OGH 11Os143/05x

OGH11Os143/05x14.3.2006

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. März 2006 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Danek, Dr. Schwab und Dr. Lässig als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Gödl als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Otto G***** wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Schöffengericht vom 12. September 2005, GZ 15 Hv 116/05b-24, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der Angeklagte der Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB idF vor BGBl I 2004/15 (1) und des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (2) schuldig erkannt, weil er im Frühjahr 2004

(1) die am 23. November 1991 geborene Tamara Z***** außer dem Fall des § 201 Abs 1 StGB (idF vor BGBl I 2004/15) mit Gewalt zur Duldung einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung genötigt hatte, indem er ihre Hände auf dem Rücken festgehalten, sie trotz Gegenwehr rücklings auf eine Couch gestoßen, ihre Beine auseinandergedrückt und einen Finger in ihre Scheide eingeführt hatte, sowie

(2) durch diese Tat mit einer unmündigen Person eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung unternommen hatte.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus Z 5, 9 lit a und 10 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten geht fehl.

Soweit die Mängelrüge (Z 5) Aktenwidrigkeit der angefochtenen Entscheidung (Z 5 fünfter Fall) einwendet, verkennt sie das Wesen dieses Nichtigkeitsgrundes, der nur dann vorliegt, wenn das Urteil den eine entscheidende Tatsache betreffenden Inhalt einer Aussage oder Urkunde in seinen wesentlichen Teilen unrichtig oder unvollständig wiedergibt (Fabrizy, StPO9 § 281 Rz 47; zuletzt 12 Os 38/04), was hier nicht einmal behauptet wird. Inhaltlich erschöpft sich das Vorbringen hiezu darin, nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung in unzulässiger Weise die tatrichterliche Beweiswürdigung zu bekämpfen, indem es die auf die Glaubwürdigkeit der Zeugin Tamara Z***** bezogene, mit der diesbezüglichen Einschätzung des kinderpsychiatrischen Sachverständigen (S 188) übereinstimmende Ansicht des Erstgerichts, diese Zeugin habe das Tatgeschehen im Zuge ihrer Aussagen vor der Sicherheitsbehörde und vor dem Untersuchungsrichter im Kernbereich stets gleich geschildert (US 7), anhand eigener Beweiswerterwägungen zu widerlegen sucht. Inwieweit die Urteilsfeststellungen undeutlich (Z 5 erster Fall) sein sollen, also nicht unzweifelhaft erkennbar sei, ob eine entscheidende Tatsache festgestellt worden oder aus welchen Gründen eine solche Feststellung erfolgt ist (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 419), lässt die Beschwerde nicht erkennen.

Indem die Rüge eine Urteilsunvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) darin erblickt, dass sich die Tatrichter (in Bezug auf die Glaubwürdigkeit der Angaben der Zeugin Tamara Z*****) „mit den verschiedenen anderen Aussagen" nicht auseinandergesetzt hätten, unterlässt sie die deutliche und bestimmte Bezeichnung jener Beweisergebnisse, die ihrer Ansicht nach geeignet sein sollen, die Aufrichtigkeit dieser Zeugin ernsthaft in Frage zu stellen, und verfehlt sie solcherart die prozessordnungskonforme Darstellung des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 432). Mit dem auf das kinderpsychiatrische Gutachten bezogenen Vorbringen verkennt die Beschwerde, dass der Sachverständige ausdrücklich festgehalten hat, es spreche gegen die Annahme pseudologischen Verhaltens der Zeugin Tamara Z*****, dass deren wesentliche Aussagen deckungsgleich geblieben sind (S 188), was mit den diesbezüglichen beweiswürdigenden Erwägungen (US 7) übereinstimmt.

Soweit die Rüge mit Blick auf die Glaubwürdigkeit der Angaben Tamara Z*****s die mangelnde Erörterung der (in der Hauptverhandlung verlesenen - S 218) sicherheitsbehördlichen Aussage der Zeugin Alexandra Z***** (S 61 - 65) rügt, übergeht sie, dass diese keine konkreten Anhaltspunkte für die Annahme fehlender Aussageehrlichkeit Tamara Z*****s enthält. Da persönliche Mutmaßungen, Meinungen, Werturteile und Schlussfolgerungen nicht Gegenstand des Zeugenbeweises sind (Fabrizy, StPO9 § 150 Rz 1), sei nur der Vollständigkeit halber darauf hingewiesen, dass gerade Alexandra Z***** (nach der Schilderung anfänglicher Zweifel) angegeben hat, nunmehr von der Wahrheit der Angaben Tamara Z*****s überzeugt zu sein (S 65).

Welche „Widersprüche zwischen den Aussagen der vernommenen Personen und dem Sachverständigen" nicht gewürdigt sein sollen, lässt die Beschwerde nicht erkennen.

Die teilweisen Abweichungen im Aussageverhalten Tamara Z*****s wurden mängelfrei gewürdigt (US 7).

Der weiteren Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) zuwider bot die durch mehrere Kontrollbeweise (darunter ein kinderpsychiatrisches Sachverständigengutachten) nicht erschütterte Aussage des Tatopfers eine hinlängliche Grundlage für den Schuldspruch. Die Forderung einer „Bestätigung" dieser Aussage durch zumindest ein weiteres Beweismittel widerspricht dem Grundsatz der freien tatrichterlichen Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO).

Indem die Rechtsrüge (Z 9 lit a) die mangelnde Erfüllung der Qualifikationsnorm des § 201 Abs 2 StGB idgF releviert (der Sache nach Z 10), geht sie prozessordnungswidrig nicht vom Urteil aus, weil das Erstgericht diese Gesetzesbestimmung - zutreffend - idF vor dem StRÄG 2004 BGBl I 2004/15 angewendet hat (US 2, 9 f). An der prozessordnungskonformen Darstellung mangelt es auch dem Vorbringen zum Schuldspruch 2, weil die Beschwerde nicht erkennen lässt, welche weiteren Konstatierungen für die rechtsrichtige Subsumtion erforderlich gewesen sein sollen.

Mit den Ausführungen zur Begehung des Verbrechens der Vergewaltigung mittels Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben entfernt sich die Rüge erneut vom Urteilssachverhalt (US 2, 5, 9). Die Rechtsansicht, der Tatbestand des § 201 Abs 2 StGB verlange die Widerstandsunfähigkeit des Opfers, lässt die Orientierung am Gesetzeswortlaut vermissen.

Auch mit dem Vorbringen, die festgestellten Gewaltanwendungen würden nicht dem Gewaltbegriff des § 201 Abs 2 StGB entsprechen, wird die Rüge nicht gesetzmäßig ausgeführt, weil sie diese rechtliche Konsequenz bloß behauptet, aber nicht (methodisch vertretbar) aus dem Gesetz ableitet (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 588; zuletzt 15 Os 125/05d). Der Vollständigkeit halber sei festgehalten, dass die Feststellungen, wonach der Beschwerdeführer die sexuellen Handlungen durch das Festhalten der Hände Tamara Z*****s, das Versetzen eines derart heftigen Stoßes gegen den Oberkörper, dass diese rücklings auf eine Couch gestürzt ist, und das gewaltsame Auseinanderdrücken der Beine erzwungen hat (US 5), die vorgenommene Subsumtion jedenfalls tragen. Dem Nötigungsmittel der Gewalt entspricht nach ständiger Judikatur nämlich jeder Einsatz einer nicht ganz unerheblichen physischen Kraft zur Überwindung eines wirklichen oder vermuteten Widerstandes, wobei es einer besonderen Intensität dieser Kraftanwendung nicht bedarf (zuletzt 11 Os 99/05a).

Auch die Subsumtionsrüge (Z 10) lässt die prozessordnungsgemäße Darstellung des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes vermissen, indem sie die Prämissen, der Tatbestand des § 201 Abs 2 StGB sei nur dann verwirklicht, wenn „der Penis des Mannes im Spiel ist" und es dem Täter „auf die Befriedigung des Geschlechtstriebes ankam", ohne Bezugnahme auf das Gesetz begründungslos behauptet. Die bloße Berufung auf eine im wissenschaftlichen Schrifttum vertretene Meinung wird dem Erfordernis der methodisch vertretbaren Ableitung aus dem Gesetz nicht gerecht (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 590). Mit Blick auf ein allfälliges Vorgehen nach § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO sei darauf hingewiesen, dass eine Handlung stets dann eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche ist, wenn sie bei fallspezifischer Gesamtbetrachtung nach der Intensität der sexuellen Inanspruchnahme und der Schwere des Eingriffs in die Sexualsphäre dem Beischlaf entspricht (13 Os 162/00, EvBl 2001/152; zuletzt 11 Os 88/05h), was auf das wiederholte Einführen eines Fingers in die Scheide eines zur Tatzeit etwa dreizehnjährigen Mädchens jedenfalls zutrifft. Mit dem Einwand, das „nur einen Augenblick dauernde und bloß teilweise" Eindringen in die Vagina des Opfers sei keine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung, entfernt sich die Rüge erneut von den Urteilskonstatierungen, wonach der Beschwerdeführer zweimal - jeweils nach Anwendung von Gewalt - mit einem Finger in die Scheide Tamara Z*****s eingedrungen ist und die Penetration beim ersten Angriff erst aufgrund heftiger Gegenwehr des Opfers beendet und im zweiten Fall zumindest für die Dauer obszöner Äußerungen fortgesetzt hat (US 5).

Zum Schuldspruch 2 einen Mangel an Feststellungen behauptend unterlässt die Beschwerde die gebotene Gesamtbetrachtung der Entscheidungsgründe, wonach dem Beschwerdeführer das Alter Tamara Z*****s bekannt war (US 4), er Gewalt anwendete, um die Gegenwehr gegen die (wiederholte) digitale Vaginalpenetration zu unterbinden (US 5) und er hiedurch unter Gewaltanwendung das zur Tatzeit etwa dreizehn Jahre alte Opfer zur Duldung einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung nötigte (US 9). Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß § 285d Abs 1 StPO schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen. Die Entscheidung über die Berufung kommt somit dem Gerichtshof zweiter Instanz zu (§ 285i StPO).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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