OGH 8ObA269/95

OGH8ObA269/9518.8.1995

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Huber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag und Dr.Langer sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr.Herbert Vesely und Dr.Anton Wladar als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Anton H*****, Koch, derzeit ohne Beschäftigung, ***** vertreten durch Dr.Helga Hofbauer-Goldmann, Rechtsanwältin in Wien, wider die beklagte Partei I***** Gesellschaft AG, ***** vertreten durch Dr.Alfred Strommer ua Rechtsanwälte in Wien, wegen Feststellung (Streitwert 300.000 S), in eventu wegen 81.404,02 S brutto sA, infolge Rekurses beider Parteien gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27.März 1995, GZ 8 Ra 13/95-16, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 27.Juli 1994, GZ 13 Cga 356/93-12, aufgehoben wurde, beschlossen und zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Dem Rekurs des Klägers wird nicht Folge gegeben.

Dem Rekurs der beklagten Partei wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird im Ausspruch über das Hauptbegehren aufgehoben und in diesem Umfang in der Sache selbst mit Teilurteil zu Recht erkannt:

"Das Klagebegehren, es werde festgestellt, daß das Dienstverhältnis zwischen dem Kläger und der beklagten Partei über den 4.Oktober 1993 hinaus unbefristet aufrecht weiter bestehe, wird abgewiesen.

Die Kostenentscheidung wird der Endentscheidung vorbehalten."

Im übrigen, bezüglich des Eventualbegehrens, wird der angefochtene Beschluß aufgehoben und die Rechtssache in diesem Umfang zur allfälligen Ergänzung des Verfahrens und zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kollektivvertrag für die Bediensteten der beklagten Partei - mit Ausnahme der Arbeiter der Werkstätte, der Hotels, der ortsfesten Restaurationsbetriebe und der Dienstnehmer, auf die das Angestelltengesetz Anwendung findet - (im folgenden: KV) vom 20. Oktober 1966 bestimmt unter anderem folgendes:

"§ 6

Auflösung des Dienstverhältnisses

........

(2) Nach Ablauf der Probezeit kann ein auf unbestimmte Zeit

abgeschlossenes Dienstverhältnis unter Einhaltung einer 14-tägigen

Kündigungsfrist von beiden Seiten schriftlich gelöst werden.

........

(4) Das Dienstverhältnis der Bediensteten endet:

a) durch Entlassung gemäß § 82 der Gewerbeordnung mit Ausnahme lit.h

oder vorzeitigen Austritt.

........

§ 23

Dienst- und Disziplinarstrafen

(1) Dienststrafen können vom Repräsentanten der bevollmächtigten

Gesellschaft oder von dessen bevollmächtigtem Vertreter ohne Anhörung

des Betriebsrates, Disziplinarstrafen nur nach Anhörung des

Betriebsrates über Bedienstete verhängt werden.

........

(3) Als Disziplinarstrafen haben zu gelten:

......

d) Kündigung,

e) Entlassung gemäß § 82 der Gewerbeordnung, ausgenommen lit. h.

........"

Der Kläger begehrt die Feststellung des aufrechten Bestandes seines Dienstverhältnisses über den 4.Oktober 1993 hinaus, in eventu die Leistung eines Betrages von 81.404,02 S brutto sA. Er sei vom 27. November 1989 bis 4.Oktober 1993 bei der beklagten Partei als Koch beschäftigt gewesen. Am 4.Oktober 1993 habe ihn die beklagte Partei mit Telegramm entlassen, nachdem er am 30.September 1993 vom Dienst suspendiert worden sei, weil ein Kontrollor der beklagten Partei an diesem Tag im Zug "Montfort" zwischen Dornbirn und Feldkirch in seiner Tasche sechs "Schüblinge" gefunden habe. Es handle sich um eine spezielle Wurstsorte, die der Kläger seiner Schwester nach St.Pölten habe mitbringen wollen. Die Wurstwaren seien dem Kläger entgegen der sonstigen Übung nicht vom Kontrollor abgenommen worden. Der Fund sei von der beklagten Partei als Verstoß gegen das von ihr ausgesprochene Verbot der privaten Mitnahme von Lebensmitteln gewertet worden. Vor dem Ausspruch der Entlassung sei entgegen der diesbezüglichen Vorschrift des Kollektivvertrages der Betriebsrat nicht angehört worden. Die Entlassung des Klägers sei daher unwirksam und sein Dienstverhältnis weiterhin aufrecht. In eventu mache der Kläger Ansprüche aus ungerechtfertigter Entlassung (Kündigungsentschädigung, Urlaubsentschädigung, Verpflegskostenablöse und Abfindung) im Betrage von 81.404,02 S brutto geltend.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Die beklagte Partei bewirtschafte aufgrund eines Generalpachtvertrages mit der ÖBB fast sämtliche Speisewagen auf dem österreichischen und teilweise auch auf dem ausländischen Schienennetz. Eine ständige Kontrolle der Kellner und Köche in den Speisewagen sei technisch nicht möglich. Es komme regelmäßig zu Schwarzverkäufen von Mitarbeitern, indem sie mitgebrachte Lebensmittel an Reisende verkauften und den Erlös für sich behielten. Mitgebrachte Lebensmittel würden in Nylonsäcken, in Müllsäcken, in Nischen der Kücheneinrichtung oder in Privattaschen verwahrt. Diese Schwarzverkäufe erfüllten nicht nur den Straftatbestand der Veruntreuung, sondern seien aus lebensmittelhygienischen Gesichtspunkten bedenklich. Da die Schwarzwaren nicht im "offiziellen Kühlschrank" gelagert werden könnten, seien nicht einmal die Mindestanforderungen an Lebensmittelhygiene gewährleistet. Da der jeweilige Kellner bzw Koch des Speisewagens für die Einhaltung der lebensmittelrechtlichen Vorschriften verantwortlich sei, sei Strafbarkeit auch wegen Verstoßes gegen das Lebensmittelgesetz gegeben. Die beklagte Partei versuche energisch, diesen zuletzt zunehmenden Umtrieben unter anderem durch verstärkte Kontrolle zu begegnen. Dem fahrenden Personal sei nunmehr jede Mitnahme privater Lebensmittel striktest untersagt. Zur eigenen Versorgung seien die Mitarbeiter statt dessen berechtigt, ihren Bedarf aus dem Warenbestand der beklagten Partei zu den Anschaffungskosten zu decken. Am 30.September 1993 sei auf der Strecke Wien-Bregenz beim Kläger eine Taschenkontrolle durchgeführt worden. Hiebei sei aufgedeckt worden, daß der Kläger in einer Toilettetasche in seinem Privatgepäck sechs Paar Frankfurter und einige Portionen Senf und Ketchup versteckt gehabt habe. Das Privatgepäck des Klägers habe sich im mittleren Küchenbereich des Speisewagens befunden. Der Kontrollor Wolfgang K***** habe die versteckten Würste als Frankfurter und nicht - wie vom Kläger behauptet - als Schüblinge registriert. Bezeichnenderweise seien die vom Kläger zum Schwarzverkauf bestimmten Lebensmittel im Warensortiment der beklagten Partei enthalten. Die Rechtfertigung des Klägers, es handle sich bei den aufgefundenen Frankfurtern um ein Geschenk an seine Schwester und eine spezielle Wurstsorte, die nur in Tirol und Vorarlberg verkauft werde, sei schon deswegen unglaubwürdig, weil der Kläger zusätzlich einige Portionen Senf und Ketchup mitgehabt habe. Berücksichtige man diesen Umstand und das strikte Verbot der Mitnahme von Privatspeisen und -getränken, dann ergäbe sich zwingend, daß der Kläger die Waren zum Zwecke des Schwarzverkaufes angeschafft und mitgenommen habe. Da der Kläger die Dienstanweisung der beklagten Partei vorsätzlich mißachtet habe, sei die Entlassung zu Recht wegen beharrlicher Pflichtverletzung ausgesprochen worden. Der Versuch, die Waren an Speisewagengäste abzusetzen und sich dafür das vereinnahmte Geld anzueignen, sei als versuchte Veruntreuung zu qualifizieren, auch wenn der Täter - unzulässigerweise - den Wareneinsatz selbst geleistet habe. Der Betriebsrat sei gemäß § 23 KV von der beabsichtigten Entlassung verständigt worden. Auch nach dem vorliegenden KV habe der Dienstgeber ein Wahlrecht zwischen schlichter und disziplinärer Kündigung und Entlassung. Das Kündigungsrecht der beklagten Partei sei nur formal durch das Erfordernis der Anhörung des Betriebsrates, nicht aber materiell durch eine Bindung an bestimmte inhaltliche Erfordernisse beschränkt.

Das Erstgericht gab dem Feststellungsbegehren statt und stellte folgenden Sachverhalt fest:

Der Kläger ist als Koch der fahrenden Restaurants der beklagten Partei beschäftigt. Am 30.September 1993 versah er seinen Dienst auf der Strecke Bregenz-Wien. Im Streckenabschnitt zwischen Dornbirn und Feldkirch führte Wolfgang K***** im Auftrag der beklagten Partei eine Kontrolle des Gepäcks der im Restaurantwagen beschäftigten Dienstnehmer der beklagten Partei durch. Bei dieser Kontrolle entdeckte er in einer unverschlossenen Toilettetasche des Klägers, die dieser im mittleren Küchenbereich aufbewahrt hatte, zwei Vakuumpackungen, die je drei Paare Würste der Sorte Schüblinge, die in Vorarlberg und Tirol verkauft werden, enthielten. Diese Schüblinge sind ungefähr 20 cm lang und ungefähr 3 cm dick. Sie unterscheiden sich von Frankfurter Würsten auch durch die Zusammensetzung ihrer Fülle und durch den Darm, in welchen sie gefüllt sind. Außerdem befanden sich in der Tasche des Klägers noch verpackte Hotelseife, Rasierschaum, ein Rasierapparat und eine Zahnbürste. Nach der für den Betrieb der beklagten Partei geltenden Betriebsvereinbarung müssen Waren, die bei derartigen Kontrollen gefunden werden, sichergestellt werden. Die beim Kläger beanstandeten Gegenstände wurden nicht sichergestellt.

Über die Kontrolle wurde ein Protokoll angefertigt, welches lautet:

"Im Toilette-Täschchen des Kochs, welches sich in seinem Privatgepäck befand, wurden sechs Paar Frankfurter und einige Portionen Senf und Ketchup gefunden. Das Privatgepäck befand sich im mittleren Küchenbereich."

Bei der Kontrolle und bei der Anfertigung des Protokolls wurden keine Gespräche mit dem Kläger geführt. Der Kläger wurde weder um seine Zustimmung zur gesonderten Aufbewahrung der gefundenen Gegenstände ersucht noch wurden die Gegenstände gesondert aufbewahrt. Das Protokoll über die Kontrolle wurde nicht in Anwesenheit des Klägers verfaßt, er bekam dieses Protokoll nicht zu Gesicht und er durfte es nicht unterfertigen. Ihm wurde nicht mitgeteilt, daß ihm vorgeworfen wurde, vorportionierten Senf und vorportioniertes Ketchup im Gepäck gehabt zu haben.

Der Kläger hatte die Schüblinge auf Ersuchen seiner Schwester in Wenz im Pitztal gekauft, um sie dieser mitzubringen.

Es war dem Kläger bekannt, daß die Betriebsleitung der beklagten Partei den Bediensteten verboten hatte, eigene Lebensmittel zum Arbeitsplatz mitzubringen.

Wolfgang K***** fertigte einen schriftlichen Bericht über seine Wahrnehmungen an und ließ diesen von der bei der beklagten Partei beschäftigten Beobachterin Evelyn M***** unterfertigen. Die beiden führten kein Gespräch mit dem Kläger über diese Angelegenheit durch und überließen die gefundenen Würste dem Kläger.

Der Vorsitzende des Betriebsrates der Arbeiter im Fahrdienst der beklagten Partei Gerhard S***** hielt sich am 1.Oktober 1993 bei einer gewerkschaftlichen Tagung in Innsbruck auf. Während dieser Tagung wurde er um etwa 9 Uhr von zwei Betriebsratsmitgliedern aus Wien angerufen, die mitteilten, daß Kontrollen bei Arbeitern im Fahrdienst stattgefunden hätten, daß der Kläger von einer derartigen Kontrolle betroffen sei und daß man dem Kläger vorwerfe, zum Verkauf geeignete Ware mitgeführt zu haben. Einzelheiten über die Art der beim Kläger gefundenen Ware und über deren Menge konnten die beiden Betriebsratsmitglieder bei diesen Telefonaten nicht mitteilen, sie wiesen aber darauf hin, daß der Kläger noch am selben Tag in Innsbruck eintreffen werde. Am späten Vormittag des 1.Oktober 1993 traf der Kläger in Innsbruck ein. Gerhard S***** holte während einer Tagungspause Information vom Kläger über den Vorfall ein. In der nächsten Tagungspause wurde Gerhard S***** von Hellmut M*****, dem Leiter des Restaurationsbetriebes Innsbruck, angesprochen und ersucht, die Angelegenheit mit ihm zu beraten. Gerhard S***** ersuchte Hellmut M*****, die Beratung bis zum Ende der Tagung aufzuschieben und wies ihn darauf hin, daß er, falls es sich um eine Disziplinarangelegenheit handeln sollte, nicht bereit sei, mit ihm als weisungsgebundenem Leiter des Fahrdienstes Innsbruck zu verhandeln, sondern daß er darüber ein Gespräch mit dem Betriebsleiter und Abteilungsleiter des fahrenden Restaurationsbetriebes Dirk B***** wünsche. Hellmut M***** wies Gerhard S***** sodann darauf hin, daß er von Dirk B***** den Auftrag habe, mit dem Betriebsratvorsitzenden über die beabsichtigte Entlassung des Klägers ein Gespräch zu führen. Er selbst könne keine Entscheidung über das Ergebnis dieser Beratung treffen. Auch über das Ergebnis der beim Kläger durchgeführten Kontrolle wußte Hellmut M***** nicht genau Bescheid. Schließlich stimmte er Gerhard S***** darin zu, daß er nicht der richtige Gesprächspartner in dieser Angelegenheit sei.

Am Montag, dem 4.Oktober 1993 hatte Gerhard S***** einen Gesprächstermin in einer anderen Angelegenheit in der Direktion der beklagten Partei. Er brachte die Sache des Klägers zur Sprache und wurde an den Abteilungsleiter Dirk B***** verwiesen. Gerhard S***** meldete bei diesem Gespräch seine Bedenken gegen die beim Kläger vorgenommene Gepäckskontrolle an und wies auch darauf hin, daß die Gepäckskontrolle betriebsvereinbarungswidrig erfolgt sei; derartige Kontrollen dürften nur in Kopf-oder Endbahnhöfen durchgeführt werden, um zu vermeiden, daß bestimmte Dienstnehmer selektiv kontrolliert würden. Noch vor dem 4.Oktober 1993 war den Betriebsratsmitgliedern das Protokoll über die Kontrolle des Gepäcks vom 30.September 1993 übersandt worden.

Am 4.Oktober 1993 um 11 Uhr 40 schickte der Leiter des Restaurationsbetriebes Innsbruck ein Telegramm folgenden Inhaltes an den Kläger:

"Herrn H***** Anton

P*****

*****

Hiemit werden sie mit heutigem Datum fristlos entlassen

MFG M*****."

Eine Strafanzeige gegen den Kläger wegen Verdachtes des Vergehens der Veruntreuung und des gewerbsmäßigen Betruges wurde von der Staatsanwaltschaft Innsbruck am 5.Jänner 1994 gemäß § 90 Abs 1 StPO zurückgelegt.

Der Kläger war am 19.November 1991 und 22.November 1991 schriftlich verwarnt worden, weil er am 24.Oktober und am 16.November 1991 den Dienst verschlafen hatte.

Am 2.Juli 1992 behinderten mehrere Personen des Restaurantpersonals die Reinigungsarbeiten im Zug. Dies führte zu Belehrungen und mündlichen Verwarnungen des Klägers und zweier anderer Köche sowie zweier Kellner.

Rechtlich folgerte das Erstgericht, mit der vorliegenden kollektivvertraglichen Regelung über die vorherige Anhörung des Betriebsrates sei das Kündigungs- und Entlassungsrecht des Arbeitgebers in zulässiger Weise beschränkt worden; der Arbeitgeber habe kein Wahlrecht zwischen einer schlichten und einer disziplinären Entlassung, weil sonst die im Kollektivvertrag normierte verfahrensrechtliche Beschränkung des Entlassungsrechtes völlig wirkungslos wäre. Mangels Einhaltung der Formvorschriften sei auch keine wirksame Kündigung erfolgt.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei im Sinne des eventualiter gestellten Aufhebungsantrages Folge und sprach aus, daß der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei. Mit dem Verbot der Mitnahme von Privatspeisen und -getränken habe die beklagte Partei gegen ihre Fürsorgepflicht gegenüber ihren Dienstnehmern verstoßen. Auch wenn man davon ausgehe, daß Arbeitnehmer der beklagten Partei regelmäßig Schwarzverkäufe tätigten, könnten nicht sämtliche Arbeitnehmer gezwungen werden, sich während der Dienstzeit an den Warenbestand des Arbeitgebers zu halten. Die Dienstanweisung stelle eine zu weitgehende Einschränkung dar, weil sie das Mitnahmeverbot völlig undifferenziert ausspreche; der Zweck des Verbotes sei auch durch Begrenzung auf eine den Eigenverbrauch deckende Menge oder die Beschränkung auf bestimmte im (richtig wohl: nicht im) Sortiment der beklagten Partei befindliche Waren zu erreichen. Ein Verstoß gegen diese nichtige Anweisung sei nicht als Pflichtverletzung im Sinne des § 82 lit f GewO anzusehen, so daß die von der beklagten Partei ausgesprochene Entlassung jedenfalls rechtswidrig sei. Die im § 23 KV vorgesehene Anhörung des Betriebsrates sei als gemäß § 2 Abs 2 Z 2 ArbVG zulässige Regelung der gegenseitigen Rechte und Pflichten der Arbeitgeber und Arbeitnehmer anzusehen. Die Regelung sei auch mit dem absolut zwingenden Charakter des Betriebsverfassungsrechts vereinbar, weil es sich nicht um ein Zustimmungs- sondern um ein bloßes Anhörungsrecht des Betriebsrates handle, das der Belegschaftsvertretung nur die Möglichkeit der Einflußnahme auf die Willensbildung des Arbeitgebers gebe, diese Willensbildung aber letztlich nicht beschränke, da der Arbeitgeber nicht an die Stellungnahme des Betriebsrates gebunden sei. Die kollektivvertraglich vorgesehene Anhörung des Betriebsrates, dessen Vorsitzender von Hellmut M***** über die beabsichtigte Entlassung des Klägers informiert worden sei, sei erst am 4.Oktober 1993 im Rahmen des Gespräches zwischen Dirk B***** und dem Betriebsratsvorsitzenden erfolgt. Ob dies rechtzeitig - noch vor Ausspruch der Entlassung - geschehen sei, könne den Feststellungen des Erstgerichtes nicht verläßlich entnommen werden. Um überprüfen zu können, ob die mangels Vorliegens eines Entlassungsgrundes jedenfalls unzulässige Entlassung zumindest in eine Kündigung - für die nach dem Kollektivvertrag ebenfalls die vorherige Anhörung des Betriebsrates erforderlich sei - umgedeutet werden könne, sei eine diesbezügliche Feststellung erforderlich.

Gegen den berufungsgerichtlichen Aufhebungsbeschluß richten sich die Rekurse beider Parteien. Der Kläger macht den Rekursgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung geltend und beantragt die Abänderung im Sinne der Wiederherstellung des erstgerichtlichen Urteils. Die beklagte Partei macht die Rekursgründe der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung geltend und beantragt, den Aufhebungsbeschluß im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens abzuändern.

Beide Parteien beantragen, jeweils dem Rekurs der Gegenseite nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Nur der Rekurs der beklagten Partei ist berechtigt.

1. Zum Anhörungsrecht des Betriebsrates gemäß § 23 KV:

In der Entscheidung 14 Ob 227/86 vom 17.Februar 1987 (DRdA 1990/9 =

WBl 1987, 164 = Arb 10.606) hat der Oberste Gerichtshof zu der im §

23 des vorliegenden KV normierten Beschränkung des Entlassungsrechtes

des Arbeitgebers durch die Pflicht, vorher den Betriebsrat anzuhören,

Stellung genommen. Gegen die Zulässigkeit der Beschränkung des

Entlassungsrechtes des Arbeitgebers durch die Pflicht, vorher den

Betriebsrat anzuhören, bestünden keine Bedenken, weil dies dem

Arbeitgeber nicht die Befugnis nehme, das Arbeitsverhältnis aus

wichtigen Gründen nach § 82 GewO aufzulösen, sondern ihn lediglich

verpflichte, dem Betriebsrat vor der Ausübung des Entlassungsrechts

Gelegenheit zur Äußerung zu der beabsichtigten Maßnahme zu geben.

Diese Entscheidung wurde insbesondere von Jabornegg (in einer Glosse

zu DRdA 1990/9) kritisiert. Das im Kollektivvertrag vorgesehene

Anhörungsrecht des Betriebsrates vor Ausspruch einer Kündigung oder

einer Entlassung sei von der in § 2 ArbVG verankerten

kollektivrechtlichen Rechtsetzungsbefugnis nicht gedeckt und stelle

darüber hinaus einen klaren Verstoß gegen zwingendes

Betriebsverfassungsrecht dar. Mit der Einführung eines

Anhörungsrechtes des Betriebsrates würden nicht nur die

gegenseitigen, aus dem Arbeitsverhältnis entspringenden Rechte und

Pflichten der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer im Sinne des § 2 Abs 2

Z 2 ArbVG geregelt. Die Statuierung dieses Anhörungsrechts habe

vielmehr einen Doppelcharakter. Einerseits werde arbeitsvertraglich

die Befugnis des Arbeitgebers zur Kündigung oder Entlassung durch

einen zusätzlich notwendigen Verfahrensschritt erschwert,

andererseits werde dem Betriebsrat ein besonderes Mitwirkungsrecht

eingeräumt. Zulässiger Bestandteil des Kollektivvertrages könnte eine

derartige Norm nur sein, wenn sowohl der arbeitsvertragliche als auch

der betriebsverfassungsrechtliche Teil der Regelung vom Gesetz

gedeckt wäre. Dies sei aber nicht der Fall; nur ausnahmsweise könnten

betriebsverfassungsrechtliche Normen Gegenstand der

kollektivvertraglichen Rechtsetzung sein; von Anhörungsrechten im

Zusammenhang mit Auflösungserklärungen durch den Arbeitgeber sei im

Gesetz aber keine Rede. Selbst wenn man sich über die fehlende

kollektivvertragliche Rechtsetzungsbefugnis hinwegsetzen wollte,

seien die kollektivvertraglich normierten Anhörungsrechte des

Betriebsrates unwirksam, weil sie gegen absolut zwingendes

Betriebsverfassungsrecht verstießen. Da ein echtes - eine

Wirksamkeitsvoraussetzung darstellendes - Anhörungsrecht vor

Ausspruch einer Entlassung nicht vorgesehen sei und § 106 ArbVG

geradezu im Gegenteil vorsehe, daß eine Entlassung ohne vorherige

Verständigung des Betriebsrates wirksam ausgesprochen werden könne,

verstoße die gegenständliche Regelung eindeutig gegen absolut

zwingendes Recht und sei daher auch aus diesem Grund nichtig. Die Rechtslage bei Disziplinarstrafen könne kein Argument für die Rechtslage bei Kündigungen und Entlassungen abgeben, wenn man davon ausgehe, daß Kündigungen und Entlassungen nicht als Disziplinarmaßnahmen im Sinne des § 102 ArbVG anzusehen seien. Als einschlägige Mitbestimmungsregelung komme daher nur § 106 iVm § 105 ArbVG und nicht § 102 ArbVG oder ein gewissermaßen dazwischenliegendes, im Gesetz überhaupt nicht vorgesehenes Mitbestimmungsmodell in Frage.

Tatsächlich hat sich der Oberste Gerichtshof in der zitierten Entscheidung mit dem von Strasser (in "Mitbestimmung des Betriebsrates bei der Anordnung von Überstunden", FS Weissenberg [1980], 343 ff [349]) aufgezeigten Doppelcharakter der Normierung eines in der Betriebsverfassung nicht vorgesehenen Mitwirkungsrechtes als Regelung von Bedingungen für die Ausübung von Rechten des Arbeitgebers aus dem Arbeitsverhältnis im Sinne des § 2 Abs 2 Z 2 ArbVG und als durch die Rechtsetzungsbefugnis gemäß § 2 Abs 2 Z 2 ArbVG nicht gedeckte Gestaltung der Mitwirkungsrechte des Betriebsrates ebensowenig auseinandergesetzt wie mit dem weiteren Hinweis Strassers auf den zwingenden Charakter der die Mitwirkungsrechte des Betriebsrates betreffenden arbeitsverfassungsrechtlichen Normen, die der Vereinbarung weiterer Mitwirkungsrechte des Betriebsrates selbst bei Bejahung einer diesbezüglichen Rechtsetzungsbefugnis der Kollektivvertragsparteien entgegenstünden. Auch die Ausführungen Jaborneggs ("Absolut zwingendes Arbeitsverfassungsrecht, FS Strasser [1983], 367 ff [379 f]), der die absolut zwingende Wirkung der Regelung der Belegschaftsbefugnisse in der Betriebsverfassung insbesondere mit den Schwierigkeiten bei Vornahme eines Günstigkeitsvergleiches gegenüber der gesetzlichen Regelung und der wünschenswerten Einheitlichkeit der Belegschaftsbefugnisse für den gesamten Bereich der diese Befugnisse je nach Materie besonders abgestuft regelnden gesetzlichen Betriebsverfassung begründet, wurden in der obzitierten Entscheidung nicht beachtet.

In der Entscheidung 9 Ob A 606/92 vom 17.März 1993 (DRdA 1994/3 = WBl

1993, 292 = RdW 1993, 283) folgte der Oberste Gerichtshof den

Ausführungen Strassers und Jaborneggs (auch in "Grenzen kollektivrechtlicher Rechtsetzung und richterliche Kontrolle", JBl 1990, 205 ff [210 f]) auch unter Hinweis auf Mayer-Maly/Marhold, Arbeitsrecht II, 62, die gleichfalls die Auffassung vertreten, daß die Mitbestimmungsrechte der Belegschaft in den Bestimmungen des ArbVG über die Betriebsverfassung abschließend und absolut zwingend geregelt seien und daher durch Kollektivvertrag grundsätzlich nicht abgeändert werden könnten. Wie Jabornegg (in einer Glosse zu DRdA 1994/3) richtig darlegt, verträgt sich diese - die absolut zwingende Wirkung betriebsverfassungsrechtlicher Normen bejahende - Entscheidung nicht mehr mit den noch in der Entscheidung DRdA 1990/9 vertretenen Thesen, da auch die Schaffung eines echten, auf den Ausspruch einer Kündigung oder Entlassung bezogenen Anhörungsrechtes des Betriebsrates, welches in der gesetzlich zwingend geordneten Betriebsverfassung in dieser Form nicht vorgesehen ist, kein zulässiger Gegenstand einer kollektivvertraglichen Regelung sein könne.

Auch in der Entscheidung 8 Ob A 276/94 vom 15.September 1994 (RdW 1995, 107 = JBl 1995, 263; kritisch Schima RdW 1995, 101 ff) ging der Oberste Gerichtshof davon aus, daß die kollektivrechtliche Erweiterung von Mitwirkungsrechten des Betriebsrates bei der Auflösung von Arbeitsverhältnissen durch Kündigung oder Entlassung nicht nur wegen des Fehlens einer diesbezüglichen Rechtsetzungsbefugnis der Kollektivvertragsparteien, sondern vor allem auch wegen des unzulässigen Eingriffes in absolut zwingendes Betriebsverfassungsrecht nichtig ist.

Auch Schwarz-Löschnigg (Arbeitsrecht5 99 f) und Tomandl (Arbeitsrecht3 1, 128 f) gehen davon aus, daß der Gesetzgeber die Betriebsverfassung grundsätzlich abschließend und damit absolut zwingend geregelt hat und es den Kollektivvertragsparteien daher grundsätzlich - bis auf die im Gesetz ausdrücklich vorgesehenen Ausnahmen - verwehrt ist, die Mitwirkungsrechte der Belegschaft zu verändern. Gegen die in DRdA 1990/9 vertretene Auffassung, die Bindung der Ausübung des Entlassungsrechts an die Anhörung des Betriebsrates sei zulässig, wendet sich schließlich auch Kuderna (Entlassungsrecht2 55 und FN 5) mit dem Hinweis auf die zwingende Vorschrift des § 106 ArbVG, wonach eine solche vorherige Anhörung nicht erforderlich ist.

Daß mit der vorliegenden Regelung ein echtes, mit der Sanktion der Unwirksamkeit der Auflösungserklärung für den Fall seiner Verletzung versehenes Anhörungsrecht des Betriebsrates statuiert wurde, kann angesichts des Textes des Kollektivvertrages "Disziplinarstrafen (und damit Kündigung und Entlassung) können nur nach Anhörung des Betriebsrates über Bedienstete verhängt werden" nicht zweifelhaft sein. Mit der Statuierung eines derartigen echten Anhörungsrechts vor Kündigung und Entlassung wird die Mitwirkung des Betriebsrates erheblich erweitert und neben dem gesetzlichen Kündigungsschutz eine der Ausgestaltung der Mitwirkung der Personalvertretung in § 9 Abs 1 lit i iVm § 10 PVG nahekommende zusätzliche Mitwirkungsbefugnis geschaffen, die, wie der vorliegende Fall zeigt, mangels einer näheren Regelung des Anhörungsverfahrens zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit führt. Darüber hinaus wäre angesichts der gleichartigen Regelung für die Kündigung mit der Verletzung des Anhörungsrechts bei Entlassung ebenso wie im Personalvertretungsrecht die weitgehende Rechtsfolge verbunden, daß der Entlassungserklärung überhaupt keine Wirkung zukäme und damit - auch bei Vorliegen eines die Entlassung rechtfertigenden Grundes - der Bestand des Arbeitsverhältnisses unberührt bliebe.

Da der vorliegende Kollektivvertrag am 20.Oktober 1966 und damit vor Inkrafttreten des ArbVG abgeschlossen wurde, ist seine Wirksamkeit gemäß § 164 Abs 1 ArbVG nach den zum Zeitpunkt seines Abschlusses geltenden Bestimmungen des Kollektivvertragsgesetzes und des Betriebsrätegesetzes zu beurteilen. Die Regelungsbefugnis der Kollektivvertragsparteien nach § 2 Abs 1 Kollektivvertragsgesetz entsprach jener gemäß § 2 Abs 2 Z 1 und 2 ArbVG; der im § 25 Betriebsrätegesetz normierte allgemeine Kündigungs- und Entlassungsschutz wurde im wesentlichen in den §§ 105 bis 107 ArbVG übernommen (siehe RV 840 BlgNR 13.GP, Erläut 55 und 86 f sowie die Gegenüberstellung 96 und 147 ff; Floretta in Floretta-Strasser Handkomm ArbVG 619). Bereits aufgrund der damaligen - weitgehend der heutigen entsprechenden - Rechtslage und vor Abschluß des gegenständlichen Kollektivvertrages wurde von der Lehre die Auffassung vertreten, daß die personellen Mitwirkungsrechte der Belegschaft nicht durch Kollektivvertrag erweitert werden könnten. Eine solche Ausgestaltung hindere der absolut zwingende Charakter der Bestimmung des Betriebsrätegesetzes über die betriebsverfassungsrechtlichen Befugnisse und die Erwägung, daß in der Verleihung dieser Befugnisse die Ausstattung der Belegschaft mit einer teilweisen Rechtsfähigkeit auf betriebsverfassungsrechtlichem Gebiet zum Ausdruck komme, die nicht durch Kollektivvertrag erweitert werden könne (siehe Floretta-Strasser Komm Betriebsrätegesetz (1961] 237); dies allerdings mit der nicht ganz konsequenten Einschränkung, daß an Stellungnahmen des Betriebsrates, die er im Rahmen gesetzlich festgelegter personeller Mitwirkungsrechte abgebe, arbeitsvertraglich stärkere Rechtsfolgen geknüpft werden könnten als nach dem Betriebsrätegesetz. In der Folge wurde dies allerdings von den Autoren nicht aufrechterhalten und die Auffassung vertreten, daß der absolut zwingende Charakter der Bestimmungen des Betriebsrätegesetzes über die betriebsverfassungsrechtlichen Befugnisse im Hinblick auf die bloß demonstrative Aufzählung der Befugnisse des Betriebsrates im § 14 Abs 2 Betriebsrätegesetz der Normierung weiterer betriebsverfassungsrechtlicher Befugnisse nicht entgegenstehe, weil dies keine (unzulässige) Abänderung betriebsverfassungsrechtlicher Normen, sondern deren zulässige Konkretisierung darstelle (Floretta-Strasser Komm Betriebsrätegesetz2 [1973] 281 f). Diese Argumentation vermag jedoch, was die Mitwirkung an Kündigungen und Entlassungen betrifft, im Hinblick auf die abschließende Regelung des Kündigungsschutzes in § 25 Betriebsrätegesetz nicht zu überzeugen. Auch nach der Rechtslage zum Zeitpunkt des Abschlusses des gegenständlichen Kollektivvertrages war daher die Erweiterung der Mitwirkungsrechte des Betriebsrates bei Kündigungen und Entlassungen unzulässig.

Die Nichtigkeit der kollektivvertraglichen Regelung über die Anhörung des Betriebsrates vor Ausspruch der Entlassung hat zur Folge, daß auch dann, wenn die Entlassung nicht gerechtfertigt gewesen sein sollte, das Arbeitsverhältnis durch diese Erklärung aufgelöst wurde (siehe Kuderna aaO 30 mwH in FN 3). Die Sache ist daher im Sinne einer Abweisung des auf Feststellung des aufrechten Bestandes des Arbeitsverhältnisses gerichteten Hauptbegehrens spruchreif.

Der Kläger, der in seinem Rekurs die Auffassung vertritt, auch wenn das Gespräch zwischen Gerhard S***** und Dirk B***** vor Ausspruch der Entlassung stattgefunden hätte, sei eine wirksame Anhörung nicht erfolgt, weil der Betriebsrat über den genauen Sachverhalt im unklaren gelassen worden sei und der Zeitraum zwischen der Verständigung von der Entlassungsabsicht bis zur Anhörung nicht ausgereicht hatte, dem Betriebsrat Gelegenheit zur Information und Beschlußfassung über die Stellungnahme im Rahmen des Anhörungsrechts zu geben, ist mit seinem Rechtsmittel auf die oben dargelegte Nichtigkeit des kollektivvertraglich normierten Anhörungsrechtes zu verweisen.

2. Zum Verbot der Mitnahme von Speisen durch die Arbeitnehmer der beklagten Partei:

Zutreffend weist die beklagte Partei darauf hin, daß das Gericht die Parteien nicht mit einer Rechtsansicht überraschen darf, die sie nicht beachtet haben und auf die sie vom Gericht nicht aufmerksam gemacht wurden (siehe SZ 50/35 = JBl 1978, 262 mit Anm von König; JBl 1988, 467, mit Anm von Pfersmann); dies ist dann der Fall, wenn die vom Gericht seiner Entscheidung zugrunde gelegte Rechtsauffassung wie im vorliegenden Fall vor Schluß der mündlichen Verhandlung erster Instanz von keiner der beiden Parteien ins Treffen geführt und damit der Gegenseite keine Gelegenheit zur Stellungnahme geboten wurde (9 ObA 26/89; 8 Ob 590/89; 10 Ob S 123/94).

Der Arbeitgeber ist im Rahmen der Fürsorgepflicht nicht gehalten, eigene und schutzwerte Interessen zu vernachlässigen. Wo daher die betriebsbezogene Treuepflicht (auch Interessenwahrungspflicht) die Rücksichtnahme auf Unternehmensinteressen gebietet, kann den Arbeitgeber keine Fürsorgepflicht zur Wahrung solcher Dienstnehmerfreiheiten treffen, die durch die Treuepflicht eingeschränkt werden. Werden durch eine Maßnahme schutzwürdige Interessen sowohl des Arbeitgebers als auch des Arbeitnehmers berührt, kommt es zu einer Interessenabwägung (vgl 9 Ob A 9/95 mwH). Die daher erst nach Erörterung möglicher anderer Maßnahmen sowie der abzuwägenden Interessen der Arbeitnehmer und der beklagten Arbeitgeberin unter Berücksichtigung der sie gegenüber den Kunden treffenden Schutzpflichten zu lösende Frage, ob mangels anderer Möglichkeiten, eine Schädigung der finanziellen Interessen der Arbeitgeberin und eine Gefährdung der Gesundheit der Kunden durch Schwarzverkäufe hintanzuhalten, ein generelles Verbot der Mitnahme von Speisen auch für den Eigenbedarf während der Fahrt gerechtfertigt ist, stellt sich im vorliegenden Fall nicht, da der Kläger eine jedenfalls seinen Eigenbedarf übersteigende Menge an Würsten mit hatte und nicht einmal behauptete, diese Würste für seine Verpflegung während der Fahrt zu benötigen. Die notorische Gefährdung der finanziellen Interessen der beklagten Partei sowie der Gesundheit ihrer Kunden durch Schwarzverkäufe ihrer Bediensteten rechtfertigt jedenfalls das Verbot der Mitnahme von Speisen, soweit sie nicht für die Verpflegung des Arbeitnehmers während der Reise bestimmt und erforderlich sind. Da der Zweck der allenfalls die Nichtigkeit der Weisung bezüglich der für den Eigenbedarf benötigten Speisen begründenden Fürsorgepflicht nicht die Nichtigkeit der gesamten Weisung erforderte - zumal das legitime Ziel, Schwarzverkäufe des Personals zu verhindern, dem Kläger klar sein mußte - , hat der Kläger mit der Mitnahme der weder für seinen Eigenbedarf während der Reise bestimmten noch in dieser Menge benötigten Würste jedenfalls gegen eine gerechtfertigte und wirksame Weisung der beklagten Partei verstoßen.

War aber die Weisung der beklagten Partei zumindest bezüglich der nicht für den Eigenbedarf benötigten Speisen gerechtfertigt, dann ist es entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtes für die Frage, ob der Verstoß des Klägers eine bloße Ordnungswidrigkeit darstellte oder eine Entlassung rechtfertigte, entscheidend, ob er nicht nur Würste, sondern auch einige Portionen Ketchup und Senf mitgenommen hatte und ob die vom Kläger mitgenommenen Speisen tatsächlich für seine Schwester bestimmt waren oder bei Schwarzverkäufen an Kunden der beklagten Partei veräußert werden sollten. In diesem Fall wäre der Verstoß des Klägers gegen die Weisung der beklagten Partei als beharrliche Pflichtenverletzung im Sinne des § 82 lit f zweiter Tatbestand GewO (siehe RdW 1995, 192) und darüber hinaus als Vertrauensunwürdigkeit hervorrufende strafbare Handlung im Sinne des § 82 lit d GewO zu qualifizieren, da die Mitnahme der für Schwarzverkäufe bestimmten Speisen bereits einen ausführungsnahen Versuch darstellte (siehe Hager/Massauer im Wiener Kommentar zum StGB §§ 15, 16 Rz 42 und 45).

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtes betrifft daher die diesbezügliche Verfahrens- und Beweisrüge (Punkte I 3. und 5. der Berufung) für die Entscheidung über das Eventualbegehren wesentliche Feststellungen. Im fortgesetzten Verfahren wird das Berufungsgericht daher auch diesen Teil der Berufung zu behandeln haben.

Dem Rekurs der beklagten Partei war daher bezüglich des Hauptbegehrens im Sinne des gestellten Abänderungsantrages, bezüglich des Eventualbegehrens hingegen im Sinne eines vom Abänderungsantrag umfaßten Aufhebungsantrages stattzugeben.

Dem Rekurs des Klägers war hingegen ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidungen über die Verfahrenskosten beruhen auf § 52 Abs 1 Satz 2 und Abs 2 ZPO.

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