OGH 2Ob183/06k

OGH2Ob183/06k18.1.2007

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Baumann als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Veith, Dr. Grohmann und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Florian M*, vertreten durch Dr. Hans‑Moritz Pott, Rechtsanwalt in Schladming und Liezen, gegen die beklagte Partei Verband der Versicherungsunternehmungen Österreichs, Schwarzenbergplatz 7, 1030 Wien, vertreten durch Dr. Norbert Bergmüller, Rechtsanwalt in Schladming, wegen EUR 9.000 sA und Feststellung (Streitinteresse: EUR 1.000), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Leoben als Berufungsgericht vom 30. Mai 2006, GZ 1 R 28/06v‑30, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Liezen vom 9. November 2005, GZ 2 C 268/05h‑26, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E83066

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie unter Einschluss der bereits rechtskräftigen Teile wie folgt zu lauten haben:

„1. Die Klagsforderung besteht mit EUR 5.669,27 zu Recht.

2. Die eingewendete Gegenforderung besteht mit EUR 615,91 zu Recht.

3. Die beklagte Partei ist daher schuldig, der klagenden Partei den Betrag von EUR 5.053,36 samt 4 % Zinsen aus EUR 3.820,56 vom 18. 9. 2004 bis 23. 9. 2005 und aus EUR 5.053,36 seit 24. 9. 2005 binnen vierzehn Tagen zu bezahlen.

4. Das auf die Zahlung weiterer EUR 3.946,64 sA lautende Mehrbegehren wird abgewiesen.

5. Es wird festgestellt, dass die beklagte Partei der klagenden Partei gegenüber für alle künftigen Schäden und Auslagen, welcher Art auch immer, aus dem Verkehrsunfall vom 9. 8. 2004 auf der B 146 auf Höhe des Straßenkilometers 79,63 im Ausmaß von zwei Drittel haftet, dies beschränkt bis zur Höhe der gesetzlichen Mindestdeckungssumme.

6. Das auf die Feststellung der Haftung der beklagten Partei für alle künftigen Schäden und Auslagen aus dem Verkehrsunfall vom 9. 8. 2004 im Ausmaß eines weiteren Drittels gerichtete Mehrbegehren wird abgewiesen.

7. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 949,75 (darin EUR 82,32 USt und EUR 404,69 Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 482,29 (darin EUR 33,03 USt und EUR 284,08 Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen."

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 522,89 (darin EUR 28,30 USt und EUR 355,10 Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

 

Am 9. 8. 2004 ereignete sich gegen 12.15 Uhr im Gemeindegebiet von Ardning auf der Bundesstraße 146 bei Straßenkilometer 79,36 in Fahrtrichtung Liezen ein Verkehrsunfall, an welchem der Kläger als Radfahrer und Gerd K* als Lenker eines in Deutschland zugelassenen Pkws mit angekoppeltem Wohnanhänger beteiligt waren. Die Unfallstelle liegt im Freilandgebiet, die zulässige Höchstgeschwindigkeit betrug 70 km/h. Die 5,8 m breite Fahrbahn wird durch eine Leitlinie in zwei Fahrstreifen geteilt und beschreibt im Unfallbereich - in Fahrtrichtung der Beteiligten - eine langgezogene Linkskurve. Am rechten Fahrbahnrand ist eine Leitschiene angebracht, neben welcher der dort knapp 2 m breite und asphaltierte „Ennstal‑Radweg" für einige 100 m parallel zur Fahrbahn verläuft. Dieser Radweg quert in weiterer Folge mehrfach die Bundesstraße und setzt sich schließlich in Fahrtrichtung Selzthal‑Liezen teilweise auch auf nicht asphaltierten Güterwegen fort.

Der Kläger, ein professioneller Snowboarder von internationalem Format, stand nach einem Kreuzbandriss noch im Trainingsaufbau für die neue Saison, in dessen Rahmen er regelmäßige Trainingseinheiten mit dem Fahrrad absolvierte. Am Unfallstag unternahm er gemeinsam mit einem Freund eine solche Fahrt. Der Kläger benützte dabei ein „extra für das Straßenfahren umgerüstetes" Mountainbike, das mit ausschließlich für das Fahren auf Asphalt vorgesehenen „Slick‑Reifen", nicht aber mit Lichtern, Rück- oder Seitenstrahlern ausgestattet war.

Die Radfahrer fuhren mit einer Geschwindigkeit von ca 40 km/h am rechten Fahrbahnrand der Bundesstraße in Richtung Liezen, wobei sich der Freund des Klägers in dessen Windschatten hielt. Den ihnen bekannten Radweg benutzten sie deshalb nicht, da er ihnen aufgrund seiner Anlage für „kontinuierliche Ausdauertrainingseinheiten" nicht geeignet schien und sie auf andere Radwegbenützer Rücksicht hätten nehmen müssen.

Gerd K*, der mit dem 2 bis 2,10 m breiten Kraftwagenzug eine Geschwindigkeit von ca 70 km/h einhielt, beabsichtigte, die Radfahrer zu überholen und leitete zu diesem Zweck einen Fahrstreifenwechsel ein. Dabei übersah er, dass sich hinter ihm bereits ein weiterer Pkw in Überholposition befand. Als er dieses Fahrzeug bemerkte, lenkte er den Kraftwagenzug wieder in den rechten Fahrstreifen zurück. Bei diesem Fahrmanöver wurden die Radfahrer zunächst vom rechten Außenspiegel seines Pkws, dann vom Wohnwagen gestreift. Beide Radfahrer kamen zu Sturz, wodurch der Kläger neben diversen Prellungen eine Kahnbeinfraktur erlitt. Spätfolgen dieser Verletzung sind nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen. Das Fahrrad und die Ausrüstung des Klägers wurden beschädigt; weiters entstanden ihm Aufwendungen für diverse Fahrten zum Arzt. Auch am Fahrzeug des Gerd K* entstanden Schäden, zu deren Behebung Reparaturkosten von EUR 1.847,74 erforderlich sind. Er hat seine Ansprüche an die beklagte Partei abgetreten.

Der Kläger begehrte die Zahlung von zuletzt EUR 9.000 sA (Schmerzengeld EUR 6.849,20 sowie den Ersatz diverser Sachschäden [EUR 1.609] und der Fahrtkosten [EUR 541,80]) und die Feststellung der - auf die Höhe der gesetzlichen Mindestdeckungssumme beschränkten - Haftung der beklagten Partei für alle künftigen Folgen aus dem Verkehrsunfall. Gerd K* habe den Unfall allein verschuldet. Die Nichtbenützung des Radweges sei dem Kläger nicht vorwerfbar, weil er mit einem auf ein Straßenrennrad umgerüsteten Mountainbike ausschließlich zu Trainingszwecken mit hoher Geschwindigkeit auf der Fahrbahn der Bundesstraße gefahren sei.

Die beklagte Partei anerkannte eine Mithaftung nach den Bestimmungen des EKHG im Ausmaß von 50 % und wandte eine Gegenforderung von EUR 1.927,74 aufrechnungsweise ein. Da der Kläger nicht mit einem Rennfahrrad sondern einem Mountainbike gefahren sei, wäre er zur Benützung des Radweges verpflichtet gewesen. Es treffe ihn daher das Verschulden an dem Verkehrsunfall.

Das Erstgericht erkannte die Klagsforderung als mit EUR 8.841 zu Recht, die Gegenforderung hingegen als nicht zu Recht bestehend, verpflichtete die beklagte Partei zur Zahlung von EUR 8.841 sA an den Kläger, wies das auf EUR 159 sA lautende Mehrbegehren ab und gab dem Feststellungsbegehren statt. Es stützte sich auf den eingangs zusammengefasst wiedergegebenen Sachverhalt und vertrat die Rechtsansicht, das Alleinverschulden am Zustandekommen des Verkehrsunfalles treffe den Lenker des Kraftwagenzuges, dem ein Verstoß gegen § 15 StVO vorzuwerfen sei. Der Kläger sei zur Benützung des Radweges nicht verpflichtet gewesen. Eine teleologische Auslegung der aus dem Jahr 1986 stammenden Rennfahrradverordnung führe zu dem Ergebnis, dass das vom Kläger verwendete Fahrrad als Rennfahrrad iSd § 68 Abs 1 StVO anzusehen sei. Durch den in dieser Bestimmung normierten Ausnahmetatbestand werde Sportlern die Möglichkeit eingeräumt, auf den besser ausgebauten und für Trainingszwecke besser geeigneten öffentlichen Straßen trainieren zu können. Selbst wenn aber das Fahrrad des Klägers nicht als Rennfahrrad iSd § 68 Abs 1 StVO zu qualifizieren wäre, sei dem Kläger die Nichtbenützung des Radweges nicht anzulasten. Dies ergebe sich aus dem Rechtsinstitut des rechtmäßigen Alternativverhaltens, weil sich der Unfall auch bei Verwendung eines „klassischen Rennrades" mit denselben Folgen ereignet hätte.

Das nur von der beklagten Partei angerufene Berufungsgericht gab der Berufung teilweise Folge. Es änderte die erstinstanzliche Entscheidung über das Zahlungsbegehren dahin ab, dass es die Klagsforderung als mit insgesamt EUR 8.503,90 zu Recht, die Gegenforderung als nicht zu Recht bestehend erachtete, die beklagte Partei daher zur Zahlung von EUR 8.503,90 sA an den Kläger verpflichtete und das Mehrbegehren von EUR 496,10 sA abwies. Es bestätigte ferner die erstinstanzliche Entscheidung über das Feststellungsbegehren und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstandes insgesamt EUR 4.000, nicht jedoch EUR 20.000 übersteige und die ordentliche Revision zulässig sei. Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und teilte dessen Rechtsansicht, wonach vom Alleinverschulden des Lenkers des Kraftwagenzuges auszugehen sei. Das vom Kläger benützte Fahrrad sei zwar nicht als Rennfahrrad iSd § 4 Fahrradverordnung zu qualifizieren, weshalb der Kläger gemäß § 68 Abs 1 StVO zur Benützung des Radweges verpflichtet gewesen wäre. Dieses Fehlverhalten werde aber vom Schutzzweck der zitierten Bestimmungen nicht erfasst, der nur in der Vermeidung aus einem erheblichen Geschwindigkeitsunterschied zwischen Fahrrad und Kraftfahrzeug resultierender Unfälle liegen könne. Dies ergebe sich daraus, dass für Trainingsfahrten mit Rennfahrrädern, die zur Erzielung einer hohen Geschwindigkeit ausgelegt seien, ausdrücklich eine Ausnahme von der Pflicht zur Benützung von Radfahranlagen vorgesehen sei. § 68 Abs 1 StVO verfolge daher nicht den Zweck, durch einen unvorsichtig überholenden Kraftfahrzeuglenker verursachte Schäden hintanzuhalten.

Zur Begründung der Zulässigkeit der ordentlichen Revision führte das Berufungsgericht aus, es fehle an höchstgerichtlicher Judikatur zu den Kriterien, nach denen ein konkreter Schaden als vom Schutzzweck des § 68 Abs 1 StVO erfasst anzusehen sei.

Gegen dieses Berufungsurteil, soweit das Berufungsgericht nicht von gleichteiligem Verschulden der am Unfall beteiligten Lenker ausgegangen ist, richtet sich die Revision der beklagten Partei mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass die Klagsforderung als mit EUR 4.251,95 und die Gegenforderung als mit EUR 923,87 zu Recht bestehend erkannt, die beklagte Partei daher zur Zahlung eines Betrages von EUR 3.328,08 sA an den Kläger verpflichtet, das Zahlungsmehrbegehren von EUR 5.671,92 sA abgewiesen und dem Feststellungsbegehren unter gleichzeitiger Abweisung des Mehrbegehrens im Sinne des Ausspruches der - auf die gesetzliche Mindestdeckungssumme beschränkten - Haftung der beklagten Partei im Umfang von 50 % für alle künftigen Schäden aus dem Verkehrsunfall stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht den Schutzzweck des § 68 Abs 1 StVO unrichtig beurteilt hat; sie ist auch teilweise berechtigt.

Die beklagte Partei macht geltend, § 68 Abs 1 StVO diene vorrangig dem Schutz der Radfahrer selbst, da die Trennung des Radverkehrs vom übrigen Straßenverkehr die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer zu erhöhen geeignet sei. Durch das Verhalten des Klägers sei jener Sachverhalt verwirklicht worden, den die Schutznorm verhindern solle. Die eingetretenen Schäden seien daher von ihrem Schutzzweck erfasst.

Hiezu wurde erwogen:

Vorauszuschicken ist, dass das Verschulden des Lenkers des Kraftwagenzuges ebenso wie die Höhe des auf beiden Seiten eingetretenen Schadens im Revisionsverfahren nicht mehr strittig ist. Gegenstand der Beurteilung durch den Obersten Gerichtshof ist daher allein die Frage, ob den Kläger ein Mitverschulden trifft.

Gemäß § 68 Abs 1 Satz 1 bis 3 StVO (in der hier maßgeblichen Fassung der 20. StVO‑Novelle) ist auf Straßen mit einer Radfahranlage mit einspurigen Fahrrädern ohne Anhänger die Radfahranlage zu benützen, wenn das Befahren der Radfahranlage in der vom Radfahrer beabsichtigten Fahrtrichtung gemäß § 8a erlaubt ist (Satz 1). Mit Fahrrädern mit einem Anhänger, der nicht breiter als 80 cm oder ausschließlich zur Personenbeförderung bestimmt ist, sowie bei Trainingsfahrten mit Rennfahrrädern kann die Radfahranlage benützt werden (Satz 2). Mit Fahrrädern mit einem sonstigen Anhänger und mit mehrspurigen Fahrrädern ist die für den übrigen Verkehr bestimmte Fahrbahn zu benützen (Satz 3).

Mit diesen Verhaltensregeln für Radfahrer wurden für Straßen mit einer Radfahranlage (§ 2 Abs 1 Z 11b StVO) Benützungspflichten, -erlaubnisse und -verbote festgelegt (Dittrich/Stolzlechner, StVO³ § 68 Rz 12). Während Satz 1 die Benützungspflicht als grundsätzliche Regel vorsieht, sind in den Sätzen 2 und 3 Ausnahmetatbestände normiert. Satz 2 räumt ua Radfahrern bei Trainingsfahrten mit Rennfahrrädern die Erlaubnis zur Benützung einer Radfahranlage ein. Diese Radfahrer haben somit die Wahl, entweder die Fahrbahn oder die Radfahranlage zu benützen (Dittrich/Stolzlechner aaO Rz 16).

Die Ausnahme für Trainingsfahrten mit Rennfahrrädern wurde mit der 20. StVO‑Novelle, BGBl I 1998/92, eingefügt. Gleichzeitig erhielt auch § 68 Abs 2 StVO seine aktuelle Fassung, wonach Radfahrer nun nicht mehr nur auf Radwegen und in Wohnstraßen, sondern auch auf sonstigen Straßen mit öffentlichem Verkehr bei Trainingsfahrten mit Rennfahrrädern nebeneinander fahren dürfen, wobei beim Nebeneinanderfahren nur der äußerste rechte Fahrstreifen benützt werden darf.

Die Anwendbarkeit der Sonderregeln für die Lenker von Rennfahrrädern setzt somit das kumulative Vorliegen zweier Tatbestandsmerkmale voraus, nämlich die Absolvierung einer Trainingsfahrt und die Benützung eines Rennfahrrades. Nach dem Bericht des Verkehrsausschusses (AB 1225 BlgNR 20. GP ) - in der Regierungsvorlage war die Begünstigung der Lenker von Rennfahrrädern noch nicht vorgesehen (vgl ErlRV 713 BlgNR 20. GP ) - sind als Kriterien für Trainingsfahrten „insbesondere jene Verhältnisse (wie Ausrüstung oder gefahrene Geschwindigkeit) maßgeblich, die mit jenen bei einer radsportlichen Veranstaltung vergleichbar sind." Radfahrer befinden sich demnach auf einer Trainingsfahrt, wenn sie entsprechend rennmäßig bekleidet sind und wenn hohe Geschwindigkeiten gefahren werden (Dittrich/Stolzlechner aaO Rz 18). Die Kriterien eines „Rennfahrrades" sind in § 4 Abs 1 der am 1. 5. 2001 in Kraft getretenen Fahrradverordnung, BGBl II 2001/146, festgelegt, worin die Bestimmungen der bis dahin geltenden Rennfahrradverordnung, BGBl 1986/242, wörtlich übernommen worden sind. Danach gilt ein Fahrrad (weiterhin) als Rennfahrrad, wenn das Eigengewicht des fahrbereiten Fahrrades höchstens 12 kg beträgt, es mit einem Rennlenker ausgestattet ist, der äußere Felgendurchmesser mindestens 630 mm beträgt und die äußere Felgenbreite 23 mm nicht überschreitet; in Abs 2 dieser Bestimmung sind diverse Ausrüstungserleichterungen für Rennfahrräder normiert (dazu ausführlich Kaltenegger, Der Radrennfahrer in der StVO, ZVR 2002, 67 [69 f]). Mag auch die Ansicht, diese Definition des Rennfahrrades sei infolge des seit dem Inkrafttreten der Rennfahrradverordnung eingetretenen technischen Fortschrittes nicht mehr sachgerecht (so etwa Hoffer, StVO [2006] 374), allenfalls zutreffend sein, so bleibt sie bis zu einer Änderung der Verordnung für die Auslegung des § 68 Abs 1 Satz 2 und Abs 2 StVO dennoch relevant.

Im vorliegenden Fall hat der Kläger bei seiner Fahrt ein Mountainbike benützt. Solche Räder gehören nach den in § 4 Abs 1 der Fahrradverordnung festgelegten technischen Daten nicht zu den Rennfahrrädern. Sie sind vornehmlich für das Befahren von Wegen außerhalb des öffentlichen Straßennetzes gedacht und müssen, wenn sie auf Straßen mit öffentlichem Verkehr benützt werden, wie normale Fahrräder ausgerüstet sein (Dittrich/Stolzlechner aaO Rz 18). Auch ein „Renn‑Mountainbike" ist daher nur dann als Rennfahrrad zu qualifizieren, wenn es den Voraussetzungen des § 4 Abs 1 Fahrradverordnung entspricht (Hoffer aaO).

Das Erstgericht hat zwar festgestellt, dass der Kläger mit einem „extra für das Straßenfahren umgerüsteten" Mountainbike fuhr, nicht jedoch, ob es nach dieser Umrüstung den technischen Merkmalen eines Rennfahrrades entsprach. Im Rahmen seiner Rechtsausführungen ging es jedoch ohnedies auch von der unstrittigen und durch die aktenkundigen Lichtbilder belegten Tatsache aus, dass das Fahrrad des Klägers mit einem „geraden Lenker" ausgestattet war. Damit mangelte es aber jedenfalls an der Ausstattung mit einem „Rennlenker", worunter nach allgemeiner Verkehrsauffassung eine im (Straßen‑)Radrennsport übliche Lenkstange mit einem in der Regel nach vorne und unten gekrümmten Griff zu verstehen ist (Kaltenegger aaO 67 mwN). Dem Berufungsgericht ist schon aus diesem Grund darin beizupflichten, dass das vom Kläger verwendete Fahrrad nicht als Rennfahrrad iSd § 4 Abs 1 Fahrradverordnung zu qualifizieren ist. Davon abgesehen gesteht der Kläger in der Revisionsbeantwortung auch zu, dass das verwendete Mountainbike nicht dem „typischen bzw klassischen Rennfahrrad" entsprach. Darauf aber, ob das Mountainbike ungeachtet der technischen Merkmale eines Rennfahrrades für Trainingsfahrten auf der Straße geeignet war, kommt es nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut des § 68 Abs 1 Satz 1 StVO nicht an. Mangels Gesetzeslücke kommt eine analoge Anwendung der auf Rennfahrräder beschränkten Sonderregel auf andere Fahrräder nicht in Betracht. Dies entspricht auch dem noch zu erörternden Schutzzweck dieser Norm. Der Kläger, der kein Rennfahrrad benützte, hätte demnach für seine Fahrt gemäß § 68 Abs 1 Satz 1 StVO den Radweg benützen müssen, so lange dieser neben der Fahrbahn in der von ihm beabsichtigten Fahrtrichtung verlief.

Bei den das Verhalten der Radfahrer regelnden Vorschriften des § 68 StVO handelt es sich um Schutznormen iSd § 1311 ABGB, deren Zweck - wie der Oberste Gerichtshof schon mehrfach ausgesprochen hat - nicht nur dem Schutz der übrigen Straßenbenützer, sondern auch der eigenen Sicherheit des Radfahrers dient (ZVR 1984/224; 2 Ob 135/04y; RIS‑Justiz RS0027587; Dittrich/Stolzlechner aaO Rz 5). Ein entsprechender Hinweis findet sich bereits in den Erläuterungen der Regierungsvorlage zur Stammfassung des § 68 (dort noch bezeichnet als § 67) StVO (ErlRV 22 BlgNR 9. GP  67, teilweise abgedruckt bei Dittrich/Stolzlechner aaO Rz 1).

Der Schutzzweck der Norm ergibt sich aus ihrem Inhalt. Das Gericht hat das anzuwendende Schutzgesetz teleologisch zu interpretieren, um herauszufinden, ob die jeweilige Vorschrift, die übertreten wurde, den in einem konkreten Fall eingetretenen Schaden verhüten soll (2 Ob 279/05a; 2 Ob 39/06h; RIS‑Justiz RS0008775 [T1]). Es genügt, dass die Verhinderung des Schadens bloß mitbezweckt ist; die Norm muss aber die Verhinderung eines Schadens wie des später eingetretenen zumindest intendiert haben (2 Ob 39/06h mwN; RIS‑Justiz RS0008775 [T2 und 4]).

Nach diesen Grundsätzen kann nicht zweifelhaft sein, dass die Verletzung der Schutznorm des § 68 Abs 1 Satz 1 StVO mit den beim Überholen eines Radfahrers durch ein Kraftfahrzeug entstandenen Schäden im Rechtswidrigkeitszusammenhang steht. Ist doch der aus dem Inhalt der Norm hervorleuchtende Zweck klar darauf ausgerichtet, auf Straßen mit Radfahranlagen Konfliktsituationen aller Art zwischen den Lenkern von Kraftfahrzeugen und Radfahrern und daraus erwachsende Schäden zu vermeiden. Dass der überholende Lenker des Kraftfahrzeuges einen Aufmerksamkeitsfehler zu verantworten hat, begründet sein Verschulden, beseitigt aber nicht den Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen der vom Kläger übertretenen Norm und den dadurch (mit‑)verursachten Schäden (RIS‑Justiz RS0022580).

Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes oblag es dem Kläger zu beweisen, dass ihm die objektive Übertretung der Schutznorm des § 68 Abs 1 Satz 1 StVO nicht als schutzgesetzbezogenes Verhaltensunrecht anzulasten ist, etwa weil ihn an der Übertretung kein Verschulden traf (2 Ob 123/06m mwN; RIS‑Justiz RS0112234 [T5]). Diesen Entlastungsbeweis hat der Kläger nicht erbracht. Insbesondere geht aus den Feststellungen nicht hervor, dass sich der Radweg, solange er neben der Fahrbahn in der vom Kläger beabsichtigten Fahrtrichtung verlief, in einem Zustand befunden hätte, in dem eine gefahrlose Benützung mit dem Rad des Klägers nicht gewährleistet war (vgl 2 Ob 34/93 = ZVR 1994/113 mw). Auch die Betonung des Trainingscharakters seiner Fahrt vermag den Kläger nicht zu entlasten. Der Oberste Gerichtshof hat in vergleichbarem Zusammenhang (in einer Strafsache) bereits den nach wie vor aktuellen Rechtssatz geprägt, dass sich der allgemeine Straßenverkehr an den der Sicherheit von Personen und Sachwerten dienenden Verkehrsvorschriften, insbesondere der StVO, nicht aber an von sportlichem Erfolgsstreben bestimmten Trainingszielen zu orientieren hat und diese allgemeine Einsicht grundsätzlich von jedermann verlangt werden kann (ZVR 1986/53; Dittrich/Stolzlechner aaO Rz 9). Dass es dem Kläger an dieser Einsicht fehlte, ist ihm als nicht vernachlässigbare Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten vorzuwerfen.

Die von der beklagten Partei angestrebte Verschuldensteilung im Verhältnis 1:1 wäre allerdings nicht sachgerecht, weil der einen Verstoß gegen das für die Sicherheit des Verkehrs besonders bedeutsame Überholverbot des § 16 Abs 1 lit a StVO auslösende Aufmerksamkeitsmangel schwerer wiegt als das Fehlverhalten des Klägers. Dessen Verschuldensanteil ist daher mit einem Drittel zu bemessen.

Das angefochtene Urteil war somit in teilweiser Stattgebung der Revision wie aus dem Spruch ersichtlich abzuändern.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 43 Abs 1 und 2 erster und zweiter Fall, 50 ZPO.

Das Unterliegen des Klägers mit einem geringfügigen Teilbetrag von EUR 496,10, das teilweise auf richterlichem Ermessen beruht, rechtfertigt die Anwendung des § 43 Abs 2 erster und zweiter Fall ZPO. Im Übrigen hat der Kläger, der das Klagebegehren mehrfach ausgedehnt hat, in den drei Prozessabschnitten mit 57 %, 59 % und 60 % obsiegt, weshalb er Anspruch auf den Ersatz der anteiligen Pauschalgebühr und von 14 %, 18 % und 20 % der auf die einzelnen Abschnitte entfallenden weiteren Verfahrenskosten hat. Die Kosten der Privatbeteiligung waren dem ersten Prozessabschnitt zuzuordnen, wobei die Anschlusserklärung lediglich nach TP 1 RATG zu honorieren und der Ansatz für die Kommission wie in der die Kostennote ergänzenden Beilage ./G verzeichnet zu berücksichtigen war. Der Schriftsatz vom 25. 7. 2005 (ON 18) enthält an zulässigem Inhalt lediglich einen Beweisantrag und eine Urkundenvorlage und war daher nur nach TP 2 RATG zu honorieren.

In zweiter Instanz hat die beklagte Partei mit 67 % obsiegt, wobei diese Obsiegensquote vom richtig mit EUR 6.134,57 zu berechnenden Berufungsinteresse zu ermitteln war. Ihr steht daher der Ersatz von 34 % ihrer Kosten sowie des ihrem Obsiegen entsprechenden Anteiles an der Pauschalgebühr zu.

Dies gilt auch für die Kosten des Revisionsverfahrens, wobei lediglich ein Einheitssatz von 60 % (statt der verzeichneten 180 %) gebührt.

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