OGH 6Ob18/97h

OGH6Ob18/97h20.3.1997

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kellner, Dr.Schiemer, Dr.Prückner und Dr.Schenk als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Melanie K*****, geboren am 9.Oktober 1990, und des mj. Dominik K*****, geboren am 17.Juni 1995, beide bei der Mutter und vertreten durch die zum Unterhaltssachwalter bestellte Mutter, Eleonore K*****, diese vertreten durch Dr.Paul Friedl, Rechtsanwalt in Eibiswald, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses des mj. Dominik K***** gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgerichtes vom 10.Dezember 1996, GZ 1 R 468/96t-23, womit dem Rekurs des Vaters, Wolfgang K*****, vertreten durch Dr.Werner Bachlehner und Dr.Klaus Herunter, Rechtsanwälte in Köflach, teilweise Folge gegeben und der Beschluß des Bezirksgerichtes Eibiswald vom 1. Oktober 1996, GZ P 1774/95z-20, teilweise abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen, die im übrigen als unangefochten unberührt bleiben, werden, soweit sie den Unterhaltserhöhungsantrag des mj Dominik K***** vom 8.9.1995 (ON 6 in P 58/95) betreffen, aufgehoben. In diesem Umfang wird dem Erstgericht eine neuerliche, nach Ergänzung des Verfahrens zu fällende Entscheidung aufgetragen.

Text

Begründung

Die am 9.10.1990 geborene mj. Melanie und der am 17.6.1995 geborene mj. Dominik sind eheliche Kinder der Eleonore und des Wolfgang K*****. Hinsichtlich der Tochter wird das Pflegschaftsverfahren zu P 1774/95z (zuvor P 112/94) des Bezirksgerichtes Eibiswald geführt, hinsichtlich des Sohnes war das Pflegschaftsverfahren von diesem Gericht zunächst zu P 58/95 bzw 1 P 1833/95a geführt worden. Seit dem Verbindungsbeschluß des Erstgerichtes vom 3.7.1996 werden beide Verfahren nunmehr in einem Pflegschaftsakt zu P 1774/95z geführt (ON 11).

Der unterhaltspflichtige Vater wurde mit Beschluß des Erstgerichtes vom 4.1.1995 zu monatlichen Unterhaltsleistungen von 3.000 S für die Tochter verpflichtet. Der Vater begehrte am 17.4.1996 eine Herabsetzung dieser Verpflichtung auf 1.500 S monatlich.

Am 7.7.1995 beantragte die Mutter, den Vater hinsichtlich des Sohnes zu monatlichen Unterhaltsbeiträgen von 3.000 S ab der Geburt des Kindes zu verpflichten (ON 1 in P 58/95; die in der Folge zitierten Ordnungsnummern betreffen diesen Akt). Der Vater sprach sich gegen die Unterhaltsfestsetzung aus und bestritt das von der Mutter behauptete Einkommen von 26.000 S monatlich (ON 2). Am 31.7.1995 langte beim Erstgericht eine Lohnauskunft ein, aus der ein monatliches Durchschnittseinkommen des Vaters von rund 26.000 S hervorgeht (ON 3). Am 22.8.1995 fand vor dem Rechtspfleger des Erstgerichtes eine Tagsatzung statt, an der der Vater mit seinem Rechtsvertreter sowie die Mutter teilnahmen. Diese Beteiligten kamen "einvernehmlich überein", daß der Vater für den Sohn ab der Geburt monatlich 1.500 S an Unterhalt leistet. Die Eltern verzichteten auf Rechtsmittel (ON 4). Das Erstgericht bestellte am 1.9.1995 die Mutter zum Unterhaltssachwalter für den Sohn und setzte die Unterhaltsverpflichtung des Vaters ab 17.6.1995 mit 1.500 S monatlich fest. Diese Entscheidung wurde mit dem Einvernehmen der Eltern begründet (ON 5).

Am 8.9.1995 beantragte die Mutter, den Vater zu verpflichten, zusätzlich zu dem festgesetzten Betrag von 1.500 S ab 17.6.1995 einen weiteren Unterhaltsbetrag von 1.000 S monatlich zu leisten. Sie sei am 22.8.1995 vom Vater und dessen Rechtsvertreter "eingeschüchtert" worden. Es sei ein Antrag auf Entziehung der Obsorge für den Sohn angedroht worden. Weiters sei erklärt worden, daß der Vater lediglich über ein monatliches Einkommen von 13.000 S verfüge, sodaß kein höherer Unterhaltsbetrag als 1.500 S monatlich zuerkannt werden könnte. Angesichts des tatsächlichen Einkommens sei ein Unterhaltsbeitrag von 2.500 S monatlich angemessen (ON 6). Der Vater bestritt dieses Vorbringen als unrichtig (ON 7). Am 9.11.1995 beantragte der Vater die Herabsetzung seiner Unterhaltsverpflichtung gegenüber dem Sohn ab 3.9.1995 auf 1.000 S monatlich. Der Unterhaltsschuldner könne krankheitsbedingt seinen Beruf nicht ausüben (ON 11). Das Erstgericht holte ein medizinisches Gutachten über die Arbeitsfähigkeit des Unterhaltsschuldners ein (ON 20).

Das Erstgericht setzte mit Beschluß vom 1.10.1996 die Unterhaltsverpflichtung des Vaters für die Tochter mit 2.500 S monatlich fest (P 1.), wies das Herabsetzungsmehrbegehren des Vaters ab (P 2.), verpflichtete den Vater zu monatlichen Unterhaltsleistungen für den Sohn von 2.500 S ab dem 17.6.1995 (P 3.) und wies den Herabsetzungsantrag des Vaters ab (P 4.). In den P 5. bis 9. ergingen Verfügungen des Erstgerichtes zur beantragten Verfahrenshilfe (für das Kind und den Vater) sowie über Sachverständigengebühren. Zur Unterhaltsverpflichtung hinsichtlich des Sohnes führte das Erstgericht aus, daß der Vater als voll arbeitsfähig angesehen werden könne. Er könne aufgrund seiner bisherigen Berufslaufbahn ab Jänner 1996 ein Einkommen von 17.797 S monatlich erzielen. Zuvor habe er weit mehr ins Verdienen gebracht. Dem Sohn stünde ein Unterhaltsanspruch von 15 % des monatlichen, fiktiv ermittelten Einkommens zu. Zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses habe sich die Mutter in einem Irrtum über die Vergleichsgrundlage befunden (S 10 in ON 20).

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters teilweise Folge. Hinsichtlich des Sohnes bestätigte es die Abweisung des Herabsetzungsantrages des Vaters und wies (in Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung) den Erhöhungsantrag der Mutter (von 1.500 S monatlich laut Beschluß ON 5 auf 2.500 S monatlich) zurück. Zu dieser Zurückweisung führte das Rekursgericht rechtlich im wesentlichen aus, daß der Unterhaltsfestsetzungsbeschluß vom 1.9.1995 (ON 5) in Rechtskraft erwachsen sei. Innerhalb der Rechtsmittelfrist habe die Mutter einen Erhöhungsantrag gestellt. Das Vorbringen über eine Irreführung sei vom Vater bestritten worden. Der Rechtsvertreter des Vaters habe bestritten, außerhalb der Kanzlei des Rechtspflegers mit der Mutter gesprochen zu haben. Bei diesem Sachverhalt könne nicht davon ausgegangen werden, daß die Mutter bei der Zustimmung zur Leistung eines Unterhaltsbetrages von 1.500 S monatlich über die Bemessungsgrundlage in Irrtum geführt worden sei. Jeder Unterhaltsverpflichtung wohne die Umstandsklausel inne. Eine Unterhaltsneufestsetzung könne nur bei Änderung der Verhältnisse erfolgen. Eine Neufestsetzung sei auch zulässig, wenn entscheidungswesentliche Tatsachen früher unbekannt gewesen wären oder irrtümlich oder unwissentlich von falschen Tatsachenfeststellungen ausgegangen worden sei. Ein Irrtum im Tatsachenbereich liege aber hier nicht vor, weil dem Erstgericht eine umfassende Lohnauskunft über das Einkommen des Vaters vorgelegen sei und die Einkommensverhältnisse von 26.000 S monatlich bekannt gewesen seien. Es lägen daher die Voraussetzungen für eine rückwirkende Neufestsetzung der Unterhaltsverpflichtung nicht vor. Dem Änderungsbegehren stehe die Rechtskraft der Unterhaltsbemessung (ON 5) entgegen.

Das Rekursgericht sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.

Mit ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs beantragt die Mutter die Aufhebung der Entscheidung der Vorinstanzen betreffend die Unterhaltsverpflichtung für den Sohn zur Verfahrensergänzung; hilfsweise wird die Abänderung dahin beantragt, den Vater zu monatlichen Unterhaltsleistungen von 2.300 S ab 17.6.1995 zu verpflichten.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist zulässig und im Sinne des gestellten Aufhebungsantrages auch berechtigt. Das Rekursgericht ist bei der Beurteilung des Vorliegens geänderter Verhältnisse als Voraussetzung für eine Neufestsetzung der Unterhaltsverpflichtung von der oberstgerichtlichen Rechtsprechung abgewichen und hat rechtsirrig eine Spruchreife der Sache angenommen.

Auch im außerstreitigen Verfahren ergangene Unterhaltsfestsetzungen unterliegen der materiellen Rechtskraft, sie können nur bei geänderten Verhältnissen abgeändert werden (EFSlg 76.524 uva). Die Umstandsklausel gilt nicht nur für gerichtliche Entscheidungen, sondern auch für Unterhaltsvergleiche (EFSlg 65.754; 1 Ob 550/94 mwN). Seit der Änderung der oberstgerichtlichen Rechtsprechung zur Zulässigkeit von Unterhaltsbegehren für die Vergangenheit (SZ 61/143) kann auch die Änderung der Verhältnisse für die Vergangenheit geltend gemacht werden. Die seinerzeitige Unterhaltsbemessung ist bei Bejahung geänderter Verhältnisse nicht mehr bindend (EFSlg 63.301). Nach der von der Lehre (Pichler in Rummel, ABGB2 Rz 15b zu § 140) gebilligten Rechtsprechung ist geänderten tatsächlichen Verhältnissen ein Sachverhalt gleichzuhalten, bei dem die wahren Einkommensverhältnisse anläßlich der Unterhaltsfestsetzung unbekannt waren und die den Vergleich abschließenden Parteien irrtümlich von falschen Bemessungsgrundlagen ausgingen. Bei unrichtigen Angaben des Unterhaltspflichtigen über sein Einkommen ist eine Unterhaltserhöhung trotz eines vorliegenden rechtskräftigen Unterhaltstitels (pflegschaftsgerichtlich genehmigter Vergleich; Unterhaltsbeschluß)

unter Heranziehung der Umstandsklausel zulässig (1 Ob 524/90 = RZ

1990/117 = EFSlg 62.592; 7 Ob 1610/91 = EFSlg 65.751). Dazu bedarf es

keiner Anfechtung des Unterhaltsvergleichs im streitigen Verfahren (1 Ob 524/90). Die Mutter des Kindes relevierte schon im Verfahren erster Instanz, daß sie bei Vergleichsabschluß über die wahren Einkommensverhältnisse des unterhaltspflichtigen Vaters in Irrtum geführt worden sei. Die Besonderheit des vorliegenden Falls liegt darin, daß die tatsächlichen Einkommensverhältnisse dem Pflegschaftsgericht bei seiner Beschlußfassung aufgrund der eingeholten Lohnauskunft schon bekannt waren. Die materielle Rechtskraft der Entscheidung setzt aber voraus, daß dem Gericht alle für die Unterhaltsbemessung maßgeblichen Umstände bekannt sein müssen, im Fall der Genehmigung eines Unterhaltsvergleichs (oder bei der gleichzuhaltenden Unterhaltsfestsetzung, die den Vergleich als tragende Begründung heranzieht) also auch der Umstand, daß eine für die Bejahung einer anfechtungsfesten Willenseinigung erforderliche Kenntnis der vertragschließenden Parteien über die Vergleichsgrundlage vorlag. Der Irrtum einer Partei und der darauf beruhende Willensmangel kann daher im Sinne der weiten Auslegung der Umstandsklausel gegen die materielle Rechtskraft ins Treffen geführt und zum Gegenstand eines Unterhaltserhöhungsantrages (auch für die Vergangenheit) gemacht werden. Der Irrtumseinwand der Rekurswerberin ist daher beachtlich und nicht etwa deshalb unberechtigt, weil die Unkenntnis infolge der im Akt erliegenden Lohnauskunft unentschuldbar gewesen wäre (vgl EFSlg 53.735). Wenn sich die Mutter des Kindes auf die Angaben des Vaters vor Vergleichsabschluß verlassen haben sollte, so läge darin noch kein vorwerfbares Fehlverhalten. Es würde die prozessuale Diligenzpflicht überspannen, wenn man im außerstreitigen Verfahren die (damals) anwaltlich nicht vertretene Mutter auf die jederzeit mögliche Akteneinsicht verwiese. Das Erstgericht ging (allerdings ohne nähere Feststellungen zu diesem Thema) von einem Irrtum der Mutter über die Vergleichsgrundlage aus. Das Rekursgericht verneinte einen solchen Irrtum unter Hinweis auf das aufgrund der Lohnauskunft bekannte Nettoeinkommen des Unterhaltspflichtigen von 26.000 S monatlich (S 9 in ON 23). Da es aber - wie schon ausgeführt - nicht nur auf die Kenntnis des Pflegschaftsgerichtes von den tatsächlichen Einkommensverhältnissen, sondern auch auf das Wissen der den Vergleich (für das Kind) abschließenden Mutter ankommt, ist das Verfahren noch nicht spruchreif. Dazu bedarf es ergänzender Feststellungen zu den Behauptungen der Mutter über eine Irreführung durch den Vater, der immerhin in seiner Äußerung zum Unterhaltsantrag die von der Mutter behaupteten Einkommensverhältnisse (die auch tatsächlich vorlagen) ausdrücklich bestritten hatte. Es werden die näheren Umstände vor dem Vergleichsabschluß und die Kenntnis der Mutter über die Vergleichsgrundlagen zu klären sein. Sollte die Mutter allerdings über die tatsächlichen Einkommensverhältnisse informiert gewesen sein oder aber aus irgendwelchen Gründen auf eine nähere Information verzichtet und trotzdem den Vergleich abgeschlossen haben, stünde dem Unterhaltsantrag die vom Rekursgericht angenommene materielle Rechtskraft der Unterhaltsfestsetzung entgegen.

Da der Revisionsrekurs schon aus dem Grund der Irrtumseinwendung zu einer Aufhebung der Entscheidung der Vorinstanzen führen muß, erübrigt sich ein Eingehen auf die Rekursausführungen zum Thema des Rechtsmittelverzichts. Nur obiter sei dazu bemerkt, daß den Ausführungen wohl die erforderliche Relevanz mangelt, weil die Mutter gegen den Unterhaltsfestsetzungsbeschluß kein Rechtsmittel erhoben hat, sodaß allfällige Verfahrensfehler (infolge mangelnder Rechtsbelehrung der nicht anwaltlich vertretenen Partei) durch die Rechtskraft saniert erscheinen.

Dem Revisionsrekurs ist im Sinne des gestellten Aufhebungsantrages stattzugeben. Das Verfahren wird im aufgezeigten Sinn zu ergänzen sein.

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