OGH 2Ob185/03z

OGH2Ob185/03z1.9.2005

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Tittel, Dr. Baumann, Hon. Prof. Dr. Danzl und Dr. Veith als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Peter Schulyok, Rechtsanwalt, Mariahilfer Straße 50, 1070 Wien, als Masseverwalter im Konkurs über das Vermögen der K***** Gesellschaft mbH, gegen die beklagte Partei Republik Österreich, 1030 Wien, Radetzkystraße 2, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1011 Wien, wegen EUR 1,191.957,81 sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 25. April 2003, GZ 3 R 176/02b-13, womit infolge Berufung beider Parteien das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom 18. Juni 2002, GZ 22 Cg 91/01b-7, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 3.756,31 (darin enthalten EUR 626,05 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Über das Vermögen der K***** GesmbH wurde am 13. 6. 2000 der Konkurs eröffnet; der Kläger wurde zum Masseverwalter bestellt. Mit Überweisung vom 2. 6. 2000, eingelangt am 5. 6. 2000 überwies die Gemeinschuldnerin an Umsatzsteuer für April 2000 S 13,476.958,-- und an Lohnabgaben für Mai 2000 S 2,924.739, wovon S 1,900.183,-- auf Lohnsteuer, S 918.503,-- auf den Dienstgeberbeitrag sowie S 106.053,-- auf den Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag entfielen. Seit dem 20. 5. 2000 wurden in allen namhaften Zeitungen Österreichs Berichte über die prekäre finanzielle Situation der späteren Gemeinschuldnerin veröffentlicht. Gegenüber der Beklagten hat die Gemeinschuldnerin bis zur Konkurseröffnung stets pünktlich bezahlt und war daher unauffällig. Die massive Medienberichterstattung veranlasste die Beklagte nicht zu Nachforschungen über eine allfällige Insolvenz der späteren Gemeinschuldnerin.

Der Kläger ficht diese Zahlungen aus den Anfechtungstatbeständen der §§ 28 Z 1 und 2, 30 Z 1 und 3 und schlüssig § 31 Abs 1 Z 2 KO an und begehrt Rückzahlung an die Masse. Die Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin hätten die Aussichtslosigkeit der Sanierungsbemühungen erkannt und die am 15. 6. 2000 fällig gewordene Zahlung bereits am 2. 6. 2000, somit 13 Tage vor Fälligkeit in Benachteiligungsabsicht geleistet. Ihnen sei die prekäre Situation der Gemeinschuldnerin bekannt und die Benachteiligungsabsicht bewusst gewesen. Sie hätten mit der Zahlung ihre Haftung als Geschäftsführer abwenden wollen. Die Beklagte hätte durch die intensive Medienberichterstattung Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit und der Benachteiligungsabsicht der Gemeinschuldnerin gehabt bzw haben müssen. Daraus hätte sie auch erkennen können, dass den zahlreichen anderen Gläubigern bloß quotenmäßige Befriedigung angeboten worden sei, während sie Vollzahlung erhalten habe. Hätte die Beklagte Nachforschungen beispielsweise beim Kreditschutzverband angestellt, hätte sie von der Zahlungsunfähigkeit und der Überschuldung der Gemeinschuldnerin Kenntnis erlangt.

Die Beklagte stellte die Zahlungsunfähigkeit der Gemeinschuldnerin am Tag der Zahlung außer Streit, wendete aber ein, davon keine Kenntnis gehabt zu haben und beantragte die Abweisung der Klage. Sie wendete weiters ein, Medienberichte seien keine verlässliche Quelle für eine allfällige Insolvenz eines Unternehmens. Die Gemeinschuldnerin habe alle Forderungen pünktlich beglichen und sei daher unauffällig gewesen. Die um einige Tage verfrühte Zahlung sei kongruent, weil der geschuldete Betrag am Fälligkeitsdatum auf dem Konto der Beklagten eingelangt sein müsse. Die Abfuhr von Lohnsteuer sei nicht anfechtbar. Eine Verständigung des Kreditschutzverbandes von der wirtschaftlichen Lage der Gemeinschuldnerin sei der Beklagten vor dem 5. 6. 2000 nicht zugegangen; jedenfalls hätten die mit der Sache betrauten Mitarbeiter der Beklagten (die Bediensteten des zuständigen Finanzamtes) sie nicht erhalten.

Das Erstgericht gab dem Anfechtungsbegehren mit EUR 1,053.866,10 sA statt und wies ein Mehrbegehren von EUR 138.091,68 sA ab.

Es hat zahlreiche Zeitungsartikel, die im Zeitraum 20. bis 29. 5. 2000 erschienen waren, in Fotokopie dem Urteil angeschlossen und zum Urteilsinhalt erklärt. Daraus sind beispielsweise folgende Überschriften zu erwähnen:

„K*****-Kette vor dem finanziellen Aus"; „K***** rennt ums Leiberl: Chance für Sanierung ist „klitzeklein", „Strip-Poker um K*****;" „K***** nacktes Elend"; „Streit um K*****-Sanierung"; K*****: Ohne Millionen-Kapitalspritze droht die Insolvenz; „Weiter Zittern um K*****: „Der Zustand ist unerträglich"; K*****: Kreditschützer mahnen zur Eile; „K***** am Abgrund"; „K***** droht nun die Schließung".

Die Beklagte hat am 5. 5. 2000 die Bilanz der Gemeinschuldnerin zum 31. 1. 1998 erhalten, aus der sich ein positives Eigenkapital von S 164,668.096,42 ergibt. Eine vertrauliche Insolvenzliste vom 29. 5. 2000, worin von intensiven Bemühungen der späteren Gemeinschuldnerin um eine außergerichtliche Sanierung die Rede war, wurde an diesem Tag auf dem Postweg an alle Mitglieder des Kreditschutzverbandes, also auch an die Beklagte, versandt. Im Bundesministerium für Finanzen langte diese Insolvenzliste noch vor dem 5. 6. 2000 ein, Mitarbeitern der Einbringungsstelle des Finanzamtes für den 23. Bezirk war dieses Schreiben aber unbekannt. Hätte man am 2. 6. 2000 beim Alpenländischen Kreditorenverband angerufen, hätte man die Auskunft erhalten, dass die Gemeinschuldnerin insolvent sein müsse. Beim Kreditschutzverband hätte die Auskunft gelautet, dass ein außergerichtlicher Ausgleichsvorschlag von den Lieferantengläubigern nicht angenommen wurde und die Gemeinschuldnerin höchst insolvenzgefährdet ist, wobei das Wort Insolvenz vor dem 8. 6. 2000 nicht gebraucht wurde. Die Zahlung erfolgte in Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit und in Begünstigungs- bzw Benachteiligungsabsicht. Die Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin hielten es ernsthaft für möglich, fanden sich jedoch damit ab, dass die Beklagte durch die Zahlung begünstigt wird, die zahlreichen anderen Gläubiger aber (mangels voller Befriedigungsmöglichkeit) benachteiligt werden. Die Beklagte war bei Annahme der Zahlungen nicht in (positiver) Kenntnis der Benachteiligungs- und Begünstigungsabsicht und der Zahlungsunfähigkeit.

Rechtlich führte das Erstgericht im Wesentlichen aus, die Abfuhr von Lohnsteuer durch den Arbeitgeber stelle keine anfechtbare Zahlung dar, weil Schuldner der Lohnsteuer der Arbeitnehmer sei. Das gelte aber nicht für den Dienstgeberbeitrag und den Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag und die Umsatzsteuer, deren Schuldner der Arbeitgeber sei. Die Fälligkeit dieser Abgaben trete am 15. Tag des nachfolgenden Monates (bei der Umsatzsteuer am 15. Tag des zweitfolgenden Kalendermonates) ein. Eine um 11 Tage verfrühte Zahlung bewirke die Inkongruenz im Sinn des § 30 Abs 1 Z 1 KO. Die Zahlungen seien aber auch gemäß § 31 KO anfechtbar. Zwar genügten die Medienberichte trotz ihrer Dichte nicht, um die Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit bzw Benachteiligungs- oder Begünstigungsabsicht der Gemeinschuldnerin anzunehmen; angesichts der Vielfalt eindeutiger Zeitungsmeldungen würden dadurch aber Nachforschungspflichten der Beklagten ausgelöst. Überdies habe die Beklagte das Schreiben über die intensiven Bemühungen der späteren Gemeinschuldnerin um eine außergerichtliche Sanierung vor Empfang der Zahlung erhalten, woraus eine verschuldete Unkenntnis der Zahlungsunfähigkeit und der Begünstigungs- und Benachteiligungsabsicht abzuleiten sei. Nachforschungen durch einen Anruf beim Kreditschutzverband, deren Mitglied die Beklagte sei, seien zumutbar gewesen.

Das von beiden Parteien angerufene Berufungsgericht gab in der Hauptsache der Berufung des Klägers, nicht aber der der Beklagten statt. Lediglich ein Zinsenmehrbegehren wurde abgewiesen. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei.

Es erachtete die am 5. 6. 2000 bei der Beklagten eingelangte Zahlung noch als kongruent. Die vorzeitige Zahlung sei aber deshalb besonders auffällig gewesen, weil die Medien ausführlich über die massiven wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Gemeinschuldnerin berichtet hätten, weshalb die verfrühte Zahlung eines Betrages in dieser Höhe äußerst ungewöhnlich und damit verdächtig gewesen sei. Ob der Beklagten fahrlässige Unkenntnis der Zahlungsunfähigkeit oder der Begünstigungs- oder Benachteiligungsabsicht der Gemeinschuldnerin vorzuwerfen sei, sei nach dem Wissenmüssen der Personen, die für den Anfechtungsgegner mit der Sache befasst gewesen seien, zu entscheiden. Leichte Fahrlässigkeit genüge. Bei Finanzämtern sei ebenso wie bei Banken ein strengerer Sorgfaltsmaßstab anzusetzen als bei anderen Gläubigern, da sie in weit größerem Ausmaß in der Lage seien, Einblick in die wirtschaftlichen Verhältnisse des Steuerschuldners zu erhalten. Ausschlaggebend für die Beurteilung seien die dem Anfechtungsgegner zur Verfügung stehenden Auskunftsmittel, die er in zumutbarer Weise heranziehen hätte können und ihre ordnungsgemäße Auswertung. Die Gemeinschuldnerin sei bisher völlig unauffällig, ja vorbildhaft im Zahlungsverhalten gegenüber der Beklagten gewesen. Auch die Bilanz zum Stichtag 31. 1. 1998 sei unauffällig gewesen, doch sei durch die intensive Medienberichterstattung seit dem 20. 5. 2000 erkennbar gewesen, dass diese nicht mehr aktuell sein konnte. Medienberichten über die wirtschaftliche Lage von Unternehmen sei mit Vorsicht zu begegnen, da in vielen Fällen Zeitungsberichte keine zuverlässige Auskunftsquelle darstellten. Je häufiger aber derartige Presseberichte erschienen und je größer die Zahl der sie veröffentlichenden Medien sei und je seriöser sie seien, desto mehr bestehe Veranlassung für einen Gläubiger, den Berichten nachzugehen. Dazu komme noch, dass Presseaussendungen der Gemeinschuldnerin selbst, aber auch der hinter ihr stehenden „Familie W*****" unmissverständliche Hinweise auf eine bevorstehende Insolvenz des Unternehmens enthalten hätten. Die dem Ersturteil angehefteten Zeitungsberichte ließen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Das mehrfach kolportierte Scheitern eines außergerichtlichen Ausgleiches, wobei nicht nur die Banken, sondern auch Lieferanten einen größeren Teil ihrer Forderungen nachlassen sollten, sei ein deutlicher Hinweis auf die prekäre Situation der Gemeinschuldnerin. Bei einem derartigen „Feuerwerk" an Medienberichten über die katatrophale Situation der Gemeinschuldnerin hätte die Beklagte auch im Hinblick auf die ungewöhnliche vorzeitige Zahlung reagieren müssen. Sie sei Mitglied des KSV und hätte als solches durch einen bloßen Anruf Kenntnis von der drohenden Insolvenzgefahr erlangt. Eine Nachfrage bei der späteren Gemeinschuldnerin selbst wäre in dieser Situation zumutbar gewesen und hätte zur Auskunft, dass ein Konkursantrag vorbereitet werde, geführt. Die Beklagte habe es zu vertreten, dass sie entsprechende Nachforschungen unterlassen habe, weshalb sie sich diese Kenntnis zurechnen lassen müsse. Bei dieser Sachlage liege die Begünstigungs- bzw Benachteiligungsabsicht der Geschäftsführer der Gemeinschuldner auf der Hand.

Zur Berufung des Klägers führte es im Wesentlichen aus, nach § 28 Z 2 KO seien alle Rechtshandlungen anfechtbar, durch welche die Gläubiger des Gemeinschuldners benachteiligt würden und die er in den letzten zwei Jahren vor Konkurseröffnung vorgenommen habe, wenn dem anderen Teil die Benachteiligungsabsicht habe bekannt sein müssen. Eine Absichtsanfechtung nach dieser Gesetzesstelle setze voraus, dass der Schuldner nach Eintritt der materiellen Insolvenz im Bewusstsein, dass das Unternehmen nicht mehr saniert werden könne und eine - wenn auch verspätete - volle Befriedigung aller Gläubiger auch in Zukunft nicht möglich sei, einen Gläubiger voll befriedige und damit in Benachteiligungsabsicht handle. Es reiche aus, dass der Schuldner andere Ziele, etwa die Begünstigung des Partners oder auch die Befreiung von einer drohenden Exekution verfolgt habe und dabei die Benachteiligung anderer Gläubiger als sicher eintretend erkannt oder sich damit bewusst und positiv abgefunden habe. Es könne daher jede gegenüber einem anderen, der nicht Konkursgläubiger sei, gesetzte, die Konkursgläubiger benachteiligende Rechtshandlung gemäß den § 31 Abs 1 Z 1 und 2 jeweils zweiter Fall KO und § 28 Z 1 und 2 KO angefochten werden. Dass durch die Bezahlung der Lohnsteuerschulden der Arbeitnehmer der Gemeinschuldnerin an die Beklagte trotz bestehender materieller Insolvenz andere Gläubiger nicht mehr befriedigt werden könnten, liege auf der Hand. Insofern sei die Zahlung der Lohnsteuer an das Finanzamt eine nachteilige Rechtshandlung im Sinn des § 28 Z 2 KO.

Der Beklagten falle auch fahrlässige Unkenntnis der Begünstigung- und Benachteiligungsabsicht zur Last. Entscheidend sei das Wissen-Müssen der handelnden Personen. Bei den massiven Presseberichten über den wirtschaftlichen Niedergang der Gemeinschuldnerin habe die Beklagte das Unterlassen erforderlicher Nachforschungen zu vertreten. Die Begünstigungs- bzw Benachteiligungsabsicht der Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin liege auf der Hand. Denn, könne das Unternehmen nicht mehr saniert werden, dann könne eine um 10 Tage verfrüht einlangende Zahlung nur als Begünstigung angesehen werden.

Die Zahlung der Lohnsteuer an die Beklagte sei zwar nicht nach den § 30 Abs 1 Z 1, Z 3, wohl aber nach § 28 Z 2 KO anfechtbar. Dem könne nicht entgegengehalten werden, der der Beklagten bezahlte Betrag, der rechtlich zur Tilgung der Verbindlichkeit der Arbeitnehmer zur Begleichung der Lohnsteuer gedient habe, stamme aus deren Vermögen. Faktisch und wirtschaftlich betrachtet, stamme er aus den Einnahmen des Arbeitgebers und habe sich in der Verfügungsmacht der Gemeinschuldnerin befunden. Ohne die angefochtene Lohnsteuerzahlung sei der Befriedigungsfonds aller Gläubiger um die abgeführte Lohnsteuer größer gewesen, was bei Bejahung der Anfechtung eine Quotenerhöhung mit sich bringe.

Die ordentliche Revision sei zulässig, weil die Frage, ob Medienberichte Nachforschungspflichten bei Gläubigern wie Finanzämtern auslösten, von erheblicher Bedeutung sei.

Die Beklagte macht in ihrer Revision geltend, Lohnzahlungen, soweit diese periodengerecht erfolgten, stellten Zug-um-Zug-Zahlungen dar, die nur unter den Voraussetzungen eines nachteiligen Rechtsgeschäftes anfechtbar wären. Gleiches gelte für die auf diese Lohnzahlungen entfallende Lohnsteuer, die das Schicksal der Hauptforderung teile. Eine fahrlässige Unkenntnis der Zahlungsunfähigkeit sowie der Begünstigungs- und Benachteiligungsabsicht sei der Beklagten ebenfalls nicht vorzuwerfen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Der Oberste Gerichtshof hat sich in seiner Entscheidung 6 Ob 192/03h (= ecolex 2004, 105 = ÖBA 2004, 220 [Bartlmä] = ZIK 2004, 24 = RZ 2004, 67 = RdW 2004, 221) mit der Frage der Erkundigungspflicht eines Gläubigers bei Vorliegen zahlreicher Medienberichte über die mögliche Insolvenz eines Schuldners ausführlich auseinandergesetzt. Dieser Sachverhalt betraf den ebenfalls hier zu entscheidenden konkreten Sachverhalt, in welchem dieselben Medienberichte über die Gemeinschuldnerin vorlagen. Im dortigen Fall wurde die Verletzung der Erkundigungspflicht einer Gebietskrankenkasse bei Vorliegen derselben massiven Medienberichte bejaht. Ausgesprochen wurde, dass bei Beurteilung der Fahrlässigkeit des Anfechtungsgegners auch für Finanzämter ein strengerer Maßstab anzulegen ist, weil diese Gläubiger zur Prüfung des Sachverhaltes (Bonitätsprüfung und Bonitätsüberwachung) über ein größeres Maß an Beurteilungsfähigkeit und eine entsprechende sachliche und personelle Organisation verfügen (vgl 6 Ob 37/01m; König, Die Anfechtung nach der Konkursordnung3 Rz 11/24).

Der erkennende Senat schließt sich dieser ausführlich begründeten Entscheidung an und verweist auf diese. Was zur Verletzung der Erkundigungspflicht in dem dort zu beurteilenden Fall ausgeführt wurde, trifft nach den obigen Ausführungen in größerem Maß auf die Beklagte zu.

Zur Anfechtbarkeit der Lohnsteuerzahlung:

In den Entscheidungen 6 Ob 37/01m und 6 Ob 339/00x hatte ebenfalls der 6. Senat des Obersten Gerichtshofes die Anfechtbarkeit von Lohnsteuerzahlungen nach den Bestimmungen der §§ 30, 31 KO zu beurteilen. In diesen Entscheidungen ist der Oberste Gerichtshof zum Schluss gekommen, Steuerschuldner der Lohnsteuer sei nach den §§ 78 und 73 EStG 1988 der Arbeitnehmer. Der Arbeitgeber sei zum „Einbehalten" und zur „Abfuhr" der Lohnsteuer verpflichtet und hafte für die Einbehaltung und Abfuhr. Ein auf diesen Haftungstatbestand gegründetes Abgabenschuldverhältnis entstehe erst dann, wenn der Haftungstatbestand (Nichtabfuhr bei Fälligkeit) verwirklicht und die Haftung des Arbeitgebers bescheidmäßig geltend gemacht worden sei. Erst unter dieser Voraussetzung erfülle der Arbeitgeber eine eigene Schuld gegenüber dem Gläubiger Finanzamt und wäre zur quotenmäßiger Befriedigung aller Gläubiger verpflichtet. Die genannten Gläubigertatbestände seien auf die Lohnsteuerzahlungen des Gemeinschuldners als Arbeitgeber daher nicht anzuwenden. Eine Anfechtung nach § 28 KO wurde in diesen Entscheidungen allerdings nicht behandelt.

Der 10. Senat hatte sich in seiner Entscheidung 10 Ob 54/03v (= ARD 5527/11/04 = ecolex 2005, 117 = ZIK 2005, 32) mit der Frage der Anfechtbarkeit von Lohnsteuerzahlungen auch unter dem Gesichtspunkt des § 28 Z 2 KO zu beschäftigen. Er bestätigte darin ua zu den Anfechtungstatbeständen der §§ 30 und 31 KO seine die Anfechtung ablehnende, in seinen Entscheidungen 6 Ob 37/01m und 6 Ob 339/00x ausgesprochene Rechtsansicht und lehnte auch die Anfechtung von Lohnsteuerzahlungen nach § 28 KO ab. § 28 Z 2 KO fordere ein absichtliches Verhalten des Handelnden. Dieses Kriterium setze Rechtswidrigkeit des Verhaltens gegenüber dem Gläubiger und Unrechtsbewusstsein des Schuldners voraus. Nicht jedes Verhalten des Schuldners, das letztlich seine Gläubiger benachteilige, sei rechtswidrig. Da § 28 KO nicht die gleichmäßige Befriedigung der Gläubiger bezwecke, sondern die rechtswidrige und vorsätzliche Verminderung des Haftungsfonds hintanhalten solle, scheide die Anfechtung dieser Lohnsteuerzahlungen auch nach § 28 Z 2 KO aus, weil der Gemeinschuldner die Lohnsteuer des Arbeitnehmers einbehalte und an die Finanzbehörde abführe und damit mittels eines nicht mehr ihm zustehenden Vermögens die Schuld des Arbeitnehmers zahle.

Diese Entscheidung ist allerdings, auch was ihre Ausführungen zu § 28 KO anlangt, auf Kritik in der Lehre gestoßen. Rothner (nochmals: Keine Anfechtbarkeit von Lohnsteuerzahlungen im Konkurs des Arbeitgebers?, ZIK 2005, 42 ff) legte dar, dass der für die Lohnsteuerzahlung zu verwendende Teil des Bruttolohnes des Arbeitnehmers keineswegs Geldmittel des Arbeitnehmers seien, die dieser seinem Arbeitgeber zur Zahlung der Lohnsteuer überlässt. Die Zahlung der Lohnsteuer erfolge entweder aus den Finanzmitteln des späteren Gemeinschuldners oder aus Kreditmitteln. Beide Vermögensquellen seien bis zum Zeitpunkt der Zahlung allen Gläubigern zur Verfügung gestanden. Diese Geldmittel seien der Gemeinschuldnerin auch weder vom Arbeitnehmer noch von dritter Seite mit der Zweckbestimmung, sie ausschließlich für die Zahlung der Lohnsteuer zu verwenden, überlassen worden. Gegen die Qualifikation der für die Lohnsteuerzahlung verwendeten Geldmittel als Treugut spreche auch, dass diese nicht unterscheidbar im Vermögen des späteren Gemeinschuldners vorhanden sein müssten. Zumindest aber müsste der Treugeber (Arbeitnehmer) im Konkurs des Treuhänders einen Aussonderungsanspruch haben, was aber nicht der Fall sei.

Auch König (Neues zur Anfechtbarkeit von Steuerleistungen, Bemerkungen zu OGH 6 Ob 37/01m und 6 Ob 339/00x, ZIK 2002, 2 ff) bejaht die selbständige Anfechtbarkeit von Lohnsteuerzahlungen gegenüber der Finanzbehörde gemäß § 28 KO. Die Abfuhr der Lohnsteuer sei zwar weder eine Befriedigung eines Gläubigers des abfuhrverpflichteten Dienstgebers, noch ein von diesem mit dem Finanzamt vorgenommenes Rechtsgeschäft, wohl aber unbestreitbar eine „Rechtshandlung" dem Finanzamt gegenüber. Damit müsse diese „Abfuhr" der Finanzbehörde gegenüber die Voraussetzungen der Benachteiligungsanfechtung erfüllen, um zur Bejahung der „direkten" Anfechtung zu gelangen.

Auch nach der Rechtsprechung des BGH wird die Anfechtbarkeit von Lohnsteuerzahlungen bei Insolvenz des Dienstgebers wegen Benachteiligungsabsicht bejaht (IX ZR 39/03; IX ZR 190/03).

Der erkennende Senat tritt der zu § 28 KO ausgesprochenen Rechtsmeinung des 10 Senates nicht bei und schließt sich dem in der dargestellten Literatur vertretenen überzeugenden Argumenten an. Nach § 28 Z 2 KO sind alle Rechtshandlungen anfechtbar, durch welche die Gläubiger des Gemeinschuldners benachteiligt werden und die er in den letzten zwei Jahren vor der Konkurseröffnung vorgenommen hat, wenn dem anderen Teil die Benachteiligungsabsicht bekannt sein musste. Eine Gläubigerstellung des Anfechtungsgegners wird nicht gefordert, gefordert ist lediglich, dass durch eine Rechtshandlung des Gemeinschuldners die Gläubiger benachteiligt werden. Die Abfuhr der Lohnsteuer erfolgt - entgegen den Ausführungen des 10. Senates auch nicht aus einem beim Arbeitgeber befindlichen Sondervermögen des Dienstnehmers, sondern - aus dem Vermögen des späteren Gemeinschuldners. Der vor Konkurseröffnung nicht als Lohnsteuer abgeführte Teil des Bruttolohnes fällt in die Konkursmasse. Weder die Finanzbehörde noch der Dienstnehmer wären insoweit absonderungsberechtigt. Die angefochtene Zahlung ist daher eine die Masse schmälernde Rechtshandlung des Gemeinschuldners im Sinne des § 28 KO dem Finanzamt gegenüber, die bei Vorliegen der Voraussetzungen der Benachteiligungsanfechtung im Sinne dieser Gesetzesstelle angefochten werden kann. Ob auch die entsprechenden Nettogehälter an die Arbeitnehmer (termingemäß) ausgezahlt wurden, ist bei dieser Beurteilung entgegen den Ausführungen in der Revision ebenso ohne Bedeutung wie der Umstand, ob der Masseverwalter auch diese Zahlungen angefochten hat.

Nach Auffassung der Revision mache selbst die Kenntnis von der Benachteiligungsabsicht allein den Anfechtungsgegner nicht schutzunwürdig. Die Anfechtung gemäß § 28 KO erfordere, dass der Schuldner in rechtswidriger Weise das Befriedigungsrecht seiner Gläubiger verletze und der Anfechtungsgegner sich daran beteiligt habe. Die ordnungsgemäße Abfuhr fälliger Lohnabgaben sei aber nicht vorwerfbar. Bei diesen Ausführungen übersieht die Beklagte aber, dass die anfechtbare Rechtshandlung nach Eintritt der materiellen Insolvenz gesetzt wurde und deshalb der Grundsatz der Gleichbehandlung aller Gläubiger beachtet hätte werden müssen. Dass die Beklagte Vollzahlung erhalten, sie aber nur mehr Anspruch auf eine der gebotenen Gleichbehandlung aller Gläubiger entsprechende Befriedigung gehabt hat, macht ihre Befriedigung nach § 28 KO anfechtbar. Es entspricht nämlich ständiger Rechtsprechung, dass der Schuldner, der nach Eintritt der materiellen Insolvenz im Bewusstsein, dass das Unternehmen nicht mehr saniert werden kann und eine - wenn auch verspätete - volle Befriedigung aller Gläubiger auch in Zukunft nicht möglich sein wird, einen Gläubiger voll befriedigt, in Benachteiligungsabsicht handelt (6 Ob 641/93 = SZ 67/20 = ÖBA 1994, 637 [P. Doralt]; 6 Ob 52/99m = ecolex 2000/87 = RdW 2000/324 = ZIK 2000/161 = ÖBA 2000/92; 8 Ob 28/00a = ZIK 2000/162 = ÖBA 2000/925; 6 Ob 110/00w = SZ 73/182; 3 Ob 68/02 = SZ 2003/71; 6 Ob 217/03k = RdW 2004/428 = ecolex 2004/285 sämtliche in RIS-Justiz RS0064185; 4 Ob 99/97f = ÖBA 1997, 1020 [P. Doralt]; vgl auch König, Anfechtung3 Rz 7/12 und die dort angeführte Judikatur). An dieser Rechtsprechung hat der Oberste Gerichtshof trotz der Kritik in der gegenteiligen Lehre (vgl die Darstellung in König aaO) festgehalten. Dass die Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin diese Möglichkeit ernsthaft erwogen, sich mit dem Erfolg aber abgefunden haben, haben die Vorinstanzen festgestellt. Dolus eventualis genügt jedoch nach ebenfalls herrschender Rechtsprechung für die Verwirklichung der Benachteiligungsabsicht (RIS-Justiz RS0064166).

Die Beklagte führt in der Revision weiter aus, dass die Zahlungen zeitlich kongruent gewesen seien und dass für sie nach den im Zeitpunkt der Vornahme der Zahlungen zur Verfügung stehenden Auskunftsmittel weder die Zahlungsunfähigkeit noch die Benachteiligungsabsicht erkennbar gewesen seien. Nach den Feststellungen habe die Gemeinschuldnerin stets pünktlich die Steuern abgeführt. Solange aber keine Steuerrückstände vorgelegen seien, sei nach den weiteren Feststellungen bei ihrer Einbringungsstelle kein konkreter Sachbearbeiter zuständig; erst mit der Konkurseröffnung sei ein Sachbearbeiter zuständig geworden. Der Empfang fälliger Zahlungen habe für die Buchhaltung der Beklagten keinen besonderen Auffälligkeitswert gehabt. Ob Zahlungen in anfechtbarer Weise erfolgt seien, sei nicht Aufgabe der mit den Buchungsvorgängen befassten Bediensteten. Diese müssten sich auch nicht aus Medienberichten solche Kenntnisse verschaffen, die für die Beurteilung der Anfechtbarkeit der Steuerzahlungen erforderlich seien. Das Finanzamt sei vor der Konkurseröffnung auch nicht gehalten, konkrete Bedienstete mit der Erforschung von Hinweisen über die Zahlungsfähigkeit und die mit Steuerzahlung und verbundenen Absichten zu betrauen. Daher sei der Beklagten auch kein Organisationsverschulden anzulasten. Dass die Zahlungen der Beklagten einige Tage früher erfolgten als bei den Fälligkeiten in den Monaten davor, könne im Rahmen automationsunterstützter Verbuchung nicht auffallen. Die Vorwürfe im Berufungsurteil gingen daher ins Leere.

Diese Ausführungen werfen die Frage auf, ob die Beklagte auf Grund der massiven Zeitungsberichte gehalten war, Nachforschungen anzustellen und ob sie die Zahlungsunfähigkeit der Gemeinschuldnerin und die Benachteiligungsabsicht deren Geschäftsführer dadurch auch erkennen hätte können. Soweit sich die Beklagte dabei auf ihre vorhandene Organisation beruft, nach der die Gewinnung solcher Kenntnisse durch Nachforschungen nicht vorgesehen sei, muss sie sich das Fehlen entsprechender Einrichtungen als Organisationsverschulden zurechnen lassen. Einem mit der Erforschung der Anfechtungsfestigkeit eingegangener Zahlungen betrauten Bediensteten wäre aber im Zeitpunkt des Einlangens der Zahlungen nicht verborgen geblieben, dass die Gemeinschuldnerin zahlungsunfähig ist und (verfrüht) Vollzahlung geleistet hat, wogegen den zahlreichen anderen Gläubigern wegen der eingetretenen Zahlungsunfähigkeit nur quotenmäßige Befriedigung angeboten wurde. Daraus hätte die Beklagte aber auf die vorhandene Absicht ihrer Begünstigung und die damit verbundene Benachteiligung der übrigen Gläubiger schließen müssen. Dass nach der Rechtsprechung Zahlungsunfähigkeit und Kongruenz entgegen genommener Zahlungen im Allgemeinen kein Indiz für die Benachteiligungsabsicht sind (1 Ob 604/91; 1 Ob 75/97d; 6 Ob 217/03k), kann der Beklagten hier daher zu keinem Erfolg verhelfen.

Die Gemeinschuldnerin hat daher sämtliche angefochtenen Steuerzahlungen nach Eintritt der materiellen Insolvenz in Benachteiligungsabsicht erbracht, welche Umstände die beklagte Partei bei der gebotenen Nachforschung auch erkennen hätte können. Mit Recht hat daher das Berufungsgericht dem gesamten Anfechtungsbegehren stattgegeben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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