OGH 10Ob8/06h

OGH10Ob8/06h25.4.2006

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Hon. Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Antragstellerin Verena H*****, geboren am 27. Juli 1990, Schülerin, *****, vertreten durch Dr. Gudrun Truschner, Rechtsanwältin in Wels, gegen den Antragsgegner Gerhard H*****, Angestellter, *****, vertreten durchDr. Gerhard Schatzlmayr, Rechtsanwalt in Schwanenstadt, wegen Unterhalt, über den Revisionsrekurs des Antragsgegners gegen den Beschluss des Landesgerichtes Wels als Rekursgericht vom 2. November 2005, GZ 21 R 314/05h-43, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichtes Wels als Rekursgericht vom 7. Juli 2005, GZ 4 P 51/04i-36, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die am 27. Juli 1990 geborene Antragstellerin ist die eheliche Tochter des Antragsgegners. Die Ehe der Eltern wurde am 9. März 2004 einvernehmlich geschieden. Im pflegschaftsgerichtlich genehmigten Scheidungsvergleich wurde vereinbart, dass die Obsorge für die Antragstellerin und ihren drei Jahre älteren Bruder der Mutter zukommen solle. Der Vater verpflichtete sich, den Kindern ab 1. April 2004 einen monatlichen Unterhalt von je EUR 300,-- zu leisten. Dieser Vereinbarung wurde ein monatliches Durchschnittseinkommen des Vaters von EUR 2.333,-- und eine Unterhaltspflicht gegenüber der geschiedenen Gattin von EUR 300,-- zugrunde gelegt. Tatsächlich hatte der Vater im Jahr 2003 aber durchschnittlich EUR 2.646,90 monatlich verdient. Im ersten Halbjahr 2005 verdiente er demgegenüber im Monatsdurchschnitt nur EUR 2.374,15. Ein bereits im Juni 2004 gestellter Unterhaltserhöhungsantrag der Antragstellerin wurde letztlich mit der Begründung abgewiesen, dass kein Vorbringen zu einem vom Antragsgegner veranlassten oder gemeinsamen Irrtum über die Bemessungsgrundlage erstattet worden sei. Im vorliegenden Verfahren beantragte die Antragstellerin am 8. 2. 2005 (ON 23) die Erhöhung des monatlichen Unterhalts von EUR 300,-- auf EUR 476,-- ab 1. 2. 2005. Der Antragsgegner beziehe ein stark schwankendes Einkommen, weshalb zur Berechnung der Unterhaltsbemessungsgrundlage ein längerer Zeitraum heranzuziehen sei (ON 31). Im Zeitraum von Jänner 2003 bis einschließlich September 2004 habe er ein durchschnittliches Monatseinkommen von EUR 2.972,-- erzielt. Dem Scheidungsvergleich sei aufgrund der Angaben des Antragsgegners irrtümlich ein weit geringeres monatliches Einkommen von EUR 2.333,-- zugrunde gelegt worden. Der Irrtum über die Bemessungsgrundlage rechtfertige die begehrte Unterhaltserhöhung. Überdies sei die Neubemessung auch wegen einer wesentlichen Änderung der Einkommensverhältnisse angebracht.

Der Antragsgegner wandte ein, dass sein Durchschnittseinkommen im maßgeblichen Zeitraum ab 1. 2. 2005 weit unter dem von der Antragstellerin behaupteten Betrag liege. Das höhere Durchschnittseinkommen in dem von der Antragstellerin herangezogenen Zeitraum beruhe darauf, dass er sich 2004 eine Urlaubsabfindung für sechs Wochen Urlaub auszahlen lassen habe, um Ausgaben im Zusammenhang mit der Scheidung abzudecken. Das werde in Zukunft nicht mehr geschehen. Im Vergleich zum Zeitpunkt des Abschlusses der Scheidungsvereinbarung (9. 3. 2004) habe sich sein Einkommen nicht oder nur unwesentlich geändert.

Das Erstgericht verpflichtete den Antragsgegner zur Zahlung eines zusätzlichen Unterhalts von EUR 43,-- von 1. 5. 2005 bis 31. 7. 2005 und von EUR 82,-- ab 1. 8. 2005; das Mehrbegehren wurde (rechtskräftig) abgewiesen. Als Bemessungsgrundlage zog es das Durchschnittsnettoeinkommen des Antragsgegners im ersten Halbjahr 2005 (EUR 2.374,15 monatlich) heran. Nach der Prozentwertmethode habe die Antragstellerin - unter Berücksichtigung der Unterhaltspflicht des Vaters gegenüber seiner geschiedenen Frau und dem 1987 geborenen Sohn - Anspruch auf einen Unterhalt in Höhe von 16 % des Einkommens bis 31. 7. 2005 und in Höhe von 18 % ab 1. 8. 2005 (Wechsel der Bedarfsgruppe mit Vollendung des 15. Lebensjahres). Dies ergebe einen Prozentunterhalt von monatlich EUR 380,-- bzw EUR 427,--; nach Anrechnung der Familienbeihilfe auf den Unterhalt betrage dieser von 1. 5. 2005 bis 31. 7. 2005 EUR 343,-- und ab 1. 8. 2005 EUR 382,--. Die Unterhaltserhöhung sei erst ab 1. 5. 2005 auszusprechen, weil im Einzelfall bei Verstreichen von erst 12 bis 15 Monaten seit der letzten Unterhaltsfestsetzung grundsätzlich keine wesentlich geänderten Verhältnisse auf Seiten des Kindes wegen Bedürfnissteigerung vorlägen und solche auch nicht behauptet worden seien.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters nicht Folge. Da der Vereinbarung ein (wenngleich damals unrichtiges) Durchschnittseinkommen zugrunde gelegt worden sei, das im Wesentlichen dem derzeitigen entspreche, könne zwar weder mit einer Änderung der Verhältnisse noch mit einem Irrtum bei Abschluss der Vereinbarung argumentiert werden. Eine Bedürfnissteigerung auf Seiten der Antragstellerin sei weder behauptet worden noch ergebe sie sich aus dem Akt. Dennoch sei die vom Erstgericht beschlossene Unterhaltserhöhung und ein Abgehen vom seinerzeitigen Vergleich im konkreten Fall aus folgenden Erwägungen gerechtfertigt:

Ein Kind sei an eine Vereinbarung der Eltern über die Geldunterhaltspflicht des Vaters nur so lange gebunden, als dadurch der Gesamtunterhalt nicht geschmälert und das Kindeswohl nicht gefährdet werde. Der vereinbarte Unterhalt von EUR 300,-- entspreche zwar nicht der Leistungsfähigkeit des Vaters (laut Prozentwertmethode), wohl aber in etwa dem damals geltenden Regelbedarfssatz von EUR 296,--, sodass eine Kindeswohlgefährdung zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses noch nicht im Raum gestanden sei. Nunmehr habe die Antragstellerin aber nach der Prozentwertmethode einen Unterhaltsanspruch im Ausmaß von 18 % und der Regelbedarf für Jugendliche im Alter von 15 - 19 Jahren betrage EUR 363,--. Der im Vergleichsweg festgelegte Unterhaltsbeitrag von EUR 300,-- entspreche somit weder dem gesetzlichen Unterhalt nach der Prozentwertmethode noch werde damit der statistisch ermittelte Durchschnittsunterhalt gewährt. Berücksichtige man, dass sich seit Vergleichsabschluss eine - wenn auch nur geringfügige - Erhöhung des Einkommens des Vaters ergeben habe und sich andererseits die Bedürfnisse der Antragstellerin aufgrund gestiegenen Alters und gestiegener Lebenshaltungskosten erhöht hätten, könne in Übereinstimmung mit dem Erstgericht zumindest ab Mai 2005 davon ausgegangen werden, dass durch einen Unterhaltsbeitrag von nur EUR 300,-- eine Gefährdung des Kindeswohls durch nicht ausreichenden Geldunterhalt gegeben wäre. Dabei dürfe nicht außer Acht gelassen werden, dass die Mutter bei einem Gesamteinkommen von nur EUR 800,-- nicht in der Lage sei, über ihre Betreuungsleistungen hinaus zum Unterhalt der Antragstellerin beizutragen.

Der Revisionsrekurs gemäß § 62 Abs 1 AußStrG sei zulässig, weil gesicherte Rechtsprechung zur Frage fehle, ob auch bei Fehlen einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse ein Abgehen vom Vergleich und den festgehaltenen Vergleichsgrundlagen zulässig sei. Überdies wäre es auch vertretbar, den Unterhalt infolge Kindeswohlgefährdung nur auf den aktuellen Regelbedarf und nicht auf den Prozentunterhalt zu erhöhen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der - unbeantwortet gebliebene - Revisionsrekurs des Vaters aus dem Rekursgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne einer Abweisung des Unterhaltserhöhungsantrags. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist entgegen dem gemäß § 71 Abs 1 AußStrG den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig.

Eine zwischen den Eltern in Kenntnis der beiderseitigen Einkommens- und Vermögensverhältnisse geschlossene und pflegschaftsgerichtlich genehmigte Vereinbarung über den Unterhalt bindet grundsätzlich auch das Kind (RIS-Justiz RS0047513). Gingen die Parteien irrtümlich von falschen Bemessungsvoraussetzungen aus, so steht die Vereinbarung einer Neufestsetzung des Unterhalts nicht entgegen (6 Ob 18/97h = ÖA 1998, 60/U 205; 1 Ob 167/05y; RIS-Justiz RS0107666, RS0107667). Weiters entfällt nach der Rechtsprechung die Bindung, wenn sich die für die Unterhaltsbemessung relevanten Umstände nachträglich wesentlich geändert haben (RIS-Justiz RS0053297) oder wenn durch eine Vereinbarung der Eltern über die Verteilung der Unterhaltslast das Kindeswohl gefährdet würde (RIS-Justiz RS0047513).

Dem Revisionsrekurswerber ist zuzugestehen, dass für die Annahme des Rekursgerichtes, bei einem monatlichen Unterhalt von EUR 300,-- sei ab Mai 2005 das Kindeswohl infolge nicht ausreichenden Geldunterhalts gefährdet, angesichts des (verhältnismäßig geringen) Ausmaßes der Abweichungen vom Regelbedarf und von dem sich aufgrund der Prozentwertmethode ergebenden Unterhaltsanspruch - ungeachtet des geringen Einkommens der Mutter - keine ausreichende Grundlage gegeben ist.

Darauf kommt es jedoch nicht entscheidend an.

Der Unterhaltsbemessung anlässlich der Scheidungsvereinbarung lag nämlich ein um über EUR 300,-- monatlich zu geringes Einkommen des Vaters zugrunde. Das allein rechtfertigt nach der oben dargestellten Rechtsprechung die Neubemessung des Unterhalts nach den tatsächlichen Verhältnissen.

Die Auffassung des Rekursgerichts, dass die Annahme einer falschen Bemessungsgrundlage nicht schade, weil jetzt ohnehin (nur) das seinerzeit angenommene Einkommen erzielt werde, lässt folgende Aspekte außer Acht: Nach der Rechtsprechung ist zwar dann, wenn eine Vereinbarung nicht nur der Konkretisierung des gesetzlichen Unterhaltsanspruchs dient, das ihr zugrunde liegende Verhältnis zwischen Bemessungsgrundlage und Unterhalt grundsätzlich auch bei einer Neubemessung zu beachten (vgl RIS-Justiz RS0019018; anderes gilt nur dann, wenn sich nicht nur die Einkommensverhältnisse des Unterhaltspflichtigen, sondern auch andere Umstände, zB Sorgepflichten geändert haben: RIS-Justiz RS0105944). Diese weit reichende Wirkung einer Unterhaltsvereinbarung ist aber nur gerechtfertigt, wenn die Vereinbarung (und damit auch deren pflegschaftsgerichtliche Genehmigung) auf richtigen Annahmen über die tatsächlichen Verhältnisse beruht haben. Spekulationen darüber, was die Eltern bei Kenntnis des tatsächlichen Einkommens vereinbart hätten und ob diese Vereinbarung gegebenenfalls genehmigt worden wäre, sind hier nicht angebracht. Vielmehr trägt ein Unterhaltsverpflichteter, der durch eine Vereinbarung gegenüber der gesetzlichen Unterhaltsbemessung begünstigt wird, das Risiko, dass sich nachträglich die Unrichtigkeit der der Vereinbarung zugrunde gelegten Annahmen erweist. Er ist in diesem Fall nicht durch die Anwendung der gesetzlichen Bemessungskriterien beschwert, und zwar auch dann nicht, wenn er nun zufällig gerade jenes Einkommen erzielt, das zu Unrecht der Vereinbarung zugrunde gelegt worden war. Auf die vom Rekursgericht als erheblich bezeichneten Fragen kommt es aus diesen Gründen nicht an, da der Anlass für eine Neubemessung der Unterhalt schon darin liegt, dass die der Vereinbarung zugrunde liegenden Annahmen falsch waren. Das Fehlen von Feststellungen zur Frage eines Irrtums bzw einer möglichen Täuschung ist ohne Bedeutung, weil die Mutter dann, wenn sie die Vereinbarung im Wissen über die richtige Bemessungsgrundlage abgeschlossen hätte, kollusiv gehandelt hätte; auch in diesem Fall wäre - so wie bei einem später aufgeklärten Irrtum über die Bemessungsgrundlage - eine Bindung der Antragstellerin an die Vereinbarung zu verneinen.

Hinweise darauf, dass der gesetzliche Unterhalt der Antragstellerin von den Vorinstanzen unrichtig bemessen worden wäre, sind nicht vorhanden.

Mangels erheblicher Rechtsfragen iSd § 62 Abs 1 AußStrG ist der Revisionsrekurs des Vaters zurückzuweisen (§ 71 Abs 2 Satz 1 AußStrG).

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