OGH 2Ob507/95

OGH2Ob507/959.2.1995

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, Dr.Schinko, Dr.Tittel und Dr.Baumann als weitere Richter in der Unterbringungssache der Lucia G*****, infolge Revisionsrekurses der Abteilungsleiterin Dr.Karin T*****, Oberärztin am psychiatrischen Krankenhaus ***** gegen den Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck als Rekursgericht vom 23.Dezember 1994, GZ 52 R 234/94-8, womit der Rekurs der Abteilungsleiterin gegen den Beschluß des Bezirksgerichtes Hall in Tirol vom 16.Dezember 1994, GZ Ub 910/94d-6, zurückgewiesen wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Das Erstgericht erklärte die Unterbringung der Lucia G***** in der geschlossenen Abteilung des psychiatrischen Krankenhauses ***** gemäß § 20 Abs 2 UbG im Hinblick darauf für unzulässig, daß der bei der Anhörung beigezogene Sachverständige nach einer Untersuchung der Patientin erklärt hatte, sie sei nicht psychisch krank und es liege auch die Suizid-Gefährdung, die die ärztliche Leitung der Anstalt ernstlich befürchte, nicht vor. Dem von der Abteilungsleiterin in der mündlichen Verhandlung angemeldeten Rekurs erkannte das Erstgericht keine aufschiebende Wirkung zu; es verfügte, daß die Unterbringung sofort aufzuheben sei, was auch am 16.12.1994 erfolgte.

Das Rekursgericht wies den Rekurs der Abteilungsleiterin mangels Beschwer als unzulässig zurück und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für zulässig. Es führte folgendes aus:

§ 1 Abs 1 UbG bringe den ausschließlichen Zweck der Bestimmungen des Gesetzes, nämlich den Schutz der Persönlichkeitsrechte psychisch Kranker, unmißverständlich zum Ausdruck: "Die Persönlichkeitsrechte psychisch Kranker, die in eine Krankenanstalt aufgenommen werden, sind besonders zu schützen. Die Menschenwürde psychisch Kranker ist unter allen Umständen zu achten und zu wahren." Unter diesem Gesichtspunkt werde in der Rechtsprechung überwiegend die Meinung vertreten, daß der Abteilungsleiter (im Rahmen dieses Verfahrens) ebenso wie der Patientenanwalt ausschließlich die Interessen des Kranken und nicht etwa (auch) Interessen des Krankenhausträgers oder der behandelnden Ärzte zu verfolgen habe. Da nach der Aufhebung der Unterbringung eine weitere Unterbringung nach § 30 UbG nicht mehr in Betracht käme, das Rekursgericht damit im übrigen auch nicht die von der Rekurswerberin angestrebte Unterbringung verfügen, sondern lediglich noch feststellen könnte, ob die Anhaltung zu Recht oder zu Unrecht erfolgte, stehe dem ärztlichen Abteilungsleiter gegen den Beschluß, mit dem die Unterbringung des Kranken für unzulässig erklärt (und dem angemeldeten Rekurs die aufschiebende Wirkung versagt) werde, kein Rechtsmittel zu. Die gerichtliche Sachentscheidung, womit die Unzulässigkeit der Unterbringung ausgesprochen werde, enthalte auch keinen gegen die Anstalt bzw die ärztliche Leitung erhobenen Vorwurf einer gesetzwidrigen Vorgangsweise.

Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil diese Rechtsmeinung zwar überwiegend in der Judikatur vertreten worden sei, der Oberste Gerichtshof aber auch vereinzelt gegenteilig entschieden habe (EvBl 1992/145, wenngleich in diesem Falle das Rekursgericht den erstgerichtlichen Beschluß ersatzlos aufgehoben und damit jede Entscheidung über die Unterbringung beseitigt habe). Die als überwiegend dargestellte Rechtsmeinung, der sich auch das Rekursgericht anschließe, sei jüngst auch in der Literatur nicht unwidersprochen geblieben (Hopf-Aigner, UbG, Anm 8a zu § 28) und auch von der vom Bundesministerium für Justiz eingesetzten "Arbeitsgruppe Unterbringungsgesetz" (vgl deren Bericht vom 1.12.1994 zur Zahl 4907/350-I 1/1994 des BMJ, S 17) kritisiert worden, wenngleich das dort angeführte Argument, Patienten würden erfahrungsgemäß immer wieder aufgenommen, sodaß im Wege eines Rekurses Klarheit über die Vorgangsweise bei erneuten Aufnahmen zu erlangen sei, nicht überzeuge, weil die Zulässigkeit der Unterbringung nicht an früheren Entscheidungen zu messen, sondern nach jeder Aufnahme neu zu überprüfen und zu beurteilen sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs der Abteilungsleiterin mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und dem Rekursgericht die Entscheidung in der Sache selbst aufzutragen bzw selbst festzustellen, daß die Voraussetzungen für eine weitere Unterbringung gegeben gewesen wären.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Die Zulässigkeit eines Rechtsmittels in dem hier maßgeblichen

Verfahren außer Streitsachen (§ 12 Abs 2 UbG) setzt voraus, daß der

Rechtsmittelwerber noch im Zeitpunkt der Entscheidung über sein

Rechtsmittel durch die bekämpfte Entscheidung beschwert ist. In

Fällen, in welchen der gerichtliche Beschluß das Grundrecht des

Menschen auf persönliche Freiheit berührt, billigt die Rechtsprechung

dem in diesem Recht Beeinträchtigten auch noch nach Aufhebung der

Unterbringung ein rechtliches Interesse an der Feststellung zu, daß

die freiheitsbeschränkende Vorkehrung zu Unrecht erfolgt sei (SZ

60/12; EvBl 1993/33; 2 Ob 539/93 = RdM 1994,28; 5 Ob 571/93 = RdM

1994, 94 = NZ 1994,253 ua).

Diese Erwägungen treffen aber auf das Rechtsmittel der Abteilungsleiterin schon deshalb nicht zu, weil diese - ihrer Stellung im Verfahren (§ 20 Abs 2 UbG) zufolge - im Gegenteil nur den Ausspruch, die Unterbringung (vorläufig) für zulässig zu erklären, anstreben kann. Da die Unterbringung aufgehoben wurde, könnte in sachlicher Erledigung des Rechtsmittels der Abteilungsleiterin nicht die Wiederaufnahme der bereits entlassenen Patientin verfügt, sondern nur ausgesprochen werden, daß die Voraussetzungen für eine Unterbringung gegeben waren (vgl 7 Ob 585/91).

Der Oberste Gerichtshof hat aber bereits mehrfach dargelegt, daß der Abteilungsleiter nach richtigem Verständnis seiner Stellung und seiner Aufgaben im Verfahren nach dem UbG ebenso wie der Patientenanwalt ausschließlich die Interessen des Kranken zu verfolgen habe, die einerseits auf die wirksame ärztliche Behandlung und anderseits auf die bestmögliche Wahrung der persönlichen Freiheit des Kranken gerichtet seien und einander insoferne widersprechen könnten. Sowohl der Patientenanwalt als auch der Abteilungsleiter hätten nur die Interessen der Patienten zu wahren. Dem Abteilungsleiter komme im Verfahren nach dem UbG nicht etwa die Wahrung der Interessen des Krankenhausträgers oder der behandelnden Ärzte zu. Es wurde daher vom Obersten Gerichtshof in vergleichbaren Fällen das Rechtsschutzinteresse des Abteilungsleiters an der sachlichen Klärung der Zulässigkeit der Unterbringung nach der Behandlung des Patienten verneint (2 Ob 550/91; 2 Ob 566/92; 1 Ob 600/92; 6 Ob 568/92; 3 Ob 501/93; 1 Ob 518/93 = NRsp 1993/167; 8 Ob 537/93; 7 Ob 537/94 ua).

An dieser Rechtsprechung ist - trotz der Kritik von Hopf-Aigner, UbG § 28 Anm 8a - auch im vorliegenden Fall einer Rekurserhebung gemäß § 20 Abs 2 UbG festzuhalten. Die - wenngleich in anderem Zusammenhang - in EvBl 1992/145 und JBl 1993, 455 geäußerte Ansicht, das Rekursrecht des Abteilungsleiters diene der Abwehr des durch eine gerichtliche Sachentscheidung gegen die Anstalt gerichteten Vorwurfs gesetzwidriger Vorgangsweise gegenüber einem Kranken, wurde schon in 8 Ob 537/93 abgelehnt.

Der Rechtsmittelwerberin ist noch zu entgegnen, daß § 20 Abs 2 UbG am Erfordernis der Beschwer im Zeitpunkt der Rekursentscheidung nichts ändert; das Fehlen der Beschwer kann nicht im Wege einer "Interessensabwägung" wieder gegenstandslos gemacht werden. Auf die Möglichkeit einer künftigen Unterbringung ist nicht Bedacht zu nehmen, weil gegebenenfalls die Zulässigkeitsvoraussetzungen neu zu überprüfen wären. Infolge Unzulässigkeit des Rechtsmittels ist auf die Ausführungen in der Sache selbst, die insbesondere die Zulässigkeit der inzwischen aufgehobenen Unterbringung darstellen sollen, nicht einzugehen.

Da somit das Rekursgericht den Rekurs der Abteilungsleiterin zu Recht mangels Beschwer zurückgewiesen hat, war dem Revisionsrekurs ein Erfolg zu versagen.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte