OGH 6Ob27/00i

OGH6Ob27/00i5.10.2000

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber, Dr. Baumann, Dr. Prückner und Dr. Schenk als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen Desiree H***** und Marcel H*****, über den Revisionsrekurs der beiden Minderjährigen beide vertreten durch den Magistrat der Stadt Wien als Unterhaltssachwalter, gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 16. November 1999, GZ 43 R 898/99y-45, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichtes Meidling vom 23. August 1999, GZ 1 P 25/97p-34, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der Beschluss des Rekursgerichtes, der in Ansehung der ersatzlosen Aufhebung der Vorschusseinstellung für August 1999 als unangefochten unberührt bleibt, wird im Übrigen dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichtes zur Gänze, also auch in Ansehung der Vorschusseinstellung für den Monat Juli 1999 ersatzlos behoben wird.

Text

Begründung

Der Vater der Kinder Desiree und Marcel, die bei der obsorgeberechtigten Mutter aufwachsen, war zunächst zu monatlichen Unterhaltsleistungen von je 1.500 S verpflichtet. Mit Beschluss vom 3. 12. 1998 wurden die monatlichen Unterhaltsbeiträge auf 2.040 S für Desiree und 1.800 S für Marcel erhöht. Das Erstgericht erhöhte die Unterhaltsvorschussbeträge mit Beschlüssen vom 11. 2. 1999 entsprechend der Unterhaltserhöhung je ab 1. 7. 1998 auf 2.040 S und 1.800 S monatlich.

Aufgrund einer Mitteilung des Unterhaltssachwalters, dass die Kinder mit Zustimmung der Mutter vom 17. 6. 1999 bis 10. 7. 1999 in einem Krisenzentrum der Stadt Wien aufgenommen worden seien, anschließend einen Erholungsurlaub "im Rahmen der Erholungsfürsorge der MA 11" angetreten hätten und nach der Rückkehr aus dem Urlaub am 31. 7. 1999 bis 6. 8. 1999 wiederum im Krisenzentrum gewesen seien, stellte das Erstgericht die Unterhaltsvorschüsse "für die Zeit vom 1. 7. 1999 bis 31. 8. 1999" ein.

Das Rekursgericht bestätigte die Vorschusseinstellung für den Monat Juli 1999 und hob den Beschluss des Erstgerichtes im Übrigen, also in Ansehung der Vorschusseinstellung für August 1999 - unangefochten - ersatzlos auf. Die Unterbringung eines Minderjährigen in einem Krisenzentrum erfolge unter Einschaltung des Jugendwohlfahrtsträgers. Diese Maßnahme sei einer Heimunterbringung gleichzusetzen, die einen Versagungsgrund nach § 2 Abs 2 UVG darstelle. Auch beim Erholungsurlaub handle es sich um eine Maßnahme des Jugendwohlfahrtsträgers, mit welcher die Kinder in einer "sonstigen Einrichtung" im Sinn der zitierten Bestimmung untergebracht worden seien. Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Frage fehle, ob die Krisenunterbringung und der vom Jugendwohlfahrtsträger gewährte Erholungsurlaub die Gewährung von Vorschüssen gemäß § 2 Abs 2 UVG ausschließe.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der beiden Minderjährigen ist zulässig und berechtigt.

Gemäß § 2 Abs 2 Z 2 UVG besteht ein Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse nicht, wenn das Kind aufgrund einer Maßnahme der Sozialhilfe oder der vollen Erziehung nach dem öffentlichen Jugendwohlfahrtsrecht in einer Pflegefamilie, in einem Heim oder in einer sonstigen Einrichtung untergebracht ist. Nach nunmehr ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes kommt es bei der Frage, ob eine Unterbringung im Sinn dieser Bestimmung vorliegt, darauf an, ob die Unterbringung aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen über die Sozialhilfe im Rahmen der vollen Erziehung vom Jugendwohlfahrtsträger selbst angeordnet wurde, somit ob eine von diesem selbst gesetzte Maßnahme vorliegt. Die Tatsache der Erbringung von Sozialhilfeleistungen reicht für die Versagung von Unterhaltsvorschüssen nicht aus (3 Ob 549/90 = EFSlg 63.646 = ÖA 1991, 22; 2 Ob 557, 558/92 = ÖA 1993, 110 = EFSlg 69.395; 7 Ob 224/99p = ÖA 2000, 81 = JBl 2000, 392; 6 Ob 278/99x = ÖA 2000, 85 ua).

Bei dem den Kindern hier gewährten Erholungsurlaub fehlt es an der behördlichen Anordnung im aufgezeigten Sinn. § 17 Wiener Jugendwohlfahrtsgesetz (Wr JWG 1990, Wr LGBl 1990/36) sieht im Rahmen der sozialen Dienste die Förderung von Erholungsaktionen zur Unterstützung von Eltern und Kindern vor, und zwar insbesondere "zur Betreuung von Kindern und Jugendlichen zur Förderung der körperlichen, geistigen, seelischen, gesundheitlichen und sozialen Entwicklung" (§ 17 Abs 2 Z 1 Wr JWG). Die sozialen Dienste sind gemäß § 1 Abs 2 Wiener Sozialhilfegesetz (WSHG Wr LGBl 1973/11 idgF) Teil der Sozialhilfe, die weiters auch die Hilfe zur Sicherung des Lebensbedarfs und die Hilfe in besonderen Lebenslagen umfasst. Die Vorsorge für die sozialen Dienste erbringt der Sozialhilfeträger als Träger von Privatrechten. Auf die Leistungen im Rahmen der sozialen Dienste besteht - im Gegensatz zur Hilfe zur Sicherung des Lebensbedarfs (§ 7 WSHG) - kein Rechtsanspruch (§ 22 Abs 4 WSHG). Schon daraus ist abzuleiten, dass die Kinder während ihres Erholungsurlaubes nicht aufgrund eines behördlichen Zuweisungsaktes untergebracht waren, sondern dass sie (bzw die Familie) als Hilfesuchende (vgl §§ 3 ff WSHG) vom Angebot, im Rahmen der Sozialhilfe an einer Erholungsaktion teilzunehmen, Gebrauch gemacht haben.

Nach den Gesetzesmaterialien (JAB, 199 BlgNR 14. GP, 5) soll § 2 Abs 2 UVG "sicherstellen, dass die Kosten der Unterbringung eines Kindes in einem Heim oder bei Pflegeeltern nicht vom Träger der Jugendwohlfahrtspflege oder Sozialhilfe, den diese Kosten nach der geltenden Rechtslage treffen, auf den Bund überwälzt werden", weil "der Unterhalt des Kindes durch öffentlich-rechtliche Leistungen der Sozialhilfe oder Jugendwohlfahrtspflege, die vom Unterhaltspflichtigen zu ersetzen sind, abgedeckt" (RV, 172 BlgNR 17. GP, 24), also das Kind aus öffentlichen Mitteln "voll versorgt wird". Die Bestimmung soll demnach nur verhindern, dass ein Kostenaufwand, den die Länder zu tragen haben, "faktisch auf den Bund überwälzt werde", sodass "nur zu prüfen ist, ob ungeachtet etwaiger Ersatzrechte gegen das Kind oder Dritte die Länder zunächst verpflichtet sind, die Kosten zu bezahlen" (Knoll, Kommentar zum UVG, Rz 18 zu § 2; 7 Ob 224/99p).

Auf die Gewährung eines Erholungsurlaubes im Rahmen der sozialen Dienste besteht, wie bereits ausgeführt wurde, kein Rechtsanspruch. (Bloß) gewährte Zuschüsse welcher Art auch immer treffen aber den Sozialhilfeträger (Jugendwohlfahrtsträger) nur wirtschaftlich, nicht aber "nach der Rechtslage". Eine Einstellung könnte nur erfolgen, wenn auch eine rechtliche Verpflichtung des Landes zur Gewährung des kostenlosen oder teilweise kostenlosen Erholungsurlaubes bestünde, worauf die zitierte Gesetzesmaterialien zum UVG hinweisen (7 Ob 224/99p ua).

Für die Zeit des Erholungsurlaubes, den die Kinder vom 10. 7. bis 31. 7. 1999 konsumierten, liegt daher jedenfalls kein Einstellungsgrund vor. Daraus folgt, dass ungeachtet der Frage, ob die vom 17. 6. bis 10. 7. 1999 dauernde und im Anschluss an den Urlaub noch bis 6. 8. 1999 fortgesetzte Betreuung der Kinder im Krisenzentrum der Stadt Wien als Unterbringung im Sinn des § 2 Abs 2 UVG anzusehen ist (vgl hiezu 4 Ob 335/99i = ÖA 2000, 41, wo eine derartige Unterbringung Minderjähriger für sich allein noch nicht als Einstellungsgrund angesehen wurde; weiters aber 6 Ob 82/00b, in welcher Entscheidung seine derartige Unterbringung als eine vom Jugendwohlfahrtsträger im Rahmen seiner Interimskompetenz ergriffene Maßnahme qualifiziert wurde), von einer Einstellung der Vorschüsse (auch) für den ganzen Monat Juli 1999 Abstand zu nehmen ist. Denn alle im Vorschussverfahren für die Gewährung und Einstellung maßgeblichen Ereignisse werden monatsbezogen erfasst: Ein Gewährungsgrund, der am Beginn eines Monats noch nicht und zum Monatsende nicht mehr bestanden hat, erfüllt die Voraussetzungen für die Vorschussgewährung; umgekehrt hindert ein Versagungsgrund, der nur an einigen Tagen eines Monats gegeben war, die Bevorschussung für den gesamten Monat nicht (4 Ob 335/99i; Neumayr in Schwimann, ABGB2 § 8 UVG Rz 2 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung der Rekursgerichte). Da sich die Kinder auch im Juli 1999 großteils nicht im Krisenzentrum der Stadt Wien aufhielten, erfolgte die Einstellung der Vorschüsse ungeachtet der Frage, ob die Unterbringung in einem solchen Krisenzentrum grundsätzlich einen Versagungsgrund darstellt, zu Unrecht.

Soweit daher das Rekursgericht die vom Erstgericht beschlossene Einstellung der Vorschüsse für Juli 1999 bestätigte, waren die Beschlüsse der Vorinstanzen ersatzlos zu beheben.

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