OGH 9ObA163/01p

OGH9ObA163/01p11.7.2001

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Maier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Steinbauer und Dr. Hopf sowie die fachkundigen Laienrichter Karl Lewisch und Dr. Reinhard Drössler als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Vlada J*****, Arbeiter,*****, vertreten durch Dr. Herbert Salficky, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei I***** Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Dr. Gerfried Höfferer, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 108.090,31 brutto sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 26. März 2001, GZ 10 Ra 363/00a-56, womit das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 7. Juni 2000, GZ 8 Cga 103/98v-45, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S

8.112 (darin enthalten S 1.352 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war seit 3. 7. 1989 bei der Beklagten, einem Reinigungsunternehmen, beschäftigt, und zwar zuletzt als Gruppenleiter und Vorarbeiter. Die Beklagte war dauernd mit der Durchführung der Reinigungsarbeiten im Betrieb der K***** mbH (im Folgenden kurz K*****), einem Lebensmittelproduktionsbetrieb, betraut. Dem Kläger oblag die Aufsicht über alle ReinigungsarbeiterInnen der Beklagten bei K*****. Bei den Arbeiten gelangten häufig stark ätzende Reinigungsmittel zum Einsatz. K***** legte deshalb besonderen Wert auf die Einhaltung der Sicherheitsvorschriften und schulte zu diesem Zweck die Leute der Beklagten einschließlich des Klägers. Bezüglich allfälliger Arbeitsunfälle bestand eine strenge Melde- und Dokumentationspflicht. Für die medizinische Erstversorgung stand bei K***** eine ständig mit einem Arzt und/oder einer Krankenschwester besetzte Sanitätsstelle zur Verfügung. Diese war im Bedarfsfall aufzusuchen. Der Kläger war angewiesen, die Einhaltung der Sicherheitsvorschriften mitzutragen und zu überwachen.

Im Herbst 1997 wurde die bei der Beklagten beschäftigte Reinigungsarbeiterin ***** B***** vom Kläger (mehrmals) sexuell belästigt. So umarmte sie der Kläger von hinten, drückte sie an sich und nannte sie "Schatzi". B***** lehnte solche Zudringlichkeiten strikt ab und machte dies dem Kläger unmissverständlich klar. Der Kläger verbot ihr, sich zu beschweren, sonst werde er sie kündigen. B***** wandte sich dennoch telefonisch an den bei der Beklagten für K***** zuständigen Abteilungsleiter S***** und informierte diesen von den Vorkommnissen. S***** "beruhigte" B***** damit, dass eine allfällige Kündigung seiner Zustimmung bedürfe, setzte jedoch im Übrigen wegen der Übergriffe des Klägers keine weiteren Schritte, sondern ließ die Sache auf sich beruhen. B***** vermied es in der Folge, mit dem Kläger allein zu sein. Aufgrund ihrer umsichtigen Vorgangsweise kam es zu keinen weiteren sexuellen Belästigungen mehr.

Am 4. 11. 1997 erlitt die Reinigungsarbeiterin ***** M***** im Armbereich Verätzungen durch eine beim Reinigen verwendete hochkonzentrierte Lauge, für die sie nicht eingeschult worden war. Als sie dem Kläger Meldung von ihrem Unfall machte, verbot er ihr, die Sanitätsstelle aufzusuchen. Er selbst meldete den Unfall ebenfalls nicht. Da die Verletzungsfolgen immer schlimmer wurden, suchte M***** am nächsten Tag entgegen des Verbots des Klägers die Sanitätsstelle auf. Die Dienst habende Krankenschwester informierte hierauf den Sicherheitstechniker bei K*****, der seinerseits am 6. 11. 1997 den Kläger mit dem Vorfall konfrontierte und hierüber ein Protokoll aufnahm. Der Kläger gab bei dieser Gelegenheit zu, dass er sich durch die Nichtmeldung des Vorfalls Unannehmlichkeiten habe ersparen wollen. M***** gab am 19. 12. 1997 im Zuge ihrer polizeilichen Vernehmung zu dem Vorfall ua an, dass ihr der Kläger Urlaubstage und eine Lohnerhöhung versprochen habe, wenn sie mit ihm schlafe. Sie sei von ihm sexuell bedrängt und aufgefordert worden, ihn ihre Brust berühren zu lassen. Das gegen den Kläger (nur) wegen des Verdachts der fahrlässigen Körperverletzung eingeleitete Strafverfahren wurde eingestellt.

Ende November 1997 kam es zwischen den Vertretern von K***** und der Beklagten zu einem Gespräch, bei dem es hauptsächlich um die arbeitsmedizinische Sicherheit der Reinigungsarbeiter der Beklagten ging. K***** verlangte von der Beklagten Konsequenzen wegen des Sicherheitsverstoßes des Klägers und drohte mit der Aufkündigung des Reinigungsauftrags. Die Beklagte kam schließlich mit K***** überein, dem Kläger eine "letzte Chance" zu geben. Der Kläger wurde hierauf von der Beklagten unter Androhung der Entlassung verwarnt (unstrittig, AS 11).

Im Dezember 1997 wurden von der Beklagten bei K***** Sonderreinigungsarbeiten durchgeführt. Dabei gelangte zusätzliches Personal der Beklagten zum Einsatz. Der Kläger führte über diesen Einsatz die Arbeitsaufzeichnungen und hielt hierin (vorsätzlich; S. 18 d. Ersturteils) eine größere Zahl an ArbeiterInnen fest als tatsächlich bei K***** zum Einsatz gelangt war. Die Aufzeichnungen des Klägers wurden der Abrechnung der Beklagten gegenüber K***** zugrundegelegt. Unter Zuhilfenahme der Aufzeichnungen des Portiers, der sämtliche ein- und ausgehende Personen namentlich registriert hatte, gelang es jedoch K*****, die Falschaufzeichnungen des Klägers aufzudecken. Eine hierauf bei der Beklagten eingeleitete Untersuchung bestätigte Anfang Jänner 1998 den Vorwurf K*****. Die Beklagte musste daraufhin K***** eine Gutschrift über S 60.000 gewähren.

Am 13. 1. 1998 fand eine neuerliche Besprechung zwischen dem Abteilungsleiter S***** und dem Verantwortlichen von K***** statt; dabei verlangte letzterer die Abberufung des Klägers. Auf seinem Weg durch den Betrieb traf S***** die Mitarbeiterin B*****, die nochmals die seinerzeitigen Vorwürfe wegen der sexuellen Belästigung des Klägers vom Herbst 1997 wiederholte. Erst bei diesem persönlichen Gespräch fiel S***** die nach wie vor bestehende Verängstigung B***** auf. Am nächsten Tag, dem 14. 1. 1998, entließ er den Kläger. Als Entlassungsgrund nannte S***** die fortgesetzte sexuelle Belästigung B*****.

Der Kläger begehrt mit der vorliegenden Klage von der Beklagten die Zahlung von S 108.090,31 brutto sA für Kündigungsentschädigung, anteilige Sonderzahlungen, Urlaubsentschädigung und Abfertigung mit der Begründung, er sei unbegründet entlassen worden. Die Entlassung sei überdies verspätet erfolgt, insbesondere im Hinblick darauf, dass die Beklagte bereits im September 1997 von seinen sexuellen Übergriffen auf B***** erfahren habe. Auch von der sexuellen Belästigung M***** habe die Beklagte schon früher erfahren. "Sämtliche Vorwürfe" und "sämtliche Vorfälle" seien der Beklagten schon lange bekannt gewesen.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, dass der Kläger entlassen worden sei, weil sich sein Verhalten auch nach der Verwarnung wegen der Vereitelung der rechtzeitigen Hilfe durch die Sanitätsstelle nicht gebessert habe. Der Kläger habe Stundenlisten K*****, eines wichtigen Kunden der Beklagten, verfälscht. Darüber hinaus hätten sich die Hinweise gemehrt, dass der Kläger ihm unterstellte Reinigungsarbeiterinnen sexuell belästigt habe, insbesondere auch die Mitarbeiterin M*****. Dieser sei überdies vom Kläger eine stark ätzende Reinigungslösung ohne entsprechende Warnung und Einschulung gegeben worden.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Unter Zugrundelegung der eingangs der Revisionsentscheidung wiedergegebenen Feststellungen erachtete es die Entlassung des Klägers als gerechtfertigt. Der Kläger habe im Zusammenhang mit dem vorsätzlichen Ausstellen von Lugurkunden über nicht geleistete Arbeiten einen versuchten schweren Betrug iSd §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 zweiter Fall StGB zu verantworten. Dieses Verhalten sei geeignet gewesen, das Vertrauen der Beklagten so nachhaltig zu erschüttern, dass der Entlassungsgrund nach § 82 lit d GewO 1859 gegeben sei. Der bestehende Rückforderungsanspruch K***** sei erst wenige Tage vor dem Ausspruch der Entlassung bekannt geworden, weshalb die Entlassung des Klägers - zumindest aus diesem Entlassungsgrund - rechtzeitig erfolgt sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es übernahm bis auf die Feststellung, dass der Kläger mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit weitere namentlich nicht bekannte Arbeitnehmerinnen der Beklagten sexuell bedrängt und belästigt habe, wobei jedoch die Tatzeitpunkte und näheren Umstände nicht bekannt seien, alle weiteren erstgerichtlichen Feststellungen. Unter Berufung auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu 9 ObA 292/99b (= DRdA 2001/15 [Smutny]) vertrat es die Rechtsauffassung, dass der Kläger aufgrund der sexuellen Belästigung B***** zurecht nach § 82 lit g erster Tatbestand (grobe Ehrenbeleidigung) und § 82 lit f zweiter Tatbestand GewO 1859 (beharrliche Pflichtenvernachlässigung) entlassen worden sei. Bei der bereits im Herbst 1997 erfolgten sexuellen Belästigung sei auch das hiedurch verursachte Arbeitsklima, insbesondere die bis zur Entlassung des Klägers für B***** bestehende einschüchternde und demütigende Arbeitsumwelt zu berücksichtigen. B***** sei vom Kläger damit unter Druck gesetzt worden, dass er ihr verboten habe, sich zu beschweren, andernfalls würde sie gekündigt werden. Dieser Zustand sei für die Betroffene unzumutbar gewesen. S***** habe erst am 13. 1. 1998 erfahren, in welchem verschreckten und unterdrückten Zustand sich B***** seit der sexuellen Belästigung des Klägers befunden habe. Durch die unrichtigen Arbeitsaufzeichnungen habe der Kläger eine weitere gravierende Pflichtenvernachlässigung begangen, wobei allerdings dahingestellt bleiben könne, ob hiedurch eine strafbare Handlung verwirklicht worden sei. Dass die Beklagte vor dem Ausspruch der Entlassung noch die Besprechung vom 13. 1. 1998 abgewartet habe, könne ihr nicht zum Vorwurf gemacht werden.

Dagegen richtet sich die Revision des Klägers aus den Rechtsmittelgründen der Aktenwidrigkeit und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass dem Klagebegehren stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die geltend gemachte Aktenwidrigkeit nach § 503 Z 3 ZPO liegt nicht vor. Diese Beurteilung bedarf keiner Begründung (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO). Es sei nur angemerkt, dass die Frage der "Endgültigkeit" des Gesprächs zwischen Vertretern von K***** und der Beklagten vom 13. 1. 1998 vom Revisionswerber überbewertet wird. Hierauf wird aber noch bei der rechtlichen Erörterung der Rechtzeitigkeit der Entlassung einzugehen sein.

Das Berufungsgericht bejahte zutreffend die Berechtigung der Entlassung des Klägers nach § 82 lit f zweiter Fall GewO 1859. Nach dieser Bestimmung kann ein Arbeitnehmer entlassen werden, wenn er beharrlich seine Pflichten vernachlässigt. Unter Pflichtenvernachlässigung ist die Nichterfüllung oder die nicht gehörige Erfüllung der den Arbeitnehmer nach dem Arbeitsvertrag, den kollektivrechtlichen Normen oder dem Gesetz treffenden, mit der Ausübung seiner Arbeit verbundenen und ihm zumutbaren Pflichten zu verstehen (RIS-Justiz RS0104130). Anders als der zweite Tatbestand des § 27 Z 4 AngG umfasst dieser Entlassungstatbestand jegliche Vernachlässigung der aus dem Arbeitsvertrag geschuldeten Pflichten, auch wenn diese nicht auf einer Willensäußerung (Anordnung) des Arbeitgebers beruhen, sondern auf der Verpflichtung des Arbeitnehmers, auf Grund eigener Beurteilung und eigenen Willensentschlusses tätig zu werden (Kuderna, Entlassungsrecht**2 (1994) 111 und 138). Dass das Erstellen unrichtiger Arbeitsaufzeichnungen, auf deren Grundlage der Arbeitgeber gegenüber einem Kunden abrechnet, eine Pflichtenvernachlässigung iSd § 82 lit f zweiter Fall GewO 1859 ist, bedarf keiner besonderen Erörterung.

Die Pflichtenverletzung muss, um eine darauf gestützte Entlassung zu rechtfertigen, schuldhaft erfolgen. Als Schuldform reicht Fahrlässigkeit; dem Arbeitnehmer muss bei Anwendung pflichtgemäßer Sorgfalt die Pflichtwidrigkeit seines Verhaltens erkennbar sein (Kuderna aaO 114; RIS-Justiz RS0060748). Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall gegeben; dem Kläger ist nach den Ergebnissen des Beweisverfahrens sogar Vorsatz anzulasten. Die diesbezügliche Tatsachenfeststellung traf das Erstgericht - als solche eindeutig erkennbar - im Rahmen der rechtlichen Beurteilung des Ersturteils (S. 18).

Unter "beharrlich" im Sinne des § 82 lit f GewO 1859 ist die Nachhaltigkeit, Unnachgiebigkeit oder Hartnäckigkeit des zum Ausdruck gelangenden Willens zu verstehen, die Dienste oder die Befolgung der Anordnung zu verweigern (Kuderna aaO 115; RIS-Justiz RS0029746, RS0104124). Eine Pflichtenverletzung im Sinne dieser Gesetzesstelle muss sich daher entweder wiederholt ereignet haben oder von so schwerwiegender Art sein, dass mit Grund auf die Nachhaltigkeit der Willenshaltung des Arbeitnehmers geschlossen werden kann (RIS-Justiz RS0060669, RS0105987). Letzteres ist im vorliegenden Fall vor dem Hintergrund der bereits einmal erfolgten Verwarnung des Klägers im Zusammenhang mit der Verletzung der Verpflichtung, jeden Arbeitsunfall zu melden und zu dokumentieren, und der Hinderung einer Arbeitnehmerin, rechtzeitig die Erste Hilfe der Sanitätsstelle in Anspruch zu nehmen, zu bejahen.

Vor dem Ausspruch der Entlassung muss der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber oder von dessen Vertreter in der Regel ermahnt oder wiederholt zur Erfüllung seiner Pflichten aufgefordert worden sein (Kuderna aaO 115 f; RIS-Justiz RS0060643). Eine Ermahnung ist allerdings im Falle eines - vom Arbeitnehmer in Kenntnis dieses Umstandes gesetzten - außergewöhnlich gewichtigen Pflichtenverstoßes entbehrlich (RIS-Justiz RS0060669). Eine Ermahnung ist auch dann nicht erforderlich, wenn der Arbeitnehmer die Bedeutung und das Gewicht seines pflichtwidrigen Verhaltens ohnehin genau kennt bzw der Verstoß gegen seine Verpflichtungen offensichtlich und für ihn erkennbar ist (Kuderna aaO 116; Arb 11.281; Arb 11.386; RIS-Justiz RS0060612, RS0104131). Auch das kann hier nach dem festgestellten Sachverhalt bejaht werden.

Ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung (un)zumutbar ist, ist nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls zu beurteilen (RIS-Justiz RS0105987). Durch die falschen Aufzeichnungen des Klägers verrechnete die Beklagte ihrem Vertragspartner einen um S 60.000 überhöhten Arbeitsaufwand. Dass dies nicht dazu angetan war, das Verhältnis der Beklagten zu einem besonders wichtigen Kunden zu fördern, liegt ebenso auf der Hand wie der Umstand, dass eine weitere Verwendung des Klägers unter Berücksichtigung auch der vorhergehenden gravierenden Verletzung der Sicherheitsbestimmungen bei Zugrundelegung des gebotenen objektiven Maßstabs (Kuderna aaO 60) nicht mehr in Betracht kam. Das Verhalten des Klägers war in seiner Gesamtheit auch nach der Verkehrsauffassung mit dem Ansehen und den Interessen des Dienstes nicht mehr vereinbar (RIS-Justiz RS0081891). K***** hatte schon beim Sicherheitsverstoß des Klägers eine Reaktion der Beklagten verlangt; man hatte sich aber letztlich darauf geeinigt, dem Kläger noch eine "letzte Chance" zu geben und ihn nur zu verwarnen. Die neuerliche Handlung machte den Kläger aber für die Beklagte - abgesehen von der sexuellen Belästigung einer Mitarbeiterin und des Verdachts weiterer sexueller Belästigungen - vollends untragbar.

Bekämpft wird vom Revisionswerber in diesem Zusammenhang aber auch die Rechtzeitigkeit der Entlassung. Hiezu war vom Senat Folgendes zu erwägen:

Nach den bindenden Feststellungen der Tatsacheninstanzen hatte der Kläger im Dezember 1997 über einen Sonderreinigungseinsatz bei K*****, bei dem - gegenüber den sonstigen normalen Einsätzen - zusätzliches Personal der Beklagten zum Einsatz kam, Arbeitsaufzeichnungen zu führen. Dabei hielt er zum Nachteil K***** eine größere Zahl an ArbeiterInnen fest als tatsächlich zum Einsatz gelangt war. K***** deckte die Falschaufzeichnungen des Klägers auf. Ihre Reklamation führte zu einer Untersuchung bei der Beklagten, die Anfang Jänner 1998 die Bestätigung der Richtigkeit des Vorwurfs erbrachte. Die Beklagte musste daraufhin eine Gutschrift über S 60.000 gewähren. Bei einer neuerlichen Besprechung vom 13. 1. 1998 wurde von K***** die Abberufung des Klägers verlangt. Am 14. 1. 1998 wurde der Kläger von der Beklagten entlassen.

Der Grundsatz der Unverzüglichkeit der Entlassung besagt, dass der Arbeitgeber die Entlassung ohne Verzug, dass heißt sofort, nachdem ihm der Entlassungsgrund bekannt geworden ist, aussprechen muss (RIS-Justiz RS0029131). Dieser Grundsatz beruht auf dem Gedanken, dass ein Arbeitgeber, der eine Verfehlung seines Arbeitnehmers nicht sofort mit der Entlassung beantwortet, dessen Weiterbeschäftigung nicht als unzumutbar ansieht und auf die Ausübung des Entlassungsrechts im konkreten Fall verzichtet (Kuderna aaO 14). Andererseits kann nicht schon aus jeder Verzögerung auf den Verzicht des Arbeitgebers auf die Ausübung des Entlassungsrechts geschlossen werden (RIS-Justiz RS0029249).

Bekannt geworden ist der Entlassungsgrund dem Arbeitgeber dann, sobald ihm die für die Beurteilung des Vorliegens eines Entlassungsgrunds wesentlichen Einzelheiten zur Kenntnis gelangt sind (RIS-Justiz RS0029321, RS0029348), wobei der Arbeitgeber verpflichtet ist, die zur Feststellung des Sachverhalts erforderlichen und ihm zumutbaren Erhebungen ohne Verzögerung durchzuführen (Kuderna aaO 15; RdW 1998, 26). Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, schon aufgrund einer unüberprüften Anschuldigung die Entlassung auszusprechen. Vielmehr muss ihm in einem solchen Fall zugebilligt werden, sich zunächst Klarheit über deren Berechtigung zu verschaffen (RIS-Justiz RS0029348). Im Umstand, dass die Beklagte den Kläger nicht gleich auf Grund der bloßen Anschuldigungen K***** entließ, sondern sich zunächst ein eigenes Bild von den Vorwürfen gegen den Kläger machen wollte und zu diesem Zweck Untersuchungen anstellte, kann daher keine Säumnis der Beklagten erblickt werden (vgl 9 ObA 161/93).

Der Grundsatz, dass Entlassungsgründe unverzüglich geltend zu machen sind, darf nicht überspannt werden (Arb 11.608; RdW 1998, 478;

RIS-Justiz RS0031587); er ist ua nach den Erfordernissen des Wirtschaftslebens und den Betriebsverhältnissen, insbesondere der Organisationsform des Unternehmens zu beurteilen (ARD 4580/42/94;

RIS-Justiz RS0031789). Ob eine Entlassung rechtzeitig oder verspätet vorgenommen wurde, lässt sich demnach nur nach den Umständen des Einzelfalls richtig beurteilen (Arb 11.608; RdW 1998, 478; RIS-Justiz RS0031571). Entgegen der Auffassung des Revisionswerbers gilt der Grundsatz der Unverzüglichkeit für den Ausspruch der Entlassung, nicht aber für die Geltendmachung der hiefür maßgebenden Gründe (9 ObA 126/93). Für diese genügt es, dass sie vom Arbeitgeber im Prozess nachgewiesen werden. Eine unrichtige Angabe von Entlassungsgründen bei der Entlassung schadet daher dann nicht, wenn im Prozess ein tatbestandsmäßiger Entlassungsgrund nachgewiesen worden ist (RIS-Justiz RS0029131, RS0029139).

Des weiteren ist dem Revisionswerber entgegenzuhalten, dass der Arbeitnehmer für alle für den Untergang des Entlassungsrechts maßgeblichen Umstände behauptungs- und beweispflichtig ist. Die Rechtzeitigkeit (Verspätung) der Entlassung ist daher nicht von Amts wegen wahrzunehmen; es ist vielmehr Sache des Arbeitnehmers eine Verspätung zu behaupten. Die bloße Anführung der Daten der Begehung des Entlassungsgrunds und des Ausspruchs der Entlassung genügt dabei nicht (RIS-Justiz RS0029249). Der Kläger wendete zwar in erster Instanz mehrmals die Verspätung der Entlassung ein, bezog sich dabei allerdings namentlich nur auf seine sexuellen Übergriffe (ON 15, AS 45; ON 26, AS 91b verso) und beschränkte sich im Übrigen auf die Pauschalbehauptung, dass der Beklagten "sämtliche Vorwürfe und sämtliche Vorfälle schon lange bekannt" gewesen seien (ON 43, AS 139). Abgesehen davon, dass ein derartiges, kaum substantiiertes Vorbringen schon von vornherein unzureichend ist, hat das Beweisverfahren nicht ergeben, dass der Beklagten der Vorwurf, der Kläger habe die Arbeitsaufzeichnungen bei K***** manipuliert, "schon lange" bekannt war. Bekannt wurde ihr die Berechtigung des Vorwurfs - ohne dass insoweit irgendwelche Anhaltspunkte für eine Säumnis der Beklagten bei der Untersuchung bestünden - erst "Anfang Jänner" 1998; entlassen wurde der Kläger nach einer neuerlichen (letzten) Besprechung mit K***** vom 13. 1. 1998 am 14. 1. 1998. Unsicherheiten bezüglich des (näheren) Beginns "Anfang Jänner" gehen nach der Verteilung der Behauptungs- und Beweislast ebenso zu Lasten des Klägers, der auch selbst gar keinen bestimmten Zeitpunkt behauptete (arg. "schon lange"), wie die sonstigen in diesem Zusammenhang nicht schon in erster Instanz angemerkten Zweifel des Revisionswerbers am zeitlichen Ablauf des Geschehens. Anhaltspunkte, der Kläger hätte in der Phase der Untersuchung des Vorfalls jemals auf einen Verzicht der Beklagten auf das Entlassungsrecht vertraut, haben sich im Übrigen nicht ergeben.

Da zur wirksamen Entlassung bereits das Vorliegen eines Entlassungsgrunds (§ 82 lit f zweiter Fall GewO 1859) genügt, sei abschließend zu den von den Vorinstanzen angenommenen weiteren Entlassungsgründen nach § 82 lit d und lit g erster Fall GewO 1859 nur noch Folgendes angemerkt:

Das Erstgericht bejahte, gestützt auf das Vorliegen eines versuchten schweren Betrugs nach den §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 zweiter Fall StGB, die Entlassung des Klägers nach § 82 lit d GewO 1859. Konkrete Feststellungen, dass der Täuschungshandlung des Klägers ein Bereicherungsvorsatz iS dieser Bestimmungen zugrundelag, können allerdings dem Ersturteil nicht entnommen werden.

Das Berufungsgericht stützte die Entlassung des Klägers auch auf die sexuelle Belästigung einer Mitarbeiterin. Richtig ist in diesem Zusammenhang, dass der Kläger - wie schon jener im Fall 9 ObA 292/99b (= DRdA 2001/15 ((Smutny)) - keineswegs mit Einsicht auf die Zurückweisung seiner Zudringlichkeiten reagierte, sondern damit, dass er der Betroffenen drohte, er werde sie kündigen, wenn sie sich über ihn beschwere. Damit schuf er eine einschüchternde, feindselige und demütigende Arbeitsumwelt (vgl § 2 Abs 1b Z 1 GlBG; vgl auch Art 1 lit a und lit c der Empfehlung 92/131/EWG der Kommission zum Schutz der Würde von Frauen und Männern am Arbeitsplatz vom 27. November 1991). Vor dem Hintergrund des bereits behandelten Gebots einer raschen Reaktion des Arbeitgebers auf einen allfälligen, ihm bekannt gewordenen Entlassungssachverhalt, kann aber eine Entlassung des Belästigers wegen einer dem Arbeitgeber längst gemeldeten, monatelang zurückliegenden sexuellen Belästigung nur dann in Betracht kommen, wenn der Belästiger den Zustand der Einschüchterung, Feindseligkeit und Demütigung der Betroffenen bis zum Zeitpunkt der Entlassung aufrecht erhalten hat. Wohl gibt es dafür Anhaltspunkte in diese Richtung, sie wurden jedoch zu wenig geklärt. Dass dem Verantwortlichen der Beklagten erst anlässlich des Gesprächs mit der Belästigten am 13. 1. 1998 bewusst wurde, wie verängstigt diese war, kann die Beklagte nicht für sich ins Treffen führen, zumal dieser Sachverhalt bei gehöriger Erfüllung ihrer Arbeitgeberpflichten (§ 2 Abs 1a Z 3 GlBG; vgl Empfehlung 92/131/EWG, Anhang: Schutz der Würde von Frauen und Männern am Arbeitsplatz, Praktische Verhaltensregeln und Maßnahmen zur Bekämpfung sexueller Belästigungen, Pkt 3. ((Rechtslage und Pflichten auf Arbeitgeberseite)); Smutny/Mayr, GlBG [2001] 325 f) schon im Herbst 1997 hätte bekannt sein müssen. Dazu kommt, dass ein Arbeitgeber, der auf ein (Dauer-)Verhalten des Arbeitnehmers zunächst überhaupt nicht reagiert, den Arbeitnehmer zuerst zur Beseitigung des Zustands unter Hinweis auf arbeitsvertragliche Konsequenzen auffordern muss, bevor er eine Entlassung ausspricht (RIS-Justiz RS0028865, RS0107592).

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.

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