Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass dem Antrag der Erlagsgegnerin auf Ausfolgung des Erlagsbetrages von EUR 16.162,92 stattgegeben wird. Die Auszahlungsanordnung obliegt dem Erstgericht.
Text
Begründung
Mit Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 23. 5. 2002 wurde die Entschädigung der nunmehrigen Erlagsgegnerin für eine im Zuge der Errichtung der Landesstraße Nr 379 erfolgte Enteignung mit EUR 16.162,92 bestimmt. Dieser Betrag wurde gemäß § 50 Abs 4 des Steiermärkischen Landes-Straßenverwaltungsgesetzes 1964 (Stmk. LStVG 1964) iVm § 1425 ABGB gerichtlich hinterlegt, da nach dem Vorbringen des den Erlag beantragenden Landes ua mit der Erlagsgegnerin als Liegenschaftseigentümerin hinsichtlich deren Grundstücksinanspruchnahme sowie Höhe der Entschädigung kein Übereinkommen getroffen habe werden können und diese die Annahme verweigere.
In der Folge erklärte die Erlagsgegnerin unter Hinweis darauf, einen Antrag auf Neufestsetzung des Entschädigungsbetrages bereits gestellt zu haben, den auf sie entfallenden Erlag als Teilzahlung anzunehmen und beantragte, diesen auf ihr Konto zu überweisen. Die Erlegerin erklärte sich mit einer Ausfolgung nur unter der Voraussetzung einverstanden, dass die Erlagsgegnerin die festgesetzte Entschädigung in Höhe des Erlagsbetrages akzeptiere und den Antrag auf Neufestsetzung des Entschädigungsbetrages zurückziehe, was die Erlagsgegnerin aber verweigerte.
Das Erstgericht wies hierauf den Ausfolgungsantrag ab. Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Erlagsgegnerin nicht Folge und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil zwar eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes zur maßgeblichen Rechtsfrage vorliege (SZ 61/97), diese jedoch von der Lehre (Rummel in JBl 1994, 390) bekämpft worden sei und die dort geäußerten Argumente von Gewicht seien, sodass eine Abänderung dieser oberstgerichtlichen (im Übrigen auch zum Bundesstraßengesetz ergangenen) Rechtsprechung nicht auszuschließen sei. Gegen diese Entscheidung richtet sich der auf den Rechtsmittelgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Revisionsrekurs der Erlagsgegnerin mit dem Antrag, in Stattgebung ihres Rechtsmittels ihrem Ausfolgungsantrag stattzugeben.
Die Erlegerin hat in Einräumung des ihr freigestellten Rechtes auf Einbringung einer Gegenäußerung eine solche erstattet und hierin beantragt, den Revisionsrekurs als unzulässig zurückzuweisen, in eventu ihm nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt.
In der vom Rekursgericht zitierten Entscheidung 5 Ob 521/88 (SZ 61/97 = EvBl 1989/34; RIS-Justiz RS0053644) wurde die Rechtsansicht vertreten, der Antrag des Enteigneten auf Ausfolgung des gerichtlich hinterlegten Entschädigungsbetrags sei abzuweisen, wenn er in der Zwischenzeit die Entscheidung des Gerichts begehrt habe, weil der Erlagsgegner durch Anrufung des Gerichts zwecks Festsetzung der Enteignungsentschädigung das Außerkrafttreten des diese Summe festsetzenden Teils des Enteignungsbescheids bewirkt habe und deshalb der Rechtstitel, unter dem der Erleger seinerzeit die Beträge erlegt habe, nicht mehr existiere. Aus diesem Grunde sei eine Ausfolgung unter Anerkennung des Rechtsgrunds des Erlags begrifflich nicht mehr möglich.
Dieser Rechtsmeinung wurde von Rummel, Zur Hinterlegung der Entschädigung bei Enteignung nach dem Bundesstraßengesetz, JBl 1994, 390 widersprochen. Die verzögerte Ausfolgung des Entschädigungsbetrags - erst nach Abschluss des gerichtlichen Verfahrens - könne für einen Enteigneten allenfalls ruinös sein; der wirtschaftliche Druck, der beim Enteigneten allenfalls bewirkt werde, sei mit der Zielsetzung des Eisenbahnenteignungsgesetzes (EisbEG), auf das § 20 BStG mehrfach verweise, unvereinbar. Werde der Erlagsbetrag vorläufig "eingefroren", könne er also weder an den Erlagsgegner noch an den Erleger ausgefolgt werden, so widerspräche dies dem einem Enteignungsverfahren immanenten generellen Prinzip, dass die Zahlung der Entschädigungssumme und der Vollzug der Enteignung Zug um Zug zu erfolgen hätten. Die in der Entscheidung SZ 61/97 verwendeten Argumente seien rein formaler Natur; es finde sich keine sachliche Rechtfertigung dafür, warum der Enteignete nicht trotz eines Neufestsetzungsantrags die von der Behörde ermittelte Entschädigungssumme sofort erhalten könnte.
Der Oberste Gerichtshof hatte sich erst jüngst zu 1 Ob 263/03p in einem dem vorliegenden ganz vergleichbaren Fall derselben Enteignungssache eines anderen betroffenen Erlagsgegners, in dem ebenfalls die Bestimmungen des Stmk. LStVG 1964 maßgeblich waren, mit dieser Frage auseinanderzusetzen und hat sich nunmehr der Auffassung Rummels angeschlossen: Gewiss sei der Bescheid der Behörde im Ausspruch über die Höhe der zu leistenden Entschädigung mit dem Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts gemäß § 50 Abs 3 LStVG 1964 außer Kraft getreten. Das bedeute aber nicht, dass die Enteignung rückgängig gemacht worden wäre; vielmehr könne ein rechtskräftiges Enteignungserkenntnis gemäß § 50 Abs 4 LStVG 1964 im Falle des Erlags des von der Behörde ermittelten Entschädigungsbetrags sogar vollzogen werden. Lediglich die Höhe der zu leistenden Entschädigung sei aufgrund der Bestimmung des § 50 Abs 3 LStVG 1964 völlig offen, wenn die gerichtliche Entscheidung begehrt werde. Es stehe aber fest, dass eine Entschädigung zu leisten sei, die dem Enteigneten, der aufgrund des massiven Eingriffs in seine Rechte besonders schützenswert sei, raschestmöglich zukommen solle. Die im Enteignungserkenntnis zu beziffernde Entschädigung werde aufgrund der Schätzung beeideter unparteiischer Sachverständiger ermittelt (§ 50 Abs 2 LStVG 1964), weshalb nicht von vornherein davon ausgegangen werden könne, dass die Entschädigung willkürlich zu hoch oder zu niedrig festgesetzt worden sei. Müsste in der Folge, wenn die Entschädigung vom Gericht niedriger als im Enteignungserkenntnis festgesetzt werden sollte, der Enteignete einen Teil des ihm ausgefolgten Betrags zurückzahlen, so rechtfertigte es ein solcher (eher seltener) Verfahrensgang noch nicht, dem Enteigneten die Auszahlung einer wenn auch nur vorläufig behördlich festgelegt gewesenen Entschädigungssumme unter Umständen langfristig zu verwehren und ihn so gegebenenfalls großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten auszusetzen. Der Erleger habe als Erlagsgrund genannt, dass über die Höhe der Enteignungsentschädigung kein Übereinkommen im Sinne des EisbEG habe getroffen werden können und dass die Erlagsgegner die Annahme des Erlagsbetrags verweigert hätten. Letzterer Grund sei jedenfalls weggefallen, zumal die Erlagsgegner die erlegte Summe nunmehr - wenngleich zulässigerweise (SZ 44/149) nur als Teilzahlung - beanspruchten. Sinn der die Enteignung selbst und die Höhe der Enteignungsentschädigung regelnden Bestimmungen des Stmk. LStVG 1964 könne es aber nicht sein, dem Enteigneten die von der Behörde selbst festgelegte Summe - nicht selten jahrelang - vorzuenthalten, nur weil er sich nicht bereit finde, mangels eines ihm ausreichend erscheinenden Angebots über die Höhe der Entschädigung ein Übereinkommen zu treffen oder sich mit der im Enteignungsbescheid genannten Summe abzufinden, obwohl ihm die Möglichkeit gegeben sei, die Höhe der zu leistenden Entschädigung gerichtlich festsetzen zu lassen. Entgegen der in SZ 61/97 vertretenen Ansicht existiere insofern noch immer ein Erlagstitel, als die Enteignung stattgefunden habe und lediglich die Höhe der Enteignungsentschädigung strittig sei. Dass eine solche zu leisten sei, könne aber angesichts der Enteignung nicht bezweifelt werden, sodass der erlegte Betrag an die Erlagsgegner ausgefolgt werden könne, weil diese den Rechtsgrund des Erlags - rechtskräftige Enteignung, strittige Entschädigung - durchaus dadurch anerkannt hätten, dass sie die Neufestsetzung der Entschädigung begehrt und den Erlagsbetrag lediglich als Teilzahlung in Anspruch genommen hätten. Der erkennende Senat hält diese Ausführungen für zutreffend und schließt sich daher - wie inzwischen auch schon weitere Senate des Obersten Gerichtshofes in den Entscheidungen 9 Ob 9/04w, 7 Ob 19/04a, 2 Ob 298/03t und 2 Ob 10/04s - der zu 1 Ob 263/03p vertretenen Auffassung an.
In Stattgebung des Revisionsrekurses des Erlagsgegners waren die Entscheidungen der Vorinstanzen daher spruchgemäß abzuändern. Die Formulierung der Auszahlungsanordnung bleibt dem Erstgericht zu übertragen.
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