Spruch:
Der Antrag der Streitteile, das Bezirksgericht für Handelssachen Wien anstelle des Bezirksgerichtes Lienz zur Verhandlung und Entscheidung in dieser Rechtssache zu bestimmen, wird abgewiesen.
Text
Begründung
Die Klägerin brachte eine gerichtliche Aufkündigung beim Bezirksgericht Lienz ein und berief sich zur Begründung der örtlichen Zuständigkeit auf § 83 JN. Die Beklagte erhob Einwendungen und bestritt die örtliche Zuständigkeit. In der daraufhin anberaumten Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung trug die Klägerin die Aufkündigung vor, worauf die Beklagte die örtliche Zuständigkeit unter Hinweis auf eine Gerichtsstandsvereinbarung bestritt und im Übrigen wie zuvor schriftlich in ihren Einwendungen vorbrachte. Das Erstgericht schränkte das Verfahren auf die Frage der Zuständigkeitsprüfung (und der gleichfalls eingewendeten Streitverfangenheit) ein. Es wies sodann die von der Beklagten erhobenen Prozesseinreden zurück.
Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung, worauf die Parteien einvernehmlich den Antrag stellten, die Rechtssache an das Bezirksgericht für Handelssachen "abzutreten".
Das Bezirksgericht Lienz legte daraufhin den Delegierungsantrag dem Obersten Gerichtshof mit einer Äußerung nach § 31 Abs 3 JN zur Entscheidung vor. Die Delegierung an das Bezirksgericht für Handelssachen Wien sei zweckmäßig, weil sich die Parteien, Zeugen und Parteienvertreter im Großraum Wien befänden.
Rechtliche Beurteilung
§ 31a JN erlaubt es den Parteien im streitigen Verfahren, spätestens zu Beginn der mündlichen Streitverhandlung übereinstimmend zu beantragen, dass die Sache an ein Gericht gleicher Art übertragen wird. Voraussetzung dieser - ohne Zweckmäßigkeitsprüfung schon vom Erstgericht vorzunehmenden (RIS-Justiz RS0107459) - Übertragung der Zuständigkeit ist jedoch, dass der übereinstimmende Antrag spätestens am Beginn der mündlichen Streitverhandlung gestellt wird. Dies ist hier nicht geschehen. Zu Beginn der mündlichen Streitverhandlung hat die Klägerin ihre Kündigung vorgebracht, die Beklagte hat die Einwendung der örtlichen Unzuständigkeit erhoben und das Klagebegehren bestritten. Der gemeinsame Antrag auf Übertragung der Zuständigkeit wurde erst nach Beendigung des Zuständigkeitsstreits gestellt.
Ein verspätet gestellter Übertragungsantrag nach § 31a JN ist jedoch wie ein Antrag nach § 31 JN zu behandeln (Mayr in Rechberger, ZPO² § 31a JN Rz 1).
§ 31 Abs 1 JN ermöglicht die Delegierung zivilgerichtlicher Streitigkeiten an ein anderes Gericht gleicher Gattung. Nach ständiger Rechtsprechung ist ein Gericht gleicher Gattung im Sinn dieser Bestimmung nur ein Gericht, das im konkreten Fall sachlich zuständig sein könnte. Unter sachlicher Zuständigkeit ist nicht nur die Zugehörigkeit einer Rechtssache zu einem bestimmten Gerichtstyp (Bezirksgericht oder Gerichtshof erster Instanz), sondern auch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kausalgerichtsbarkeit (zB allgemeine Zivilsache oder Handelssache) zu verstehen (8 Ob 532/91; RIS-Justiz RS0046151). Der Oberste Gerichtshof hat bereits die Zulässigkeit einer Delegierung allgemeiner Zivilsachen an das Handelsgericht Wien verneint (8 Ob 668/89; 8 Ob 532/91; RIS-Justiz RS0046151).
Die Delegierung eines vor dem Bezirksgericht Lienz anhängigen Rechtsstreits wegen Aufkündigung eines Bestandvertrags an das Bezirksgericht für Handelssachen Wien im Wege des § 31 JN ist daher mangels der gesetzlichen Voraussetzungen unzulässig. Ob die hier angestrebte Delegierung aus den vom Vorlagegericht angestellten Überlegungen zweckmäßig wäre, muss daher offen bleiben. Der Delegierungsantrag wird abgewiesen.
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