OGH 1Ob600/92

OGH1Ob600/9220.4.1993

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schlosser, Dr. Graf, Dr. Schiemer und Dr. Gerstenecker als weitere Richter in der Unterbringungssache der Gabriele W*****, vertreten durch die Patientenanwältin Mag. Gerlinde Bieringer, vom Verein für Sachwalterschaft und Patientenanwaltschaft, Geschäftsstelle NÖ. Landesnervenklinik-West, 3362 Mauer, infolge Revisionsrekurses des Abteilungsleiters des NÖ. Landeskrankenhauses für Psychiatrie und Neurologie, 3362 Mauer bei Amstetten, gegen den Beschluß des Landesgerichtes St. Pölten als Rekursgerichtes vom 15. Juli 1992, GZ R 558/92-14, womit der Rekurs des Abteilungsleiters gegen den Beschluß des Bezirksgerichtes Amstetten vom 26. Juni 1992, GZ Ub 218/92-9, zurückgewiesen wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Die Kranke wurde am 11.Juni 1992 aufgrund einer Unterbringungsbescheinigung eines Gemeindearztes mit der Diagnose „chronischer Alkoholismus, Psychopathie, Antriebssteigerung“ von Gendarmeriebeamten in die NÖ. Landesnervenklinik Mauer gebracht. Nach Begutachtung durch zwei Fachärzte (Oberärzte) wurde sie mit der Diagnose „kritikarmes, antriebsgesteigertes Zustandsbild bei chronischem Alkoholismus und Fremd- und Selbstgefährdung“ gegen ihren Willen in der Anstalt untergebracht. Nach der Anhörung (§ 19 UbG) am 12. Juni 1992 erklärte der Erstrichter gemäß § 20 UbG die Unterbringung der Kranken für vorläufig zulässig. Nach Durchführung der mündlichen Verhandlung verkündete der Erstrichter den Beschluß, daß die Unterbringung der Kranken unzulässig sei (Punkt 1) und - in Erledigung eines von der Patientenanwältin in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrages - , daß die Verabreichung einer Cisordinol-Injektion von 100 mg am 16. Juni 1992 unzulässig gewesen sei (Punkt 2). Dem vom Abteilungsleiter sogleich gegen diesen Beschluß angemeldeten Rekurs erkannte der Erstrichter aufschiebende Wirkung nicht zu. Die Kranke wurde am 26. Juni 1992 entlassen.

Das Rekursgericht wies den gegen die erstinstanzliche Entscheidung am 3. Juli 1992 eingebrachten Rekurs des Abteilungsleiters mangels Beschwer zurück und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für zulässig.

Der Revisionsrekurs des Abteilungsleiters ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Wie das Gericht zweiter Instanz zutreffend ausführte, setzt die Zulässigkeit eines Rechtsmittels in dem hier maßgeblichen Verfahren außer Streitsachen (§ 12 Abs 2 UbG) voraus, daß der Rechtsmittelwerber noch im Zeitpunkt der Entscheidung über sein Rechtsmittel durch die bekämpfte Entscheidung beschwert ist. In Fällen, in welchen der gerichtliche Beschluß das Grundrecht des Menschen auf persönliche Freiheit (Art 5 Abs 1 lit e MRK bzw Art 2 Abs 2 Z 5 des BVG über den Schutz der persönlichen Freiheit vom 29. November 1988, BGBl 684) berührt, billigt die Rechtsprechung dem in diesem Recht Beeinträchtigten auch noch nach Aufhebung freiheitsbeschränkender Maßnahmen - also nach Aufhebung der Unterbringung oder nach Durchführung einer Zwangsbehandlung - ein rechtliches Interesse an der Feststellung zu, daß die freiheitsbeschränkende Vorkehrung zu Unrecht erfolgt sei (SZ 60/12 ua; zum UbG 1 Ob 549/91, teilweise veröffentlicht in NRsp 1991/163).

Diese Erwägungen treffen aber gerade auf das Rechtsmittel des Abteilungsleiters schon deshalb nicht zu, weil dieser - seiner Stellung im Verfahren (§ 28 Abs 2 UbG) zufolge - im Gegenteil nur den Ausspruch, die (weitere) Unterbringung oder Behandlung für zulässig zu erklären, anstreben kann; da die Unterbringung - schon vor der Ausfertigung seines mündlich angemeldeten Rechtsmittels - aufgehoben wurde und eine weitere Unterbringung gemäß § 30 UbG mit allfälliger weiterer Zwangsbehandlung damit gar nicht mehr in Betracht kommt, könnte in sachlicher Erledigung des Rechtsmittels des Abteilungsleiters nur ausgesprochen werden, daß die weitere Unterbringung bzw. die Zwangsbehandlung zulässig (gewesen) wäre.

Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach ausgesprochen (6 Ob 568/92; 1 Ob 518/93), daß der Abteilungsleiter nach richtigem Verständnis seiner Stellung und seiner Aufgaben im Verfahren nach dem UbG ebenso wie der Patientenanwalt ausschließlich die Interessen des Kranken zu verfolgen habe, die einerseits auf die wirksame ärztliche Behandlung und andererseits auf die bestmögliche Wahrung der persönlichen Freiheit des Kranken gerichtet seien und einander insoferne widersprechen könnten. Sowohl der Patientenanwalt, als auch der Abteilungsleiter hätten nur die Interessen des Patienten zu wahren, dem Abteilungsleiter komme im Verfahren nach dem UbG nicht etwa die Wahrung der Interessen des Krankenhausträgers oder der behandelnden Ärzte zu. An dieser Auffassung ist auch weiterhin festzuhalten. Im übrigen hat der Oberste Gerichtshof in vergleichbaren Fällen das Rechtsschutzinteresse des Abteilungsleiters an der sachlichen Klärung der Zulässigkeit der Unterbringung oder von Behandlungsmaßnahmen nach der Entlassung des Patienten verneint (2 Ob 550/91; 5 Ob 505/92).

Da in sachlicher Erledigung des Rekurses des Abteilungsleiters gegen den erstinstanzlichen Beschluß nur ausgesprochen hätte werde können, daß die Unterbringung bzw. die Behandlung weiterhin bzw. seinerzeit zulässig gewesen wäre und eine solche Entscheidung rein theoretischer Natur wäre, weil solche Maßnahmen nach Aufhebung der Unterbringung gemäß § 30 UbG nicht mehr möglich sind, hat das Rekursgericht das Rechtsmittel des Abteilungsleiters wegen Fehlens einer Beschwer zutreffend zurückgewiesen, sodaß seine Entscheidung zu bestätigen ist. Es mag für den Abteilungsleiter, der nach seinem Fachwissen und ärztlichen Ethos richtige, maßvolle und patientenschonende Maßnahmen ergriffen zu haben meint, unbefriedigend sein, wenn er zufolge der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung seines angemeldeten oder bereits ausgeführten - nach dem UbG grundsätzlich zulässigen - Rechtsmittels und der damit verbundenen Entlassung des Patienten aus der Anstalt in Fällen wie dem vorliegenden keine sachliche Prüfung und Beantwortung seiner Argumente erhält; allein die dargelegte Rechtslage führt zur Verneinung seines rechtlichen Interesses an einer Sachentscheidung. Daß damit in vielen Fällen der Erstrichter mit der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung zugleich über die Rechtsmittelbefugnis des Abteilungsleiters „entscheidet“, ist vom Gesetz gewollt und steht mit vergleichbaren gesetzlichen Vorschriften, freiheitsbeschränkende Maßnahmen nur durch eine richterliche Entscheidung als berechtigt anzusehen, durchaus im Einklang.

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