OGH 6Ob192/03h

OGH6Ob192/03h2.10.2003

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber, Dr. Prückner, Dr. Schenk und Dr. Schramm als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Peter Schulyok, Rechtsanwalt, Mariahilfer Straße 50, 1070 Wien, als Masseverwalter im Konkurs über das Vermögen der K***** Gesellschaft mbH, gegen die beklagte Partei Wiener Gebietskrankenkasse, Wienerbergstraße 15/19, 1103 Wien, vertreten durch Preslmayr & Partner, Rechtsanwälte in Wien, wegen 114.661,67 EUR, über die ordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 14. April 2003, GZ 3 R 145/02v-12, womit über die Berufung der klagenden Partei das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom 29. Mai 2002, GZ 22 Cg 97/01k-8, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei hat der klagenden Partei die mit 1.966,28 EUR (darin 327,71 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Über das Vermögen der Gesellschaft mbH wurde am 13. 6. 2000 der Konkurs eröffnet; der Kläger wurde zum Masseverwalter bestellt. Auf dem Beitragskonto der beklagten Gebietskrankenkasse waren am 2. 6. 2000 von der Gemeinschuldnerin überwiesene Beitragszahlungen von 1,577.773,43 S (= 114.662,27 EUR) gutgeschrieben worden (Dienstnehmeranteile 51.150,79 EUR und Dienstgeberanteile 42.933,40 EUR). Ab dem 20. 5. 2000 war in zahlreichen österreichischen Zeitungen und Magazinen über die schlechte finanzielle Situation des Unternehmens und mehrfach auch über eine Insolvenzgefahr berichtet worden.

Der klagende Masseverwalter ficht die Beitragszahlung vom 2. 6. 2000 aus den Anfechtungstatbeständen der §§ 28 Z 1 und 2, 30 Abs 1 Z 1 und 3 KO und schlüssig auch des § 31 Abs 1 Z 2 KO an und begehrt die Rückzahlung an die Masse. Der Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin habe die Aussichtslosigkeit der Sanierungsbemühungen erkannt und die Zahlung am 2. 6. 2000 13 Tage vor der Fälligkeit in Benachteiligungsabsicht geleistet. Die Beklagte hätte aufgrund der intensiven Medienberichterstattung Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit und der Benachteiligungsabsicht der Gemeinschuldnerin gehabt bzw haben müssen. Bei Nachforschungen beispielsweise beim Kreditschutzverband hätte die Beklagte von der Zahlungsunfähigkeit Kenntnis erlangt. Sozialversicherungsbeiträge stünden in keinem Zug-um-Zug-Verhältnis zu den Leistungen der Sozialversicherung.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wandte ein, dass sie keine Kenntnis von der Überschuldung oder der Zahlungsunfähigkeit der Gemeinschuldnerin gehabt habe. Medienberichte seien keine verlässliche Quelle für die Feststellung einer allfälligen Insolvenz eines Unternehmens. Eine professionelle Durchsicht der Medien auf Berichte über eine allfällige Zahlungsunfähigkeit von Beitragsschuldnern sei nicht zumutbar. Die Gemeinschuldnerin habe alle Forderungen pünktlich beglichen und sei unauffällig gewesen. Die angefochtene Zahlung sei auch kongruent, weil der geschuldete Betrag am 31. 5. 2000 fällig geworden sei. Eine Anfrage beim Kreditschutzverband sei ebenfalls nicht zumutbar gewesen, weil sie geeignet gewesen wäre, den Ruf der Gemeinschuldnerin zu beschädigen. Die Anfrage sei auch aus datenschutzrechtlichen Gründen unzulässig.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es hat zahlreiche Zeitungsartikel, die im Zeitraum 20.-29. Mai 2000 erschienen waren, dem Urteil angeschlossen und zum Urteilsinhalt erklärt. Daraus sind beispielhaft folgende Artikelüberschriften zu erwähnen:

"K***** - Kette vor dem finanziellen Aus"; "Chance für Sanierung ist 'klitzeklein';" "W***** will 30 Millionen Schuldennachlass von den Lieferanten"; "K***** am Abgrund"; "K***** droht Schließung, Lieferanten müssen nachlassen; K***** droht nun die Schließung"; "K***** braucht 360 Millionen"; "K*****: ohne Millionen-Kapitalspritze droht die Insolvenz", "K*****: Kreditschützer mahnen zur Eile"; Kalte Schauer für K*****, das Modehaus K***** steht vor dem Ende". In einem veröffentlichten Interview berichtete der "Eigentümer" (= Gesellschafter) des Unternehmens über einen gescheiterten Ausgleich mit einer Vergleichsquote von 75 %, über einen Finanzbedarf von 300 Mio S und über seinen Zweifel, dass es noch eine Chance für das Unternehmen gebe.

Von den Feststellungen des Erstgerichtes ist im Übrigen noch hervorzuheben:

Eine insolvenzrechtliche Überschuldung des Unternehmens sei jedenfalls per 24. 5. 2000 gegeben gewesen. Die Beklagte habe die Medienberichte nicht zum Anlass genommen, Nachforschungen über eine allfällige Insolvenz ihrer Beitragsschuldnerin anzustellen. In der Organisation der Beklagten werde die finanzielle Lage eines Beitragsschuldners erst ab Verzug mit den Beiträgen und der Notwendigkeit der Einleitung von Exekutionsschritten geprüft. Eine Überprüfung von Zeitungsmeldungen sei ebensowenig vorgesehen wie Anfragen bei den Kreditschutzverbänden, bei denen die Beklagte nicht Mitglied sei. Vor der Konkurseröffnung seien gegen die Gemeinschuldnerin keine Exekutionen anhängig gewesen. Sie habe ihre Beitragsschulden bei der Beklagten pünktlich und vollständig bezahlt, weshalb die Abteilung für Beitragseinhebung nicht habe aktiv werden müssen. Ende Mai 2000 habe ein Guthaben auf dem Beitragskonto der Gemeinschuldnerin von 41.194,57 S bestanden. Bei einer Anfrage der Beklagten am 2. 6. 2000 beim AKV wäre die Auskunft erteilt worden, dass mit einem Insolvenzverfahren gerechnet werden müsse. Über Anfrage hätte der KSV mitgeteilt, dass Insolvenzgefahr gegeben sei, dass die Gemeinschuldnerin den Hauptlieferanten einen außergerichtlichen Ausgleich angeboten habe und dass materielle Insolvenz vorliege.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht im Wesentlichen aus, dass die angefochtene Zahlung der Gemeinschuldnerin kongruent gewesen sei, weil die Beitragsschuld am 31. 5. 2000 fällig gewesen sei. Nach § 31 KO schade die fahrlässige Unkenntnis der Zahlungsunfähigkeit. Entscheidend sei das Wissenmüssen des Anfechtungsgegners. Die verschiedenen Zeitungsmitteilungen hätten eine derartige Dichte erreicht, dass den Mitarbeitern der Beklagten die Insolvenzgefahr bekannt habe werden müssen, wenn auch nicht der Umstand der Zahlungsunfähigkeit. Die Beklagte hätte zwar Erkundigungen einholen können. Eine Verletzung der Sorgfaltspflicht sei hier aber zu verneinen. Eine Betriebsprüfung wäre im Hinblick auf die Kürze der zur Verfügung stehenden Frist nicht erfolgversprechend gewesen. Eine Anfrage beim Exekutionsgericht hätte keinen Hinweis auf eine Zahlungsunfähigkeit erbracht, sodass letztlich nur die Möglichkeit einer Anfrage bei den Gläubigerschutzverbänden in Betracht komme. Die Beklagte sei aber weder Mitglied bei den Gläubigerschutzverbänden noch gehöre sie zu deren Zielgruppe. Bei einer Anfrage wäre zu befürchten gewesen, dass dies als Hinweis auf eine drohende oder schon eingetretene Insolvenz gewertet werde. Anfragen seien vor dem Hintergrund eines anhängigen Verfahrens vor der Datenschutzkommission sowie einer parlamentarischen Anfrage nicht geboten und der Beklagten nicht zumutbar gewesen. Eine andere Möglichkeit für Nachforschungen habe der Kläger nicht behauptet.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge und dem Klagebegehren statt. Unangefochten wurde ein Zinsenmehrbegehren abgewiesen. Das Berufungsgericht beurteilte den festgestellten Sachverhalt in der im Revisionsverfahren allein relevanten Frage der Erkundigungspflicht der Beklagten rechtlich im Wesentlichen dahin, dass eine erfolgreiche Anfechtung der jedenfalls kongruenten Zahlung eine fahrlässige Unkenntnis der Beklagten von der Zahlungsunfähigkeit bzw Begünstigungs- oder Benachteiligungsabsicht der Gemeinschuldnerin voraussetze. Leichte Fahrlässigkeit genüge. Bei Finanzämtern und bei Banken werde ein strengerer Sorgfaltsmaßstab angesetzt als bei anderen Gläubigern wie zB bei Krankenkassen, da sie in weit größerem Ausmaß in der Lage seien, Einblick in die wirtschaftlichen Verhältnisse des Steuerschuldners zu erhalten. Ausschlaggebend seien die dem Anfechtungsgegner zur Verfügung stehenden Auskunftsmittel. Die Gemeinschuldnerin sei völlig unauffällig im Zahlungsverhalten gegenüber der Beklagten gewesen. Den Medienberichten über die wirtschaftliche Lage des Unternehmens sei mit Vorsicht zu begegnen gewesen. Je häufiger aber Presseberichte erscheinen und je größer die Zahl von seriösen Mitteilungen sei, desto mehr bestehe Veranlassung für einen Gläubiger, den Berichten nachzugehen. Der deutsche Bundesgerichtshof habe schon entschieden, dass Presseaussendungen Nachforschungspflichten auslösen können. Hier sei über eine bevorstehende Insolvenz des Unternehmens berichtet worden. Die Zeitungsberichte hätten an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig gelassen. Das mehrfach kolportierte Scheitern eines außergerichtlichen Ausgleichs sei ein Hinweis auf die prekäre Situation des Unternehmens gewesen. Bei dem "Feuerwerk" an Medienberichten über die katastrophale Situation des Unternehmens hätte die Beklagte reagieren müssen. Sie hätte bei einer Anfrage bei einem der Gläubigerschutzverbände keine Auskunft über Beitragsrückstände geben müssen. Der Grund des seinerzeitigen Verfahrens vor der Datenschutzkommission sei nicht aktenkundig. Daher spreche dieses Verfahren nicht gegen Nachforschungspflichten der Beklagten. Was für das Finanzamt, das Mitglied des KSV sei, recht sei, müsse für die Beklagte billig sein. Auch Beschwerden von Beitragspflichtigen über Erkundigungen der Beklagten könnten die gesetzliche Verpflichtung zur Prüfung der Zahlungsfähigkeit ihres Schuldners nicht aufheben. Schließlich wäre auch eine Anfrage bei der späteren Gemeinschuldnerin geboten gewesen und hätte zur Auskunft geführt, dass ein Konkursantrag vorbereitet werde. Mangels entsprechender Nachforschungen müsse sich die Beklagte die Kenntnis (von der Zahlungsunfähigkeit) zurechnen lassen. Die weiteren Rechtsausführungen zum Thema, ob ein anfechtungsneutraler Gläubigerwechsel vorlag, sind im Revisionsverfahren nicht mehr wesentlich und ein im Sinne des Klägers abschließend erledigter Streitpunkt.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil zur Rechtsfrage, ob Medienberichte Nachforschungspflichten von Krankenkassen als Gläubiger auslösen, eine oberstgerichtliche Rechtsprechung nicht vorliege.

Mit ihrer ordentlichen Revision beantragt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig. Wohl hängt die Frage, welche Nachforschungen ein Gläubiger bei Vorliegen von Indizien, die für eine Zahlungsunfähigkeit des Schuldners sprechen, zumutbarerweise anzustellen hat, von den Umständen des Einzelfalls ab, sodass grundsätzlich keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung zu lösen ist (RIS-Justiz RS0042837). Die vom Berufungsgericht bejahte besondere Nachforschungspflicht einer Krankenkasse bloß aufgrund von Zeitungsberichten wurde jedoch in der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs JBl 1928, 323 verneint, sodass ein Abweichen von dieser Judikatur jedenfalls einer näheren Prüfung bedarf, zumal diese Rechtsfrage auch für künftige Fälle Bedeutung hat. Es liegen daher die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO für eine meritorische Behandlung des Rechtsmittels vor. Die Revision ist allerdings nicht berechtigt.

Bei der Anfechtung wegen Befriedigung eines Gläubigers in Begünstigungsabsicht (§ 30 Abs 1 Z 2 und 3 KO) ist die Kenntnis oder die fahrlässige Unkenntnis der Begünstigungsabsicht des Schuldners Voraussetzung, die Anfechtung wegen Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit (§ 31 KO) setzt zumindest fahrlässige Unkenntnis des Sachverhalts voraus. Mit der Entscheidung über die Frage des "Kennenmüssens" ist auch die weitere Frage der Kenntnis über die Begünstigungsabsicht mitentschieden. Bei Bejahung einer fahrlässigen Unkenntnis der Beklagten von der Zahlungsunfähigkeit ist der Klageanspruch schon nach § 31 Abs 1 KO berechtigt.

Die Besonderheit des vorliegenden Falls liegt darin, dass nach den Feststellungen die spätere Gemeinschuldnerin ihre Beitragsschulden pünktlich bezahlt hatte und keinerlei Exekutionen anhängig waren, sodass der Beklagten aus der eigenen rechtlichen Verbindung mit dem Unternehmen keinerlei auffällige Umstände bekannt werden konnten. Es lagen nicht die sonst für eine Zahlungsunfähigkeit sprechenden Umstände (Indikatoren) vor, wie mehrfache Exekutionsführungen oder gegen den Schuldner erwirkte Versäumungsurteile oder Wechselzahlungsaufträge (RIS-Justiz RS0064682; Weissel, Die Sorgfaltspflicht der Bank in der Rechtsprechung zu § 31 KO, ÖBA 1994, 955). Entscheidungswesentlich ist daher, ob auch Medienberichte über eine Insolvenzgefahr oder eine schon eingetretene, nicht bewältigbare Krisensituation oder sogar eine Zahlungsunfähigkeit als Insolvenzindikator qualifiziert werden können, die eine Nachforschungspflicht des Gläubigers auslösen.

Die Revisionswerberin verneint eine Nachforschungspflicht im Wesentlichen mit folgenden Argumenten:

Zeitungsberichte seien nicht zuverlässig und führten im Sinne der Entscheidung JBl 1928, 323 nicht zu einer Erkennbarkeit der Zahlungsunfähigkeit; es bestehe keine Notwendigkeit und auch keine Zulässigkeit, von Gläubigerschutzverbänden, bei denen die Beklagte nicht Mitglied sei, Auskünfte einzuholen, eine Anfrage wäre für den Beitragsschuldner kreditschädigend; die Beklagte verfüge nicht über ein Schuldenüberwachungssystem wie Banken oder das Finanzamt, die jeweils aufgrund ihrer Unterlagen schon im Vorfeld einer Krise wesentlich besser über die Finanzkraft des Schuldners informiert seien als die Beklagte; die angeführten Gläubigergruppen könnten zivilrechtlich auf eine Krise des Schuldners anders und besser reagieren als die Beklagte als gesetzliche "Zwangsgläubigerin", der nur die Möglichkeit eines Antrags auf Konkurseröffnung zur Verfügung stehe; die unterschiedlichen faktischen und rechtlichen Voraussetzungen führten bei der "Hausbank" zu einem strengeren Sorgfaltsmaßstab, der auf die Beklagte nicht angewendet werden dürfe. Der vom BGH entschiedene Fall unterscheide sich im Sachverhalt wesentlich von dem vorliegenden, weil es dort um ein ehemaliges Großbauunternehmen gegangen sei, über dessen finanzielle Probleme schon mehrere Monate intensiv berichtet worden sei. Hier stütze sich der Kläger aber nur auf eine Medienberichterstattung ab dem 20. 5. 2000. Der Beitragsschuldner sei im Übrigen vollkommen unauffällig gewesen.

Zu diesem Revisionsvorbringen ist Folgendes auszuführen:

Die bisher zum gestellten Problem in Österreich ergangenen Äußerungen sind kurz. Die Entscheidung 2 Ob 36/28 = JBl 1928, 323 verneinte eine Erkundigungspflicht des Gläubigers, weil "die in Tagesblättern enthaltenen ungünstigen Mitteilungen über ihre (gemeint: eine insolvent gewordene Großbank) wirtschaftliche Lage" keine zuverlässige Auskunftsquelle seien und dem Beklagten erfolgversprechende Nachforschungen über das insolvente Bankunternehmen "kaum möglich" gewesen wären. Gamerith vertritt im Gegensatz dazu die Auffassung (in Buchegger, Österreichisches Insolvenzrecht4 Rz 24 zu § 20 KO), dass Zeitungsmeldungen nicht notwendig die Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit einer Bank begründen, aber wohl in der Regel Erkundigungspflichten auslösen.

Die vom Berufungsgericht zitierte Entscheidung des deutschen Bundesgerichtshofs (BGH) vom 19. 7. 2001, ZIP 2001, 1641 (zustimmend kommentiert von Pape, EWiR 2001, 959) bejahte eine durch Presseberichte ausgelöste Erkundigungspflicht der beklagten Krankenkasse bei durchaus vergleichbarem Sachverhalt und vergleichbarer Rechtslage. Der Bundesgerichtshof hatte das für die fünf neuen Bundesländer und Ostberlin geltende eigenständige Konkursrecht anzuwenden, insbesondere die Anfechtungsbestimmung des § 10 Abs 1 Nr 4 Gesamtvollstreckungsordnung (GesO). Danach waren Rechtshandlungen anfechtbar, die nach Zahlungseinstellung gegenüber Personen vorgenommen wurden, denen die Zahlungsunfähigkeit bekannt war oder den Umständen nach bekannt sein musste. Dies entspricht der Rechtslage bei der Anfechtung nach § 31 Abs 1 Z 2 KO. Der Inhalt und die Titel der vom BGH zu beurteilenden Presseberichte sind ebenfalls vergleichbar (von den Schlagzeilen sei beispielhaft angeführt: "Akute Liquiditätsprobleme"; "Sanierung von R. Bau ist noch nicht gesichert"; "Gesperrte Kreditlinien gefährden Arbeitsplätze". Inhaltlich befassten sich die Artikel unter anderem mit dem Erfordernis ganz erheblicher zusätzlicher Kredite. Der BGH führte aus:

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts könnten auch Presseberichte, die keine amtliche Verlautbarung enthalten, Umstände i.S.d. § 10 Abs 1 Nr 4 GesO sein, die den Verdacht der Zahlungsunfähigkeit begründen. Weder der Gesetzeswortlaut noch Sinn und Zweck dieser Vorschrift stütze die gegenteilige Ansicht des Berufungsgerichts. Ob Presseberichte insoweit Beachtung verdienen, sei eine Frage des Einzelfalls. Sei ein Bericht inhaltlich substanziiert, scheine er aus einer zuverlässigen Quelle zu stammen und werde er durch Artikel anderer Presseorgane gestützt, so könne der Bericht eine gewisse Überzeugungskraft gewinnen, die einen Gläubiger veranlassen müsse, im eigenen Interesse Erkundigungen über die Zahlungsfähigkeit eines Schuldners einzuholen. Erwerbe ein Großgläubiger - wie die Beklagte - von Gesetzes wegen dauernd erhebliche Forderungen gegen ein Großunternehmen - wie die Schuldnerin -, so verstoße dieser regelmäßig gegen die im Eigeninteresse gebotene Sorgfalt, wenn er solche Presseberichte nicht zur Kenntnis nimmt. Das gelte auch für einschlägige Artikel der örtlichen oder regionalen Presse, weil diese häufig - wie auch im vorliegenden Falle - an dem Schicksal eines Großunternehmens in ihrem Bereich besonderen Anteil nehme. Wenn die Beklagte gemäß ihrem Vorbringen die Presseartikel als unbeachtliche Spekulationen gewertet habe, so habe sie aus den dargelegten Gründen ihre Erkundigungsobliegenheit verletzt. Die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin sei der Beklagten infolge Fahrlässigkeit unbekannt geblieben. Sie hätte sich bei der Presse oder anderen geeigneten Stellen erkundigen müssen.

Der BGH gelangte zu diesem Ergebnis auf der Basis des von ihm in ständiger Rechtsprechung vertretenen allgemeinen Grundsatzes, dass der Gläubiger gehalten sein könne, sich nach der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners zu erkundigen und entsprechende zusätzliche Informationen einzuholen, wenn ihm bestimmte Tatsachen bekannt werden, die den Verdacht der Zahlungsunfähigkeit begründen. Einen derartigen Grundsatz vertritt in ähnliche Form der Oberste Gerichtshof in seiner ständigen Rechtsprechung, wenn formuliert wird, dass die Zahlungsunfähigkeit dann bekannt gewesen sein müsste, wenn die Unkenntnis des Anfechtungsgegners auf einer Außerachtlassung der gehörigen Sorgfalt beruhte. Es genügt dabei leichte Fahrlässigkeit des Anfechtungsgegners. Ob eine solche dem Anfechtungsgegner vorzuwerfende Fahrlässigkeit vorliegt, bestimmt sich nach den dem Anfechtungsgegner im Zeitpunkt der Vornahme der Rechtshandlung zur Verfügung stehenden Informationen, die er zumutbarerweise heranziehen konnte, und ihrer ordnungsgemäßen Auswertung (8 Ob 37/00z mwN; RS0064794).

Zum Sorgfaltsmaßstab der beklagten Krankenkasse und einer daraus abzuleitenden Verpflichtung, Berichte in Massenmedien im Hinblick auf dort geäußerte Insolvenzgefahren von Beitragsschuldnern wahrzunehmen und auch zu überprüfen, ist auszuführen:

Voraussetzung für das Entstehen einer Erkundigungspflicht ist ein für eine Insolvenz sprechender Umstand (Insolvenzindikator). In zahlreichen Zeitungen erschienene Berichte, die im Wesentlichen übereinstimmend auf eine massive Insolvenzgefahr hinweisen, sind für das angesprochene Leserpublikum Anlass, einen bevorstehenden Konkurs über das Vermögen des Unternehmens, über das berichtet wird, zu vermuten. Dabei ist die Erwägung maßgeblich, dass Zeitungsberichte über Tatsachen journalistische Recherchen voraussetzen und nicht anzunehmen ist, dass alle Journalisten ihre Berufspflichten verletzen und falsche Mitteilungen in ihre Artikel aufnehmen. Die Einhaltung der journalistischen Sorgfaltspflichten ist umso mehr anzunehmen, je massiver die rufschädigenden Tatsachenbehauptungen sind. Die Gefahr der Wahrheitswidrigkeit von Tatsachenmitteilungen über eine Zahlungsunfähigkeit oder unmittelbar bevorstehende Konkurseröffnung ist dann als gering einzuschätzen, wenn der Sachverhalt in mehreren Medien übereinstimmend in ähnlicher Weise geschildert wird und die Tatsachenbehauptungen durch den Betroffenen selbst (hier eines Gesellschafters des Unternehmens) in einem Interview bestätigt werden. Wenn somit das allgemeine Leserpublikum eine mehrfache und im Wesentlichen übereinstimmende Medienberichterstattung zum Anlass nimmt, die Zahlungsunfähigkeit eines Großunternehmens zu vermuten, stellt sich die Frage, welche Gründe dafür sprechen könnten, dass eine solche Vermutung von einem in der eigenen Rechtssphäre betroffenen Gläubiger nicht angestellt werden müsste, warum also gerade dieser im Eigeninteresse zum Handeln Verpflichtete einen sich aufdrängenden Insolvenzverdacht ignorieren dürfte. Gegen die Qualifikation von übereinstimmenden Medienberichten als Insolvenzindikator spricht daher grundsätzlich nichts.

Übereinstimmende Presse-Artikel können Anzeichen einer wirtschaftlichen Krise des Unternehmens sein, über dessen wirtschaftliche Schwierigkeiten berichtet wird. Sie sind zwar - wie schon die Entscheidung JBl 1928, 323 ausführte - keine zuverlässige Auskunftsquelle über eine tatsächlich vorliegende Zahlungsunfähigkeit, können aber unter gewissen Voraussetzungen die Verpflichtung zu zumutbaren Erkundigungen auslösen.

Zunächst ist die Frage zu stellen, ob die Beklagte überhaupt verpflichtet war, die Zeitungsberichte zu lesen. Festgestellt wurde nur, dass Mitarbeiter der Beklagten Zeitungsberichte über die schlechte wirtschaftliche Lage der Gemeinschuldnerin gelesen haben. Ob dieser Wissensstand den maßgeblichen Organen des Unternehmens zugerechnet werden kann, braucht dann nicht näher untersucht zu werden, wenn es der Beklagten als zumindest leichte Fahrlässigkeit anzulasten ist, dass sie im Rahmen ihrer Organisation nicht dafür gesorgt hat, dass zumindest die am österreichischen Zeitungsmarkt führenden Zeitschriften und Magazine von fachkundigen Mitarbeitern gelesen und dahin untersucht werden, ob in den Artikeln über eine Insolvenzgefahr von Beitragsschuldnern berichtet wird. Das Ausmaß einer solchen Prüfpflicht darf zweifellos nicht überspannt werden. Jedenfalls für Großkunden (Beitragsschuldnern), die die Öffentlichkeit interessieren und über die demgemäß Medienberichte zu erwarten sind, ist aber ohnehin mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass Medienberichte auch den leitenden Angestellten der Beklagten - wie jedem täglichen Zeitungsleser - zur Kenntnis gelangen.

Bei der Beurteilung der Fahrlässigkeit des Anfechtungsgegners vertritt der Oberste Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung die Ansicht, dass an Banken im Allgemeinen und ganz besonders an die "Hausbank" ein strenger Maßstab anzulegen ist, weil diese Gläubiger zur Prüfung des Sachverhalts (Bonitätsprüfung und Bonitätsüberwachung) über ein größeres Maß an Beurteilungsfähigkeit und eine entsprechende sachliche und personelle Organisation verfügen (SZ 73/182 mwN uva), wie dies auch für die Finanzämter gilt (6 Ob 37/01m; König, Die Anfechtung nach der Konkursordnung3 Rz 11/24; Weissel aaO). Gegen eine Gleichstellung mit diesem Personenkreis führt die Revisionswerberin ihre gesetzliche Zwangsgläubigerschaft und einen besseren Informationsstand der Banken im Vorfeld der Krise ins Treffen. Diese Argumente gehen an der für alle Gläubiger geltenden Sachlage vorbei, dass es hier um den - wie soeben erläutert - Insolvenzindikator der Medienberichterstattung und eine dadurch ausgelöste Erkundigungspflicht geht und dass bei einem solchen Indikator selbstverständlich auch Banken dann zu weiteren Erkundigungen verpflichtet sind, wenn ihr Schuldner aufgrund der der Bank zur Verfügung stehenden Unterlagen unauffällig und seinen Vertragspflichten bislang nachgekommen war. Die Erkundigungspflicht kann in einem solchen Fall auch bei einer Bank nur auf die besondere materielle und personelle Ausstattung gestützt werden. In diesem Punkt besteht aber notorischerweise zu der beklagten Krankenkasse kein Unterschied. Sie verfügt als Großgläubigerin über die erforderlichen Ressourcen, zur Bonitätsüberwachung ein System zu installieren, das nicht erst bei Verzug des Beitragsschuldners und zur Vorbereitung von Exekutionsschritten tätig wird. Der im Anfechtungsrecht gebotene Sorgfaltsmaßstab verpflichtet vielmehr, dafür Sorge zu tragen, dass ohne übermäßigen Kostenaufwand erlangbare Informationen eingeholt werden. Die Überprüfung der Tagespresse in der aufgezeigten Richtung erscheint grundsätzlich zumutbar. Die Unterlassung eines derartigen Überwachungssystems ist im Sinne der oben zitierten Erwägungen des deutschen Bundesgerichtshofs, denen beizupflichten ist, als fahrlässig zu qualifizieren, wobei dies auch für die Gläubigergruppen gilt, die schon bisher einem strengeren Sorgfaltsmaßstab unterworfen wurden. Die Ignorierung von übereinstimmenden Presseberichten mit entsprechendem Sachverhaltssubstrat ist sorgfaltswidrig. Es bedeutet auch keine Überspannung der Sorgfaltspflicht, wenn einem Großgläubiger ein Überwachungssystem zugemutet wird, das Presseberichte über Beitragsschuldner wahrnimmt und gegebenenfalls zum Anlass von Nachforschungen nimmt.

Die Revisionswerberin wendet gegen einfache Anfragen bei den Gläubigerschutzverbänden ein, dass sie nicht Mitglied dieser Verbände sei und dass eine Anfrage negative Auswirkungen für den Ruf des angefragten Unternehmens haben könnten. Letzteres Argument ist im vorliegenden Fall schon dadurch entkräftet, dass eine den negativen Zeitungsberichten nachfolgende Anfrage der Krankenkasse den ohnehin schon beschädigten Ruf des Schuldners nicht weiter beschädigen konnte und im Übrigen die Anfrage allein neutral und ohne Hinweis auf eigene Verdachtsgründe gestaltet werden konnte. Dass die Gläubigerschutzverbände statutengemäß die Interessen des gewerblichen und industriellen Mittelstandes schützen sollen, macht die Anfrage einer Krankenkasse nicht von vornherein unzulässig oder unmöglich. Ob die Beklagte als Nichtmitglied von den Gläubigerschutzverbänden Auskunft erhalten hätte und ob sie allenfalls Mitglied werden könnte und dann auskunftsberechtigt wäre, kann aber dahingestellt bleiben, weil die Beklagte jedenfalls auch andere und relativ einfach durchzuführende Nachforschungen über den Wahrheitsgehalt der Zeitungsberichte anstellen hätte können, und zwar einerseits durch Anfragen bei den Zeitungsredaktionen über deren weiteren Kenntnisstand, vor allem aber durch eine Nachfrage beim Beitragsschuldner selbst, der nach einigen Zeitungsberichten einen von den Gläubigern abgelehnten Ausgleichsvorschlag erstattet hatte. Ob ein solches Anbot, das nach ständiger Rechtsprechung als Anzeichen der Zahlungsunfähigkeit angesehen wird (RIS-Justiz RS0051660; Weissel aaO), tatsächlich erfolgte, hätte daher durch eine Anfrage bei den Organen der Beitragsschuldnerin geklärt werden können. Dass bei einer Anfrage - wie die Revisionswerberin ausführt - auf "positiv verlaufende Verhandlungen" verwiesen worden wäre, ist eine reine Hypothese und läuft auf den im Verfahren erster Instanz nicht geltend gemachten Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens hinaus, dass Nachforschungen nichts ergeben hätten. Dazu ist nur noch zu bemerken, dass ein die materielle Insolvenz bestreitender Geschäftsführer mit der Frage zu konfrontieren gewesen wäre, warum er einen Ausgleichsvorschlag machte, warum dieser abgelehnt wurde und vor allem, warum er gegen die massive, den Ruf des Unternehmens beeinträchtigende Medienberichterstattung nicht vorgegangen ist. Schon in der Unterlassung einer solchen, keineswegs kostenintensiven Nachforschung liegt das anfechtungsrechtlich relevante Verschulden der Beklagten. Nur ergänzend sei noch bemerkt, dass ein weiteres, ebenfalls nicht kostenintensives Auskunftsmittel in Form der beim Firmenbuchgericht einsehbaren Jahresabschlüsse der offenlegungspflichtigen Gesellschaft mbH vorlag, aus denen die Gewinn- und Verlustentwicklung des Unternehmens nachvollzogen werden kann.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO.

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