OGH 7Ob618/77

OGH7Ob618/771.9.1977

SZ 50/113

Normen

ABGB §859
ABGB §§888 ff
ABGB §§1284 ff
ZPO §14
ABGB §859
ABGB §§888 ff
ABGB §§1284 ff
ZPO §14

 

Spruch:

Ein mehrgliedriges Schuldverhältnis wie ein Leibrentenvertrag mit mehreren Übernehmern ist in der Regel unteilbar. In diesem Fall sind auch die Gestaltungsrechte nicht teilbar und der Teilrücktritt vom Vertrag nur gegen einen Mitgenossen unwirksam

OGH 1. September 1977, 7 Ob 618/77 (OLG Wien 6 R 43/77; LGZ Wie 40 a Cg 324/75)

Text

Die Klägerin war Eigentümerin der Liegenschaften EZ 2236, 2237 und 2238 der KG L, die sie am 18. November 1965 an den Beklagten und dessen inzwischen verstorbene Ehegattin Ella Z je zur Hälfte verkauft hat. Die Käufer verpflichteten sich, eine Leibrente, zum Teil in Geld, zum Teil in Naturalleistungen, zu bezahlen. Zu Gunsten der Geldforderung wurde ob den Liegenschaften eine Simultanhypothek einverleibt. Außerdem erfolgte ob der Liegenschaft EZ 2236 die Einverleibung der vereinbarten Dienstbarkeit des lebenslänglichen unentgeltlichen Wohnungsrechtes zu Gunsten der Klägerin.

Nach dem Tode der Ella Z wurde deren Nachlaß dem Beklagten und den drei Kindern der Verstorbenen zu gleichen Teilen eingeantwortet. Auf Grund dieser Einantwortung erfolgte eine Einverleibung der Miteigentumsrechte der Erben im entsprechenden Anteil, so daß der Beklagte nun unter Berücksichtigung seiner bisherigen Hälfteanteile insgesamt zu fünf Achtel Miteigentümer der erwähnten Liegenschaften ist.

Die Klägerin begehrt, den seinerzeitigen Kaufvertrag für rechtsunwirksam zu erklären und den Beklagten schuldig zu erkennen, ihr die Liegenschaften zurückzustellen und in die Einverleibung des Eigentumsrechtes der Klägerin zu willigen.

Der Beklagte beantragte Klagsabweisung, bestritt die Klagsbehauptungen und wendete "teilweise" mangelnde passive Klagslegitimation mit der Begründung ein, er sei nicht Alleineigentümer der Liegenschaften, sondern nur zu, fünf Achtel.

Das Erstgericht sprach aus, daß der zwischen den Streitteilen abgeschlossene Kaufvertrag aufgelöst sei, und verurteilte den Beklagten zur Einwilligung der Einverleibung des Eigentumsrechtes der Klägerin ob den ihm gehörigen fünf Achtel Anteilen der erwähnten Liegenschaften. Bezüglich der restlichen drei Fünftel (richtig jedenfalls drei Achtel) Anteile der Liegenschaften erfolgte eine Klagsabweisung.

Das Berufungsgericht änderte den stattgebenden Teil des Ersturteiles (die Klagsabweisung blieb unangefochten) dahin ab, daß es das gesamte Klagebegehren abwies. Es vertrat den Rechtsstandpunkt, die Auflösung des Vertrages könne nicht wirksam gegen den Beklagten allein erfolgen. Vielmehr müsse sie gegenüber sämtlichen Vertragspartnern Rechtsnachfolgern, sohin auch den Kindern der seinerzeitigen Miteigentümerin, ausgesprochen werden. Da die Klägerin die Auflösungserklärung nur gegenüber dem Beklagten abgegeben habe, sei diese unwirksam, weshalb die Klägerin die Rückstellung des Kaufobjektes nicht begehren könne.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der klagenden Partei nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Klägerin vertritt den Standpunkt, sie hätte ihre Auflösungserklärung nur gegenüber dem Beklagten abgeben können, weil nur dieser ihr Vertragspartner gewesen sei. Hiebei übersieht sie jedoch, daß nach § 547 ABGB der Erbe, sobald er die Erbschaft angenommen hat, den Erblasser darstellt. Nach § 548 ABGB übernimmt er Verbindlichkeiten, die der Erblasser aus seinem Vermögen zu leisten gehabt hätte. Demnach werden Verbindlichkeiten des Erblassers zu Verbindlichkeiten des Erben (Weiß in Klang[2] III, 138). Die Rechtsansicht der Klägerin, derzufolge sie nur mehr dem Beklagten allein gegenüberstehe, ist demnach unzutreffend. Vielmehr sind die weiteren Erben der Ella Z in den Vertrag eingetreten.

Der aus dem Leibrentenvertrag Berechtigte hat grundsätzlich ein Rücktrittsrecht mit Wirkung ex nunc, wenn der andere Teil mangelhaft erfüllt (Wolff in Klang[2] V, 1019). Einen derartigen Vertragsrücktritt hat die Klägerin auch behauptet. Das Erstgericht hat hinreichende Gründe für einen wirksamen Rücktritt angenommen. Allerdings steht fest, daß der Rücktritt nur gegenüber dem Beklagten, nicht jedoch auch gegenüber den anderen Erben nach Ella Z erklärt worden ist. Entscheidend ist demnach die Klärung der Frage, ob ein solcher Rücktritt gegen einen von mehreren Vertragspartnern wirksam erklärt werden kann oder nicht.

Durch den Eintritt der Erben der Ella Z ist das seinerzeit bereits bestandene mehrgliedrige Schuldverhältnis insoweit umgewandelt worden, als nunmehr auf Seite der Schuldner sowohl der Beklagte als auch die übrigen Erben nach Ella Z stehen. Das mehrgliedrige Schuldverhältnis ist in der Regel unteilbar. Teilbar wird es nur, wenn alle daraus entspringenden Rechte und Pflichten in gleicher Weise teilbar sind und wenn dem Willen beider Parteien eine Teilung durch Ausscheiden einzelner Genossen entspricht. Geht man im Einzelfall von der Unteilbarkeit aus, so sind die Gestaltungsrechte ebenfalls unteilbar; sie können nur für und gegen alle wirken. In einem solchen Fall Teilrücktritt, der nur gegen einen Mitgenossen erfolgt, unwirksam (Gschnitzer in Klang[2] IV/1, 281). Nur wenn alle Rechte und Pflichten und die Parteirolle auf der mehrgliedrigen Seite des Schuldverhältnisses vom Interesse aller Beteiligten aus teilbar sind, ist eine gesonderte Geltendmachung von Gestaltungsrechten gegen einzelne Genossen des Schuldverhaltnisses möglich (7 Ob 507/77).

Im vorliegenden Fall wird der Rücktritt von einem Leibrentenvertrag erklärt, der die Erbringung mehrerer Leistungen, darunter auch Naturalleistungen, zum Gegenstand hat. Als weitere Leistung ist die Einräumung eines Wohnungsrechtes vorgesehen. Bei dieser Situation liegt es keineswegs auf der Hand, daß nach dem Willen sämtlicher Teilgenossen des Schuldverhältnisses alle Rechte und Pflichten vom Interesse aller Beteiligten aus teilbar sind. Demnach muß von dem Regelfall, nämlich der Unteilbarkeit auf Seite der mehrgliedrigen Partei, ausgegangen werden. Ist dies der Fall, dann obliegt es jenem Vertragspartner, der nur gegenüber einem Teilgenossen ein Gestaltungsrecht ausüben will, jene Umstände darzutun, aus denen sich für den Einzelfall die Teilbarkeit ergibt. Behauptungen in dieser Richtung hat die Klägerin nicht aufgestellt. Aus diesem Gründe ist die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, derzufolge die Ausübung eines Gestaltungsrechtes nur gegen den Beklagten, als Teilgenossen auf der Schuldnerseite, allein zu keiner wirksamen Vertragsauflösung führen kann, zutreffend. Fehlt es aber an einer wirksamen Vertragsauflösung, muß auch das Begehren auf Räumung der auf Grund des Vertrages benützten Liegenschaften und auf Rückübertragung des Eigentumsrechtes an ihnen scheitern.

Abschließend sei darauf verwiesen, daß der Beklagte zwar nur bezüglich der restlichen drei Achtel der Liegenschaften die mangelnde passive Klagslegitimation eingewendet hat, doch kann sie am Ergebnis des Prozesses nichts ändern. Es kann hier unerörtert bleiben, inwieweit eine mangelnde Sachlegitimation auch ohne entsprechende Einwendung wahrzunehmen wäre. Das Begehren der Klägerin gegen den Beklagten scheitert nicht an dessen mangelnder Passivlegitimation, sondern daran, daß eine materielle Voraussetzung für dieses Begehren, nämlich ein wirksamer Vertragsrücktritt, nicht nachgewiesen worden ist. Infolge Bekämpfung der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichtes durch den Beklagten war das Berufungsgericht verpflichtet, die Rechtssache unter allen rechtlichen Gesichtspunkten zu beurteilen. Unter Zugrundelegung der aufgestellten Behauptungen und des festgestellten Sachverhaltes ergab sich, daß eine wesentliche materielle Voraussetzung für den geltend gemachten Anspruch nicht vorlag. Aus diesem Gründe war das Berufungsgericht berechtigt und verpflichtet, diesen Umstand bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen, obwohl eine ausdrückliche Einwendung in dieser Richtung nicht vorlag.

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