Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 13.725,-- (darin enthalten S 2.287,50 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzten.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin, eine 1949 geborene begünstigte Behinderte, war seit 8. 1. 1990 bei der Beklagten als Küchengehilfin im Allgemeinen Krankenhaus (AKH) beschäftigt. Dienstbeginn der Klägerin war um 11 Uhr. Bis 14.30 Uhr hatte sie zunächst jeweils Dienst im Speisesaal, danach war sie mit Reinigungsarbeiten betraut. Sie hatte zwischen
11.30 und 14.30 Uhr die Möglichkeit, in der Personalkantine zu essen, und zwar entweder das normale Menü gegen Entgelt oder kostenlos Beilagen mit Saft.
Die Bestellungen für das Abendessen der Patienten werden üblicherweise von den Stationen zu Mittag an die Küche gegeben. Ausgehend von diesen Meldungen werden verschiedene Menüs für die Patienten zubereitet und auf abgezählten Tellern im Kühlhaus gelagert. Täglich werden ab 16.15 Uhr die Patientenessen von der Küche an die Stationen ausgegeben. Erst danach, etwa ab 17 bzw 17.15 Uhr, kann festgestellt werden, ob (bedingt durch Patientenfluktuation oder andere Gründe) Patientenessen fehlen oder zu viele vorbereitet worden sind. Im ersten Fall müssen diese nachgerichtet werden; sind zu viele Patientenessen vorhanden, können diese von den Küchengehilfen verzehrt werden; der Rest muss schließlich vernichtet werden.
In der Küche des AKH kam es wiederholt zu Materialschwund, weshalb sich die Beklagte am 8. 10. 1998 zu folgender Dienstanweisung an alle Mitarbeiter der Zentralküche veranlasst sah:
"Aufgrund des wiederholt aufgetretenen Materialschwunds im Küchenbereich weist die Küchenleitung ausdrücklich darauf hin, dass vermehrt Kontrollen durchgeführt werden.
Die Küchenleitung erinnert in Ihrem Interesse nachdrücklich daran, dass Personen, die beim Diebstahl ertappt werden, unverzüglich angezeigt werden und sämtliche Konsequenzen tragen müssen."
Diese Dienstweisung wurde auch von der Klägerin unterfertigt, die vom Inhalt aus Erzählungen von Kolleginnen Kenntnis hatte.
Am 18. 8. 1999 begab sich die Klägerin mit einer Kollegin gegen 14 Uhr in das Kühlhaus, in dem die Patientenessen für den Abend gelagert waren. Sie hatte zu diesem Zeitpunkt keinen Auftrag, im Kühlhaus Arbeiten zu verrichten. Die Klägerin konsumierte ein für den Abend vorbereitetes und gemäß der Meldung einer Station abgezähltes Patientenessen. Dabei wurde sie von einem Kollegen beobachtet und von diesem und 2 weiteren Kollegen, darunter vom Stellvertreter des Oberkochs, zur Rede gestellt; die Klägerin gab jedoch keine Antwort. Am nächsten Tag wurde sie gemäß § 45 Vertragsbedienstetenordung 1995 (VBO 1995) schriftlich entlassen.
Die Klägerin begehrt mit der Behauptung, dass die Entlassung zu Unrecht erfolgt sei, die Feststellung, dass das Dienstverhältnis zur Beklagten über den 19. 8. 1999 hinaus weiterhin aufrecht fortbestehe.
Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wandte ein, dass sich die Klägerin über eine ausdrückliche Dienstanweisung hinweggesetzt und sich durch Begehung einer strafbaren Handlung zum Nachteil der Beklagten des Vertrauens unwürdig erwiesen sowie ihre Dienstpflichten vernachlässigt habe. Sie sei daher zu Recht entlassen worden.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Ausgehend vom eingangs wiedergegebenen Sachverhalt vertrat es die Rechtsauffassung, dass die Klägerin eigenmächtig, entgegen einer ihr bekannten Dienstanweisung ein vorbereitetes und abgezähltes Patientenessen verspeist habe. Auch wenn diese Mahlzeit für sich allein genommen nur einen geringen Wert repräsentiert habe, habe die Klägerin durch ihre Vorgangsweise den Tatbestand des Diebstahls oder der Entwendung verwirklicht. Die Klägerin habe das Essen zu einem Zeitpunkt konsumiert, in dem noch nicht festgestanden sei, ob Patientenessen übrig bleiben werden. Subjektive Entschuldigungsgründe wie Not, Unbesonnenheit, Befriedigung eines Gelüstes oder Zwangslage seien nicht vorgelegen. Die Klägerin habe durch ihre Vorgangsweise den Entlassungstatbestand des § 45 Abs 2 Z 2 VBO 1995 verwirklicht.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Es übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen und trat der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichtes bei.
Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne der Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens gemäß § 503 Z 2 ZPO liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO). Die Ausführungen des Berufungsgerichtes lassen erkennen, dass eine Überprüfung der Beweiswürdigung stattgefunden hat. Ob die auf die Beweisrüge bezügliche Begründung des Berufungsgerichtes richtig ist, fällt in den Bereich der irrevisiblen Beweiswürdigung. Die Richtigkeit dieser Feststellungen kann vom Obersten Gerichtshof, der keine Tatsacheninstanz ist, nicht überprüft werden (Kodek in Rechberger, ZPO2 Rz 1 zu § 503). Eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wäre nur dann gegeben, wenn sich das Berufungsgericht mit der Beweisfrage überhaupt nicht oder so mangelhaft befasst hätte, dass keine nachvollziehbaren Überlegungen über die Beweiswürdigung angestellt und im Urteil festgehalten sind (Kodek aaO Rz 3 zu § 503 mwN; RIS-Justiz RS0042993, RS0043150, RS0043371). Davon kann hier jedoch keine Rede sein. Die Revisionswerberin übersieht weiters, dass die Frage, ob das Berufungsgericht eine Beweisergänzung für notwendig erachtet, ebenfalls der in dritter Instanz nicht mehr überprüfbaren Beweiswürdigung angehört (RIS-Justiz RS0043371/T14). Auf die Überlegung der Revisionswerberin zur ergänzenden Parteienvernehmung der Klägerin kann daher nicht eingegangen werden.
In rechtlicher Hinsicht hat das Berufungsgericht die Frage, ob die Entlassung der Klägerin berechtigt war, zutreffend bejaht, sodass es ausreicht, auf die Richtigkeit der Begründung der Berufungsentscheidung hinzuweisen (§ 510 Abs 3 Satz 2 ZPO). Ergänzend ist den Ausführungen der Revisionswerberin folgendes entgegenzuhalten:
Das Dienstverhältnis kann gemäß § 45 Abs 1 des Gesetzes über das Dienstrecht der Vertragsbediensteten der Gemeinde Wien (Vertragsbedienstetenordnung 1995 - VBO 1995), LGBl Nr 50/1995 idF LGBl Nr 34/1999, von der Gemeinde durch Entlassung aus wichtigen Gründen vorzeitig aufgelöst werden. Ein solcher wichtiger Grund liegt gemäß § 45 Abs 2 Z 2 VBO 1995 insbesondere dann vor, wenn der Vertragsbedienstete sich einer Handlung schuldig macht, die ihn des Vertrauens der Gemeinde unwürdig erscheinen lässt. Der Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit nach § 45 Abs 2 Z 2 VBO 1995 bedingt keine besondere Vertrauensstellung des Dienstnehmers (vgl infas 2000, A 3). Ist ein Vermögensdelikt Grund für eine Entlassung, wird im Allgemeinen die Vertrauensunwürdigkeit subintelligiert, sodass besondere Umstände vorliegen müssen, die dem Dienstgeber die Weiterbeschäftigung ausnahmsweise nicht unzumutbar machen (Kuderna, Entlassungsrecht2 132; RdW 1996, 182; infas 2000, A 3 ua).
Nach der Rechtsprechung kommt es bei einem strafgesetzwidrigen Verhalten des Dienstnehmers im Bereich der Eigentumsdelikte normalerweise nicht auf den Wert der Sache an, auf den sich das verpönte Verhalten bezogen hat (Arb 11.609; infas 2000, A 3; RIS-Justiz RS0029672), sofern es sich nicht um eine nahezu wertlose Sache handelt und die besonderen Umstände des Einzelfalles die Weiterbeschäftigung als noch zumutbar erscheinen lassen (Kuderna, aaO 133; RIS-Justiz RS0029329). Dies ist hier nicht der Fall. Die Entwendung eines vorbereiteten Patientenessens durch die Klägerin trotz gegenteiliger Dienstanweisung (vgl Kuderna aaO 113; RIS-Justiz RS0029849), zu der sich die Dienstgeberin zufolge wiederholten Materialschwundes im Küchenbereich veranlasst gesehen hatte, und trotz aus- und nachdrücklicher Warnung vor den Konsequenzen eines allfälligen Zuwiderhandelns und trotz Zur-Rede-Stellung bei frischer Tat begründet als bewusstes Zuwiderhandeln gegen die Interessen und Anordnungen der Dienstgeberin einen Vertrauensbruch im Sinne § 45 Abs 2 Z 2 VBO 1995 (RIS-Justiz RS0029580). Selbst wenn man die mehrjährige, unbeanstandete Beschäftigung der Klägerin für die Beklagte in Betracht zieht, ändert dies nichts am Vorliegen eines nach objektiven Kriterien zu ermittelnden Vertrauensverlustes.
Für das Vorliegen eines allfälligen Schuldausschließungsgrundes ist der Dienstnehmer beweispflichtig (Kuderna aaO 72; RIS-Justiz RS0029868). Ein derartiger Nachweis ist nicht erfolgt. Es steht vielmehr im Gegenteil fest, dass die Klägerin auch andere, mit den Anordnungen der Dienstgeberin im Einklang stehende Möglichkeiten gehabt hätte, ihren (allfälligen) Hunger zu stillen, ohne sich am Patientenessen zu vergreifen.
Auch wenn sich der besondere Entlassungsschutz für Behinderte darin erschöpft, dass eine Entlassung ohne Entlassungsgrund jedenfalls unwirksam ist und eine Einschränkung der gesetzlichen Entlassungsgründe nicht stattfindet (Ernst in DRdA 1997, 1 [3 f]; Schwarz/Löschnigg, Arbeitsrecht8 661; RIS-Justiz RS0052630, RS0108889), kann bei Prüfung der Relevanz der geltend gemachten Entlassungsgründe der sich insbesondere aus den Bestimmungen der §§ 3, 6 Abs 1, 7, 8 und 15 BEinstG ergebende, für die Behinderten entwickelte Schutzzweck nicht zur Gänze außer Acht gelassen werden. Soweit ein Behinderter zufolge seiner Behinderung nicht in der Lage ist, seine Arbeitsleistung in dem Ausmaß zu erbringen wie ein voll einsatzfähiger Arbeitnehmer, darf auf ihn nicht derselbe Beurteilungsmaßstab angelegt werden (DRdA 1993/30 ((Ernst)); Ernst/Haller, BEinstG, Erl 109 zu § 8); diese Beurteilung kann auch im Falle der Nichtbefolgung einer Dienstanweisung gelten, sofern der Dienstnehmer zufolge seiner Behinderung nicht in der Lage ist, die Dienstanweisung zu befolgen. Für Überlegungen in diese Richtung fehlt es jedoch mangels diesbezüglicher Anhaltspunkte an einer tragfähigen Grundlage, wenn es um die Beurteilung eines Vertrauensunwürdigkeit begründenden Vermögensdeliktes einer Dienstnehmerin geht, das hier in keinem Zusammenhang mit ihrer Behinderung (degenerative Bandscheibenveränderungen, Polyarthrosen und Durchblutungsstörungen; Beil ./D) stand.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.
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