OGH 3Ob203/03d

OGH3Ob203/03d28.4.2004

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Pimmer, Dr. Zechner, Dr. Sailer und Dr. Jensik als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. Stefan C*****, vertreten durch Gruböck & Gruböck Rechtsanwälte OEG in Baden, wider die beklagte Partei Grazyna J*****, vertreten durch DDr. Christa Fries, Rechtsanwältin in Baden als Verfahrenshelferin, wegen Einwendungen gegen den Anspruch (§ 35 EO; Streitwert 1.555,13 EUR sA), infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt als Rekursgericht vom 22. Mai 2003, GZ 16 R 132/03f-9, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Baden vom 27. Jänner 2003, GZ 6 C 11/02h-5, bestätigt wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 300,10 EUR (darin 50,02 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Beklagte führt gegen den Kläger auf Grund des in Österreich am 29. Jänner 1999 für vollstreckbar erklärten Urteils des polnischen Bezirksgericht für die Hauptstadt Warschau in Warschau vom 21. Oktober 1997, Zl. XRC 463/96 , seit 29. Jänner 1999 Exekution zur Hereinbringung einer Unterhaltsforderung.

Der Kläger erhob a) beim zuständigen polnischen Bezirksgericht am 10. Jänner 2000 eine Feststellungsklage des Inhalts, die mit Urteil vom 21. Oktober 1997 festgesetzte Unterhaltsverpflichtung zugunsten seiner geschiedenen Ehegattin (Beklagten) sei erloschen, und b) beim Bezirksgericht Baden am 5. Dezember 2002 eine Oppositionsklage mit dem Begehren, die Ansprüche seiner geschiedenen Ehegattin (Beklagten) aus dem für vollstreckbar erklärten Urteil des polnischen Bezirksgericht (für die Hauptstadt) Warschau vom 21. Oktober 1997, Zl. XRC 463/96 , zu deren Hereinbringung am 29. Jänner 1999 die Exekution bewilligt worden sei, seien zur Gänze erloschen. Die Einkommensverhältnisse der Beklagten hätten sich entscheidend verbessert, jene des Klägers jedoch wesentlich verschlechtert. Die Beklagte erhob im österr. Verfahren die Einrede der Unzuständigkeit gemäß Art 21 LGVÜ.

Das Erstgericht sprach in Stattgebung dieser Einrede seine Unzuständigkeit aus und wies die Klage zurück. In beiden Verfahren seien die Parteien identisch; beide Rechtsstreitigkeiten hätten denselben Gegenstand, weshalb sich das später angerufene Gericht gemäß Art 21 LGVÜ für unzuständig zu erklären habe. Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss. Die Frage der Zuständigkeit sei nach dem LGVÜ zu beurteilen, weil Österreich und Polen Vertragsstaaten seien. Der Begriff "derselbe Anspruch" in Art 21 LGVÜ sei vertragsautonom auszulegen, wobei auf Gegenstand (Zweck der Klage) und Grundlage des Anspruchs (Sachverhalt und Rechtsvorschrift), auf welche die Klage gestützt werde, abgestellt werde. Beide Klagen seien hier auf Aufhebung eines Exekutionstitels gerichtet und beträfen daher denselben Anspruch iSd Art 21 LGVÜ. In beiden Verfahren erreiche der Kläger mit einem stattgebenden Urteil die Einstellung der anhängigen Exekution, weshalb die später eingebrachte Klage zurückzuweisen sei.

Rechtliche Beurteilung

Der von der zweiten Instanz - mit der Begründung, es fehle Rsp des Obersten Gerichtshofs zur Auslegung des Begriffs "derselbe Anspruch" in Art 21 LGVÜ bei einer auf Erlöschen des Unterhaltsanspruchs gerichteten negativen Feststellungs- und einer Oppositionsklage - zugelassene Revisionsrekurs des Klägers ist entgegen dem Ausspruch des Rekursgerichts, an den der Oberste Gerichtshof nicht gebunden ist, nicht zulässig.

Dass das LGVÜ, das (ebenso wie das EuGVÜ) dem nationalen Recht vorgeht (6 Ob 139/98d = RZ 1999/27 = ZfRV 1999/46), im vorliegenden Rechtsfall anzuwenden ist, ist unbestritten. Art 21 des hier anzuwendenden LGVÜ (gleichlautend Art 21 EuGVÜ) lautet:

"Werden bei Gerichten verschiedener Vertragsstaaten Klagen wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien anhängig gemacht, so setzt das später angerufene Gericht das Verfahren von Amts wegen aus, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht. Sobald die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht, erklärt sich das später angerufene Gericht zu Gunsten dieses Gerichts für unzuständig."

Zweck des Art 21 LGVÜ ist es, mehrere Verfahren über denselben Anspruch vor den Gerichten verschiedener Vertragsstaaten und demgemäß die Gefahr miteinander unvereinbarer und somit gemäß Art 27 Abs 3 LGVÜ nicht anerkennungsfähiger Urteile zu vermeiden (6 Ob 139/98d). Die Identität der Parteien in beiden Verfahren, überdies in identer Parteirollenverteilung, liegt hier vor. Der Begriff "derselbe Anspruch" ist ohne Rückgriff auf die nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten, sondern vertragsautonom (6 Ob 139/98d; vgl. zu Art 21 EuGVÜ auch 7 Ob 117/01h = SZ 74/110 = ZfRV 2002/12; Lüke/Wax, Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung2, Art 21 EuGVÜ Rz 5 mwN zur Rsp des EuGH zum EuGVÜ in FN 12; Hüßtege in Thomas/Putzo, dZPO25, Art 27 EuGVVO Rz 5 mwN aus der Rsp des EuGH u.a.) und überdies weit (6 Ob 139/98d; vgl. auch Lüke/Wax aaO Rz 6) auszulegen. Die Identität der Streitgegenstände ist gegeben, wenn beide Klagen dieselbe Grundlage und denselben Gegenstand betreffen. Die "Grundlage" des Anspruchs umfasst den Sachverhalt und die Rechtsvorschriften, auf die die Klage gestützt wird. Derselbe Gegenstand liegt im gemeinsamen Zweck, im Kernpunkt beider Rechtsstreitigkeiten ("Kernpunkt-Theorie") und bestimmt sich danach, welche Begehren im Mittelpunkt beider Verfahren stehen (6 Ob 139/98d; 7 Ob 117/01h; RIS-Justiz RS0111769; vgl. dazu auch Schlosser, EU-Zivilprozessrecht, Art 27 EuGVVO Rz 2 ff mwN). Die Beurteilung der Vorinstanzen, dass mit der österr. Oppositionsklage derselbe Anspruch geltend gemacht werde wie im polnischen Verfahren, folgt dieser Rsp. Zutreffend erkannte auch die zweite Instanz, dass die Einstellung der Anlassexekution nach § 35 Abs 4 EO nur die Folge des dem Klagebegehren stattgebenden Urteils, nicht aber der alleinige Zweck der Klage ist. Nach der nunmehr stRsp (zuletzt 3 Ob 150/03k; RIS-Justiz RS0001674) verfolgt die Oppositionsklage als Ziel sowohl die Feststellung des Erlöschens (der Hemmung) des Anspruchs als auch die Unzulässigerklärung jeglicher Zwangsvollstreckung aus dem Exekutionstitel ("Kombinationstheorie"). Art 21 LGVÜ legt für konkurierende Verfahren den Vorrang der zuerst erhobenen Klage fest ("Prioritätsprinzip"), der hier unbestritten der in Polen erhobenen Klage zukommt.

Für die allein maßgebliche vertragsautonome Auslegung sind Fragen des Streitgegenstands nach österr. Recht bedeutungslos, weshalb der Revisionsrekurs der klagenden Partei mangels Vorliegens von Rechtsfragen erheblicher Bedeutung (§ 528 Abs 1 ZPO) zurückzuweisen ist.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat in ihrer Revisionsrekursbeantwortung auf die Unzulässigkeit des gegnerischen Revisionsrekurses hingewiesen.

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