OGH 6Ob278/99x

OGH6Ob278/99x15.12.1999

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schiemer, Dr. Huber, Dr. Prückner und Dr. Schenk als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj Nathalie H*****, geboren am 6. August 1988, ***** vertreten durch den Unterhaltssachwalter Magistrat der Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie für den 19. Bezirk, 1190 Wien, Gatterburggasse 14, über den Revisionsrekurs des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 18. August 1999, GZ 45 R 567/99m-95, womit der Beschluss des Bezirksgerichtes Döbling vom 11. Juni 1999, GZ 7 P 1097/95g-85, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Die mj Nathalie ist das eheliche Kind des Andreas und der Rosa Maria H*****, deren Ehe am 12. 7. 1994 geschieden wurde. Nach der Trennung der Eheleute wurde die Obsorge mit Beschluss vom 8. 2. 1994 dem Vater zuerkannt. Die von der Mutter zu leistenden Unterhaltsbeiträge wurden zuletzt mit Beschluss vom 4. 9. 1996 auf 2.600 S monatlich erhöht.

Am 17. 3. 1998 wurde Nathalie in Heimpflege übernommen. Am 26. 3. 1999 wurde sie aus der Heimpflege entlassen und lebt seither bei ihrer väterlichen Großmutter.

In der am 17. 5. 1999 mit dem Unterhaltssachwalter geschlossenen Vereinbarung verpflichtete sich der Vater zu monatlichen Unterhaltszahlungen von 1.000 S.

Mit Beschluss vom 11. 5. 1999 wurden Unterhaltsvorschüsse auf Grund des gegen die Mutter bestehenden Unterhaltstitels von 2.600 S monatlich, und zwar für die Zeit vom 1. 4. 1999 bis 31. 3. 2002 bewilligt.

Am 8. 6. 1999 teilte der Unterhaltssachwalter mit, dass die väterliche Großmutter seit 1. 4. 1999 ein Pflegegeld gemäß § 27 Abs 6 Wiener Jugendwohlfahrtsgesetz (Wr JWG) von 1.000 S monatlich beziehe.

Daraufhin stellte das Erstgericht die Vorschüsse rückwirkend ab 1. 4. 1999 ein, weil die Gewährung von Pflegegeld der Zuerkennung von Unterhaltsvorschüssen gemäß § 2 Abs 2 Z 2 UVG entgegenstehe.

Das Rekursgericht hob diesen Beschluss ersatzlos auf. Die Pflege und Erziehung des Kindes durch seine Großmutter sei nicht als Maßnahme der vollen Erziehung anzusehen, weil die mit dem Kind bis zum dritten Grad Verwandten gemäß § 20 Wr JWG nicht unter den Begriff der Pflegeeltern, die gemäß § 27 Abs 1 Wr JWG zur Durchführung der vollen Erziehung einen Pflegegeldanspruch hätten, fielen. Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil das Rekursgericht im Ergebnis von der Entscheidung 7 Ob 5/99g abgewichen sei.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen vom Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien erhobene Revisionsrekurs ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Der Oberste Gerichtshof hatte in jüngster Zeit in mehreren vergleichbaren Fällen die Frage zu entscheiden, ob ein gemäß § 27 Abs 6 Wr JWG gewährtes Pflegegeld der Bewilligung von Unterhaltsvorschüssen gemäß § 2 Abs 2 Z 2 UVG entgegensteht (7 Ob 224/99p; 1 Ob 243/99p ua). Die Ansicht des Rekursgerichtes entspricht den nunmehr in Abkehr von 7 Ob 5/99g ergangenen Entscheidungen, denen sich auch der erkennende Senat anschließt.

Die Versagung der Vorschüsse gemäß § 2 Abs 2 Z 2 UVG setzt jedenfalls voraus, dass die Unterbringung "auf Grund einer Maßnahme" der Jugendwohlfahrtspflege (oder Sozialhilfe), somit einer entsprechenden Anordnung mit Kostenfolgen erfolgt. So genügt es nach der Rechtsprechung nicht, dass bloß die Obsorge über ein Pflegekind nach § 186a ABGB auf Pflegeeltern übertragen, eine Pflegebewilligung nach § 16 JWG erteilt und die Kosten aus Mitteln der Sozialhilfe getragen werden (ÖA 1991, 22), sofern nicht auch die Pflege und Erziehung eines Kindes in einer Pflegefamilie ausdrücklich als Maßnahme der vollen Erziehung statuiert und erfasst wird (so etwa § 14 Tir JWG LGBl 1991/18). (Nur) in einem solchen Fall vermag dann konsequenter Weise auch die Unterlassung einer Antragstellung auf Pflegegeld den Unterhaltsvorschussanspruch nicht aufrecht zu erhalten (ÖA 1996, 127/UV 1991).

Im vorliegenden Fall ist zwar die Rechtsgrundlage der Unterbringung der Minderjährigen bei seiner väterlichen Großmutter nicht - wie etwa in jenen Fällen, die den Entscheidungen 7 Ob 224/99p und 1 Ob 243/99p zugrundelagen - die Obsorgeübertragung an diese. Es ist hier jedoch der Vater auf Grund des Umstandes, dass ihm die Obsorge übertragen wurde, berechtigt, die Person auszuwählen, der er die Pflege und Erziehung des Kindes überlässt. Wie aus der Mitteilung des Unterhaltssachwalters über die Pflegegeldgewährung hervorgeht, sollte mit der Unterbringung der Minderjährigen bei ihrer Großmutter gerade keine Maßnahme der vollen Erziehung gesetzt, sondern im Gegenteil verhindert werden, dass eine solche Maßnahme (nämlich die Heimunterbringung) weiterhin aufrecht erhalten werden muss.

Entgegen der zu 7 Ob 5/99g vertretenen Auffassung liegt hier keine bescheidmäßige und damit der Rechtskraft fähige, einen Rechtsanspruch des Empfängers erledigende Pflegegeldzuerkennung vor. Während nämlich nach § 27 Abs 1 Wr JWG "Pflegeeltern" (Pflegepersonen) zur Durchführung der vollen Erziehung - eine solche liegt nicht vor - auf Antrag zur Erleichterung der mit der Pflege verbundenen Lasten Pflegegeld gebührt, diesen also ausdrücklich ein Rechtsanspruch zuerkannt wird (so auch die Materialien zum Wr JWG, § 27, 57), statuiert § 27 Abs 6 Wr JWG, dass (sonstigen) Personen, die mit den von ihnen betreuten Kindern bis zum dritten Grad verwandt oder verschwägert sind - unter welchen Personenkreis die Großmutter eines Kindes fällt - vom Magistrat unter Berücksichtigung ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse Pflegegeld bis zur Höhe des - auf Grund des § 27 Abs 5 Wr JWG durch Verordnung der Wiener Landesregierung festzusetzenden - Richtsatzes gewährt werden kann, somit kein Rechtsanspruch besteht (Materialien zum Wr JWG zu § 27 Abs 6). Diese rechtliche Ausgestaltung als nicht bescheidmäßiger Gewährungsakt der Privatwirtschaftsverwaltung entspricht übrigens auch der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zum BundespflegegeldG BGBl 1993/110, wonach die Zuerkennung von Pflegegeldern in der Zeit bis zum 30. Juni 1995 (BGBl 1995/131) über die Stufe 2 hinaus mittels bloßer Mitteilungen (der gewährenden Pflegegeldträger) ebenfalls ohne Bescheidcharakter erfolgte; derartige, über der Stufe 2 liegende Pflegegelder wurden daher vom zuständigen Sozialversicherungsträger bloß als Träger von Privatrechten im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung gewährt (SSV-NF 10/110 uva).

Daraus folgt, dass den von den Ländern nach ihren jeweiligen Jugendwohlfahrtsgesetzen bloß auf Grund von "Kannbestimmungen" und damit ohne Rechtsanspruch gewährten Pflegegeldern kein bescheidmäßiger Zuweisungsakt zugrundeliegt. Im übrigen ist Leistungsempfänger nach § 2 Abs 1 UVG das Kind, nach § 27 Wr JWG die Pflegeperson.

Die Einschränkung des § 2 Abs 2 Z 2 UVG soll nach den Materialien (JAB 199 BlgNR XIV. GP 5) sicherstellen, dass die Kosten der Unterbringung eines Kindes in einem Heim oder bei Pflegeeltern nicht vom Träger der Jugendwohlfahrtspflege oder der Sozialhilfe, den diese Kosten nach der geltenden Rechtslage treffen, auf den Bund überwälzt werden, weil der Unterhalt des Kindes durch öffentlich-rechtliche Leistungen der Sozialhilfe oder der Jugendwohlfahrtspflege, die vom Unterhaltspflichtigen zu ersetzen sind, abgedeckt werden (RV 172 BlgNR XVII. GP 24), also das Kind aus öffentlichen Mitteln "voll versorgt wird" (Neumayr, Die neueste Rechtsprechung zum UVG in RpflSlgA 1999/2, 81 [83]). Bloß freiwillig gewährte Zuschüsse welcher Art immer treffen den Jugendwohlfahrtsträger jedenfalls nur wirtschaftlich, aber nicht "nach der Rechtslage". Dass dies - je nach dem anzuwendenden Landesrecht - zu unterschiedlichen Ergebnissen führen kann, ist eine von den jeweiligen Landesgesetzgebern rechtspolitisch gewollte normative Ausgestaltung, deren Änderung der Gesetzgebung und nicht den ordentlichen Gerichten im Rahmen ihrer Rechtsprechung obliegt. Die Gewährung eines Verwandtenpflegegeldzuschusses nach § 27 Abs 6 Wr JWG an die Großmutter stellt demnach keinen Einstellungsgrund für die dem Kind gewährten Unterhaltsvorschüsse nach § 2 Abs 2 Z 2 UVG dar. Die in der Entscheidung 7 Ob 5/99g vertretene gegenteilige Auffassung kann nicht aufrecht erhalten werden.

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