OGH 9Ob9/04w

OGH9Ob9/04w11.2.2004

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling, Dr. Hradil, Dr. Hopf und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Erlagssache des Erlegers Land Steiermark, vertreten durch Griss & Partner, Rechtsanwälte in Graz, wider den Erlagsgegner Heinz H*****, vertreten durch Dr. Alfred Lind und Dr. Klaus Rainer, Rechtsanwälte in Graz, wegen Ausfolgung eines gerichtlichen Erlags (EUR 98.406,14), infolge ordentlichen Revisionsrekurses des Erlagsgegners gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 18. November 2003, GZ 5 R 240/03f-15, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 6. Oktober 2003, GZ 16 Nc 1035/02i-12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Ausfolgung des erlegten Betrages von EUR 98.406,14 an den Erlagsgegner bewilligt wird, wobei die Formulierung der Auszahlungsanordnung dem Erstgericht obliegt.

Text

Begründung

Im Zuge einer Enteignung bestimmte die Landesregierung des Erlegers die Höhe der dem Erlagsgegner gebührenden Entschädigung mit EUR 98.406,14. Dieser Betrag wurde gerichtlich hinterlegt, weil der Erlagsgegner mit der Höhe der Entschädigung nicht einverstanden war und - so das Vorbringen des Erlegers - deren Annahme verweigerte. Der Erlagsgegner erklärte, den Erlag als Teilzahlung anzunehmen, und ersuchte um Ausfolgung durch Überweisung auf ein Bankkonto; ein Antrag auf Neufestsetzung des Entschädigungsbetrags sei bereits gestellt worden. Der Erleger erklärte sich mit einer Ausfolgung nur unter der Voraussetzung einverstanden, dass sich der Erlagsgegner mit der in der Höhe des Erlagsbetrags festgesetzten Entschädigung einverstanden erklärt und den Antrag auf Neufestsetzung des Entschädigungsbetrags zurückzieht.

Das Erstgericht wies den Ausfolgungsantrag ab.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für zulässig. Während nach dem EisbEG die Enteignungsentschädigung mangels Einigung sogleich vom Gericht festgesetzt werde und eine Hinterlegung nur in den Fällen des § 1425 ABGB sowie dann in Betracht komme, wenn und insoweit der Entschädigungsbetrag zur Befriedigung der dritten Personen aufgrund ihrer dinglichen Rechte zustehenden Ansprüche zu dienen habe, sehe das LStVG zur Festsetzung der Entschädigungssumme eine sukzessive Kompetenz vor. Nach § 20 LStVG sei über die Notwendigkeit, den Gegenstand und Umfang der Enteignung zu entscheiden, wobei das Enteignungserkenntnis nach Abs 2 zugleich eine Bestimmung über die Höhe der Entschädigung zu enthalten habe. Nach Abs 3 könne jeder der beiden Teile binnen 8 Wochen nach Rechtskraft des Enteignungsbescheides eine gerichtliche Entscheidung über die Höhe des Entschädigungsbetrags begehren. Mit Anrufung des Gerichts trete die verwaltungsbehördliche Entscheidung über die Höhe der Entschädigung außer Kraft (§ 50 Abs 3 LStVG). Über die Voraussetzungen und den Zeitpunkt der möglichen Ausfolgung einer ausschließlich im Interesse der erlegenden Behörde erlegten Entschädigungssumme enthalte das Gesetz keine Bestimmungen. Nach höchstgerichtlicher Rechtsprechung (SZ 61/97) werde aus der Tatsache, dass durch Anrufung des Gerichtes zur Neufestsetzung der Enteignungsentschädigung der diese festsetzende Teil des Enteignungsbescheids außer Kraft trete, abgeleitet, dass damit der Rechtstitel, unter dem die Erlegerin seinerzeit die Beträge erlegte, außer Kraft getreten und damit der Ausfolgungsantrag des Gegners wegen Wegfalls des Titels für den Erlag abzuweisen sei. Erst durch das die Festsetzung der Entschädigung betreffende außerstreitige gerichtliche Verfahren werde über den erlegten Betrag endgültig entschieden. Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil zur maßgeblichen Rechtsfrage eine - zum Bundesstraßengesetz ergangene - Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vorliege, die jedoch von der Lehre vor allem wegen der damit für den Enteigneten häufig unzumutbaren Folgen als "rein formal" bekämpft werde; auch angesichts der zu 6 Ob 2327/96s ergangenen Entscheidung könne ein Abgehen von der bisherigen oberstgerichtlichen Rechtsprechung nicht ausgeschlossen werden.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt.

In jüngster Zeit hat sich der Oberste Gerichtshof zu 1 Ob 263/03p mit der vorliegenden Frage beschäftigt und ist in seiner Entscheidung vom 16. 12. 2003 der Kritik der Lehre gefolgt. Der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung an.

In der Entscheidung SZ 61/97 wurde ausgeführt, dass der Antrag des Enteigneten auf Ausfolgung des gerichtlich hinterlegten Entschädigungsbetrags abzuweisen sei, wenn er in der Zwischenzeit die Entscheidung des Gerichts begehrt habe. Dies wurde im Wesentlichen damit begründet, dass der Erlagsgegner durch Anrufung des Gerichts zwecks Festsetzung der Enteignungsentschädigung das Außerkrafttreten des diese Summe festsetzenden Teils des Enteignungsbescheids bewirkt habe und deshalb der Rechtstitel, unter dem der Erleger seinerzeit die Beträge erlegt habe, nicht mehr existiere. Aus diesem Grunde sei eine Ausfolgung unter Anerkennung des Rechtsgrunds des Erlags begrifflich nicht mehr möglich.

Diese Entscheidung wurde von Rummel in JBl 1994, 390 ("Zur Hinterlegung der Entschädigung bei Enteignung nach dem Bundesstraßengesetz") mit auch nach Ansicht des erkennenden Senats schlagenden Argumenten kritisiert. Er zeigte auf, dass die verzögerte Ausfolgung des Entschädigungsbetrages - erst nach Abschluss des gerichtlichen Verfahrens - für einen Enteigneten allenfalls ruinös sein könne und der wirtschaftliche Druck, der beim Enteigneten bewirkt werde, mit der Zielsetzung des Eisenbahnenteignungsgesetzes (EisbEG), auf das § 20 BStG - ebenso wie übrigens § 50 LStVG - mehrfach verweise, unvereinbar sei. Werde der Erlagsbetrag vorläufig "eingefroren", könne er also weder an den Erlagsgegner noch an den Erleger ausgefolgt werden, so widerspreche dies dem einen Enteignungsverfahren immanenten generellen Prinzip, dass die Zahlung der Entschädigungssumme und der Vollzug der Enteignung Zug um Zug zu erfolgen hätten. Die in der Entscheidung SZ 61/97 verwendeten Argumente seien rein formaler Natur; es finde sich keine sachliche Rechtfertigung dafür, warum der Enteignete nicht trotz eines Neufestsetzungsantrages die von der Behörde ermittelte Entschädigungsumme sofort erhalten könne.

Der erkennende Senat pflichtet den Ausführungen Rummels bei. Gewiss ist der Bescheid der Behörde im Ausspruch über die Höhe der zu leistenden Entschädigung mit dem Zeitpunkt der Anrufung des Gerichtes gemäß § 50 Abs 3 LStVG 1964 außer Kraft getreten. Das bedeutet aber nicht, dass die Enteignung rückgängig gemacht worden wäre; vielmehr kann ein rechtskräftiges Enteignungserkenntnis gemäß § 50 Abs 4 LStVG 1964 im Falle des Erlags des von der Behörde ermittelten Entschädigungsbetrags sogar vollzogen werden. Lediglich die Höhe der zu leistenden Entschädigung ist aufgrund der Bestimmung des § 50 Abs 3 LStVG 1964 völlig offen, wenn die gerichtliche Entscheidung begehrt wird. Es steht aber fest, dass eine Entschädigung zu leisten ist, die dem Enteigneten, der aufgrund des massiven Eingriffs in seine Rechte besonders schützenswert ist, raschestmöglichst zukommen soll. Die im Enteignungserkenntnis zu beziffernde Entschädigung wird aufgrund der Schätzung beeideter unparteiischer Sachverständiger ermittelt (§ 50 Abs 2 LStVG 1964), weshalb nicht von vornherein davon ausgegangen werden kann, dass die Entschädigung willkürlich zu hoch oder zu niedrig festgesetzt worden sei. Müsste in der Folge, wenn die Entschädigung vom Gericht niedriger als im Enteignungserkenntnis festgesetzt werden sollte, der Enteignete einen Teil des ihm ausgefolgten Betrags zurückzahlen, so rechtfertigte es ein solcher (eher seltener) Verfahrensgang noch nicht, dem Enteigneten die Auszahlung einer wenn auch nur vorläufig behördlich festgelegt gewesenen Entschädigungssumme unter Umständen langfristig zu verwehren und ihn so allenfalls großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten auszusetzen.

Der Erleger nannte als Erlagsgrund, dass über die Höhe der Enteignungsentschädigung kein Übereinkommen im Sinne des EisbEG habe getroffen werden können und dass die Erlagsgegner die Annahme des Erlagsbetrags verweigert hätten. Letzterer Grund ist jedenfalls weggefallen, zumal die Revisionsrekurswerber die erlegte Summe nunmehr - wenngleich zulässigerweise (SZ 44/149) nur als Teilzahlung - beanspruchen. Sinn der die Enteignung selbst und die Höhe der Enteignungsentschädigung regelnden Bestimmungen des LStVG 1964 kann es aber nicht sein, dem Enteigneten die von der Behörde selbst festgelegte Summe - nicht selten Jahre lang - vorzuenthalten, nur weil er sich nicht bereit findet, mangels eines ihm ausreichend scheinenden Angebots über die Höhe der Entschädigung ein Übereinkommen zu treffen oder sich mit der im Enteignungsbescheid genannten Summe abzufinden, obwohl ihm die Möglichkeit gegeben ist, die Höhe der zu leistenden Entschädigung gerichtlich festsetzen zu lassen. Entgegen der in SZ 61/97 vertretenen Ansicht existiert insofern noch immer ein Erlagstitel, als die Enteignung stattgefunden hat und lediglich die Höhe der Enteignungsentschädigung strittig ist. Dass eine solche zu leisten ist, kann aber angesichs der Enteignung nicht bezweifelt werden, sodass der erlegte Betrag an die Erlagsgegner ausgefolgt werden kann, weil diese den Rechtsgrund des Erlags - rechtskräftige Enteignung, strittige Entschädigung - durchaus dadurch anerkannten, dass sie die Neufestsetzung der Entschädigung begehrten und den Erlagsbetrag lediglich als Teilzahlung in Anspruch nahmen.

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