OGH 11Os88/05h

OGH11Os88/05h27.9.2005

Der Oberste Gerichtshof hat am 27. September 2005 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Danek, Dr. Schwab und Dr. Lässig als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Lang als Schriftführer, in der Strafsache gegen Andreas P***** wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 31. Mai 2005, GZ 22 Hv 54/05s-32, sowie über seine Beschwerde gegen einen Beschluss gemäß § 494a Abs 1 Z 4, Abs 4 StPO nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Fabrizy, des Angeklagten und dessen Verteidigers Dr. Petri I. zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

II. den Beschluss

gefasst:

Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Andreas P***** der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (I), des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (II), des Vergehens der sittlichen Gefährdung von Personen unter sechzehn Jahren nach § 208 Abs 1 StGB (III), der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB (IV) und des Vergehens nach § 50 Abs 1 Z 3 WaffG (V) schuldig erkannt.

Danach hat er

I. außer dem Fall des § 206 StGB geschlechtliche Handlungen an unmündigen Personen vorgenommen und von einer unmündigen Person an sich vornehmen lassen, und zwar dadurch, dass er

1) zu nicht näher bekannten Zeitpunkten im Zeitraum Sommer 2004 bis Dezember 2004 in St. Martin und Eibiswald in mehrfachen Angriffen die am 18. Dezember 1994 geborene Larissa W***** über und sodann unterhalb der Bekleidung an der Scheide berührte sowie sich von ihr mit der Hand am Penis befriedigen ließ,

2) vermutlich am 14. November 2004 in Eibiswald die am 20. November 1993 geborene Denise J***** an der Scheide berührte und leckte,

3) zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt im September 2004 in Eibiswald den Penis des am 2. August 1993 geborenen Manuel W***** zwei bis vier Mal berührte und daran herumspielte;

II. zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt im September 2004 in Eibiswald mit der am 18. Dezember 1994 geborenen Larissa W*****, sohin mit einer unmündigen Person, eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung unternommen, indem er mit seinem Finger in ihre Scheide eindrang;

III. zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt im Zeitraum September 2004 bis Dezember 2004 in Eibiswald eine Handlung, die geeignet ist, die sittliche, seelische oder gesundheitliche Entwicklung von Personen unter sechzehn Jahren zu gefährden, vor einer unmündigen Person vorgenommen, um sich dadurch geschlechtlich zu erregen und zu befriedigen, indem er sich in Gegenwart der am 18. Dezember 1994 geborenen Larissas W***** selbst befriedigte;

IV. im Zeitraum Sommer 2004 bis Dezember 2004 durch die zu Punkt I bis II angeführten Handlungen mit Larissa und Manuel W*****, sohin mit minderjährigen Personen, die seiner Aufsicht unterstanden, unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber diesen Personen eine geschlechtliche Handlung vorgenommen bzw von einer solchen Person an sich vornehmen lassen;

V. ab einem nicht näher bekannten Zeitraum bis zum 26. Februar 2005, wenn auch nur fahrlässig, trotz aufrechten Waffenverbotes Waffen und Munition besessen.

Er bekämpft dieses Urteil im Schuldspruch wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (II) mittels Subsumtionsrüge (§ 281 Abs 1 Z 10 StPO), in der er die rechtliche Beurteilung (bloß) als Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB mit der Begründung anstrebt, dass das (einmalige) Einführen eines Fingers in die Scheide des Tatopfers noch keine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung sei.

Rechtliche Beurteilung

Das Tatbild des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB ist nicht nur dann erfüllt, wenn mit einer unmündigen Person der Beischlaf, sondern auch dann, wenn mit ihr eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung unternommen wird. Durch die Ausdehnung des Tatbestandes auf beischlafsähnliche Handlungen zielte der Gesetzgeber des Strafrechtsänderungsgesetzes 1998 auf die Gleichstellung jeder auf die Befriedigung des Geschlechtstriebes gerichteten Form einer oralen, analen oder vaginalen Penetration mit dem Geschlechtsverkehr ab (RV 1230 BlgNR XX. GP, 21).

In diesem Sinn kann das Einführen eines Fingers in die Scheide einer weiblichen Person eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung sein, sofern es nach der fallspezifischen Gesamtbetrachtung aus Täter- und Opferseite, wobei auch das (geringe) Alter des Tatopfers miteinzubeziehen ist, in der Summe ihrer Auswirkungen und Begleiterscheinungen einen höheren Unwertgehalt als die in §§ 202, 207 StGB verpönten Angriffe gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung aufweist und somit nach der Intensität der sexuellen Inanspruchnahme und der Schwere des Eingriffes in die Sexualsphäre dem Beischlaf entspricht. Für das Tatbildmerkmal des „Unternehmens" des mit Strafe bedrohten Angriffes kommt es auf dessen Dauer und Vollständigkeit nicht an (14 Os 61/95; 13 Os 162/00, EvvBl 2001/152; 12 Os 29/02; 11 Os 70/02 ua).

Im Gegenstand hat daher das Erstgericht das Eindringen eines Fingers in die Scheide des zum Tatzeitpunkt erst neunjährigen Mädchens, das darauf mit einem „Aufhüpfen" reagierte (US 10), zutreffend als eine dem Beischlaf gleichzusetzende Handlung beurteilt und somit rechtsrichtig § 206 Abs 1 zweiter Fall StGB subsumiert. Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Das Schöffengericht verhängte über den Angeklagten nach § 206 Abs 1 StGB eine vierjährige Freiheitsstrafe und wertete dabei mildernd das (teilweise) umfassende und reumütige Geständnis, als erschwerend sechs einschlägige Vorstrafen, das Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen der selben und verschiedener Art und deren Fortsetzung durch längere Zeit, dass drei Kinder davon betroffen waren, das geringe Alter der Opfer und die psychischen Folgen der Taten zumindest bei Larissa W*****. Gemäß § 494a Abs 1 Z 4, Abs 4 StPO (iVm § 53 Abs 1 StGB) wurde überdies der Widerruf der bedingten Nachsicht des achtmonatigen Teiles einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten, die über P***** mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 10. Jänner 2002, GZ 4 Hv 1125/01b-14, wegen der Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1, Abs 2 StGB, der Sachbeschädigung nach § 125 StGB und nach § 50 Abs 1 Z 3 WaffG (gezielter Schuss mit einem trotz Waffenverbotes besessenen Kleinkalibergewehr auf das Fenster eines Nachbarhauses am 9. Dezember 2001) verhängt worden war, beschlossen.

Mit seiner Berufung wegen Strafe strebt der Angeklagte die Reduktion der Sanktionshöhe an, mit seiner Beschwerde das Absehen vom Widerruf der bedingten Nachsicht.

Dem Berufungsvorbringen zuwider wurde das - allerdings gerade den strafbestimmenden Tatvorwurf ausdrücklich ausklammernde - Geständnis des Berufungswerbers fallgerecht gewichtet. Der Widerruf bedingter Nachsicht in einer Vorverurteilung, die als Vorstrafe erschwerend gewertet wird (§ 33 Z 2 StGB), verstößt nicht gegen das Doppelverwertungsverbot des § 32 Abs 2 StGB. Mag der nunmehr knapp 32-jährige Angeklagte auch bislang keine Aburteilungen wegen strafbarer Handlungen gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung aufweisen, kann bei immerhin neun (davon zwei im Verhältnis des § 31 StGB stehenden) Verurteilungen - vorwiegend wegen Aggressionsdelikten - von einem auffallenden Widerspruch zu seinem bisherigen Verhalten keine Rede sein und erweist sich die vom Schöffengericht ausgesprochene Unrechtsfolge auch bei Bedacht auf deren Gesamtauswirkungen auf das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft nicht überhöht.

Der einschlägige Rückfall beim Vergehen nach § 50 Abs 1 Z 3 WaffG und die nunmehrige massive Delinquenz lassen es in Anbetracht der neuerlichen Verurteilung geboten erscheinen, zusätzlich zu dieser den in Schwebe gehaltenen Strafteil des Urteils des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 10. Jänner 2002 in Vollzug zu setzen, um den Rechtsbrecher - der die Bedingung für die ihm gewährte Rechtswohltat sinnfällig verfehlte - von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten (§ 53 Abs 1 StGB).

Es war daher sowohl der Berufung als auch der Beschwerde der Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung fußt auf § 390a Abs 1 StPO.

Stichworte