OGH 13Os162/00

OGH13Os162/007.3.2001

Der Oberste Gerichtshof hat am 7. März 2001 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Brustbauer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rouschal, Dr. Schmucker, Dr. Habl und Dr. Ratz als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr. Mann als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Thomas S***** wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Thomas S***** und die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Schöffengericht vom 30. November 2000, GZ 16 Vr 1036/00-20, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Tiegs, des Angeklagten und seines Verteidigers Mag. Diwok zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Den Berufungen wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Thomas S***** wurde der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (I/1) und des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (I/2) sowie der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 StGB (I/3), der versuchten Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB (I/4) und der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (II) schuldig erkannt.

Danach hat er in Bregenz

I von Sommer 1999 bis Juli 2000

1) mehrfach mit der am 27. Jänner 1995 geborenen, sohin unmündigen Stefanie E***** eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung unternommen, indem er seinen Ring- bzw kleinen Finger in deren After einführte;

2) an der am 27. Jänner 1995 geborenen, sohin unmündigen Stefanie E***** in ca 10 Angriffen eine geschlechtliche Handlung vorgenommen und von dieser an sich vornehmen lassen, indem er diese an der Scheide betastete und sich von dieser seinen Penis betasten ließ;

3) unter Ausnützung seiner Stellung als Aufsichtsorgan gegenüber der am 27. Jänner 1995 geborenen minderjährigen Stefanie E***** diese durch die zu Punkt I/ 1) und 2) angeführten Handlungen zur Unzucht missbraucht, um sich geschlechtlich zu erregen oder zu befriedigen;

4) Stefanie E***** durch die Äußerung, falls sie jemandem von den zu Punkt I) 1) bis 3) angeführten geschlechtlichen Handlungen erzähle "haue er ihr den Arsch voll", mithin durch gefährliche Drohung zu einer Unterlassung, nämlich von diesen Vorfällen dritten Personen zu erzählen, zu nötigen versucht;

II) von 1993 bis Mitte 1998 Michaela M*****, nunmehrige S***** einbis zweimal pro Jahr durch Versetzen von Schlägen am Körper verletzt, wobei die Taten Hämatome und Nasenbluten zur Folge hatten. Gegen den Schuldspruch zu I) 1) richtet sich eine auf die Z 5 und Z 10 (der Sache nach nur Z 10) des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde, mit welcher das Fehlen maßgeblicher Feststellungen über Dauer und Tiefe des sexuell motivierten Eindringens eines Fingers des Angeklagten in den After des Tatopfers releviert und darüber hinaus behauptet wird, dass eine digitale Analpenetration grundsätzlich keine dem Beischlaf gleichzusetzende Handlung darstelle.

Rechtliche Beurteilung

Die Nichtigkeitsbeschwerde ist unbegründet.

Bei jeder (vaginalen, oralen oder analen) Penetration kommt es nämlich (unter dem Aspekt des § 206 StGB) darauf an, ob sie in Summe der Auswirkungen dem Beischlaf vergleichbar ist, wobei die Intensität und Schwere des Eingriffs und das Ausmaß der Demütigung und der Erniedrigung ausschlaggebend sind (vgl JAB 927 BlgNR 17. GP, 3). Danach ist auch die digitale Analpenetration - deren prinzipielle Eignung als "sexualbezogene Handlung" unstrittig ist (12 Os 55/91, 13 Os 84/92 SSt 60/70 ua) - grundsätzlich als eine dem Geschlechtsverkehr gleichzusetzende Handlung anzusehen:

Die Intensität des sexuellen Eingriffs beziehungsweise die Gleichwertigkeit der Handlung mit einem Beischlaf ist dabei vor allem aus der Sicht des Opfers zu beurteilen, denn schließlich schützen die §§ 201 ff StGB dessen Recht auf sexuelle Selbstbestimmung. Die besondere, dem Vaginal- sowie dem Anal- und Oralverkehr gemeinsame typische Intensität der sexuellen Inanspruchnahme des Opfers kann dabei nicht ausschließlich darin gesehen werden, dass sich der Täter unter unmittelbarem Einsatz seines Geschlechtsteiles Befriedigung verschafft. Denn einerseits ist die Beeinträchtigung des Opfers völlig unabhängig von der Befriedigung des Täters zu beurteilen, und andererseits kann ein erzwungener unmittelbarer körperlicher Kontakt mit dem Penis des Täters, etwa durch Berühren mit der Hand, auch in Fällen sexuellen Missbrauchs, die nicht als beischlafsähnlich einzustufen sind, vorkommen. Das für die Sonderstellung einer dem Beischlaf gleichzusetzenden Handlung maßgebliche Merkmal muss nicht in der notwendigen "Mitwirkung" des männlichen Geschlechtsteiles gesehen werden, sondern vielmehr kommt es auf die besondere "Einwirkung", nämlich die Penetration (hier:) einer unmittelbar neben dem primären Geschlechtsteil gelegenen und damit vergleichbar missbrauchsfähigen Körperöffnung an; eine Penetration des Mundes mit dem männlichen Geschlechtsteil und deren in der Judikatur einhelligen Beurteilung als beischlafsähnlicher Sexualakt (s. JBl 1991,255; 15 Os 149/95) ist hier nicht aktuell.

Die verfahrensgegenständliche Art der Penetration stellt einen besonders massiven Eingriff in die Intimsphäre dar, und zwar weitgehend unabhängig davon, mit welchem Mittel die - jeweils fallbezogen als geschlechtliche Handlung anzusehende - Penetration erfolgt, zumal ein solches Eindringen viel intensivere und unangenehmere Empfindungen bzw auch Schmerzen auslösen kann als eine Penispenetration, wobei auch nur bei letztgenannter das eigene Schmerzrisiko den Täter von allzu brutalem Vorgehen abhalten kann (vgl Anmerkung von Beclin zu 13 Os 191/95, JBl 1997/403 - siehe auch Mayerhofer, StGB5. § 201 RN 17a ff).

Die digitale Analpenetration steht einer vaginalen Penetration weder in der Intensität der sexuellen Inanspruchnahme noch der Schwere des Eingriffs in die sexuelle Selbstbestimmung des Opfers nach und ist demnach im Vergleich zum Beischlaf als diesem gleichzusetzende und gleich sozial schädliche Form sexualen Missbrauchs anzusehen. Dabei kommt es - entgegen der Beschwerdemeinung - weder auf die Dauer des Eingriffes noch auf die Häufigkeit und die Tiefe des Eindringens in den After an. Denn die im § 206 Abs 1 StGB umschriebene Tathandlung besteht nicht im Vollzug, sondern im Unternehmen (ua) einer dem Beischlaf gleichzusetzenden Handlungen (hier: Eindringen des Fingers in den After des Tatopfers). Die Tat ist bereits dann unternommen und das Delikt vollendet, wenn es zwar noch zu keinem Eindringen (des Fingers) in den After des Tatopfers, wohl aber mit darauf gerichtetem Vorsatz bereits zur diesbezüglichen Berührung gekommen ist (vgl Leukauf-Steininger Komm3 § 206 RN 3, Foregger/Fabrizy, StGB7, § 206 Rz 2). Zur Vollendung des Verbrechens nach § 206 Abs 1 StGB genügt demnach auch schon die Berührung eines Fingers des Täters mit dem Anus des Tatopfers, wenn dies - wovon die Tatrichter ausgegangen sind - mit auf Vollziehung einer analen Digitalpenetration gerichtetem Vorsatz erfolgt. Der vermissten Feststellungen bedurfte es daher nicht (auch nicht unter einem allfälligen Aspekt nach Z 5), weil sie keine entscheidungswesentlichen Tatsachen betrafen, ganz abgesehen davon, dass ein "Einführen" festgestellt wurde.

Dem Erstgericht ist sohin kein Rechtsirrtum unterlaufen, wenn es das im Urteil zu I) 1) festgestellte Tatverhalten des Beschwerdeführers dem vollendeten Verbrechenstatbestand nach § 206 Abs 1 StGB unterstellte.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war demnach zu verwerfen. Das Schöffengericht verhängte über den Angeklagten nach § 206 Abs 1 StGB unter Anwendung des § 28 StGB eine Freiheitsstrafe in der Dauer von zweieinhalb Jahren. Dabei wertete es als erschwerend das Zusammentreffen von zwei Verbrechen mit drei Vergehen, die Tatwiederholung bei sämtlichen Delikten und das geringe Alter des Opfers, als mildernd hingegen das umfassende und reumütige Geständnis sowie den Umstand, dass die Nötigung beim Versuch blieb. Gegen den Strafausspruch richten sich Berufungen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten, mit welchem erstere die Erhöhung der Strafe, letztere deren Herabsetzung anstreben. Die Berufungen sind nicht berechtigt.

Das Schöffengericht hat die Strafzumessungsgründe im Wesentlichen vollständig erfasst und auch zutreffend gewichtet, wobei insbesondere der Deliktshäufung und deren Wiederholung aber auch der bisherigen Unbescholtenheit und dem reumütigen Geständnis ausreichend Rechnung getragen wurde. Die Strafe bedarf daher - auch unter Berücksichtigung der allgemeinen Strafzumessungskriterien (§ 32 StGB) - keiner Erhöhung, ist aber auch einer Reduktion nicht zugänglich. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die bezogene Gesetzesstelle.

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