Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung
Der am 2. 1. 1990 unehelich geborene Minderjährige lebt seit seiner Geburt bei der mütterlichen Großmutter. Die Mutter, welche sich nie richtig um das Kind kümmerte, ist seit September 1991 unbekannten Aufenthaltes; der außereheliche Vater hat bereits seit Sommer 1990 keinerlei Kontakte zum Kind. Auf Grund dieser Gegebenheiten entzog das Erstgericht mit Beschluss vom 14. 11. 1991 der Mutter das Obsorgerecht hinsichtlich des Kindes und übertrug es der mütterlichen Großmutter (ON 5). Seit 1. 11. 1991 wird dem Minderjährigen (zu Handen der Vormünderin) ein Pflegegeld gemäß § 27 Abs 6 Wiener Jugendwohlfahrtsgesetz (im folgenden kurz: WrJWG) 1990 - derzeit in Höhe von monatlich S 2.400 - gewährt (ON 54).
Seit 1. 6. 1994 wurden dem Minderjährigen auch Unterhaltsvorschüsse in Höhe von (titelmäßig) S 1.900 monatlich gewährt (ON 13), welche mit Beschluss vom 27. 3. 1998 bis zum 31. 5. 2000 (ON 20) verlängert wurden. Über Antrag des Unterhaltssachwalters vom 2. 4. 1998 wurden die Vorschüsse auf monatlich S 663 eingeschränkt (ON 45).
Auf Grund der Pflegegeldgewährung stellte das Erstgericht mit Beschluss vom 25. 5. 1999 die (weiter-)gewährten Unterhaltsvorschüsse rückwirkend per 1. 6. 1994 ein und berief sich hiezu auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes 7 Ob 5/99g.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Minderjährigen Folge und behob den angefochtenen Beschluss ersatzlos. Der ordentliche Revisionsrekurs wurde für zulässig erklärt. Das Rekursgericht führte rechtlich (zusammengefasst) aus, dass der Minderjährige nicht auf Grund einer "vollen Erziehungsmaßnahme" im Sinne des § 2 Abs 2 Z 2 UVG, sondern bloß auf Grund familienrechtlicher Umstände bei seiner Großmutter untergebracht sei. Da überdies das Pflegegeld nur in einer den Richtsatz (von S 4.625) nicht erreichenden Höhe gewährt werde, könne auch von einer "vollen" Erziehung nicht gesprochen werden. Der Revisionsrekurs wurde für zulässig erklärt, weil "der vorliegenden Entscheidung eine Rechtsfrage erheblicher Bedeutung zugrunde liegt und eine anderslautende Judikatur des Obersten Gerichtshofes bekannt ist".
Gegen diese Entscheidung richtet sich der auf den Rechtsmittelgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Revisionsrekurs des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien mit dem Antrag, die bekämpfte Entscheidung im Sinne einer Wiederherstellung des Beschlusses des Erstgerichtes abzuändern; hilfsweise wird auch ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Revisionsrekurs ist im Hinblick darauf, dass die in der Entscheidung 7 Ob 5/99g vertretene Rechtsauffassung zu Rechtsunsicherheiten geführt hat und vom 7. Senat nach neuerlicher Beurteilung in seiner Entscheidung 7 Ob 224/99p vom 23. 11. 1999 hievon wiederum abgerückt wurde, zulässig, jedoch nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
In der Entscheidung 7 Ob 5/99g hatte der Oberste Gerichtshof ausgeführt, dass dem Argument, dass nach der ebenfalls einen derartigen Pflegegeldfall betreffenden früheren Entscheidung EFSlg 69.396, die Pflegegeldgewährung gemäß § 28 NÖJWG 1991 LGBl 40 bei Unterbringung eines Kindes bei Pflegeeltern zwingend vorgesehen gewesen sei, während es nach dem in der späteren Entscheidung (ebenso wie hier) anzuwendenden § 27 Abs 6 WrJWG im Ermessen der zuständigen Behörde stehe, eine solche Leistung zuzuerkennen, keine entscheidende Bedeutung zukomme; allein maßgeblich sei vielmehr, dass tatsächlich ein Pflegegeld gewährt werde und sohin das Kind auf Grund einer offensichtlich rechtskräftigen Verwaltungsentscheidung einen entsprechenden Rechtsanspruch erworben habe. Sei dies der Fall, so würden die Voraussetzungen für den Ausschluss der Vorschüsse gemäß § 2 Abs 2 Z 2 UVG erfüllt; der Frage, dass es im Ermessen des Landes stehe, nach § 27 Abs 6 WrJWG Pflegegeld zuzuerkennen oder nicht, komme daher, wenn eine solche rechtskräftig erfolgt sei, keine weitere Bedeutung im Sinne des § 2 Abs 2 Z 2 UVG zu.
In Abkehr von dieser Entscheidung führte der Oberste Gerichtshof hingegen zu 7 Ob 224/99p folgendes aus:
Nach § 2 Abs 2 Z 2 UVG besteht ein Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse nicht, wenn das Kind "auf Grund einer Maßnahme der Sozialhilfe oder vollen Erziehung nach dem öffentlichen Jugendwohlfahrtsrecht in einer Pflegefamilie, in einem Heim oder in einer sonstigen Einrichtung untergebracht ist". Diese Einschränkung soll - so die Materialien im Justizausschussbericht (199 BlgNR 14. GP, 5) - "sicherstellen, dass die Kosten der Unterbringung eines Kindes in einem Heim oder bei Pflegeeltern nicht vom Träger der Jugendwohlfahrtspflege oder der Sozialhilfe, den diese Kosten nach der geltenden Rechtslage treffen, auf den Bund überwälzt werden", weil "der Unterhalt des Kindes durch öffentlich-rechtliche Leistungen der Sozialhilfe oder Jugendwohlfahrtspflege, die vom Unterhaltspflichtigen zu ersetzen sind, abgedeckt" (RV 172 BlgNR 17. GP, 24), also das Kind aus öffentlichen Mitteln "voll versorgt wird" (Neumayr, Die neueste Rechtsprechung zum UVG, Rechtspfleger 1999/2, 81 [83]). Die Bestimmung soll demnach nur hindern, dass ein Kostenaufwand, den die Länder zu tragen haben, "faktisch auf den Bund überwälzt werde", sodass "nur zu prüfen ist, ob ungeachtet etwaiger Ersatzrechte gegen das Kind oder Dritte die Länder zunächst verpflichtet sind, die Kosten zu bezahlen" (Knoll, Kommentar zum UVG, Rz 18 zu § 2). Der genannte Autor verweist in diesem Zusammenhang auch auf einen Bericht des Bundesministeriums für Justiz über die Ergebnisse einer Arbeitstagung über aktuelle Fragen zum Unterhaltsvorschussrecht im Jänner 1978 (veröffentlicht auch in ÖA 1978, 91), wonach "die Tragung der Kosten der Unterbringung durch den Träger der Jugendwohlfahrtspflege ... allein noch nicht den Tatbestand des § 2 Abs 2 Z 2 UVG herstellt". Auch wenn die Verwendung des Wortes "Maßnahme" durch den Gesetzgeber "eher auf behördliche Anordnung schließen lasse, ist das für sich [allein] doch nicht zwingend" (Knoll, aaO).
Grundlegende Voraussetzung für die Möglichkeit zur Versagung von Unterhaltsvorschüssen nach § 2 Abs 2 Z 2 UVG ist jedenfalls, dass die Unterbringung auf Grund einer Maßnahme der Jugendwohlfahrtspflege (oder der Sozialhilfe) erfolgt, dh es ist eine entsprechende Anordnung mit Kostenfolgen erforderlich (Neumayr, aaO). So genügt es etwa nach der Rechtsprechung nicht, dass bloß die Obsorge über ein Pflegekind nach § 186a ABGB auf Pflegeeltern übertragen, eine Pflegebewilligung nach § 16 JWG erteilt und die Kosten aus Mitteln der Sozialhilfe getragen werden (ÖA 1991, 22), sofern nicht auch die Pflege und Erziehung eines Kindes in einer Pflegefamilie ausdrücklich als Maßnahme der vollen Erziehung statuiert und erfasst wird (so etwa § 14 TirJWG LGBl 1991/18); (nur) in einem solchen Fall vermag dann - konsequenterweise - auch die Unterlassung einer Antragstellung auf Pflegegeld den Unterhaltsvorschussanspruch nicht aufrechtzuerhalten (ÖA 1996, 127/UV 91).
Bei der hier vorliegenden Entziehung der Obsorge der Mutter einerseits und Übertragung derselben auf die Großmutter andererseits handelt es sich nach der maßgeblichen Aktenlage keineswegs um eine "Maßnahme der vollen Erziehung nach dem öffentlichen Jugendwohlfahrtsrecht". Nicht nur die Initiative zu diesem Schritt (Protokoll ON 1) fand ohne Mitwirkung einer derartigen Behörde statt, sondern lagen auch der letztlich antragsgemäß erfolgten Beschlussfassung ausschließlich dem Wohl des Minderjährigen (§ 178a ABGB) entsprechende familienbezogene Erwägungen zugrunde (ON 5). Die Übernahme des Kindes in den Wohnungsverband seiner Großmutter und deren rechtliche Gestaltung als Fall einer Obsorgeübertragung durch Vormundbestellung im Sinne des § 187 ABGB war daher gerade keine "Maßnahme der vollen Erziehung", sollte doch eine solche durch die Belassung des Kindes innerhalb der Familie (im weiteren Sinne) gerade vermieden werden.
Dazu kommt, dass ebenso wie im zu 7 Ob 224/99p zur Beurteilung anstehenden Fall - entgegen der noch zu 7 Ob 5/99g vertretenen Auffassung -, auch hier gar keine bescheidmäßige und damit der Rechtskraft fähige, einen Rechtsanspruch des Empfängers erledigende Pflegegeldzuerkennung vorliegt. Während nämlich nach § 27 Abs 1 WrJWG "Pflegeeltern (Pflegepersonen) zur Durchführung der vollen Erziehung [eine solche liegt nach dem Vorgesagten hier nicht vor] ... auf Antrag zur Erleichterung der mit der Pflege verbundenen Lasten Pflegegeld gebührt" (diesen also ausdrücklich ein Rechtsanspruch zuerkannt wird: so auch die - nicht veröffentlichten - Materialien zum WrJWG 1990, § 27, Seite 57), statuiert dessen Abs 6, dass (sonstigen) "Personen, die mit den von ihnen betrauten Kindern bis zum 3. Grad verwandt oder verschwägert sind [was auch für die Vormünderin hier zutrifft], und Vormündern, in deren Pflege und Erziehung sich das Kind befindet, vom Magistrat unter Berücksichtigung ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse Pflegegeld bis zur Höhe des Richtsatzes gewährt werden kann." Diese Richtsätze werden auf Grund des § 27 Abs 5 leg cit jeweils durch Verordnung der Wiener Landesregierung festgesetzt (zuletzt LGBl 1999/26) und betrugen "für ein Wiener Pflegekind in Einzelpflege (1 - 3 Kinder)" im hier maßgeblichen Zeitraum ab 1994 monatlich (maximal) S 3.700 (LGBl 1991/4: § 1 Abs 1 Z 1), ab 1. 5. 1996 S 4.325 (LGBl 1996/19), ab 1. 5. 1997 S 4.425 (LGBl 1997/14), ab 1. 5. 1998 S 4.525 (LGBl 1998/24) sowie seit 1. 5. 1999 S 4.625 (LGBl 1999/26). Tatsächlich wurden der Vormünderin aktenkundig jeweils nur wesentlich geringere Beträge ausbezahlt (ON 54).
In den bereits erwähnten Materialien zum WrJWG 1990 heisst es betreffend dessen § 27 Abs 6 wörtlich:
"Gemäß Abs 6 kann der Magistrat dem im Gesetz angeführten Personenkreis nach freiem Ermessen im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung Beiträge bis zur Höhe des Pflegegeldes gewähren; darauf besteht kein Rechtsanspruch. Die Bedürfnisse des Pflegekindes sind jedoch primär von seinem Einkommen und durch die Geltendmachung der Unterhaltsansprüche (Unterhaltsvorschüsse) gegenüber beiden Elternteilen zu decken. Über die Gewährung eines solchen Pflegebeitrages ergeht eine formlose schriftliche Verständigung."
Diese rechtliche Ausgestaltung als nicht bescheidmäßiger Gewährungsakt der Privatwirtschaftsverwaltung entspricht übrigens auch der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes im Zusammenhang mit dem Bundespflegegeldgesetz (BPGG BGBl 1993/110), wonach Zuerkennungen von Pflegegeldern in der Zeit bis zum 30. 6. 1995 (BGBl 1995/131) über die Stufe 2 hinaus mittels bloßer Mitteilungen (der gewährenden Pflegegeldträger) ebenfalls kein Bescheidcharakter zuerkannt wurde; derartige, über der Stufe 2 liegende Pflegegelder wurden daher vom zuständigen Sozialversicherungsträger bloß als Träger von Privatrechten im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung gewährt (SSV-NF 10/110 uam; RIS-Justiz RS0106703; zur Abgrenzung Hoheits- gegenüber Privatwirtschaftsverwaltung siehe auch etwa VwGH in Slg 14.326A/1995 sowie Antoniolli/Koja, Allgemeines Verwaltungsrecht3, 23 ff). Dazu kommt, worauf abschließend nur der Vollständigkeit halber noch hingewiesen werden soll, dass Leistungsempfänger nach § 2 Abs 1 UVG das jeweilige minderjährige Kind, nach § 27 WrJWG jedoch die Pflegeperson ist, sodass auch insoweit eine Kongruenz zwischen beiden Gesetzen verneint werden muss.
Daraus folgt aber, dass jedenfalls den von den Ländern nach ihren jeweiligen Jugendwohlfahrtsgesetzen bloß auf Grund von "Kann-"Bestimmungen und damit ohne Rechtsanspruch gewährten Pflegegeldern keine bescheidmäßigen Zuweisungsakte zugrunde liegen, sodass die in der Vorentscheidung 7 Ob 5/99g hiezu vertretene Rechtsansicht aus den bereits zu 7 Ob 224/99p niedergelegten Gründen, denen sich auch der erkennende Senat anschließt, insoweit nicht mehr aufrecht erhalten und als tragendes Argument für eine Einstellung derartiger Unterhaltsvorschüsse auf Grund solcher Pflegegeldgewährungen herangezogen werden kann. Eine solche könnte vielmehr nur dann erfolgen, wenn auch eine rechtliche Verpflichtung des jeweiligen Landes zur Gewährung solcher Pflegegelder (wie beispielsweise in Niederösterreich und Tirol) bestünde, worauf schließlich auch die - weiter oben bereits wiedergegebenen - Gesetzesmaterialien (zum UVG: arg "nach der geltenden Rechtslage") hinweisen; (bloß) freiwillig gewährte Zuschüsse welcher Art auch immer treffen den Jugendwohlfahrtsträger nämlich nur wirtschaftlich, aber eben nicht "nach der Rechtslage". Dass dies - je nach anzuwendendem Landesrecht - zu unterschiedlichen Ergebnissen führen kann, ist eine von den jeweiligen Landesgesetzgebern rechtspolitisch gewollte normative Ausgestaltung, deren Änderung ebenfalls nur diesen und nicht den ordentlichen Gerichten im Rahmen ihrer Rechtsprechung obliegen kann (nochmals 7 Ob 224/99p unter Hinweis auf 1 Ob 78/99y).
Da das Rekursgericht dies im Ergebnis zutreffend erkannte, kann dem hiegegen ankämpfenden Revisionsrekurs kein Erfolg beschieden sein (so auch 1 Ob 270/99h, 4 Ob 289/99z uam). Der vom Erstgericht angezogene Einstellungsgrund nach § 20 Abs 1 Z 4 lit a iVm § 2 Abs 2 Z 2 UVG liegt daher nicht vor.
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