OGH 1Ob518/93

OGH1Ob518/9323.2.1993

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schlosser, Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker und Dr. Rohrer als weitere Richter in der Unterbringungssache des Ing. Karl M*****, zuletzt K***** infolge Revisionsrekurses des Abteilungsleiters der N***** gegen den Beschluß des Landesgerichtes St. Pölten als Rekursgericht vom 16. Dezember 1992, GZ R 894/92-9, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Amstetten vom 1. Dezember 1992, GZ Ub 405/92-5, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Der 76jährige Kranke wurde im November 1992 von einem Regionalkrankenhaus wegen cerebrovasculärer Insuffizienz auf die Neurologische Abteilung einer Landesnervenklinik verlegt. Bei der Aufnahme in dieser Anstalt wurde ein Verwirrtheitszustand bei bestehender Hirnatrophie, Fremdaggressionen im Rahmen dieses Zustands sowie eine corticale und subcorticale Atrophie festgestellt.

Bei der Erstanhörung am 1.12.1992 gab die beigezogene Oberärztin an, der Kranke leide an ausgeprägter Hirnatrophie mit Verwirrtheitszuständen mit schwankender Befindlichkeit. Seine Aggressionen gegen Personal und Mitpatienten seien nicht bösartig, sondern entwüchsen seiner Desorientiertheit. Sein Zustand müsse behandelt werden, um die weitere Betreuung in einem Pflegeheim zu ermöglichen. Seine Persönlichkeit sei durch die Grunderkrankung - die Hirnatrophie - im Sinne eines Abbaus beeinträchtigt. Er könne die zu seinem Schutz erforderlichen logischen Handlungen nicht ausführen, sein Affekt schwanke und seine Persönlichkeit sei durch die Hirnatrophie mitbeeinträchtigt.

Das Erstgericht sprach aus, daß die Unterbringung des Kranken unzulässig sei, weil er zwar behandlungsbedürftig sei, aber keine Grunderkrankung im Sinne des Unterbringungsgesetzes vorliege.

Das Gericht zweiter Instanz gab dem dagegen erhobenen Rekurs des Abteilungsleiters nicht Folge und sprach aus, daß der Revisionsrekurs unzulässig sei. Die Behandlungsbedürftigkeit rechtfertige die Unterbringung geistig Behinderter nicht. Nach der Fassung des § 3 Z 1 UbG dürfe die Unterbringung geistig behinderter Personen, die nicht auch an einer psychischen Krankheit leiden, nur dann angeordnet werden, wenn neben der geistigen Behinderung auch Symptome einer psychischen Erkrankung auftreten. Eine über die corticale und subcorticale Atrophie hinausgehende Geistes- und Gemütskrankheit sei nicht erwiesen; die Aggressionen hätten ihre Ursache in der Desorientiertheit des Kranken, die das seinem Alter entsprechende Ausmaß überschreite. Eine analoge Anwendung des Unterbringungsgesetzes auf bloß geistig Behinderte sei mangels einer echten Gesetzeslücke ausgeschlossen.

Das als außerordentlicher Revisionsrekurs ausgeführte Rechtsmittel des Abteilungsleiters ist nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

Die Zulässigkeit des Rechtsmittels setzt auch in dem hier maßgeblichen Verfahren außer Streitsachen (§ 12 Abs. 2 UbG) voraus, daß der Rechtsmittelwerber auch noch im Zeitpunkt der Entscheidung über sein Rechtsmittel durch diese beschwert ist. In Fällen, in welchen der gerichtliche Beschluß das Grundrecht des Menschen auf persönliche Freiheit (hier Art. 5 Abs. 1 lit.e MRK bzw. Art. 2 Abs. 2 Z 5 des Bundes-Verfassungsgesetzes vom 29.11.1988 über den Schutz der persönlichen Freiheit BGBl. 684) berührt, billigt die Rechtsprechung dem in diesem Recht Beeinträchtigten allerdings auch noch nach Aufhebung freiheitsbeschränkender Maßnahmen - also auch nach Aufhebung der Unterbringung - ein rechtliches Interesse an der Feststellung zu, daß die freiheitsbeschränkende Vorkehrung zu Unrecht erfolgt sei (SZ 60/12 ua; zum Unterbringungsgesetz insbesondere 1 Ob 549/91, teilweise veröffentlicht in NRsp. 1991/163).

Diese Erwägungen treffen aber gerade auf das Rechtsmittel des Anstaltsleiters schon deshalb nicht zu, weil dieser - seiner Stellung im Verfahren (§ 28 Abs. 2 UbG) zufolge - im Gegenteil nur den Ausspruch, die (weitere) Unterbringung für zulässig zu erklären, anstreben kann und im vorliegenden Fall auch anstrebt; da die Unterbringung - allerdings erst nach Einbringung seines Rechtsmittels - aufgehoben wurde und eine weitere Unterbringung gemäß § 30 UbG damit gar nicht mehr in Betracht kommen kann, könnte in Erledigung des Revisionsrekurses des Anstaltsleiters nur mehr ausgesprochen werden, daß die weitere Unterbringung zulässig (gewesen) wäre.

Der Oberste Gerichtshof hat aber bereits ausgesprochen (6 Ob 568/92), daß der Anstaltsleiter nach richtigem Verständnis seiner Stellung und seiner Aufgaben im Verfahren nach dem Unterbringungsgesetz ebenso wie der Patientenanwalt ausschließlich die Interessen des Kranken zu verfolgen habe, die einerseits auf die wirksame ärztliche Behandlung und andererseits auf die bestmögliche Wahrung der persönlichen Freiheit gerichtet seien; da diese Ziele in ihrer Richtung nicht selten auseinanderklafften, habe der Gesetzgeber deren Wahrnehmung zu einem dem Anstaltsleiter und zum anderen dem Patientenanwalt anvertraut. Das ändere aber nichts daran, daß auch der Anstaltsleiter nur die Interessen des Kranken und nicht etwa die des Krankenhausträgers oder der behandenden Ärzte zu verfolgen habe. An dieser Absicht ist festzuhalten:

Wie schon erwähnt, könnte mit Rücksicht auf die bereits verfügte Aufhebung der Unterbringung in Erledigung des Revisionsrekurses des Abteilungsleiters nur mehr ausgesprochen werden, daß eine (nicht mehr aktuelle) Unterbringung weiterhin zulässig gewesen wäre. Eine solche Feststellung erfordern die richtig verstandenen rechtlich geschützten Interessen des Kranken (SZ 49/90 uva) aber schon deshalb nicht, weil das Gericht im Verfahren nach dem Unterbringungsgesetz in Wahrheit stets nur über die Zulässigkeit der weiteren (künftigen) Unterbringung zu befinden hat (Kopetzki, Unterbringungsgesetz Rz 443) und eine Entscheidung, daß die weitere Unterbringung berechtigt gewesen wäre, rein theoretischer Natur wäre, wäre doch eine solche Maßnahme - wie schon ausgeführt - gemäß § 30 UbG nach der Aufhebung der Unterbringung nicht mehr möglich.

Aus diesen Erwägungen ist das Rechtsmittelrecht des Abteilungsleiters zu verneinen, sodaß sein „außerordentlicher“ Revisionsrekurs jedenfalls, also unabhängig von den Voraussetzungen nach § 14 Abs. 1 AußStrG, unzulässig und deshalb zurückzuweisen ist.

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