OGH 3Ob283/06y

OGH3Ob283/06y31.1.2007

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Prückner, Hon. Prof. Dr. Sailer und Dr. Jensik sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Manuela G*****, vertreten durch Dr. Ulrich Saurer, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagten Parteien 1.) D***** GmbH, *****, vertreten durch Scherbaum/Seebacher Rechtsanwälte GmbH in Graz, 2.) D***** Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Doralt Seist Csoklich, Rechtsanwalts-Partnerschaft in Wien, und 3.) Werner R*****, wegen 21.000 EUR sA, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 24. Oktober 2006, GZ 4 R 92/06s-40, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 23. Februar 2006, GZ 22 Cg 223/04z-32, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die erstbeklagte, in Deutschland domizilierte Kapitalanlagegesellschaft bedient sich beim Vertrieb ihrer Finanzprodukte ua der zweitbeklagten Partei, ebenfalls eine in Deutschland ansässige Vermögensberatungsgesellschaft, die sich ihrerseits von ihr eingeschulter Vermittler bedient, die bei der Kundenanwerbung die von der erstbeklagten Partei zur Verfügung gestellten Antragsformulare verwenden. Die Vertragspartner und Vermittler der erstbeklagten Partei sind weder abschluss- noch inkassoberechtigt. Auf letzteres wird im Antragsformular ausdrücklich hingewiesen und das Konto der erstbeklagten Partei bei einer österreichischen Bank angeführt. Nach Einzahlung des Anlegebetrags bei der erstbeklagten Partei wird für den Kunden ein Investmentkonto eröffnet. Der Drittbeklagte ist Mitarbeiter der zweitbeklagten Partei. Die Klägerin fertigte nach Beratung durch den Drittbeklagten einen von diesem ausgefüllten Kaufantrag sowie einen Zahlschein über 1 Mio öS. Ihr fiel nicht auf, dass der Drittbeklagte auf dem Überweisungsschein nicht die im Kaufantrag angeführte Kontonummer der erstbeklagten Partei, sondern diejenige seines Privatkontos ausgefüllt hatte. Die Überweisung erfolgte am 13. Juli 1999. In gleicher Weise ging der Drittbeklagte bei einer weiteren Veranlagung der Klägerin von 500.000 öS vor. Der Drittbeklagte übermittelte der erstbeklagten Partei die Anträge der Klägerin nicht und verwendete das Geld für sich. Er wurde rechtskräftig wegen schweren Betrugs verurteilt. Im vorliegenden Zivilverfahren erging gegen ihn ein rechtskräftiges Versäumungsurteil.

Die Klägerin begehrte von der erstbeklagten und der zweitbeklagten Partei die Bezahlung eines Teilbetrags von 21.000 EUR sA mit der wesentlichen Begründung, dass die Beklagten aufgrund einer Kette von Erfüllungsgehilfen (§ 1313a ABGB) für das Delikt des Drittbeklagten hafteten.

Das Berufungsgericht bestätigte die Abweisung des Klagebegehrens gegen die erst- und die zweitbeklagte Partei durch das Erstgericht mit der wesentlichen Begründung, dass zwar im Rahmen einer Kette von Erfüllungsgehilfen die beiden beklagten Unternehmen für das Verschulden ihres Gehilfen, dessen sie sich bei der vorvertraglichen Geschäftsanbahnung bedienten, haften könnten. Bei vorsätzlicher Schadenszufügung durch den Gehilfen müsse aber unterschieden werden, ob die vertragliche Hauptleistungspflicht oder bloße Schutzpflichten verletzt worden seien. Hier habe eine Hauptleistungspflicht der erstbeklagten Partei (Eröffnung des Investmentkontos; Anlegen eines eingezahlten Betrags in gewünschte Fonds) mangels Vertragsabschlusses noch nicht verletzt werden können. Eine Haftung nach § 1313a ABGB wegen Schutzpflichtverletzungen des Gehilfen im vorvertraglichen Bereich scheide aus, weil dieser Bereich mit dem Ausfüllen und der Übergabe des Kontoeröffnungsantrags der Klägerin an den Drittbeklagten beendet worden sei. Der Geschäftsherr hafte nur für die Verwirklichung von Gefahren, die typischerweise mit der Erfüllung verbunden und beim Einsatz eines Gehilfen zu erwarten seien. Die Pflicht, einen Betrug zu unterlassen, sei keine „vorvertragsspezifische" Schutzpflicht. Die strafbare Handlung des Drittbeklagten sei nur „gelegentlich" der Erfüllung iSd Erfüllung vorvertraglicher Pflichten begangen worden. Die Vollmachtsüberschreitung des Drittbeklagten gehe auch nicht aus dem Titel der Scheinvertretung zu Lasten der erstbeklagten Partei, weil diese kein Verhalten gesetzt habe, aus dem eine Inkassoberechtigung des Drittbeklagten ableitbar gewesen wäre. Ein Auswahlverschulden sei nach den getroffenen Feststellungen bei beiden beklagten Gesellschaften zu verneinen.

Die außerordentliche Revision der Klägerin ist mangels erheblicher Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO unzulässig. Einer Begründung bedarf es nur zum ausgeführten Thema, ob der Drittbeklagte bei seinem deliktischen Verhalten „in Erfüllung" vorvertraglicher Pflichten oder bloß „gelegentlich" bzw. „anlässlich" der Erfüllung dieser Pflichten gehandelt hat:

Rechtliche Beurteilung

I. Der Drittbeklagte war zur Beratung der Kunden und zur Vermittlung von Anlagegeschäften berechtigt und ist deshalb im Rahmen der festgestellten Kette von Vertriebspartnern als Verhandlungsgehilfe und Empfangsbote und nicht als Dritter iSd § 875 ABGB zu qualifizieren (4 Ob 586/95 = ÖBA 1996, 379 [Apathy]; RIS-Justiz RS0016310).

II. Die Klägerin führt für ihren Standpunkt folgende, in der oberstgerichtlichen Rsp ständig vertretenen Rechtsgrundsätze ins Treffen:

1. Der Schuldner (Geschäftsherr) hat auch für vorsätzlich rechtswidrige Handlungen seines Erfüllungsgehilfen einzustehen, wenn ein innerer Sachzusammenhang der schädigenden Handlung und der Vertragserfüllung besteht (RIS-Justiz RS0028626), das Delikt also im Pflichtenkreis des Geschäftsherrn (hier der erstbeklagten Partei) gesetzt wurde (RIS-Jusitz RS0028691), nicht aber, wenn die Handlung des Gehilfen aus dem Rahmen der Interessenverfolgung des Geschäftsherrn herausfällt (RIS-Justiz RS0028499). Diese Grundsätze der Gehilfenhaftung gelten auch für Vertragsgehilfen und Vermittler im vorvertraglichen Bereich, also bei Verletzung von Schutz- und Sorgfaltspflichten (RIS-Justiz RS0028857; RS0017185; RS0028470; RS0028435). Keine Gehilfenhaftung besteht, wenn der Sachzusammenhang zur Gänze gelöst ist (1 Ob 711/89 = SZ 63/201).

2. In Anwendung dieser Grundsätze vertritt die Revisionswerberin die Ansicht, dass die betrügerische Ausfüllung der Zahlscheine durch den Drittbeklagten im Sachzusammenhang mit dem Pflichtenkreis des Anlageberaters (richtig allerdings: der erstbeklagten Partei als Geschäftsherrin) stehe und stützt diese Ansicht auf vermeintlich präjudizielle Vorentscheidungen des Obersten Gerichtshofs (7 Ob 621/93 = WBl 1994, 314; 7 Ob 400/97p = RdW 1998, 459). Dazu ist Folgendes auszuführen:

III. Vorauszuschicken ist, dass die mitunter schwierigen Abgrenzungsfragen, ob der Gehilfe „bei der Erfüllung" der Pflichten des Geschäftsherrn oder bloß „gelegentlich" der Erfüllung handelte, immer von den Umständen des Einzelfalls abhängen, sodass auch hier über die außerordentliche Revision wegen der schon vorliegenden umfangreichen oberstgerichtlichen Vorjudikatur nur dann meritorisch abzusprechen ist, wenn aus Gründen der Einzelfallgerechtigkeit eine krasse Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts korrigiert werden müsste. Dies ist nicht der Fall:

1. Die Revisionswerberin lässt den vom Berufungsgericht zutreffend angeführten Grundsatz außer Acht, dass der Geschäftsherr nur für typisch nachteilige Folgen haftet, mit denen beim Einsatz eines Gehilfen im Allgemeinen gerechnet werden muss (RIS-Justiz RS0028517; RS0028483). Mit dieser Haftungsbegrenzung auf vorhersehbare Gefahren iS einer Adäquität (Koziol, Haftpflichtrecht II² 345) soll eine uferlose, unbegrenzte Haftung des Geschäftsherrn für Delikte seines Gehilfen vermieden werden. Daher ist die Entscheidung 3 Ob 296/98w entgegen der Ansicht der Revisionswerberin durchaus einschlägig, wenn dort die Haftung des Betreibers einer Seniorenwohnanlage für einen Diebstahl einer Pflegeperson verneint wurde, weil die Pflicht zur Unterlassung eines Delikts nicht zu den vertragstypischen Schutzpflichten (des Betreuungsvertrags) gehört.

2. Die Revisionswerberin übersieht ferner, dass im vorliegenden Fall der Betrug des Drittbeklagten nur in einem äußeren Zusammenhang (nach Zeit und Ort der Vertragsanbahnung) mit den vorvertraglichen Pflichten der erstbeklagten Partei steht (selbst wenn man den Drittbeklagten als Empfangsboten qualifiziert, entstand mit der Entgegennahme des Antrags der Klägerin noch kein Vertrag, weil der Antrag der Annahme durch die erstbeklagte Partei bedurfte). Die vorvertraglichen Pflichten waren Beratungs- und Aufklärungspflichten, die nicht verletzt wurden. Der Schaden entstand nicht in der Herbeiführung eines Irrtums der Klägerin über den Vertragsgegenstand, wofür zu haften wäre (RIS-Justiz RS0014806), sondern im Zusammenhang mit der Erfüllung der Zahlungspflicht der Anlegerin, die sich dabei der Dienste des Drittbeklagten bediente. Schon daraus ist abzuleiten, dass die Verneinung eines inneren sachlichen Zusammenhangs der schädigenden Handlung mit dem vorvertraglichen Pflichtenkreis der erstbeklagten Partei zumindest eine vertretbare Rechtsansicht darstellt. Dagegen sprechen auch nicht die von der Revisionswerberin zitierten oberstgerichtlichen Entscheidungen. In der Entscheidung 7 Ob 400/97t musste die Gehilfenhaftung des Bewachungsunternehmens, dessen Mitarbeiter im zu bewachenden Objekt Diebstähle begangen haben sollen, dem Grunde nach bejaht werden, weil das Delikt im Sachzusammenhang mit der Hauptleistung (Überwachung) gesetzt wurde. Gleiches gilt für die Entscheidung 7 Ob 621/93, zu der die Revisionswerberin zu Unrecht „frappierende Ähnlichkeiten zu dem klagsgegenständlichen Fall" erkennen will. Dort hatte ein Versicherungsmakler bei der Regulierung eines Schadensfalls eine umfassende Vollmacht auch zum Inkasso. Dass die Veruntreuung des Mitarbeiters des Maklers diesem im Wege der Gehilfenhaftung zur Last fällt, weil das Delikt im Sachzusammenhang mit der Erfüllung der Schadensregulierungspflicht des Maklers gesetzt wurde, liegt ebenso auf der Hand wie die Bejahung der Gehilfenhaftung in der weiters von der Revisionswerberin zitierten Entscheidung 1 Ob 5/04y = ÖBA 2005, 281. Dort wurde die Gehilfenhaftung sowie der Einwendungsdurchgriff auf die Bank bejaht, die sich bei der Anbahnung des Kreditgeschäfts bei einem drittfinanzierten Wohnungskauf eines betrügerischen Immobilienunternehmens bediente, das über das als wirtschaftliche Einheit aufzufassende „Paket" (Kreditgeschäft und Kaufvertrag) arglistig täuschte. Das Delikt des Gehilfen betraf also wiederum die vertragliche (vorvertragliche) Hauptleistungspflicht.

Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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