OGH 10ObS346/00f

OGH10ObS346/00f16.1.2001

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer und Dr. Fellinger sowie die fachkundigen Laienrichter Franz Ovesny (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und DDr. Wolfgang Massl (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Fatime B*****, ohne Beschäftigung, *****, vertreten durch Mag. Ingeborg Haller, Rechtsanwältin in Salzburg, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, 1092 Wien, Roßauer Lände 3, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 12. September 2000, GZ 11 Rs 160/00d-28, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 14. Februar 2000, GZ 20 Cgs 318/98g-17, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin bezog von der beklagten Partei im Zeitraum vom 1. 9. 1997 bis 31. 8. 1998 eine befristete Invaliditätspension. Mit Bescheid vom 2. 10. 1998 wurde ihr Antrag auf Weitergewährung der Invaliditätspension über den 31. 8. 1998 hinaus abgelehnt.

Das Erstgericht wies das dagegen erhobene Klagebegehren ab. Es stellt unter anderem fest, dass die am 2. 1. 1946 geborene Klägerin in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag als Hilfsarbeiterin in einer Käserei beschäftigt war. Aufgrund der im Einzelnen festgestellten Leidenszustände ist sie nur mehr in der Lage, körperlich leichte und mittelschwere Arbeiten im Gehen, Stehen und Sitzen zu verrichten. Die Arbeiten können im Freien und in geschlossenen Räumen durchgeführt werden, wobei der Klägerin eine tägliche Arbeitszeit von 8 Stunden unter Berücksichtigung der üblichen Arbeitsunterbrechungen zumutbar ist. Die Geh- und Stehbelastungen sollten 1/3 der Arbeitszeit nicht übersteigen. Nach einstündigem Gehen oder Stehen muss die Klägerin Gelegenheit haben, für mindestens 10 Minuten im Sitzen zu arbeiten. Das Heben und Tragen von Lasten ist bis zu einem Gewicht von 5 kg, fallweise auch bis 10 kg zumutbar. Überkopfarbeiten sollten nur gelegentlich notwendig sein. Arbeiten, die ein Drehen des Kopfes über einen Winkel von 45 Grad hinaus nach links oder rechts erfordern, sollten nur ausnahmsweise erforderlich sein. Das Einnehmen der Hockestellung, Arbeiten auf Leitern oder Gerüsten sowie mit Unterkühlungen und Durchnässung verbundene Arbeiten sind unzumutbar. Auszuschließen sind auch Arbeiten unter ständig erhöhtem Zeitdruck sowie Tätigkeiten, die mit vermehrtem Kunden- bzw Parteienverkehr einhergehen. Die Ableistung von Schichtarbeit, Spätdienst und Überstunden ist zu vermeiden. Der Anmarschweg zum Arbeitsplatz ist nicht beschränkt, öffentliche Verkehrsmittel können benützt werden. Mit Krankenständen, die 7 Wochen oder mehr pro Jahr mit hoher Wahrscheinlichkeit erreichen, ist nicht zu rechnen.

In rechtlicher Hinsicht folgerte das Erstgericht dass beim Begehren auf Weitergewährung einer befristet gewährten Pension kein Vergleich mit den Verhältnissen zum Zeitpunkt der Zuerkennung der befristeten Leistung anzustellen sei, sondern der Anspruch auf Weitergewährung ausschließlich davon abhänge, ob der Versicherte nach Ablauf der Zuerkennungsfrist (noch, erstmals oder wieder) invalid im Sinn des Gesetzes sei. Nach dem auf die Klägerin anzuwendenden § 255 Abs 3 ASVG sei das Verweisungsfeld mit dem gesamten Arbeitsmarkt ident. Mit dem ihr verbliebenen Leistungskalkül sei die Klägerin noch in der Lage, die von den Anforderungen her offenkundigen Tätigkeiten einer Sortiererin, Adjustiererin oder Verpackungsarbeiterin kleiner Werkstücke ohne Beschränkungen auszuüben. Da schon das Vorliegen eines einzigen Verweisungsberufes Invalidität ausschließe, sei das Klagebegehren nicht berechtigt.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als richtig und vollständig und schloss sich auch der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichtes an. Die Einholung eines berufskundlichen Gutachtens sei im Hinblick auf die offenkundigen Verweisungsberufe einer Sortiererin, Adjustiererin oder Verpackungsarbeiterin kleiner Werkstücke nicht erforderlich gewesen. Die Tätigkeit einer Verpackungsarbeiterin kleiner Werkstücke sei eine Tischarbeit, die weitaus überwiegend im Sitzen durchgeführt werde. Stehbelastungen treten bei dieser Tätigkeit kaum auf, Gehbelastungen nur kurzfristig, wenn fertig verpackte Werkstücke mittels Transportwagen ab- oder neue Gegenstände bzw Verpackungsmaterial herbeitransportiert werden. Hebe- und Tragebelastungen über 5 kg seien mit dieser Tätigkeit nicht verbunden. Außerdem sei die Klägerin auch zu vereinzelten Hebe- und Tragebelastungen bis zu 10 kg befähigt. Für die Verweisungsberufe einer Adjustiererin oder Sortiererin seien im Wesentlichen die gleichen Anforderungen maßgebend. Auch diese Tätigkeiten würden nicht ausschließlich unter Akkordbedingungen verrichtet, sondern es bestehe auch eine ausreichende Anzahl von Arbeitsplätzen ohne Akkordarbeit. Mit vermehrten Krankenständen sei nach den Feststellungen nicht zu rechnen. Die mangelhafte Kenntnis der deutschen Sprache sei für die Verweisung ebenso ohne Bedeutung wie der Umstand, ob die Klägerin in den genannten Verweisungsberufen einen entsprechenden Arbeitsplatz auch tatsächlich erlangen könne.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Klägerin wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne einer Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senates, dass bei der Frage, ob eine nach § 256 ASVG für eine bestimmte Frist zuerkannte Invaliditätspension weiter zu gewähren ist, kein Vergleich mit den Verhältnissen zur Zeit der Zuerkennung dieser zeitlich begrenzten Pension angestellt wird (SSV-NF 2/77; 6/17; 8/46; 10/46; 12/79 uva; RIS-Justiz RS0085134). Gegen die Richtigkeit dieser Auffassung werden in der Revision keine Argumente vorgebracht.

Es wird in der Revision zu Recht nicht in Frage gestellt, dass die Voraussetzungen für die (Weiter-)Gewährung der Invaliditätspension bei der Klägerin, die im maßgebenden Zeitraum ausschließlich als Hilfsarbeiterin beschäftigt war, nach § 255 Abs 3 ASVG zu beurteilen sind. In diesem Fall ist das Verweisungsfeld mit dem gesamten Arbeitsmarkt ident (SSV-NF 1/4; 2/109; 6/56 uva). Ob in den Verweisungsberufen freie Arbeitsplätze zur Verfügung stehen und ob es der Klägerin gelingen wird, tatsächlich einen Arbeitsplatz zu erlangen, ist für die Frage der Verweisbarkeit ohne Bedeutung (SSV-NF 2/5, 14 und 34 uva). Es reicht grundsätzlich ein einziger für die Klägerin nach dem medizinischen Leistungskalkül noch möglicher Verweisungsberuf aus, um eine Invalidität zu verneinen (10 ObS 178/97t, 10 ObS 261/97y uva).

Soweit sich die Klägerin dagegen wendet, dass die Beiziehung eines Sachverständigen für Berufskunde unterblieben sei, rügt sie einen Feststellungsmangel. Sie erachtet sich dadurch beschwert, dass Tatsachenfeststellungen über die Anforderungen der von den Vorinstanzen herangezogenen Verweisungsberufe unterblieben seien. Ihren Ausführungen kann jedoch nicht gefolgt werden. Nach ständiger Judikatur sind Feststellungen über die Anforderungen eines Verweisungsberufes dann nicht erforderlich, wenn sie offenkundig sind (SSV-NF 5/96 uva). Dies ist insbesondere bei Tätigkeiten anzunehmen, die sich weitgehend vor den Augen der Öffentlichkeit abspielen und bei denen die Aufgabenstellung und die damit verbundene körperliche und psychische Belastung daher als bekannt vorauszusetzen sind.

Das Berufungsgericht hat darauf hingewiesen, dass die an die Verweisungsberufe einer Sortiererin, Adjustiererin oder Verpackungsarbeiterin kleiner Werkstücke gestellten Anforderungen offenkundig seien. Es handelt sich nach den Ausführungen des Berufungsgerichtes bei diesen Tätigkeiten im Wesentlichen um Tischarbeiten, welche weitaus überwiegend im Sitzen durchgeführt werden. Stehbelastungen treten bei diesen Tätigkeiten kaum auf, Gehbelastungen nur kurzfristig. Hebe- und Tragebelastungen über 5 kg kommen bei diesen Tätigkeiten nicht vor. Weiters gibt es für diese Tätigkeiten eine ausreichende Anzahl von Arbeitsplätzen, an denen nicht im Akkord gearbeitet wird.

Bei diesen Ausführungen des Berufungsgerichtes handelt es sich um Tatsachenfeststellungen, welche vom Berufungsgericht unter Anwendung des § 269 ZPO getroffen wurden und deren Richtigkeit im Revisionsverfahren nicht überprüft werden kann (SSV-NF 6/105 ua; RIS-Justiz RS0040046). Nur soweit das Erstgericht hierüber einen Sachverständigenbeweis abgeführt und - darauf gestützt - eine Tatsache festgestellt hätte, das Berufungsgericht jedoch "aufgrund allgemeiner Lebenserfahrung" eine gegenteilige Feststellung getroffen oder die erstinstanzlichen Feststellungen modifiziert hätte, läge wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit ein Verfahrensmangel vor, weil eine solche Abweichung nur bei einer Beweiswiederholung zulässig wäre (10 ObS 362/99d; 1 Ob 185/98g mwN ua). Ein solcher Verfahrensmangel liegt hier jedoch nicht vor.

Schließlich ist nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senates ein Ausschluss vom Arbeitsmarkt nur dann anzunehmen, wenn die maßgebliche Gesamtdauer der voraussichtlichen Krankenstände mit hoher Wahrscheinlichkeit 7 Wochen jährlich oder mehr beträgt (SSV-NF 7/76; 10/14; RIS-Justiz RS0086045; RS0086050 uva). Dazu wurde festgestellt, dass bei der Klägerin mit Krankenständen in dieser Dauer nicht zu rechnen ist. Damit ist aber nicht erwiesen, das bei der Klägerin Krankenstände in einem Ausmaß zu erwarten sind, dass sie zu einem Ausschluss vom allgemeinen Arbeitsmarkt führen. Soweit die Klägerin demgegenüber auf dem Standpunkt steht, bei ihr seien aufgrund verschiedener Umstände Krankenstände in einer den Ausschluss vom Arbeitsmarkt bewirkenden Dauer zu erwarten, geht sie nicht vom festgestellten Sachverhalt aus. Ihrer Revision kann daher insgesamt kein Erfolg beschieden sein.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch an die Klägerin aus Billigkeit sind nicht ersichtlich und wurden auch nicht dargetan.

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