OGH 10ObS123/94

OGH10ObS123/9431.5.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Werner Jeitschko (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Ignaz Gattringer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Andrea H*****, Pensionistin, ***** vertreten durch Dr.Bruno Binder, Dr.Helmut Blum und Dr.Georg Lehner, Rechtsanwälte in Linz, wider die beklagte Partei Oberösterreichische Gebietskrankenkasse, 4021 Linz, Gruberstraße 77, vertreten durch Dr.Alfred Eichler, Rechtsanwalt in Linz, wegen Gewährung der Anstaltspflege (Kostenerstattung), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 8.Feber 1994, GZ 12 Rs 127/93-12, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 27.Juli 1993, GZ 13 Cgs 87/93a-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der Klägerin die mit S 3.623,04 bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin enthalten S 503,04 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Das Erstgericht erkannte die beklagte Gebietskrankenkasse schuldig, der Klägerin für die Zeit vom 6.9. bis 2.12.1990 die Anstaltspflege "im gesetzlichen Ausmaß" zu gewähren. Nach seiner rechtlichen Beurteilung hielt es den Anspruch für nicht verfallen iSd § 102 Abs 1

ASVG.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge und bestätigte das erstgerichtliche Urteil mit der Maßgabe, daß es die Beklagte schuldig erkannte, der Klägerin die Anstaltspflege "durch Kostenerstattung" zu gewähren. Ob der Anspruch auf die klagsgegenständliche Leistung verfallen sei, richte sich nach § 102 Abs 2 ASVG, wonach der Anspruch auf Kostenerstattung (Kostenersatz) nicht binnen 2 Jahren, sondern binnen 42 Monaten geltend zu machen sei. Die Klägerin habe ihren Anspruch fristgerecht geltend gemacht. Das Berufungsgericht sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes 50.000 S übersteige.

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Sache gestützte Revision der Beklagten mit einem Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag.

Die Klägerin beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig (§ 46 Abs 1 Z 2 ASGG), aber nicht berechtigt.

Das Rechtsmittel wird dahin ausgeführt, daß Parteien nicht mit einer Rechtsansicht überrascht werden dürften, die sie nicht beachtet hätten und auf die sie nicht aufmerksam gemacht worden seien. Dies sei hier der Fall, weil erstmals im Urteil des Gerichtes zweiter Instanz die Auffassung vertreten worden sei, bei einem Antrag auf Übernahme der Pflegebührenersätze als Sachwalter iSd § 144 Abs 1 ASVG handle es sich um einen Antrag auf Kostenerstattung.

Da die Revisionswerberin nicht darlegt, daß und warum die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes unrichtig sei, wird ungeachtet seiner Benennung nicht der Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Sache nach § 503 Z 4 ZPO, sondern jener der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens nach § 503 Z 2 ZPO geltend gemacht, wobei die unrichtige Benennung des Rechtsmittelgrundes nicht schadet, weil das Begehren deutlich erkennbar ist (§ 84 Abs 2 ZPO).

Der gerügte Mangel liegt aber schon deshalb nicht vor, weil die vom Berufungsgericht vertretene Rechtsansicht nicht "überraschend" war. Wohl darf das Gericht die Parteien nicht mit einer Rechtsansicht überraschen, die sie nicht beachtet haben und auf die sie vom Gericht

nicht aufmerksam gemacht wurden (SZ 50/35 = JBl 1978, 262 [König];

JBl 1988, 467 [Pfersmann] = ZAS 1998, 58 [Kerschner]; SZ 64/173 =

SSV-NF 5/134; SSV-NF 6/114 uva; Fasching, ZPR2 Rz 647); dies ist aber nur dann der Fall, wenn die vom Gericht seiner Entscheidung zugrundegelegte Rechtsauffassung vor Schluß der mündlichen Verhandlung erster Instanz von keiner der beiden Parteien ins Treffen geführt und damit der Gegenseite keine Gelegenheit zur Stellungnahme geboten wurde (9 Ob A 26/89). Hier hat die Klägerin bereits in der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 27.7.1993 (ON 5 S 2 = AS 24) vorgebracht, daß sie mit ihrer Klage "de facto" einen teilweisen Kostenrückersatz anstrebe, für den nach § 102 Abs 2 ASVG eine Antragsfrist von 42 Monaten (und nicht bloß von 2 Jahren) offenstehe. Wenngleich die Beklagte auf dieses Vorbringen nach dem Inhalt des Verhandlungsprotokolles nichts erwiderte, war ihr doch bekannt, daß die Klägerin die genannte Rechtsansicht ins Treffen führt. Von einer die beklagte Partei überraschenden Rechtsauffassung des Berufungsgerichtes kann daher nicht die Rede sein. Im übrigen hat die Revision nicht dargetan, inwiefern der angebliche Mangel geeignet gewesen sei, eine erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung der Streitsache zu verhindern (§ 503 Z 2 ZPO).

Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG.

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