Spruch:
Der Revision wird teilweise Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie einschließlich des bestätigten Teils zu lauten haben:
"Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei ab 1. 4. 1999 Pflegegeld der Stufe 2 im Ausmaß von monatlich S 3.688 (= EUR 268,02) zu gewähren, wobei dem Geriatriezentrum 'Am Wienerwald' als Kostenträger ab 1. 4. 1999 ein Pflegegeld in Höhe von S 3.119 (= EUR 226,67) und dem Kläger für die Dauer der Auszahlung der Pflegegeldleistungen an den Kostenträger ein Taschengeld in Höhe von 10 % des Pflegegeldes der Stufe 3, das sind S 569 (= EUR 41,35) monatlich ausbezahlt wird. Das Mehrbegehren auf Gewährung eines höheren Pflegegeldes wird abgewiesen."
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 333,12 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten EUR 55,52 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit Bescheid der beklagten Partei vom 29. 12. 1999 wurde dem Kläger aufgrund seines Antrages vom 29. 3. 1999 ab 1. 4. 1999 Pflegegeld der Stufe 2 in Höhe von monatlich S 3.688 (EUR 268,02) gewährt. Gleichzeitig wurde ausgesprochen, dass das Pflegegeld in der Höhe von S 3.119 (EUR 226,67) aufgrund des vorliegenden Antrages ab 1. 4. 1999 an das Geriatriezentrum "Am Wienerwald" als Kostenträger ausbezahlt wird und dem Kläger für die Dauer der Auszahlung an den Kostenträger der Pflegegeldleistungen ein Taschengeld in der Höhe von 10 % des Pflegegeldes der Stufe 3, das sind S 569 (EUR 41,35), gebührt. Schließlich wurde noch ausgesprochen, dass das Pflegegeld infolge stationären Aufenthaltes des Klägers im AKH ab 9. 7. 1999 bis 20. 7. 1999 und vom 14. 8. 1999 bis 19. 8. 1999 ruht.
Den vom Kläger selbst verfassten "Einspruch", welcher am 20. 1. 2000 bei Gericht einlangte, wertete das Erstgericht als eine auf die Gewährung eines höheren Pflegegeldes ab 1. 4. 1999 gerichtete Klage. Das Erstgericht wies mit Urteil vom 8. 8. 2001 ein Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei ein höheres Pflegegeld als das der Stufe 2 ab 1. April 1999 zu gewähren, ab. Es ging zusammengefasst davon aus, dass der Kläger bei einer funktionsbezogenen Beurteilung einen Pflegebedarf von durchschnittlich 93 Stunden monatlich habe, weshalb ihm lediglich Pflegegeld in der bescheidmäßig zuerkannten Höhe der Stufe 2 gebühre. Eine diagnosebezogene Mindesteinstufung nach § 4a Abs 1 WPGG komme hingegen nicht in Betracht, weil der Kläger zum selbständigen Gebrauch des Rollstuhles außer Haus nicht in der Lage sei. Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers keine Folge. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne einer Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist im Ergebnis teilweise berechtigt.
Die im angefochtenen Urteil enthaltene rechtliche Beurteilung der Sache, wonach dem Kläger kein die Pflegegeldstufe 2 übersteigendes Pflegegeld gebührt ist zutreffend, sodass gemäß § 510 Abs 3 zweiter Satz ZPO auf die Richtigkeit dieser Ausführungen verwiesen werden kann.
Den Revisionsausführungen ist noch folgendes entgegenzuhalten:
Strittig ist im Revisionsverfahren nur die Frage, ob der Kläger, dessen Pflegebedarf funktionsbezogen unstrittig zwar durchschnittlich mehr als 75 Stunden monatlich, aber nicht mehr als 120 Stunden monatlich beträgt (Stufe 2), aufgrund einer der im § 4a Abs 1 WPGG angeführten Diagnosen zu einer eigenständigen Lebensführung überwiegend auf den selbständigen Gebrauch eines Rollstuhles oder eines technischen adaptierten Rollstuhles angewiesen ist und daher diagnosebezogen mindestens ein Pflegebedarf entsprechend der Stufe 3 anzunehmen ist.
Eine diagnosebezogene Einstufung nach § 4a Abs 1 WPGG kommt somit ebenso wie bei der im Wesentlichen gleichlautenden Bestimmung des § 4a Abs 1 BPGG nur bei solchen Personen in Betracht, die "zu einer eigenständigen Lebensführung überwiegend auf den selbständigen Gebrauch eines Rollstuhles angewiesen sind". Nach den Gesetzesmaterialen (RV 1186, BlgNR 20. GP, 12), liegt eine derart schwere Beeinträchtigung der Gehfähigkeit, welche ein überwiegendes Angewiesensein auf den Gebrauch des Rollstuhles rechtfertigt, nur dann vor, wenn der Pflegebedürftige zur Fortbewegung "innerhalb und außerhalb der Wohnung" überwiegend auf den selbständigen Gebrauch eines Rollstuhles angewiesen ist (vgl SSV-NF 13/17; 10 ObS 165/99h; 10 ObS 184/99b; 10 ObS 181/01t ua). Ob der Kläger im Sinne dieser Ausführungen zu einer eigenständigen Lebensführung überwiegend auf den selbständigen Gebrauch eines Rollstuhles angewiesen ist, ist im vorliegenden Fall schon deshalb zweifelhaft, weil sich der Kläger nach der vom Berufungsgericht als unbedenklich übernommenen Feststellung des Erstgerichtes mit dem Rollstuhl außerhalb der Wohnung nicht selbständig fortbewegen kann.
Abgesehen davon soll nach der nunmehr für Rollstuhlfahrer im Gesetz (§ 4a BPGG; § 4a WPGG) geregelten Mindesteinstufung die diagnosebezogene Einstufung nicht nur auf das Hilfsmittel Rollstuhl abgestellt, sondern mit dem Vorliegen bestimmter Diagnosen verknüpft werden. Anhand medizinisch eindeutiger Diagnosen und den damit verbundenen Funktionsausfällen soll ein weitgehend gleichartiger Pflegebedarf von Betroffenen in Form einer Mindesteinstufung berücksichtigt werden. Als Abgrenzungskriterien werden die Ausfallserscheinungen bei bestimmten Krankheits- und Behinderungsmustern herangezogen. Die im Regelfall typischen Pflegemaßnahmen, die grundsätzlich auch bei der funktionellen Beurteilung des Pflegebedarfes relevant sind, werden dem Mobilitätsbedarf dieser Gruppen entsprechend berücksichtigt. So ist eine Mindesteinstufung in Stufe 3 dann gerechtfertigt, wenn aufgrund der konkreten angeführten Diagnosen eine derart schwere Beeinträchtigung der Gehfähigkeit vorliegt, dass der Pflegebedürftige, dessen obere Extremitäten hinsichtlich grober Kraft und Feinmotorik nicht betroffen sind und der daher selbständig einen Transfer in und aus dem Rollstuhl durchführen und einen mechanischen Rollstuhl selbständig und aktiv benützen kann, zur Fortbewegung innerhalb und außerhalb der Wohnung überwiegend auf den selbständigen Gebrauch eines Rollstuhles angewiesen ist (RV aaO; SSV-NF 14/55; 14/72 ua).
Es trifft zu, dass nach der soeben zitierten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (vgl auch 10 ObS 280/00z ua; RIS-Justiz RS0114271; RS0113660 [T1]; RS0111678 [T2]) auch die taxative Aufzählung der Diagnosen in § 4a Abs 1 BPGG (hier § 4a Abs WPGG) grundsätzlich analogiefähig ist, soweit der nicht besonders angeführte Fall alle motivierenden Merkmale der geregelten Fälle enthält und das Prinzip der Norm auch in einem ihrem Tatbestand ähnlichen Fall Beachtung fordert. Dies bedeutet, dass eine vom Kläger angestrebte analoge Anwendung der in § 4a WPGG normierten diagnosebezogenen Mindesteinstufung nur dann in Betracht kommt, wenn der Kläger eine der in dieser Gesetzesstelle ausdrücklich angeführten Diagnosen ihrem Inhalt nach vergleichbare und in ihren Auswirkungen gleichzusetzende Diagnose aufweist (vgl SSV-NF 14/55; 10 ObS 305/01b ua). Zutreffend hat bereits das Berufungsgericht darauf hingewiesen, dass der beim Kläger bestehende Verlust eines Beines den in § 4a Abs 1 WPGG aufgezählten Diagnosen (insb einer beidseitigen Beinamputation) nicht gänzlich gleichzusetzen ist. Soweit der Kläger demgegenüber davon ausgeht, dass jeder "aktive" Rollstuhlfahrer unabhängig vom Vorliegen bestimmter Diagnosen von der diagnosebezogenen Mindesteinstufung nach § 4a Abs 1 WPGG (bzw BPGG) erfasst sein soll, lässt er den klaren Gesetzeswortlaut und, wie bereits dargelegt, den damit übereinstimmenden ausdrücklich erklärten Willen des Gesetzgebers außer Betracht.
Es liegen daher nach zutreffender Rechtsansicht des Berufungsgerichtes im Falle des Klägers die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung der Bestimmungen über eine diagnosebezogene Mindesteinstufung nach § 4a WPGG nicht vor. Dem Kläger gebührt somit aufgrund funktionsbezogener Einstufung lediglich Pflegegeld in der bereits bescheidmäßig zuerkannten Höhe der Stufe 2. Die Revision ist im Ergebnis lediglich insoweit berechtigt, als die Vorinstanzen nicht beachtet haben, dass der bekämpfte Bescheid gemäß § 71 Abs 1 ASGG im Umfang des Klagebegehrens durch die Einbringung der Klage außer Kraft getreten ist und dass dies zur Folge hat, dass dem Klagebegehren insoweit stattzugeben gewesen wäre, als der Pflegegeldanspruch des Klägers nach dem Inhalt des Bescheides zu Recht besteht, weil das Urteil an die Stelle des Bescheides tritt und andernfalls keine rechtliche Grundlage für die Leistung des Pflegegeldes bestünde (Fink, Die sukzessive Zuständigkeit im Verfahren in Sozialrechtssachen 390 ff [399] mwN; ständige Rechtsprechung seit SSV-NF 1/18; jüngst etwa 10 ObS 133/00g; 10 ObS 314/01a ua). Das Ausmaß, in dem der Bescheid nach § 71 Abs 1 ASGG außer Kraft tritt, ist nach herrschender Auffassung im Interesse der Rechtssicherheit verhältnismäßig weit anzunehmen; bei Erhebung der Klage wird nur jener Teil des Bescheides rechtskräftig, der sich inhaltlich vom angefochtenen Teil trennen lässt, weil die darin behandelten Fragen auf einem anderen Rechtsgrund beruhen, oder jedenfalls nicht eng zusammenhängen (SSV-NF 13/116; Kuderna, ASGG2 Anm 4 zu § 71 mwN uva).
Es war daher der Leistungszuspruch im Sinne des außer Kraft getretenen Bescheides, womit auch die Frage der Person des Leistungsempfängers untrennbar verbunden ist, wiederherzustellen, während die Feststellung des Ruhens einer Leistung von der Festsetzung der Höhe dieser Leistung trennbar ist und der Bescheid daher insoweit mangels Anfechtung in Rechtskraft erwachsen ist (SSV-NF 12/140 mwN ua; RIS-Justiz RS0086568 [T4]; Fink aaO 404 mwN). Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG. Obzwar der Kläger mit der Klage letztlich nicht mehr erreichte als die beklagte Partei in ihrem Bescheid bereits zuerkannt hatte, war die Revision im Ergebnis notwendig, da nur so die urteilsmäßige Zuerkennung der bescheidmäßig zuerkannten Leistung erreicht werden konnte (SSV-NF 7/46; 7/78 ua). Daraus resultiert der Kostenersatzanspruch des lediglich im Revisionsverfahren anwaltlich vertretenen Klägers.
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