OGH 4Ob335/99i

OGH4Ob335/99i21.12.1999

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kodek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Graf, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr. Griß und Dr. Schenk sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj Michael J*****, und des mj Mario J*****, beide vertreten durch den Sachwalter (§ 9 Abs 2 UVG) Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 11, Amt für Jugend und Familie, Wien 4, Favoritenstraße 18, infolge Revisionsrekurses der Minderjährigen gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 13. Oktober 1999, GZ 45 R 642/99s-177, womit der Beschluss des Bezirksgerichtes Meidling vom 4. August 1999, GZ 23 P 54/98s-161, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass er nunmehr zu lauten hat:

"1. Die dem mj Mario J*****, gewährten Unterhaltsvorschüsse werden mit Wirksamkeit per 30. Juni 1999 eingestellt.

2. Die dem mj Michael J*****, gewährten Unterhaltsvorschüsse werden mit Wirksamkeit per 31. August 1999 eingestellt."

Text

Begründung

Die am 27. 10. 1985 und am 2. 10. 1986 geborenen Minderjährigen sind die unehelichen Söhne von Ludmilla J***** und Christian P*****. Zuletzt mit Beschluss vom 16. 2. 1998 (ON 112a) wurde den Minderjährigen für die Zeit vom 1. 1. 1998 bis 31. 12. 2000 ein monatlicher Unterhaltsvorschuss gem § 4 Z 1 UVG weitergewährt, weil der unterhaltspflichtige Vater arbeitslos ist und Arbeitslosengeld bzw Notstandshilfe bezieht (ON 137). Beide Minderjährigen befanden sich ab 18. 5. 1999 in einer Kriseneinrichtung der Stadt Wien (Krisenzentrum) und wurden mit 8. 6. 1999 (ON 159) oder schon mit 2. 6. 1999 (ON 163) in volle Erziehung der Stadt Wien übernommen. Michael J***** befand sich vom 4. 7. bis 27. 8. 1999 auf Urlaub bei der Mutter (ON 165).

Mit Beschluss des Erstgerichts vom 4. 8. 1999 (ON 161) wurden unter Hinweis auf den Aufenthalt der Minderjährigen im Krisenzentrum und ihre Übernahme in Pflege der Stadt Wien die den Minderjährigen gewährten Unterhaltsvorschüsse rückwirkend mit Ablauf des 31. 5. 1999 eingestellt.

Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss und sprach aus, dass der Revisionsrekurs zulässig sei, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage einer Anwendung des § 2 Abs 2 UVG für den Fall der Übernahme eines Minderjährigen in das Krisenzentrum und für den Fall eines Urlaubsaufenthalts des Kindes beim obsorgeberechtigten Elternteil fehle. Bei Unterbringung eines Minderjährigen in einer Kriseneinrichtung erfolge dessen Betreuung nach Einschaltung des Jugendwohlfahrtsträgers und durch Einsatz öffentlicher Mittel; die Voraussetzungen des § 2 Abs 2 Z 2 UVG lägen damit vor. Nicht entscheidend sei, ob und in welchem Ausmaß Kostenersatz zu leisten sei oder ob mit der Maßnahme ein Übergang des Unterhaltsanspruchs iSd § 40 Wiener Jugendwohlfahrtsgesetz (WrJWG 1990) verbunden sei. Die Maßnahme der vollen Erziehung ende erst mit der Entlassung der Minderjährigen, nicht schon im Falle ihres Urlaubsaufenthalts bei ihrer Mutter während eines Teils der Sommerferien.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der Minderjährigen ist zulässig; das Rechtsmittel ist auch berechtigt.

Der Sachwalter vertritt die Ansicht, im Fall einer Krisenunterbringung bleibe der Unterhaltsanspruch des Minderjährigen aufrecht; die ersten vierzehn Tage der Unterbringung seien kostenlos, ab dem Folgetag sei von den Erziehungsberechtigten ein Essensbeitrag zu leisten. Bei einem länger als sechs Wochen dauernden Aufenthalt seien rückwirkend ab dem fünfzehnten Tag die Vorschriften über die Hereinbringung der Kosten bei voller Erziehung anzuwenden. Die Minderjährigen seien erst mit 2. 6. 1999 in Pflege der Stadt Wien übernommen worden, ihr Unterhalt sei aber schon am Monatsersten fällig geworden. Die Unterhaltsvorschüsse wären daher frühestens mit 30. 6. 1999 einzustellen gewesen. Darüber hinaus sei auch für die Zeit des Urlaubs der Kinder (während dem kein Kostenbeitrag eingehoben werde) ihr Unterhaltsanspruch aufrecht. Der erkennende Senat hat dazu erwogen:

Nach § 2 Abs 2 Z 2 UVG besteht ein Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse dann nicht, wenn das Kind auf Grund einer Maßnahme der Sozialhilfe oder der vollen Erziehung nach dem öffentlichen Jugendwohlfahrtsrecht in eine Pflegefamilie, in einem Heim oder in einer sonstigen Einrichtung untergebracht ist. Diese Einschränkung soll nach den Materialien im Justizausschussbericht (199 BlgNR 14. GP, 5) sicherstellen, dass die Kosten der Unterbringung eines Kindes in einem Heim oder bei Pflegeeltern nicht vom Träger der Jugendwohlfahrtspflege oder Sozialhilfe, den diese Kosten nach der geltenden Rechtslage treffen, auf den Bund überwälzt werden, weil der Unterhalt des Kindes durch öffentlich-rechtliche Leistungen der Sozialhilfe oder Jugendwohlfahrtspflege, die vom Unterhaltspflichtigen zu ersetzen sind, abgedeckt (RV 172 BlgNR 17. GP, 24), also das Kind aus öffentlichen Mitteln "voll versorgt wird" (Neumayr, Die neueste Rechtsprechung zum UVG, Rechtspfleger 1999/2, 81 [83]). Diese Bestimmung solle demnach nur verhindern, dass jener Kostenaufwand, den die Länder zu tragen haben, faktisch auf den Bund überwälzt werde, sodass nur zu prüfen sei, ob ungeachtet etwaiger Ersatzrechte gegen das Kind oder Dritte die Länder zunächst verpflichtet sind, die Kosten zu zahlen (Knoll, Kommentar zum UVG, Rz 18 zu § 2).

Nach dem Wortlaut des § 2 Abs 2 Z 2 UVG besteht ein Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse ua dann nicht, wenn das Kind auf Grund einer Maßnahme der vollen Erziehung in einem Heim untergebracht ist; beide Voraussetzungen müssen also kumulativ vorliegen. Nicht jede Form einer Fremdunterbringung verwirklicht somit den Einstellungsgrund für Unterhaltsvorschüsse nach § 20 Abs 1 Z 4 lit a iVm § 2 Abs 2 Z 2 UVG. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang weiters, dass alle im Vorschussverfahren für die Gewährung und Einstellung maßgeblichen Ereignisse monatsbezogen erfasst werden: Ein Gewährungsgrund, der am Beginn eines Monats noch nicht und zum Monatsende nicht mehr bestanden hat, erfüllt die Voraussetzungen für die Vorschussgewährung; umgekehrt hindert ein Versagungsgrund, der nur an einigen Tagen eines Monats gegeben war, die Bevorschussung für den gesamten Monat nicht (Neumayr in Schwimann, ABGB2 § 8 UVG Rz 2 mit Nachweisen aus der Rsp der Rekursgerichte).

Nach diesen Grundsätzen hat - entgegen der Ansicht des Rekursgerichts - nicht schon die Aufnahme der Minderjährigen am 18. 5. 1999 in das Krisenzentrum zum Wegfall der Voraussetzungen für die Gewährung von Unterhaltsvorschuss geführt, sondern erst deren Übernahme in volle Erziehung mit 2. 6. 1999 unter Aufrechterhaltung der Heimunterbringung. Weil ein Versagungstatbestand aber nicht während des gesamten Juni 1999 vorlag, war die Einstellung hinsichtlich des mj Mario J***** erst mit Ablauf dieses Monats anzuordnen.

In Ansehung des mj Michael J***** war zu berücksichtigen, dass er sich während des Urlaubsaufenthalts bei seiner Mutter vom 4. 7. bis 27. 8. 1999 zwar weiterhin in voller Erziehung des Jugendwohlfahrtsträgers, nicht aber in einer Heimunterbringung iSd § 2 Abs 2 Z 2 UVG befunden hat. Damit lag ein Versagungsgrund für Unterhaltsvorschüsse weder während des gesamten Juli 1999 noch während des gesamten August 1999 vor. Für ihn war die Einstellung der Unterhaltsvorschüsse folglich erst mit Ablauf des 31. 8. 1999 anzuordnen.

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