OGH 8ObA264/01h

OGH8ObA264/01h15.11.2001

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Langer und Dr. Kuras sowie die fachkundigen Laienrichter MR Mag. Georg Genser und Ernst Boran als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden und widerklagenden Partei Mag. Markus P*****, vertreten durch Dr. Anton Paul Schaffer, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte und widerklagende Partei P***** GmbH, *****, vertreten durch Ploil, Krepp & Partner, Rechtsanwälte in Wien, wegen S 187.601,47 brutto sA und S 63.048,49 brutto sA (Revisionsinteresse S 93.323,93 brutto sA), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 19. Juli 2001, GZ 10 Ra 161/01x-17, mit dem infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 21. Dezember 2000, GZ 29 Cga 103/00d-11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen, die hinsichtlich der Abweisung des Klagebegehrens im Umfang von S 94.277,54 brutto sA sowie der Abweisung der Widerklage in Rechtskraft erwachsen sind, werden im Übrigen - hinsichtlich S 93.323,93 sA an Kündigungsentschädigung und im Kostenpunkt - aufgehoben und insoweit die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen. Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Kosten des erstgerichtlichen Verfahrens.

Text

Begründung

Der Kläger stand vom 16. 3. 1998 bis 23. 12. 1999 in einem Angestelltendienstverhältnis zur Beklagten. Er bezog ein Bruttogehalt von zuletzt S 35.500,-- zuzüglich Bruttoprämien von S 10.000,-- jeweils 14 Mal jährlich.

Die Arbeitszeit des Klägers begann täglich um 8.00 Uhr und endete von Montag bis Donnerstag um 17.00 Uhr und am Freitag um 14.00 Uhr. Im Einstellungsgespräch wies der Kläger darauf hin, dass ihm die Einhaltung des Arbeitsbeginnes schwer fallen würde. Der Geschäftsführer der Beklagten gab ihm daraufhin zu verstehen, dass gelegentliche geringfügige Verspätungen im Bereich von einigen Minuten unter der Voraussetzung guter Arbeitsleistung geduldet würden.

Von Beginn des Dienstverhältnisses an trat der Kläger seinen Dienst bis zu einer halben Stunde verspätet an; dies erregte Unmut bei den anderen Kollegen. Bereits im ersten Halbjahr 1998 und auch in den folgenden Monaten sprach der Geschäftsführer der Beklagten den Kläger mehrfach auf die Einhaltung des Dienstbeginnes an, um ihn zu einer Einhaltung desselben zu bewegen - ohne Erfolg. Der Kläger rechtfertigte sich mit den gleichen Argumenten wie beim Einstellungsgespräch.

Nach einem Konflikt des Klägers mit dem Geschäftsführer der Beklagten im Zusammenhang mit einer Urlaubsvereinbarung kam es dann am 19. 9 1999 zu einer schriftlichen Verwarnung des Klägers durch die Beklagte, in der der Kläger zum pünktlichen Arbeitsantritt um 8.00 Uhr aufgefordert wurde und ihm für den Fall der Nichtbefolgung arbeitsrechtliche Konsequenzen angedroht wurden. Der Kläger versprach, den Dienstbehinn in Zukunft einzuhalten. Trotzdem setzte der Kläger sein regelmäßiges morgendliches Zuspätkommen (zumindest eine Viertelstunde) unverändert fort. Er wurde noch mehrmals vom Geschäftsführer der Beklagten darauf angesprochen, dass der Dienstbeginn 8.00 Uhr sei. Der Kläger setzte aber seine Verspätungen dennoch unverändert fort.

Der Geschäftsführer, der mit den Arbeitsleistungen des Klägers nicht mehr zufrieden war, wies dann im Dezember 1999 Mitarbeiter an, die Zeiten des morgendlichen Eintreffens des Klägers aufzuzeichnen. Am 16. 12. erschien der Kläger um 8.15 Uhr, am 17. 12. um 8.22 Uhr, am

20. und 21. 12. um 8.15 Uhr, am 22. 12. um 8.24 Uhr und am 23. 12. um

8.28 Uhr. Am 23. 12. 1999 wurde der Kläger schließlich nach seinem Eintreffen wegen der Verspätungen entlassen.

Der Kläger begehrte Zahlung von insgesamt S 187.601,47 brutto sA, da er unberechtigt entlassen worden sei. Ihm stünde neben einer im Revisionsverfahren nicht mehr gegenständlichen Prämie und der Urlaubsentschädigung insgesamt S 93.323,93 brutto an Kündigungsentschädigung für den Zeitraum 24. 12. 1999 bis 15. 2. 2000 zu.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, die Entlassung sei berechtigt erfolgt, weil der Kläger trotz mehrmaliger Verwarnung seinen Dienst, dessen Beginn für 8.00 Uhr vereinbart gewesen sei, regelmäßig unpünktlich angetreten habe, zuletzt am 23. Dezember 1999 um 8.28 Uhr. Eine zusätzliche Prämie von S 5.000,-- sei nie vereinbart worden.

Weiters machte die Beklagte mit Widerklage die Zahlung einer schon um 1/3 reduzierten Konventionalstrafe von S 63.048,49 brutto sA geltend, weil das Dienstverhältnis aus Verschulden des Klägers vorzeitig geendet habe.

Das Erstgericht beurteilte den einleitend dargestellten Sachverhalt rechtlich dahin, dass die Entlassung des Klägers gemäß § 27 Z 4 AngG zu Recht erfolgt sei, weil das Bestehen des Klägers auf regelmäßiger täglicher Verspätung trotz schriftlicher Verwarnung vom 19. September 1999 und ohne Rechtfertigungsgrund sowohl eine beharrliche Weigerung, gerechtfertigten Anordnungen des Dienstgebers Folge zu leisten, als auch eine erhebliche Verletzung der Dienstleistungspflicht darstelle; der Kläger habe somit keine Schadenersatzansprüche. Die von der Beklagten mittels Widerklage geltend gemachte Konventionalstrafe mäßigte das Erstgericht auf Null. Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil infolge Berufung des Klägers, die sich ausschließlich gegen die Abweisung der Kündigungsentschädigung für den Zeitraum vom 24. 12. 1999 bis 15. 2. 2000 zuzüglich anteiligen Sonderzahlungen von insgesamt S 93.323,93 brutto sA richtete und führte aus, die Entlassung sei zu Recht erfolgt. Der Entlassungstatbestand gemäß § 27 Z 4 erster Tatbestand AngG sei erfüllt, wenn der Dienstnehmer ohne einen rechtmäßigen Hinderungsgrund, somit pflichtwidrig, während einer den Umständen nach erheblichen Zeit die Dienstleistung schuldhaft unterlasse. Beharrliches Zuspätkommen sei von diesem Tatbestand erfasst. Eine der Entlassung vorausgehende Mahnung sei prinzipiell für diesen Entlassungsgrund nicht erforderlich. Gebe jedoch der Dienstgeber zu erkennen, dass er auf eine genaue Einhaltung der Arbeitszeit keinen Wert lege, so könne dem Dienstnehmer, der vorher nicht gewarnt oder von einer Änderung der Sachlage unterrichtet worden sei und die Arbeitszeiten nur innerhalb des erkennbar geduldeten Rahmens vernachlässige, nicht der Vorwurf einer so schweren Dienstverfehlung gemacht werden, dass eine fristlose Entlassung gerechtfertigt wäre. Im vorliegenden Fall habe die Beklagte aber immer zu erkennen gegeben, dass sie nur einige Minuten Verspätung dulde. Weiters sei der Kläger schriftlich verwarnt und auch danach noch mehrmals mündlich die Einhaltung des pünktlichen Arbeitsbeginnes gefordert worden; diese Warnungen seien ausreichend gewesen und daher die Entlassung gerechtfertigt.

Rechtliche Beurteilung

Die ordentliche Revision ist gemäß § 46 Abs 3 Z 1 ASGG jedenfalls zulässig und auch berechtigt.

Unbekämpft sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, dass der Kläger seinen Dienst morgens um 8.00 Uhr antreten musste, wenn ihm auch im Einstellungsgespräch eine gewisse Toleranz - wenige Minuten des Zuspätkommens - zugesagt wurde. In der Folge wurde diese Toleranz von der Beklagten spätestens mit ihrem Schreiben vom 19. September 1999 widerrufen und hat der Kläger auch versprochen, sich an den Dienstbeginn pünktlich um 8.00 Uhr zu halten.

Mit seinem Dienstantritt am 16. 12. um 8.15 Uhr, am 17. 12. um 8.22 Uhr, am 20. und 21. 12. um 8.15 Uhr, am 22. 12. um 8.24 Uhr und am 23. 12. um 8.28 Uhr hat er also seine arbeitsvertraglichen Verpflichtungen verletzt.

§ 27 Z 4 erster Tatbestand AngG, unter den das Berufungsgericht den vorliegenden Sachverhalt subsumiert hat, erlaubt die Entlassung eines Arbeitnehmers dann, wenn dieser ohne einen rechtmäßigen Hinderungsgrund während einer den Umständen nach erheblichen Zeit die Dienstleistung unterlässt. Ob ein Zeitraum als erheblich im Sinne dieser Bestimmung zu beurteilen ist, ergibt sich nicht nur aus der absoluten Dauer, sondern aus den sonstigen Umständen, insbesondere der Auswirkungen auf den Arbeitsprozess, insbesondere hinsichtlich des Arbeitserfolges, dringlicher Arbeiten etc (vgl RIS-Justiz RS0029495 mwN, RS0029559). Nachdem jedoch die als Arbeitgeberin für den Entlassungsgrund behauptungs- und beweispflichtige Beklagte dazu keine weiteren Behauptungen aufgestellt hat, kann von einer Erheblichkeit des Zuspätkommens des Klägers, da dieses auch nicht offensichtlich ist, nicht ausgegangen werden.

Es ist aber gemäß § 27 Z 4 zweiter Tatbestand AngG eine Entlassung des Arbeitnehmers auch dann möglich, wenn sich dieser beharrlich weigert, seine Dienste zu leisten oder sich durch den Gegenstand der Dienstleistung gerechtfertigten Anordnungen des Dienstgebers zu fügen. Dazu gehört auch die Anordnung, pünktlich zum Dienst zu erscheinen.

Hier ist aber entscheidend, ob sich das Verhalten des Klägers auch als "beharrliche" Weigerung darstellt. Es muss also die Nachhaltigkeit, Unnachgiebigkeit oder Hartnäckigkeit in der Dienstverweigerung zum Ausdruck gelangen (RIS-Justiz RS0029746 mwN etwa Arb 9941, 9991, 10.118, 10.146, 10.222 uva), die aus dem Arbeitsvertrag sich ergebenden Verpflichtungen zu erfüllen (RIS-Justiz RS0029706 mwN, etwa Arb 9493). Da hier die Unpünktlichkeit keine so schwerwiegende Vertragsverletzung darstellt, bedarf es jedenfalls einer vorangegangenen Ermahnung (RIS-Justiz RS0029746 mwN). Diese muss zwar keinen bestimmten Wortlaut haben, aber den Angestellten in einer dem Ernst der Lage angepassten Weise zur Einhaltung der Dienstpflichten auffordern (RIS-Justiz RS0029701). Der Kläger hat nun auch nach der schriftlichen Verwarnung vom 19. September 1999 den Dienst regelmäßig bis zu einer halben Stunde verspätet angetreten, ohne dass dies arbeitsrechtliche Konsequenzen von Seiten der Beklagten gezeitigt hätte. Der Kläger konnte daher zu Recht an der Ernsthaftigkeit der am 19. September 1999 erteilten Verwarnung zweifeln, sodass er nur nach einer neuerlichen dem Ernst der Lage angepassten Aufforderung zur Einhaltung der dienstvertraglichen Pflichten hätte entlassen werden können (zuletzt OGH 6. 12. 2000, 9 ObA 279/00w mwN).

Ob dies erfolgte, kann aber auf der Grundlage des festgestellten Sachverhaltes nicht abschließend beurteilt werden. Danach wurde der Kläger vom Geschäftsführer der Beklagten zwar noch mehrmals darauf angesprochen, dass Dienstbeginn 8.00 Uhr wäre; es geht daraus jedoch nicht hervor, wann und wie deutlich dem Kläger der Ernst der Lage vor Augen geführt wurde. Hinzu kommt noch, dass die Ermahnung vom September 1999 vor dem Hintergrund der Auseinandersetzungen um die Urlaubsvereinbarung erfolgte, sodass für den Kläger gerade wegen des mehrmonatigen konsequenzlosen Fortsetzens seiner Unpünktlichkeit der Eindruck entstehen konnte, dass es der Beklagten gar nicht ernsthaft auf die Einhaltung des pünktlichen Arbeitsbeginnes ankam. Zur abschließenden Beurteilung der Frage, ob die Entlassung des Klägers berechtigt erfolgt ist, ist somit noch zu klären, ob und wie ernstlich der Kläger auch noch im Dezember 1999 vor seiner Entlassung ermahnt worden ist, den Dienstbeginn einzuhalten.

Insgesamt war daher der Revision des Klägers im Sinne des Eventualantrages Folge zu geben.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 2 ASGG iVm den § 52 Abs 1 ZPO.

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