OGH 6Ob139/98d

OGH6Ob139/98d25.2.1999

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schiemer, Dr. Prückner, Dr. Schenk und Dr. Fellinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Eugen L*****, vertreten durch Dr. Christian Slana, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagte Partei B*****, vertreten durch Dr. Rupert Wolff, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen Lit 24,907.935,-- (174.355,55 öS), infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Rekursgerichtes vom 9. Februar 1998, GZ 6 R 9/98f-10, womit infolge Rekurses der klagenden Partei der Beschluß des Landesgerichtes Linz vom 23. Oktober 1997, GZ 4 Cg 165/97w-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat der beklagten Partei die mit 9.135,-- S (darin 1.522,50 S Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Zwischen den Parteien wurde mit Handelsvertretervertrag vom 22. 12. 1993 bzw 26. 1. 1994 rückwirkend mit 1. 11. 1993 auf vorläufig unbestimmte Zeit ein Handelsvertreterverhältnis begründet. Gerichtsstand für etwaige Rechtsstreitigkeiten ist nach dem Vertrag der Sitz des Klägers. Die beklagte Partei erklärte unter Einhaltung der vereinbarten sechsmonatigen Kündigungsfrist die Auflösung des Handelsvertreterverhältnisses zum 31. 10. 1996.

Mit der am 4. 6. 1997 beim Erstgericht eingebrachten Klage begehrt der Kläger offene Provisionen für vermittelte Geschäfte in Höhe von Lit 7,326.408,-- sowie einen Ausgleichsanspruch nach § 24 HVertrG in Höhe von Lit 17,581.528,--, insgesamt somit die Zahlung von Lit 24,907.935,-- sA.

Die beklagte Partei wendete die internationale sowie die örtliche und sachliche Unzuständigkeit des angerufenen Gerichtes mit der Begründung ein, daß sie am 15. 1. 1997 beim Bezirksgericht Monza (Italien) eine Klage gegen den nunmehrigen Kläger eingebracht habe. Nach dem Urteilsantrag dieser Klage solle festgestellt werden, daß die Aufhebung des Handelsvertretervertrages mit dem Kläger aus triftigem Grund erfolgt sei, dem Kläger daher keine Entschädigung zustehe und der Kläger zu Schadenersatzleistungen an die beklagte Partei verpflichtet sei. Diese Klage sei dem Kläger am 20. 2. 1997 zugestellt worden. Mit der am 18. 6. 1997 eingebrachten Klagebeantwortung habe sich der Kläger in den Streit eingelassen und die Abweisung der Klage beantragt. Nach dem auf den gegenständlichen Rechtsstreit anzuwendenden Art 21 des Übereinkommens von Lugano (LGVÜ) habe das zeitlich zuerst angerufene Gericht Vorrang und das später angerufene Gericht habe sich bei feststehender Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichtes für unzuständig zu erklären.

Der Kläger hielt dem entgegen, daß zwischen den Parteien eine Zuständigkeitsvereinbarung im Sinne des Art 17 LGVÜ getroffen worden sei und daher das vereinbarte Gericht ausschließlich zuständig sei. Zwischen einer Leistungsklage und einer negativen Feststellungsklage bestehe nach ständiger Rechtsprechung keine Streitidentität.

Das Erstgericht wies die Klage mangels internationaler Zuständigkeit zurück. Es vertrat die Auffassung, daß das beim Bezirksgericht Monza anhängige Verfahren "denselben Anspruch" im Sinne des Art 21 LGVÜ wie im vorliegenden Verfahren betreffe, weshalb die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Bezirksgerichtes Monza und die Unzuständigkeit des Erstgerichtes gegeben sei.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Klägers nicht Folge. Es teilte die Auffassung des Erstgerichtes, daß das LGVÜ unmittelbar anwendbar sei und das nationale Recht verdränge. Hinsichtlich der Frage, ob die Klagen "wegen desselben Anspruchs" anhängig seien, stelle der EuGH auf den Gegenstand und die Grundlage des Anspruchs ab. Dieselbe Grundlage hätten unter anderem zwei Rechtsstreitigkeiten, welche auf demselben Vertragsverhältnis beruhten. Derselbe Gegenstand liege im gemeinsamen Zweck, im Kernpunkt beider Rechtsstreitigkeiten und bestimme sich danach, welche Begehren im Mittelpunkt beider Verfahren stünden. Soweit der Kläger Ausgleichsansprüche gemäß § 24 HVertrG begehre, liege der für die Anwendbarkeit des Art 21 LGVÜ notwendige gemeinsame Kernpunkt dieses Klagebegehrens sowie der Klage auf Feststellung der Vertragsauflösung aus wichtigem Grund und des daraus resultierenden Schadenersatzanspruches vor dem Bezirksgericht Monza im Auflösungsgrund des Handelsvertretervertrages. Dieses Auslegungsergebnis nehme auch darauf Bedacht, daß Art 21 LGVÜ den Zweck verfolge, nach Möglichkeit eine Nichtanerkennung einer Entscheidung wegen Unvereinbarkeit mit einer Entscheidung, die zwischen denselben Parteien im Anerkennungsstaat ergangen ist, zu verhindern. Das Erstgericht habe daher das Klagebegehren im Umfang der vom Kläger geltend gemachten Ausgleichsansprüche zutreffend mangels Vorliegens der inländischen Gerichtsbarkeit zurückgewiesen. Hinsichtlich des vom Kläger weiters geltend gemachten Provisionsanspruches sei im Hinblick auf die Höhe dieses Begehrens (umgerechnet ca 52.000 S) die sachliche Zuständigkeit des Erstgerichtes nicht gegeben, weshalb die Klage auch in diesem Umfang vom Erstgericht zu Recht zurückgewiesen worden sei. Der Revisionsrekurs an den Obersten Gerichtshof sei zulässig, weil zur Frage der Auslegung des Art 21 LGVÜ eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes fehle.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht angeführten Grund zulässig; er ist aber nicht berechtigt.

Es ist zwischen den Parteien nicht strittig, daß das Übereinkommen von Lugano (LGVÜ) auf die am 4. 6. 1997 beim Erstgericht eingelangte Klage anzuwenden ist. Das Übereinkommen geht dem nationalen Recht vor. Es ist für die Beurteilung der internationalen Zuständigkeit ausschließlich maßgebend. Gemäß Protokoll Nr 2 über die einheitliche Auslegung des Lugano-Übereinkommens sind einerseits sämtliche bis 16. 9. 1988 zu den gleichlautenden Bestimmungen des EuGVÜ ergangenen Entscheidungen des EuGH als authentische Interpretation anzusehen und ist anderseits die maßgebliche Rechtsprechung sowohl der Gerichte aus den Staaten der EG als auch denen der EFTA gebührend zu berücksichtigen. Darüber hinaus ist bei Auslegung des LGVÜ den Grundsätzen gebührend Rechnung zu tragen, die sich aus der Rechtsprechung des EuGH zu den parallelen Bestimmungen des EuGVÜ ergeben, wobei insgesamt die für die Auslegung des EuGVÜ geltenden methodischen Grundsätze auch für die Auslegung des LGVÜ herangezogen werden können (Kropholler, Europäisches Zivilprozeßrecht6 Einl Rz 59 ff; SZ 70/162; 1 Ob 319/97m).

Werden bei Gerichten verschiedener Vertragsstaaten Klagen wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien anhängig gemacht, so setzt das später angerufene Gericht gemäß Art 21 LGVÜ das Verfahren von Amts wegen aus, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht. Sobald die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht, erklärt sich das später angerufene Gericht zugunsten dieses Gerichts für unzuständig.

Strittig ist im vorliegenden Fall nur, ob die beim Bezirksgericht Monza anhängige Klage "denselben Anspruch" im Sinn des Art 21 LGVÜ wie die gegenständliche Klage betrifft. Nach der Rechtsprechung des EuGH zur gleichlautenden Bestimmung des Art 21 EuGVÜ ist der Begriff "derselbe Anspruch" nicht nach dem jeweiligen nationalen Prozeßrecht, sondern vertragsautonom auszulegen. Zweck des Art 21 ist es, mehrere Verfahren hinsichtlich desselben Anspruchs vor den Gerichten verschiedener Vertragsstaaten und demgemäß die Gefahr miteinander unvereinbarer und somit gemäß Art 27 Nr 3 nicht anerkennungsfähiger Urteile zu vermeiden. Der EuGH postuliert daher einen weiten Verfahrensgegenstandsbegriff. Auch wenn die deutsche Fassung des Art 21 nicht ausdrücklich zwischen den Begriffen "Gegenstand" und "Grundlage" des Anspruchs unterscheidet, so ist sie doch im gleichen Sinn zu verstehen wie die Fassungen in den anderen Sprachen, die alle diese Unterscheidung treffen. Identität der Streitgegenstände ist somit gegeben, wenn beide Klagen dieselbe Grundlage und denselben Gegenstand betreffen. Die "Grundlage" des Anspruchs umfaßt den Sachverhalt und die Rechtsvorschriften, auf die die Klage gestützt wird. Dieselbe Grundlage haben unter anderem zwei auf demselben Vertragsverhältnis beruhende Rechtsstreitigkeiten. Derselbe Gegenstand liegt im gemeinsamen Zweck, im Kernpunkt beider Rechtsstreitigkeiten und bestimmt sich danach, welche Begehren im Mittelpunkt beider Verfahren stehen (vgl EuGH 8. 12. 1997, RsC-144/86 , Gubisch Maschinenfabrik/Palumbo; EuGH 6. 12. 1994, RsC-406/92 , The Tatry/The Maciej Rataj).

Entsprechend dieser Auslegung sah der EuGH in seiner Entscheidung vom 8. 12. 1987, RsC-144/86 , von Art 21 den konkreten Fall erfaßt, daß eine Partei vor dem Gericht eines Vertragsstaates die Feststellung der Unwirksamkeit oder die Auflösung eines internationalen Kaufvertrags begehrte, während die andere Partei vor dem Gericht eines anderen Vertragsstaates auf Erfüllung desselben Vertrages klagte. Ferner ist der gleiche Gegenstand betroffen, wenn vor dem Gericht eines Vertragsstaates die Feststellung der Unwirksamkeit eines Vertrages und vor dem Gericht eines anderen Vertragsstaates die Rückgewähr einer aufgrund dieses Vertrages erbrachten Leistung begehrt wird, weil Kernpunkt der Streitigkeit jeweils die Unwirksamkeit des Vertrages ist (EuGH 6. 12. 1994, RsC-406/92 ). Konsequenz dieser Rechtsprechung des EuGH ist, daß es auf die Art der Klagen und die Reihenfolge ihrer Geltendmachung nicht ankommt. Vielmehr bildet nur das Vorliegen desselben Anspruchs - daher desselben Gegenstandes und derselben Grundlage - das Kriterium, ob Streitanhängigkeit durch eine bereits früher erhobene Feststellungsklage gegenüber der später erhobenen Leistungsklage und umgekehrt gegeben ist. Es hat daher nicht nur die früher erhobene Leistungsklage Vorrang vor einer späteren Feststellungsklage, sondern auch umgekehrt die frühere (negative) Feststellungsklage vor der späteren Leistungsklage (vgl Kropholler aaO Rz 7 f; Geimer-Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht Rz 29 ff zu Art 21; Gaedke, Konkurrenz inländischer und ausländischer Verfahren - Tatbestand und Rechtsfolgen der internationalen Streitanhängigkeit nach dem LGVÜ, ÖJZ 1997, 286 ff [289] jeweils mwN ua). Von diesem Grundsatz besteht auch keine Ausnahme, wenn das Zweitgericht aufgrund einer Gerichtsstandsvereinbarung gemäß Art 17 ausschließlich zuständig ist. Das prorogierte Zweitgericht muß auch in diesem Fall das vor ihm anhängige Verfahren gemäß Art 21 aussetzen bzw sich für unzuständig erklären, sobald die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht. Art 17 verdrängt den Art 21 nicht (vgl Kropholler aaO Rz 18 zu Art 21 mwN).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat bereits das Rekursgericht zutreffend darauf hingewiesen, daß im Umfang des vom Kläger geltend gemachten Ausgleichsanspruches nach § 24 HVertrG eine Identität der Streitgegenstände in den beiden Verfahren vorliegt. Der vom Kläger im gegenständlichen Verfahren begehrte Ausgleichsanspruch besteht nämlich gemäß § 24 Abs 3 Z 2 HVertrG nicht, wenn die beklagte Partei das Vertragsverhältnis wegen eines schuldhaften, einen wichtigen Grund nach § 22 darstellenden Verhaltens des Handelsvertreters gekündigt oder vorzeitig aufgelöst hat. Diese Frage bildet jedoch bereits den Gegenstand des vor dem Bezirksgericht Monza anhängigen Verfahrens. Damit bestünde die Gefahr, daß in dieser Frage in zwei Mitgliedstaaten miteinander unvereinbare Entscheidungen ergehen könnten. Dies soll aber nach der Rechtsprechung des EuGH durch Art 21 EuGVÜ (= LGVÜ) verhindert werden. Die von der klagenden Partei in ihrem Revisionsrekurs angesprochene Gefahr des Mißbrauchs durch rasche Erhebung einer negativen Feststellungsklage vor Rechtshängigkeit einer Leistungsklage ist durch die Erfordernisse der innerstaatlichen Verfahrensrechte beschränkt (vgl Czernich/Tiefenthaler, Die Übereinkommen von Lugano und Brüssel Rz 11 zu Art 21). Entgegen der Ansicht des Klägers kommt auch, wie bereits erwähnt, einer Zuständigkeitsvereinbarung im Sinn des Art 17 LGVÜ kein Vorrang gegenüber der Regelung des Art 21 LGVÜ zu. Die Richtigkeit der Rechtsansicht des Rekursgerichtes, daß hinsichtlich der vom Kläger weiters geltend gemachten Provisionsansprüche im Hinblick auf die Höhe ihres Streitwertes die sachliche Zuständigkeit des Erstgerichtes nicht gegeben sei, wird im Revisionsrekurs ausdrücklich nicht in Zweifel gezogen. Da die Möglichkeit einer Überweisung des Rechtsstreits an das zuerst angerufene Gericht nicht besteht (vgl Kropholler aaO Rz 9 zu Art 22), erfolgte die Zurückweisung der Klage zu Recht. Das Rechtsmittel muß deshalb erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

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