliche Rechtsfrage auf. Die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, wonach ein Straßenbenützer auf die Einhaltung der Vorschriften über die Beleuchtung von Fahrzeugen (§ 60 Abs 3 StVO; § 99 KFG) vertrauen darf (ZVR 1963/322; ZVR 1969/172; ZVR 1976/336; ZVR 1979/54; RIS-Justiz RS0073485; vgl auch Dittrich/Stolzlechner StVO³ § 60 Rz 14; Fucik/Hartl/Schlosser, Verkehrsunfall VI Rz III/277) ist von unveränderter Aktualität.

Hievon zu trennen ist die Frage, ob sich ein Verkehrsteilnehmer in einer konkreten Verkehrssituation auf den Vertrauensgrundsatz berufen darf. Dies wird in ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes nur zugunsten desjenigen bejaht, der selbst jene Vorsicht angewendet hat, die von ihm im Interesse der Sicherheit des Verkehrs verlangt wird (2 Ob 351/99b = ZVR 2000/70; RIS-Justiz RS0073214). Der Vertrauensgrundsatz enthebt nämlich einen Verkehrsteilnehmer nicht von der Pflicht, die allgemeinen, unabhängig vom Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer geltenden Verkehrsregeln einzuhalten (ZVR 1987/14; 2 Ob 23/93 = ZVR 1994/50; RIS-Justiz RS0073175).

Zu diesen Verkehrsregeln zählen auch die Überholverbote des § 16 StVO. § 16 Abs 1 lit a StVO verbietet einem Fahrzeuglenker das Überholen, wenn andere Straßenbenützer, insbesondere entgegenkommende, gefährdet oder behindert werden könnten oder wenn nicht genügend Platz für ein gefahrloses Überholen vorhanden ist. Dieser Tatbestand ist bereits dann erfüllt, wenn die bloße Möglichkeit einer Gefährdung oder Behinderung eines anderen Verkehrsteilnehmers besteht (2 Ob 45/90 = ZVR 1991/78; RIS-Justiz RS0074013; Dittrich/Stolzlechner aaO § 16 Rz 11;

Fucik/Hartl/Schlosser aaO Rz III/109). Ein Fahrzeuglenker darf daher grundsätzlich nur dann überholen, wenn er in der Lage ist, die Überholstrecke zu überblicken und sich von der Möglichkeit eines gefahrlosen Überholens zu überzeugen (ZVR 1968/199; ZVR 1983/131; RIS-Justiz RS0074083; Dittrich/Stolzlechner aaO). Ist daher etwa bei Dunkelheit die zum Überholen benötigte Überholstrecke länger als die vom Lenker wegen des Abblendlichtes einsehbare Strecke, so darf - wie auch aus dem Überholverbot nach § 16 Abs 2 lit b StVO folgt - nicht überholt werden (ZVR 1968/199); muss doch ein Lenker auch mit schwer wahrnehmbaren, also auch mit dunklen, unbeleuchteten Hindernissen auf der Fahrbahn rechnen (ZVR 1983/131 mwN; vgl RIS-Justiz RS0074714; Dittrich/Stolzlechner aaO). Bei den Überholverboten nach § 16 Abs 1 lit a bis c und Abs 2 lit b StVO handelt es sich um Schutznormen im Sinne des § 1311 ABGB, deren Schutzzweck unter anderem darin besteht, den Gegenverkehr gefahrlos zu ermöglichen (2 Ob 14/03b; RIS-Justiz RS0027630).

Nach diesen Grundsätzen wurde in der vom Berufungsgericht zitierten (strafrechtlichen) Entscheidung ZVR 1968/199 einer entgegen § 16 Abs 1 lit a und Abs 2 lit b StVO vorschriftswidrig überholenden Fahrzeuglenkerin, die bei Dunkelheit mit einem unbeleuchtet entgegenkommenden Radfahrer kollidierte, die Berufung auf den Vertrauensgrundsatz versagt.

Der Entscheidung ZVR 1983/131 lag ein Sachverhalt zugrunde, bei dem ein überholender Fahrzeuglenker, der am Beginn seines Überholmanövers die Überholstrecke nicht überblicken konnte, bei Dunkelheit mit einem entgegenkommenden, unbeleuchteten Moped kollidierte. Der Senat führte aus, der besonders krasse Verstoß des Mopedfahrers gegen die Verkehrsvorschriften ändere nichts daran, dass es die Aufgabe des PKW-Lenkers gewesen wäre, sich über die gesamte Überholstrecke zu vergewissern und sich von der Möglichkeit eines gefahrlosen Überholens zu überzeugen. Dieser Überzeugungspflicht könne er sich nicht mit dem Hinweis darauf entledigen, dass er auf die Einhaltung der Beleuchtungsvorschriften durch andere Verkehrsteilnehmer hätte vertrauen dürfen, weil eben grundsätzlich nicht überholt werden dürfe, wenn nicht einwandfrei erkennbar sei, dass der Überholvorgang anstandslos durchgeführt werden könne (vgl auch ZVR 1981/224 zu einem Frontalzusammenstoß mit einem LKW, an welchem - wie hier - der linke Scheinwerfer nicht funktionierte).

Die Beurteilung des Berufungsgerichtes, auch den Widerkläger treffe ein Verschulden an der Kollision, falls er am Beginn seines Überholmanövers die Überholstrecke nicht zur Gänze überblicken konnte, steht mit der erörterten Rechtsprechung im Einklang und bedarf daher keiner Korrektur durch den Obersten Gerichtshof. Der Umstand, dass der Unfallgegner des Widerklägers einen Verstoß gegen die für die Verkehrssicherheit besonders bedeutsamen Vorschriften über die Beleuchtung seines Fahrzeuges (vgl RIS-Justiz RS0027459, RS0075411; Dittrich/Stolzlechner aaO § 60 Rz 13) zu verantworten hat, begründet sein Verschulden, beseitigt aber nicht den Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen der allfälligen Übertretung eines Überholverbotes und den dadurch (mit)verursachten Schäden (vgl 2 Ob 183/06k; RIS-Justiz RS0022580). Aus den im Rekurs zitierten Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes (ZVR 1983/2) und des Oberlandesgerichtes Wien (ZVR 1981/145) sind mangels vergleichbarer Tatumstände keine den gegenteiligen Standpunkt des Widerklägers stützenden Erkenntnisse zu gewinnen.

Soweit das Berufungsgericht ergänzende Feststellungen zur Überholstrecke und Überholsicht des Widerklägers für erforderlich hält, kann dem der Oberste Gerichtshof, der selbst nicht Tatsacheninstanz ist, nicht entgegentreten (RIS-Justiz RS0042179, RS0113643).

3. Zu beiden Rechtsmitteln:

Da es der Lösung von erheblichen Rechtsfragen im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO nicht bedurfte, waren sowohl die Revision als auch der Rekurs des Widerklägers als unzulässig zurückzuweisen.

Hinsichtlich der Revision gründet sich die Kostenentscheidung auf die §§ 41, 50 ZPO. In der Revisionsbeantwortung wurde auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen.

Hinsichtlich des Rekurses gründet sich der Kostenvorbehalt auf § 52 ZPO (RIS-Justiz RS0035976 [T1]).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte