OGH 2Ob143/03y

OGH2Ob143/03y12.9.2003

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Hubert B*****, vertreten durch Mag. Christoph Aumayr, Rechtsanwalt in Mauerkirchen, wider die beklagten Parteien 1. Miroslav T*****, 2. Sladiana T*****, und 3. ***** Versicherungs-AG, ***** alle vertreten durch Puttinger, Vogl & Partner, Rechtsanwälte in Ried im Innkreis, wegen Zahlung einer monatlichen Rente von EUR 112,42, über die Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichtes Ried im Innkreis als Berufungsgericht vom 4. März 2003, GZ 6 R 48/03f-40, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Bezirksgerichtes Mattighofen vom 29. November 2002, GZ 2 C 80/01m-35, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 459,71 (darin enthalten Umsatzsteuer von EUR 76,62, keine Barauslagen) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Erstbeklagte hat als Lenker des von der Zweitbeklagten gehaltenen und bei der drittbeklagten Partei haftpflichtversicherten PKW am 4. 8. 1998 einen Verkehrsunfall, bei dem der Kläger schwer verletzt wurde, alleine verschuldet.

Der Kläger begehrt die Beklagten für schuldig zu erkennen, ihm monatlich, 14mal jährlich, beginnend mit dem Zeitpunkt "Schluss der Verhandlung erster Instanz" eine abstrakte Rente im Ausmaß von EUR 112,42 wertgesichert nach dem Verbraucherpreisindex 1996 zu bezahlen, was einer Erwerbsminderung von 15 % entspreche, wobei die Haftung der drittbeklagten Partei der Höhe nach auf die Versicherungssumme beschränkt sei. Er brachte dazu vor, er sei vor dem Unfall und auch weiterhin als Fernfahrer beschäftigt gewesen, doch sei er aufgrund seiner durch den Unfall verursachten bleibenden Behinderung auf fremde Hilfe bei Be- und Entladetätigkeiten angewiesen. Daraus resultiere eine Erwerbsminderung von zumindest 10 %. Sein Dienstgeber habe ihm nahegelegt, seine Arbeitsleistung zu steigern, da er sonst durch einen körperlich vollwertigen Fahrer ersetzt werde. Es sei nicht zu erwarten, dass er seinen Beruf mittelfristig weiter ausüben werde können; mangels Konkurrenzfähigkeit am Arbeitsmarkt bedeute das das endgültige "Aus" in seinem Beruf. Überdies müsse er damit rechnen, dass seine Arbeitskraft aufgrund der durch die Behinderung notwendigen höheren Anstrengungen schneller verbraucht werde. Als Ausgleich dafür und zur Schaffung einer gewissen Sicherheit für die Zukunft stehe ihm eine abstrakte Rente in der Höhe von zumindest der Hälfte der prozentuellen Erwerbsminderung zu.

Mit Ausnahme der Frage der Gewährung einer abstrakten Rente sei bereits eine Einigung mit den beklagten Parteien über die Abgeltung der Sachschäden, einschließlich des Verdienstentganges auf der Basis des Alleinverschuldens des Erstbeklagten erfolgt.

Die Beklagten wendeten ein, es sei ein Arbeitsverlust des Klägers nicht zu befürchten, er müsse auch keine größeren Kraftanstrengungen aufwenden, um den von seinem Arbeitgeber geforderten Arbeitserfolg zu erreichen. Der Kläger habe nach seinem eigenen Vorbringen einen konkreten Verdienstentfall erlitten, weshalb er keine zusätzliche abstrakte Rente begehren könne.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt, wobei folgende Feststellungen getroffen wurden:

Der Kläger arbeitete vor dem Unfall als Fernfahrer und übt diese Tätigkeit auch weiterhin aus; sein durchschnittliches Monatsnettoeinkommen beträgt EUR 2.247,55.

Bei dem Unfall vom 4. 8. 1998 erlitt der Kläger eine Gehirnerschütterung, eine Fraktur der linken Hüftpfanne mit Verrenkung der Hüfte, eine Prellung des linken Kniegelenkes mit Abschürfung und multiple Prellungen im Bereich des rechten Unterschenkels.

Als der Kläger nach Abschluss der medizinischen Behandlung wieder zu arbeiten begann, hatte er Probleme bei den Be- und Entladetätigkeiten, insbesondere beim Palettenziehen, weil er vorwiegend Fliesen und Kunstdünger ohne mechanische Hilfe bei den Lagerhäusern abladen muss. Dem Kläger stehen lediglich Handgabelhubwagen, die man selber ziehen muss, zur Verfügung. Ein batteriebetriebenes Gerät kann aus Platz- und Gewichtsgründen nicht mitgegeben werden. Der Anteil der Be- und Entladetätigkeit, die vom Kläger gemacht werden muss, liegt zwischen 60 und 80 %.

Aufgrund seiner Probleme wurde der Kläger von seinem Arbeitgeber mit Schreiben vom 13. 7. 2000 und 30. 11. 2001 ermahnt, sein Leistungsvermögen dem früheren Standard und den jetzigen Erfordernissen anzupassen, da ansonsten seine Stelle als Kraftfahrer im internationalen Fernverkehr durch einen körperlich vollwertigen Fahrer ersetzt werde.

Zum heutigen Zeitpunkt besteht eine objektivierbare Bewegungseinschränkung des Hüftgelenkes um ein Drittel in allen Ebenen. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit entsprechend der Richtlinien der AUVA beträgt aufgrund der Funktionsverschlechterung 15 %.

Eine Benachteiligung im körperlich schwer belastenden Beruf gegenüber gesunden Berufskollegen liegt vor, weil aufgrund der Unfallfolgen Tätigkeiten mit extremen körperlichen Belastungen nicht mehr im gleichen Maße wie von einem Gesunden verrichtet werden können. Der Kläger muss sich zur Bewältigung seiner Arbeitsleistung infolge der auf den Unfall zurückzuführenden Verletzungen mehr anstrengen, als ein Gesunder. Es droht aufgrund der Unfallfolgen ein künftiger Arbeitsverlust samt Minderung des Arbeitseinkommens.

Zur Rechtsfrage führte das Erstgericht aus, es seien die Voraussetzungen für die Gewährung einer abstrakten Rente gegeben, weil die Möglichkeit einer früheren Erschöpfung der Arbeitskraft des Klägers gegeben sei, weil er sich deutlich mehr anstrengen müsse, um denselben Arbeitserfolg zu erlangen, wie ein gesunder Kollege (Ausgleichsfunktion). Ebenso sei der Kläger der Gefahr einer Benachteiligung am Arbeitsplatz mit gesunden Menschen ausgesetzt, weil er einerseits seinen Arbeitsplatz nicht mehr adäquat wechseln könne und andererseits die Kündigung seines jetzigen Arbeitsplatzes drohe (Sicherungsfunktion).

Das von den beklagten Parteien angerufene Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, die ordentliche Revision sei zulässig.

In rechtlicher Hinsicht schloss sich das Berufungsgericht der Ansicht des Erstgerichtes, es seien im vorliegenden Fall die Voraussetzungen für die Zuerkennung einer abstrakten Rente gegeben, an. Einem Zuspruch des konkreten Verdienstentganges (für die Vergangenheit) und einer darauffolgenden Zuerkennung einer abstrakten Rente (für die Zukunft) stehe nichts entgegen. Es sei auch nicht Aufgabe des Klägers gewesen, im Rahmen der Schadensminderungspflicht auf die Einhaltung der Arbeitnehmerschutzvorschriften zu drängen und sich einen entsprechenden "batteriegesteuerten" Hubstapler vom Arbeitgeber beigeben zu lassen, weil ein derartiges Gerät dem Kläger auf seinen Fahrten aus Platz- und Gewichtsgründen nicht mitgegeben werden könne. Die Ansicht, der Kläger hätte auf die Beigebung eines entsprechenden Hubstaplers "drängen" müssen, sei somit bereits in tatsächlicher Hinsicht nicht nachvollziehbar.

Die ordentliche Revision erachtete das Berufungsgericht für zulässig, weil der Oberste Gerichtshof in seiner jüngsten Entscheidung (2 Ob 133/02a) es auf sich beruhen habe lassen, ob die Rechtsprechung zur abstrakten Rente nicht überhaupt aufgegeben werden sollte.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der beklagten Parteien mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass das Klagebegehren zurückgewiesen, in eventu abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die klagende Partei hat Revisionsbeantwortung erstattet und beantragt, das Rechtsmittel der beklagten Parteien zurückzuweisen, in eventu ihm nicht Folge zu geben.

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht aufgezeigten Grund zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

Die beklagten Parteien machen in ihrem Rechtsmittel geltend, es sei im Hinblick auf das Alter des Klägers im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung (54 Jahre) von einer Unvermittelbarkeit auch ohne den gegenständlichen Unfall auszugehen. Der Kläger sei schon allein aufgrund seines bloßen Alters faktisch nicht mehr vermittelbar, sodass die Unfallsfolgen keine spürbare Verschlechterung der Konkurrenzfähigkeit am Arbeitsmarkt mehr bewirken könnten. Es fehle daher an der Sicherungsfunktion, welche nach der Rechtsprechung Voraussetzung für die Gewährung einer abstrakten Rente sei.

Weiters habe der Dienstgeber für den Schutz des Lebens und der Gesundheit des Arbeitnehmers gemäß § 1157 ABGB zu sorgen und gemäß § 64 ASchG die Pflicht, geeignete organisatorische Maßnahmen zu treffen und zu vermeiden, dass Arbeitnehmer Lasten manuell handhaben müssen. Lasse es sich nicht vermeiden, dass Arbeitnehmer Lasten manuell handhaben müssen, so treffe den Arbeitgeber die Pflicht dafür zu sorgen, dass es nicht zu einer Gefährdung des Bewegungs- und Stützapparates komme oder dass solche Gefährdungen gering gehalten werden. Seien Arbeitnehmer für die manuelle Handhabung von Lasten körperlich nicht geeignet, dürften sie hiezu nicht beschäftigt werden. Der Dienstgeber sei verpflichtet, dem Dienstnehmer in diesem Fall leichtere Arbeit zuzuweisen. Es hätte den Kläger im Hinblick auf die Bestimmungen des ASchG die Obliegenheit getroffen, seinen Arbeitgeber auf die Einhaltung seiner Fürsorgepflicht und die Beigabe einer automatischen Hebehilfe zu veranlassen, wodurch unfallbedingte Mehrbelastungen nicht eingetreten wären. Der Kläger habe es sich selbst zuzurechnen, wenn er diese Rechtspflicht seines Arbeitgebers nicht in Anspruch genommen habe. Es treffe ihn die Verletzung einer Schadensminderungspflicht, weshalb das Klagebegehren abzuweisen wäre.

Es fehle dem Kläger auch ein Rechtsschutzbedürfnis, weil die erlittenen Schäden von den beklagten Parteien berichtigt worden seien und auch eine Feststellungserklärung für alle Spät- und Dauerfolgen abgegeben worden sei. Die Mehranstrengungen des Klägers seien ohnehin bereits durch das Schmerzengeld abgegolten, alle anderen Nachteile seien ebenfalls ersetzt worden. Sollte der Kläger künftig einen Verdienstentgang aufgrund der Unfallsfolgen erleiden, so würde dieser im Rahmen der Feststellungserklärung von den Beklagten zu ersetzen sein. Die Erwerbsfähigkeit habe keinen Verkehrswert. Ein tatsächlicher Verdienstentgang werde durch die konkrete Schadensberechnung zureichend abgegolten.

Im Übrigen wird in der Revision der beklagten Parteien aber von den Feststellungen der Vorinstanzen abgegangen bzw werden diese bekämpft; darauf ist aber vom Obersten Gerichtshof, der keine Tatsacheninstanz ist, nicht einzugehen.

Rechtliche Beurteilung

Hiezu wurde erwogen:

Schon in der Entscheidung vom 20. 9. 1881, GlU 8512, wurde ein Verdienstentgang in Form einer Rente zugesprochen, obwohl ein konkreter Verdienstentgang noch nicht eingetreten war. In der Entscheidung vom 28. 8. 1884, GlU 10.141, wurde ausgeführt, die Klage auf Verdienstentgang könne nicht als verfrüht angesehen werden, wenn auch derzeit ein entgangener oder künftig entgehender Verdienst nicht nachgewiesen sei. Es bedürfe keines Beweises, dass durch den Verlust eines Auges eine Schädigung in dem künftigen Erwerbe oder eine Erschwerung in der Ausbildung für einen künftigen Beruf gelegen sei. In der Entscheidung SZ 9/85 vom 14. 7. 1997 wurde schließlich dargelegt, dass der Kläger aufgrund seiner körperlichen Verletzung an Konkurrenzfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt verloren habe; dies sei aber ein Schaden, der jetzt schon eingetreten sei. "Es hieße dem Kläger den Schadenersatz überhaupt verweigern, wollte man ihn auf den Einzelfall verweisen, sodass er in jedem Fall nachweisen müsste, dass er einen minderen Lohn beziehe oder arbeitslos ist". Die Rente solle dazu dienen, ihm einen Fonds zur Deckung künftigen Schadens zu schaffen, daher könne er sie auch zu einer Zeit beziehen, in der er einen Normallohn erhalte.

Seit diesen Entscheidungen wird das Rechtsinstitut der abstrakten Rente von der Rechtsprechung anerkannt (siehe zB RIS-Justiz RS0030797; RS0030709; RS0030614). Die Rechtsprechung hat in Ausnahmefällen dem Verletzten auf seinen Antrag eine abstrakte Rente gewährt, wenn zunächst kein konkreter Verdienstentgang eingetreten, ein künftiger Entgang aber wegen des erlittenen Dauerschadens wahrscheinlich war. Für den Anspruch auf eine abstrakte Rente genügt nicht eine Verminderung der Erwerbsfähigkeit schlechthin oder eine bloße Erschwernis der Arbeit, es muss vielmehr eine Einkommensminderung wegen der unfallsbedingten Verletzungen nach den konkreten Umständen des Einzelfalles zu erwarten oder doch wahrscheinlich sein. Voraussetzung für die Gewährung einer abstrakten Rente ist, dass die Möglichkeit einer früheren Erschöpfung der Arbeitskraft des Verletzten gegeben ist (Ausgleichsfunktion) und der Geschädigte der Gefahr einer Benachteiligung im Wettbewerb mit gesunden Menschen ausgesetzt ist (Sicherungsfunktion). Wenn nur eine dieser Aufgaben erfüllt ist, gebührt die abstrakte Rente nicht, vielmehr muss ein so enger Zusammenhang mit einem tatsächlichen Verdienstausfall infolge konkret und absehbar drohenden Verlustes der gegenwärtigen Erwerbsgelegenheit gegeben sein, dass es schon jetzt geboten ist, durch Rücklagen einen Fonds zur Deckung des Ausfalles zu schaffen (2 Ob 133/02a = JBl 2003, 242 [Faber] mwN).

Von der überwiegenden Lehre - wenngleich unter Kritik einzelner Punkte der Rechtsprechung - wurde ebenfalls die Ansicht vertreten, es bestehe unter bestimmten Voraussetzungen ein Anspruch auf eine abstrakte Rente (Fröhlich, Schadensbemessung und Schadensüberwälzung, ZBl 1931, 536 [550 ff]); V. Steininger, Zur abstrakten Rente, JBl 1966, 543; derselbe, Minderung der Erwerbsfähigkeit ohne Verdienstentgang; Wilburg FS-1965, 181; derselbe, JBl 1968, 147 [Entscheidungsbesprechung]; Fiebich, Zum Problem des Rentenanspruches nach § 1325 ABGB, ÖJZ 1958, 341; Piegler, Die "abstrakte Rente" im österreichischen Schadenersatzrecht, VersR 1965, 103; derselbe, Die "abstrakte Rente", Gesellschaft der Gutachterärzte Österreichs, Frühjahrstagung 1971, 31; F. Bydlinski, Probleme der Schadensverursachung, 50 ff; Schuhmacher, Die Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit als Problem des Schadensbegriffs, ZAS 1977, 43; Welser, Fragen zivilrechtlicher Haftung aus Verkehrsunfällen, Sonderheft ZVR 1978, 34 ff; Koziol, Haftpflichtrecht I³ Rz 2/59 und II², 130 ff; derselbe, Die Tötung im Schadenersatzrecht in Liber Amicorum Pierre Widmer, 203 [208], Faistenberger/Barta/Eccher in Gschnitzer, Schuldrecht Besonderer Teil und Schadenersatz², 498; Huber, Fragen der Schadensberechnung², 478; Krejci, Grundsatzfragen des Haftpflicht- und Regresssystems im Recht der sozialen Sicherheit, Reformen des Rechts, 409 (415 f); Wittwer, Das Ende der abstrakten Rente? JAP 1999/2000, 156; s auch Apathy, Komm z EKHG § 13 Rz 15 ff).

Generell gegen den Zuspruch einer abstrakten Rente sind allerdings Reischauer in Rummel² ABGB § 1325 Rz 36, Harrer in Schwimann² ABGB § 1325 Rz 57 und jüngst Faber JBl 2003, 242 (Entscheidungsbesprechung) aufgetreten. Diese vertreten die Ansicht, die Erwerbsfähigkeit habe keinen Verkehrswert, richtigerweise sei nach § 1325 ABGB nur der konkrete Verdienstentfall zu ersetzen. Diesen Ausführungen vermag sich der erkennende Senat aber nicht anzuschließen. Richtig ist zwar, dass es keinen gemeinen Wert der Erwerbsfähigkeit an sich gibt, weil im Verkehr stets die Arbeitskraft nur für gewisse Zeiträume zur Verfügung gestellt und entgolten wird (Koziol, aaO, I³, Rz 3/73). Dies ändert aber nichts daran, dass für die breite Masse der Bevölkerung die Arbeitskraft und die daraus resultierende Erwerbsfähigkeit das wichtigste Vermögensgut darstellt (Schuhmacher, aaO, ZAS 1977, 43); die Einbuße an dieser Erwerbsfähigkeit kann auch objektiv bewertet werden (Fröhlich, aaO, ZBl 1931, 550; F. Bydlinski, aaO, 51). Es wäre ein Wertungswiderspruch, bei einer Verunstaltung eine Rente wegen Verhinderung des besseren Fortkommens zuzusprechen (siehe Reischauer, aaO, § 1326 Rz 10), nicht aber bei einer Verhinderung des Fortkommens ohne eine solche. Vielmehr handelt es sich bei einer abstrakten Rente um einen Fall der objektiv-abstrakten Schadensberechnung im Sinne des § 1332 ABGB, wobei wegen des zeitlichen Momentes bei der Erwerbsfähigkeit der Ersatz auch nur in Rentenbeträgen zu erstatten ist (Koziol, aaO, I Rz 3/73).

Diese objektiv-abstrakte Schadensberechnung entspricht der ganz herrschenden österreichischen Lehre (F. Bydlinski, Schadensverursachung, 28; derselbe, JBl 1966, 439 ff: "Es besteht also offenbar aller Anlass, darauf hinzuweisen, dass diese neuerdings anzutreffende Behauptung, es gebe im (österreichischen!) Schadenersatzrecht nur eine konkrete (nach den subjektiven Verhältnissen des Betroffenen vorgenommene) Schadensberechung evident falsch ist; Koziol, aaO, I³ Rz 2/56 ff; Karner, Der Ersatz ideeller Schäden bei Körperverletzung 137 mwN). Die gegenteilige Ansicht von Reischauer, aaO, § 1332 Rz 17 geht davon aus, dass der abstrakt berechnete Schaden kein Schaden sei. Sie ignoriert aber insbesondere das mögliche Vorliegen von Realschäden, die ohne Zusammenhang mit einem bestimmten Vermögen und einem Geldwert erkennbar sind (F. Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, 191 FN 191). Die Chance für den Schädiger, ungeachtet des Eintritts eines realen Schadens von einer Haftung frei zu bleiben, würde den rechtlich bedeutsamen Leitzweck der Schadensprävention des Schadenersatzes erheblich mindern (Bydlinski, Prinzipien 190 ff; Koziol, aaO I³ Rz 2/58; Karner, aaO, 137). Es ist auch nicht einzusehen, dass bei Beschädigungen eines Autos auch dann Ersatz zu leisten ist, wenn dieser Schaden die Funktionstüchtigkeit des Fahrzeuges nicht beeinträchtigt und der Schaden auch nie behoben wird, hingegen bei einer Beeinträchtigung des wichtigeren Rechtsgutes der Erwerbsfähigkeit erst bei Eintritt eines konkreten Schadens Ersatz zu leisten wäre.

Weder das Gesetz noch dogmatische Grundsätze verbieten es daher, eine abstrakte Rente unter bestimmten Voraussetzungen zuzuerkennen.

Auch praktische und prozessökonomische Grundsätze sprechen dagegen, die Rechtsprechung zur abstrakten Rente überhaupt aufzugeben. Wie der Oberste Gerichtshof schon in der Entscheidung SZ 9/85 ausgeführt hat, soll der Geschädigte durch die Zuerkennung der Rente von dem sonst in jedem Einzelfall zu erbringenden Nachweis befreit werden, dass er aufgrund der unfallsbedingten Verletzungen einen minderen Lohn bezieht oder arbeitslos ist. Diesen Problemen durch eine Rente in Analogie zu § 1326 ABGB zu begegnen (Reischauer, aaO § 1325 Rz 36), erscheint nicht zweckmäßig. Warum die objektiv-abstrakte Berechnung der Minderung der Erwerbsfähigkeit entfallen, eine Rente aber in Analogie zu § 1326 ABGB zuerkannt werden soll, ist nicht einzusehen. Es ist auch - gerade in Zeiten relativ hoher Arbeitslosigkeit - nicht typisch, dass ein Dienstnehmer mit verminderter Arbeitskraft von Einkommenseinbußen bzw von einer Kündigung eher betroffen ist als ein anderer (so aber Faber, JBl 2003, 245).

Auch der Gedanke, die Mehranstrengungen durch Schmerzengeld auszugleichen, ist nicht zwingend. Einerseits muss eine höhere Belastung nicht unbedingt zu (körperlichen) Schmerzzuständen führen. Anderseits müsste dieses Schmerzengeld in Form einer Rente abgegolten werden, weil nicht absehbar ist, wie lange der Verletzte die Arbeit, die Mehranstrengungen verursacht, noch verrichten kann. Es ist möglich, dass der (schon drohende) Verlust des Arbeitsplatzes schon kurze Zeit nach Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz eintritt, es ist aber auch denkbar, dass es nicht zu einem solchen kommt.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass keine Bedenken dagegen bestehen, eine abstrakte Rente gegen die - soweit überblickbar - seit ihrer "Erfindung" im Jahre 1881 bis zum Jahre 1984 (Erscheinungsjahr des zweiten Bandes des Kommentars von Rummel mit Kritik von Reischauer) keine grundsätzlichen Einwände erhoben wurden, jedenfalls in den engen Grenzen der bisherigen Rechtsprechung aufrechtzuerhalten.

Wie die Vorinstanzen zutreffend dargelegt haben, sind im vorliegenden Fall die Voraussetzungen für die Zuerkennung einer abstrakten Rente gegeben. Ausgehend von den Feststellungen des Erstgerichtes besteht hier die Gefahr einer früheren Erschöpfung der Arbeitskraft des Klägers ebenso wie die Gefahr einer Benachteiligung im Wettbewerb mit gesunden Menschen. Gerade die Argumentation der beklagten Parteien, dass der Kläger im Hinblick auf sein Alter faktisch nicht mehr vermittelbar ist, spricht für die Zuerkennung einer abstrakten Rente. Der Kläger ist nämlich derzeit noch bei seinem Arbeitgeber beschäftigt und könnte unter Umständen den Nachweis, dass das Arbeitsverhältnis wegen seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen und nicht wegen seines Alters aufgelöst wurde, nur schwer erbringen.

Entgegen der Ansicht der beklagten Parteien kann dem Kläger auch keine Verletzung der Schadensminderungspflicht angelastet werden. Eine solche besteht nämlich nur, soweit die Maßnahmen zumutbar sind; die Zumutbarkeit richtet sich nach den Interessen beider Teile im Einzelfall und nach den Grundsätzen des redlichen Verkehrs (Reischauer, aaO, § 1304 Rz 38 mwN). Legt man diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall an, so kann dem Kläger, dessen Arbeitsplatz ohnehin gefährdet ist, nicht zugemutet werden, von seinem Dienstgeber die Einhaltung bestimmter arbeitsrechtlicher Schutzvorschriften zu verlangen und zu versuchen diese auch noch im Zwangswege durchzusetzen.

Der unberechtigten Revision der beklagten Parteien war sohin keine Folge zu geben.

Die Entscheidung über die Kosten gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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