OGH 2Ob36/00h

OGH2Ob36/00h23.11.2000

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dietmar L*, vertreten durch Dr. Josef Lechner und Dr. Ewald Wirleitner, Rechtsanwälte in Steyr, gegen die beklagten Parteien 1. Walter H*, 2. Gertrude H*, und 3. E* Versicherungs‑AG, * alle vertreten durch Dr. Tilman Schwager und Mag. Wolf‑Rüdiger Schwager, Rechtsanwälte in Steyr, wegen S 75.800,‑- sA, über die außerordentlichen Revisionen des Klägers und der zweit‑ und drittbeklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 30. Dezember 1999, GZ 4 R 202/99z‑26, womit infolge der Berufungen des Klägers und der zweit‑ und drittbeklagten Parteien das Urteil des Landesgerichtes Steyr vom 17. August 1999, GZ 3 Cg 54/98m‑19, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2000:E60109

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Beiden Revisionen wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger ist schuldig, den beklagten Parteien die Kosten der Revisionsbeantwortung von S 6.561,90 (darin enthalten S 1.093,65 USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die zweit‑ und drittbeklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, dem Kläger die Kosten der Revisionsbeantwortung von S 6.695,04 (darin enthalten S 1.115,84 USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

 

Am 12. 8. 1997 ereignete sich gegen 9.40 Uhr im Gemeindegebiet von Kronstorf auf der Kreuzung Harr‑Bezirksstraße und Teufelsgrabenstraße bei Straßenkilometer 9,427 zwischen einem nach links einbiegenden, vom Erstbeklagten gelenkten, von der Zweitbeklagten gehaltenen PKW und einem nachkommenden, vom Kläger gelenkten und gehaltenen Motorrad ein Verkehrsunfall, bei dem der Kläger schwer verletzt wurde; Spätfolgen sind nicht auszuschließen.

Der Kläger begehrt den Ersatz seines Sachschadens in der behaupteten Höhe von S 75.000 sowie die Feststellung der Haftung der beklagten Parteien für künftige Folgen aus diesem Unfall. Der Erstbeklagte sei völlig überraschend von der Harr‑Bezirksstraße nach links in Richtung Teufelsgraben abgebogen, ohne diese Abbiegeabsicht vorher angekündigt zu haben. Der Kläger habe sich als Motorradfahrer auf der Überholspur befunden und, um einer Kollision auszuweichen, sein Motorrad nach rechts verlenkt; dabei sei er noch gegen das rechte Heck des vom Erstbeklagten gelenkten PKWs gestoßen.

Die beklagten Parteien beantragen die Abweisung des Klagebegehrens. Der Erstbeklagte habe sein Linksabbiegemanöver korrekt durchgeführt. Zu Beginn des Abbiegemanövers habe sich der Kläger nicht in Überholposition befunden; es sei erst zur Kollision gekommen, als der Erstbeklagte den Abbiegevorgang bereits überwiegend beendet gehabt habe.

Das Erstgericht wies die gegen den Erstbeklagten gerichtete Schadenersatzklage zur Gänze ab, verurteilte die zweit‑ und drittbeklagten Parteien solidarisch zur Zahlung von S 30.000 samt Anhang und stellte die Haftung der zweit‑ und drittbeklagten Parteien für die Hälfte aller künftigen Schäden aus dem Unfall fest. Ein darüber hinausgehendes Feststellungsmehrbegehren sowie das Leistungsmehrbegehren wies es zur Gänze ab.

Es stellte im Wesentlichen fest, dass der Erstbeklagte als PKW‑Lenker auf der 6 m breiten Harr‑Bezirksstraße mit einer Geschwindigkeit von ca 80 km/h fuhr und in unbekannter Entfernung vor der Kreuzung mit der Teufelsgrabenstraße in den Rückspiegel blickte. Dabei sah er einen hinter ihm fahrenden PKW. Der Kläger hatte als Motorradfahrer zunächst diesen (hinter dem PKW des Erstbeklagten fahrenden) PKW überholt und war wieder auf die rechte Fahrbahnhälfte zurückgefahren, um sodann den vom Erstbeklagten gelenkten PKW zu überholen. Der Kläger hielt eine Geschwindigkeit von ca 100 km/h ein. Etwa 64 m vor der Kreuzung begann der Erstbeklagte zu bremsen. Zu diesem Zeitpunkt befand sich der Kläger etwa 73 m hinter ihm. Ob an dem vom Erstbeklagten gelenkten PKW der linke Blinker in Tätigkeit war und ob sich der Erstbeklagte mit dem PKW zur Fahrbahnmitte einordnete, konnte nicht festgestellt werden. Unmittelbar vor dem Einlenken nach links blickte der Erstbeklagte nicht mehr zurück. Seine Geschwindigkeit betrug zu diesem Zeitpunkt 30 km/h. Zum Zeitpunkt des Einlenkens des PKWs nach links befand sich der Kläger mit seinem Motorrad bereits in Überholposition auf der linken Fahrbahnhälfte. Bei Bemerken des Fahrmanövers des Erstbeklagten lenkte der Kläger sein Motorrad noch nach rechts, konnte aber eine Kollision nicht mehr verhindern. Im Kollisionszeitpunkt betrug die Geschwindigkeit des PKWs 20 km/h. Die Kollisionsstelle lag im Bereich der Fahrbahnmitte. Als die Bremsleuchten am PKW erstmals aufleuchteten, befand sich der PKW 64 m vor der Kollisionsstelle, das Motorrad weitere 73 m hinter dem PKW. Vom Aufleuchten der Bremslichter bis zur Kollision vergingen 5 Sekunden. Noch 3,6 Sekunden vor der Kollision hätte eine Geschwindigkeitsreduktion durch den Kläger ausgereicht, um sich hinter dem PKW einzuordnen.

Rechtlich erörterte das Erstgericht, dass beiden beteiligten Fahrzeuglenkern kein Verschulden nachgewiesen werden könne. Ob der Erstbeklagte geblinkt oder nicht geblinkt habe und sich zur Fahrbahnmitte eingeordnet oder nicht eingeordnet habe, sei nicht feststellbar gewesen. Zum Zeitpunkt des ersten Blicks des Erstbeklagten in den Rückspiegel habe der Kläger noch nicht zum Überholen angesetzt, weshalb dem Erstbeklagten kein Verstoß gegen § 11 Abs 1 StVO anzulasten sei. Zu einem zweiten Blick in den Rückspiegel unmittelbar vor dem Abbiegen nach links sei er mangels besonderer Umstände nicht verpflichtet gewesen. Das Aufleuchten der Bremslichter am PKW habe für den Kläger keine unklare Verkehrssituation zu bedeuten gehabt und sei kein notwendiges Kriterium für ein bevorstehendes Linksabbiegen. Auch eine Überschreitung der höchst zulässigen Geschwindigkeit von 100 km/h sei dem Kläger nicht anzulasten. Der Schaden sei im Verhältnis zur gleich großen Betriebsgefahr beider Fahrzeuge 1 : 1 zu teilen.

Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Erstgerichts und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 260.000 übersteige und die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes. Rechtlich führte es zur Berufung der zweit‑ und drittbeklagten Parteien aus, dass dem Kläger ein Verstoß gegen § 16 Abs 2 lit c StVO nicht vorzuwerfen sei, weil nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes die Bestimmung nur den Zweck verfolge, an nicht besonders geregelten Kreuzungen den Vorrang eines von rechts kommenden Fahrzeuges wahren zu können, nicht aber der Sicherheit des Verkehrs im Allgemeinen, insbesondere nicht dem Schutz des von links kommenden benachrangten Querverkehrs und auch nicht dem Schutz des überholten Linksabbiegers. Zur Berufung des Klägers führte es rechtlich aus, dass auch dem Erstbkelagten kein Verstoß gegen die §§ 11 und 12 StVO anzulasten sei. Soweit der Kläger nicht von der festgestellten Nichtfeststellbarkeit der Entfernung des Erstbeklagten von der Unfallkreuzung im Zeitpunkt seines Blickes in den Rückspiegel ausgehe, sei die Rechtsrüge nicht gesetzmäßig ausgeführt. Davon abgesehen sei der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichts zuzustimmen. Im Haftpflichtprozess sei jede Prozesspartei für die dem Gegner vorgeworfenen Verkehrsverstöße beweispflichtig. Beiden Seiten sei diesbezüglich der Beweis nicht gelungen. Die ordentliche Revision sei nicht zulässig, weil der Schwerpunkt des Berufungsverfahrens in der Überprüfung der erstgerichtlichen Beweiswürdigung gelegen sei und weil das Berufungsgericht von der ständigen oberstgerichtlichen Judikatur, insbesondere zum eingeschränkten Schutzzweck des § 16 Abs 2 lit c StVO nicht abgewichen sei.

Gegen diese Entscheidung richten sich die außerordentlichen Revisionen beider Parteien. Der Kläger beantragt, die angefochtenen Entscheidungen dahingehend abzuändern, dass ihm weiterer ein Betrag von S 30.000 zugesprochen und die Haftung der beklagten Parteien für die Schäden des Klägers zur Gänze festgestellt werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die zweit‑ und drittbeklagten Parteien begehren Abänderung dahingehend, dasss die Klage zur Gänze abgewiesen werde.

Der Kläger beantragt, der Revision der beklagten Parteien nicht Folge zu geben.

Die zweit‑ und drittbeklagten Parteien beantragen, die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revisionen sind zulässig, weil die Beweislastverteilung bei einer behaupteten Verletzung des Schutzgesetzes nach §§ 11 und 12 StVO einer Klarstlelung bedarf und auch auf die Frage des Schutzzweckes des Überholverbotes nach § 16 Abs 2 lit c StVO einzugehen ist.

Zur Revision des Klägers:

Auszugehen ist davon, dass der Erstbeklagte tatsächlich ein Linksabbiegemanöver durchführte. Dabei konnte nicht festgestellt werden, ob der linke Blinker eingeschaltet und ob das Fahrzeug zur Straßenmitte eingeordnet war. Gemäß § 11 Abs 1 StVO darf der Lenker eines Fahrzeuges die Fahrtrichtung nur ändern oder den Fahrstreifen wechseln, nachdem er sich davon überzeugt hat, dass dies ohne Gefährdung oder Behinderung anderer Straßenbenützer möglich ist. Nach Abs 2 dieser Bestimmung hat der Lenker eines Fahrzeuges die bevorstehende Änderung der Fahrtrichtung oder den bevorstehenden Wechsel des Fahrstreifens so rechtzeitig anzuzeigen, dass sich andere Straßenbenützer auf den angezeigten Vorgang einstellen können. Der Schutzzweck dieser Bestimmung liegt in der rechtzeitigen Information anderer Straßenbenützer über ein bevorstehendes Fahrmanöver nach § 11 StVO, um diese in die Lage zu versetzen, durch das Ergreifen entsprechender Maßnahmen dazu beizutragen, eine Behinderung, Gefährdung oder gar einen Verkehrsunfall zu vermeiden (SZ 71/39; Dittrich‑Stolzlechner StVO3 Rz 65 zu § 11 mwN). Bei dieser Bestimmung handelt es sich daher um ein Schutzgesetz, das insbesondere den nachkommenden (und auch überholenden) Fahrzeuglenkern zugutekommt.

Das Berufungsgericht hat zutreffend dargelegt, dass nach der allgemeinen Beweislastregel jede Partei die Beweislast für das Vorliegen aller tatsächlichen Voraussetzungen der ihr günstigen Rechtsnorm trifft. Danach hat im Regelfall der ein Recht Behauptende die rechtsbegründenden und der ein Recht Leugnende die rechtshindernden und rechtshemmenden Tatsachen zu beweisen (Rechberger in Rechberger ZPO2 Rz 11 vor § 266). Der erkennende Senat vertritt in nunmehr ständiger Rechtsprechung zur Beweislast bei der Verletzung von Schutzgesetzen die Meinung, dass den Geschädigten die volle Beweislast für den Schadenseintritt und die Verletzung des Schutzgesetzes als solches trifft; dabei ist der Nachweis der Tatsache ausreichend, dass die Schutznorm objektiv übertreten wurde, der Schädiger hat dagegen zu beweisen, dass ihm die objektive Übertretung des Schutzgesetzes nicht als schutzgesetzbezogenes Verhaltensunrecht anzulasten ist (ZVR 1999/99 mit ausführlicher Begründung; 2 Ob 76/97h [Vorrangunfall]; 2 Ob 218/98t; 2 Ob 48/99v [Überschreiten der Fahrbahnmitte]; 2 Ob 304/99s [Überfahren einer roten Ampel]). Dieser Meinung hat sich auch der 7. Senat angeschlossen (7 Ob 82/00d).

Dies bedeutet, dass dem Kläger der Beweis obliegt, dass die Schutznorm objektiv übertreten wurde. Dazu gehört nach den obigen Ausführungen auch der Nachweis, dass der Erstbeklagte, ohne eingeordnet zu sein und ohne den linken Blinker gesetzt zu haben, nach links abgebogen ist. Dieser Nachweis ist dem Kläger misslungen, weil nicht festgestellt werden konnte, ob der Erstbeklagte im Sinn des § 11 Abs 2 StVO die Änderung seiner Fahrtrichtung rechtzeitig anzeigte bzw sich rechtzeitig einordnete (§ 12 Abs 1 StVO). Mangels Nachweises der objektiven Verletzung der Schutznormen der §§ 11 und 12 StVO haben daher die Vorinstanzen zutreffend ein Verschulden des Erstbeklagten am Zustandekommen des Unfalles verneint.

Zur Revision der zweit‑ und der drittbeklagten Partei:

Die Revisionswerber vertreten in ihrer Revision die Ansicht, dass die Fortschreibung der gefestigten Rechtsprechung (vgl RIS‑Justiz RS0074185; RS0074174) nicht mehr zeitgemäß sei. Die Vorschriften über das Abbiegen nach links seien durch die StVO abgeändert worden, als während der Gültigkeit der StPolO wohl das Abbiegen nach links durch einen Fahrtrichtungsanzeiger voranzukündigen gewesen wäre. Bei Annäherung eines damals zulässigerweise gerade überholenden Fahrzeuges habe der präsumptive Linksabbieger sein Fahrzeug an den äußersten Fahrbahnrand heranzulenken und das Überholtwerden dort abzuwarten gehabt, um sodann nach links gefahrlos abbiegen zu können. Der Begriff des Einordnens sei der Rechtsordnung damals noch fremd gewesen.

Diesen Ausführungen kann aber nicht gefolgt werden.

Die Bestimmungen der §§ 11 und 12 StVO über die Verpflichtung, sich davon zu überzeugen, dass die beabsichtigte Fahrtrichtungsänderung ohne Gefährdung oder Behinderung anderer Straßenbenützer möglich ist und über die Verpflichtung, sich beim beabsichtigten Linksabbiegen links einzuordnen, befanden sich ebenso wie das Überholverbot des § 16 Abs 2 lit c StVO bereits in der Stammfassung der Straßenverkehrsordnung 1960 BGBl 1960/159. Mit der StVO‑Novelle 1964 (BGBl 1964/204) wurde im § 11 Abs 2 StVO lediglich die weitere Verpflichtung aufgenommen, dass der Fahrzeuglenker, der beabsichtigt, seine Fahrtrichtung zu ändern, die Anzeige zu beenden hat, wenn er sein Vorhaben ausgeführt hat oder von ihm Abstand nimmt. In § 12 Abs 1 wurde die weitere Verpflichtung aufgenommen, beim Linkseinbiegen auf Einbahnstraßen auf den linken Fahrstreifen der Fahrbahn zu fahren. Mit der 10. StVO‑Novelle wurde dazu eine weitere Bestimmung für Radfahrer aufgenommen.

Dies bedeutet, dass auf der bereits bestehenden Grundlage seit 1960 in ständiger Rechtsprechung dahingehend judiziert wurde, dass die Norm des § 16 Abs 2 lit c nicht dem Schutz des Linksabbiegers, sondern dem des von rechts kommenden Querverkehrs dient (ZVR 1963/57 mit der weiteren in RIS‑Justiz RS0074174 dokumentierten Entscheidungskette). In ZVR 1991/128 hat sich der Oberste Gerichtshof neuerlich mit dem Problem befasst und dargestellt, dass seine Rechtsauffassung in der Lehre keinen Widerspruch gefunden hat (Reischauer in Rummel ABGB2 Rz 11 und 12 zu § 1311; auch Harrer in Schwimann ABGB2 Rz 16 zu § 1311; Dittrich‑Stolzlechner, StVO3 Rz 70, 71 zu § 16 StVO).

Schließlich hat der erkennende Senat in seiner Entscheidung 2 Ob 17/95 an dieser Rechtsansicht festgehalten.

Die auf unzutreffenden Argumenten beruhende Ansicht der Revisionswerber ist daher nicht geeignet, die ständige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Auslegung des Schutzzwecks des § 16 Abs 2 lit c StVO in Frage zu stellen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Die Kosten der Revisionsbeantwortung der beklagten Parteien waren auf einer Bemessungsgrundlage von S 80.000 zu bestimmen.

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