OGH 1Ob253/70

OGH1Ob253/7010.12.1970

SZ 43/228

Normen

Bürgerliches Gesetzbuch §1626
Bürgerliches Gesetzbuch §1671
4. Durchführungsverordnung zum Ehegesetz §10
4. Durchführungsverordnung zum Ehegesetz §14 Abs2
JN §28
Staatsbürgerschaftsgesetz §19 Abs2
Staatsbürgerschaftsgesetz §19 Abs3
Bürgerliches Gesetzbuch §1626
Bürgerliches Gesetzbuch §1671
4. Durchführungsverordnung zum Ehegesetz §10
4. Durchführungsverordnung zum Ehegesetz §14 Abs2
JN §28
Staatsbürgerschaftsgesetz §19 Abs2
Staatsbürgerschaftsgesetz §19 Abs3

 

Spruch:

Die Bestimmung des § 19 Abs 3 StbG 1965 hat eine inländische Sondergerichtsbarkeit geschaffen, die bei Fehlen eines örtlich für den minderjährigen Ausländer zuständigen Gerichtes durch Ordination (§ 28 JN) unter allen Umständen zum Tragen kommen muß

OGH 10. Dezember 1970, 1 Ob 253/70 (LGZ Wien 43 R 518/70; BG Hietzing 1 P 192/64)

Text

Die Eltern der minderjährigen Vera Erna H haben am 24. Februar 1962 in Niederösterreich die Ehe geschlossen. Der Vater und die Minderjährige sind deutsche Staatsbürger, während die Mutter die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt. Mit Urteil des Landgerichtes Berlin vom 6. März 1964 wurde die Ehe der Eltern aus dem Verschulden des Mannes geschieden. Die Minderjährige blieb zunächst in Obhut der mütterlichen Großmutter in H bei Krems; nunmehr befindet sie sich bei ihrer Mutter in Wien.

Am 15. September 1964 stellte die Kindesmutter beim Bezirksgericht Hietzing den Antrag, das Pflegschaftsverfahren hinsichtlich der Minderjährigen zu eröffnen, sie zur besonderen Sachwalterin zu bestellen und den Kindesvater zur Unterhaltsleistung zu verhalten. Am 27. Oktober 1964 beantragte sie schließlich, das Bezirksjugendamt zum Einhebungskurator zu bestellen.

Nachdem das Amtsgericht Berlin-Schöneberg auf Anfrage des Erstrichters mit Note vom 25. September 1964 mitgeteilt hatte, daß bei ihm - wie sich aus dem Akt entnehmen läßt, über Antrag der Kindesmutter - ein Verfahren zur Regelung der elterlichen Gewalt (§ 1671 BGB) anhängig, über den Antrag aber noch nicht entschieden sei, leitete der Erstrichter mit Beschluß vom 23. November 1964, gestützt auf § 14 der 4. DVEheG das Pflegschaftsverfahren ein, sprach aber gleichzeitig aus, daß dieses Verfahren nur so lange geführt werde, bis die Heimatbehörde die Fürsorge über die Minderjährige übernimmt. Hievon verständigte es auch unter Mitteilung des Akteninhaltes das Amtsgericht Berlin-Schöneberg.

Mit Beschluß vom 26. Jänner 1965 sprach das Amtsgericht Berlin-Schöneberg aus, daß die elterliche Gewalt über die Minderjährige der Mutter zusteht, welche hierauf am 9. März 1965 ihren eingangs genannten Antrag beim Bezirksgericht Hietzing zurückzog. Das Bezirksjugendamt wurde seines Amtes enthoben.

Mit Beschlüssen vom 7. August 1967, 9. August 1968, 11. Juni und 22. August 1969 und 3. Juni 1970 traf das Amtsgericht Berlin-Schöneberg Maßnahmen zur Regelung des Besuchsrechtes des Vaters. Über Beschwerde der ehelichen Mutter bestätigte das Landgericht Berlin mit Beschluß vom 22. Juni 1970 die Entscheidung des Amtsgerichtes über die Besuchsrechtsregelung für den Sommer 1970, wonach es dem Vater gestattet wurde, die Minderjährige in der Zeit vom 6. Juli bis 3. August 1970 zu sich nach Berlin bzw an die Ostsee zu nehmen.

Was das Jahr 1970 betrifft, hatte sich der Kindesvater von Berlin aus allerdings am 10. Jänner 1970 auch an das Erstgericht mit einem Antrag gewendet, ihm zu ermöglichen, das Kind in der Zeit vom 8. Juli bis 5. August 1970 zu sich nehmen zu können, wovon er auch das Amtsgericht Berlin-Schönberg unterrichtete. Dies führte zu einem Schriftwechsel zwischen dem Amtsgericht Berlin-Schöneberg und dem Erstgericht, wobei ersteres am 30. Jänner 1970 die Antragstellung des Vaters beim Erstgericht befürwortete und Aktenunterlagen zur Verfügung stelle, während letzteres am 29. April 1970 dem Amtsgericht Berlin-Schöneberg die Stellungnahme der Kindesmutter zum Antrag des Vaters und Unterlagen aus dem vorliegenden Akt, insbesondere die Abschrift einer gutachtlichen Äußerung des Dr Hellmut M vom 23. April 1970 - Dr M ist Psychologe und Erziehungsberater in Wien -, übersandte. Zu einer Beschlußfassung über den Antrag des Vaters vom 10. Jänner 1970 kam es beim Erstgericht nicht, offenbar deshalb, weil es vom Amtsgericht Berlin-Schöneberg am 8. Juni bzw am 5. Juli 1970 Ausfertigungen der schon erwähnten Beschlüsse vom 3. Juni und vom 22. Juni 1970 zur Kenntnisnahme erhielt. Der Akt wurde abgelegt.

Mit ihrem am 20. Juli 1970 beim Erstgericht eingebrachten Antrag begehrte die eheliche Mutter, nun einen ärztlichen Sachverständigen zu bestellen und ihr je nach dem Ergebnis entweder den Auftrag zu erteilen, die Minderjährige zum Kindesvater nach Deutschland auf Urlaub zu schicken, oder sie zu ermächtigen, dies zu unterlassen, was sie mit der Besorgnis, eine Reise des Kindes zum Vater könnte sich nachteilig auf den Gesundheitszustand des Kindes auswirken und mit der Behauptung, das Amtsgericht Berlin-Schöneberg habe auf Grund eines mangelhaften Verfahrens unrichtig entschieden, begrundete. Des weiteren beantragte sie, der Erstrichter wolle die vom Kindesvater verweigerte Zustimmung zur Stellung eines Antrages der Minderjährigen auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß § 19 Abs 3 StbG 1965 durch Gerichtsbeschluß ersetzen und die Kindesmutter ermächtigen, mit diesem Beschluß die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft für die Minderjährige gemäß § 12 lit d StbG 1965 zu beantragen.

Der Erstrichter stellte mit Beschluß vom 30. Juli 1970 das (seinerzeit eingeleitete) Pflegschaftsverfahren ein und wies die Anträge der Kindesmutter unter Hinweis auf diesen Beschluß ab bzw zurück. Er vertrat mit Rücksicht auf die Vorgeschichte des Falles den Standpunkt, daß das für die Minderjährige zuständige ausländische Heimatgericht die Fürsorge für die Minderjährige zur Gänze übernommen habe und daher für die Fortsetzung eines Provisorialverfahrens nach § 14 der 4. DVEheG kein Raum mehr bestehe. Es stehe den österreichischen Gerichten nicht zu, durch weitere Erhebungen die einhelligen Beschlüsse des Amtsgerichtes Berlin-Schöneberg und des Landgerichtes Berlin unwirksam zu machen, wie sich dies die Kindesmutter vorstelle. Zufolge der Einstellung dieses Verfahrens sei der Antrag der Kindesmutter auf Bestellung eines Sachverständigen abzuweisen, der Antrag auf Ersetzung der vom Kindesvater verweigerten Zustimmung zur Stellung eines Antrages auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft an die Minderjährige hingegen zurückzuweisen gewesen.

Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluß. Es trat zwar der Ansicht der Antragstellerin bei, daß die Berufung auf § 14 der 4. DVEheG zu Unrecht erfolgt sei, weil es sich diesfalls um Maßnahmen nach § 142 ABGB und nach § 19 Abs 3 StbG 1965 betreffend ein eheliches Kind handle. Dennoch sei die Frage der österreichischen Gerichtsbarkeit zu prüfen gewesen. Diese sei - bei Fehlen ausdrücklicher Bestimmungen hierüber - allein von der örtlichen Zuständigkeit abzuleiten, weshalb sich die Kindesmutter auch auf § 109a Abs 1 JN und die JMV vom 11. August 1914, RGBl 209 berufe. Der Aufenthaltsort des Kindes vermöge aber die dort genannte Zuständigkeit nicht zu begrunden, weil das sonst zuständige Gericht (Amtsgericht Berlin-Schöneberg) sehr wohl bekannt sei, dessen Entscheidung durchaus rechtzeitig eingeholt worden sei und auch der Vater und gesetzliche Vertreter durchaus bekannten Aufenthaltes und leicht erreichbar sei. Aber auch aus § 109 Abs 1 JN ergebe sich, was die Maßnahmen nach § 142 ABGB betreffe, keine örtliche Zuständigkeit des Erstgerichtes.

Das Rekursgericht vertrat ferner den Standpunkt, wenn auch § 19 Abs 3 StbG 1965 eine "lex specialis" bilde, so werde diese erst durch Heranziehung eines Zuständigkeitstatbestandes nach der JN unter der Fiktion verwirklicht, das Kind sei österreichischer Staatsangehöriger. Eine solche Zuständigkeit lasse sich aber weder nach § 109 Abs 1 Satz 1 und 2 JN, noch nach § 109a Abs 1 JN finden. Es verneinte auch, unter Heranziehung der Ansicht von Goldemund - Ringhofer - Theuer, die Frage, ob unabhängig von einem örtlichen Gerichtsstand - zufolge der Möglichkeiten des § 28 JN - infolge der Bestimmungen des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1965 in jedem solchen Falle die inländische Gerichtsbarkeit gegeben sei.

Was schließlich das Argument anlange, daß das Pflegschaftsverfahren längst rechtskräftig eröffnet worden sei, müsse einerseits auf § 29 Schlußsatz JN und andererseits darauf hingewiesen werden, daß das Erstgericht vor dem Antrag des Vaters vom 10. Jänner 1970 und dem entsprechenden Gegenantrag der Mutter nie in der Sache selbst tätig geworden oder angerufen worden sei. Das Erstgericht habe selbst seine - zu Unrecht auf § 14 der 4. DVEheG gestützte - Tätigkeit mit dem Zeitpunkt begrenzt, da die Heimatbehörde die Fürsorge über das Kind übernehmen würde. Weder der Beschluß auf Einleitung noch jener auf Einstellung des Pflegschaftsverfahrens seien der materiellen Rechtskraft fähig; maßgebend sei allein die Frage, ob bestimmte Sachanträge - wie zuletzt von der Mutter gestellt - unter Berücksichtigung der Grenzen der inländischen Gerichtsbarkeit behandelt werden dürfen. Diese Frage sei aber zu verneinen.

Der Oberste Gerichtshof wies den Revisionsrekurs der Antragstellerin zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

I. Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß sich der Anfechtungsgrund der offenbaren Gesetzwidrigkeit nach ständiger Judikatur nicht auf verfahrensrechtliche Unrichtigkeiten, sondern auf besonders krasse Fehler bei der materiellrechtlichen Beurteilung bezieht. Es war jedoch unabhängig davon zu prüfen, ob durch die von den Untergerichten vertretene und im Revisionsrekurs bekämpfte Auffassung, es sei die inländische Gerichtsbarkeit nicht gegeben, etwa eine Nichtigkeit unterlaufen ist. Der Oberste Gerichtshof hat in zahlreichen Entscheidungen aber ausgesprochen, daß der Nichtigkeitsbegriff des § 16 AußStrG dem § 477 ZPO zu entnehmen ist, dessen Bestimmungen hier also sinngemäß anzuwenden sind (vgl dazu die bei Fetter - Edlbacher zu § 16 AußStrG unter Nr 27 angeführte Judikatur und zuletzt 1 Ob 98/68 = RZ 1968, 215). Da nun § 477 ZPO in Abs 1 Z 3 zwar eine Nichtigkeitsbestimmung für den Fall enthält, daß ein absolut unzuständiges Gericht eine Entscheidung getroffen hat, aber keine Bestimmung für den Fall, daß ein Gericht eine Sachentscheidung mit der Begründung, es sei unzuständig, abgelehnt hat, hat der Oberste Gerichtshof auch schon wiederholt ausgesprochen, daß die Zuständigkeitsverneinung der Unterinstanzen eine Nichtigkeitsrüge im Sinne des § 16 AußStrG nicht rechtfertigen könne (7 Ob 262/65, 7 Ob 13/66).

Allerdings hat der Oberste Gerichtshof auch schon den Standpunkt eingenommen, in ganz besonders gelagerten Fällen sei auch anderen als den durch sinngemäße Anwendung der Bestimmungen des § 477 ZPO als nichtig angreifbaren Verfahrensverstößen im Hinblick auf ihre einschneidende Bedeutung das Gewicht einer Nullität im Sinne des § 16 AußStrG beizumessen, was dann zum Erfolg einer diesbezüglichen

Nichtigkeitsrüge führen könnte (vgl dazu 1 Ob 63/64 = EvBl 1964/442

= JBl 1965, 39). Daran hat er trotz Novaks Kritik (vgl JBl 1965 a a O) auch seither festgehalten. Ein derartiger Ausnahmsfall könnte allenfalls auch bei einer Zuständigkeitsverneinung seitens des in einer Außerstreitsache angerufenen Gerichtes in Betracht kommen, dann insbesondere, wenn sie geradezu eine Rechtsverweigerung zur Folge hätte (siehe auch hiezu 1 Ob 98/68 = RZ 1968, 215). Auch der vorliegende Fall ist unter diesem Gesichtspunkt zu prüfen.

II. Der Hinweis der Rechtsmittelwerberin, daß ihr durch das Amtsgericht Berlin-Schöneberg mit einem Beschluß vom 21. Juli 1970 eine Ordnungsstrafe für den Fall der Nichterfüllung der ihr erteilten Aufträge angedroht und von ihr dagegen am 31. Juli 1970 eine Beschwerde erhoben worden sei, die noch unerledigt sei, woraus sich entgegen der Meinung des Rekursgerichtes die Anwendbarkeit der JMV vom 11. August 1914, RGBl 209 ergeben soll, muß als eine in einem außerordentlichen Revisionsrekurs unzulässige Neuerung unbeachtet bleiben. Im übrigen ist nicht zu sehen, wie sich der geltend gemachte Umstand auf die Beurteilung des Falles nach den Kriterien des § 1 der JMV vom 11. August 1914, RGBl 209 auswirken könnte.

Dem Rekursgericht ist darin beizupflichten, daß Maßnahmen im Rechtsverhältnis zwischen Eltern und ehelichen Kindern (§ 10 der 4. DVEheG), insbesondere solche zur Besuchsrechtsregelung im Sinne des § 142 ABGB, nicht unter die Regelung des § 14 der 4. DVEheG fallen. Nach herrschender Rechtsprechung kann daher das örtlich zuständige österreichische Gericht in Ansehung ausländischer ehelicher Kinder Anordnungen im Sinne des § 142 ABGB (und nicht bloß vorläufige Maßnahmen), allerdings nach der im § 10 der 4. DVEheG bezeichneten Sachnorm treffen, sofern nicht das für das ausländische Kind zuständige ausländische Gericht seine ausschließliche Zuständigkeit in Anspruch genommen hat (vgl hiezu z B JBl 1960, 45 f mit Glosse Schwimanns, SZ 38/15, JBl 1967, 208, EvBl 1968/235). Die vom Rekursgericht gestreifte Frage, ob ein Beschluß auf Eröffnung des Pflegschaftsverfahrens der materiellen Rechtskraft fähig sei bzw ob der zur Zeit seiner Erlassung bestehende Mangel des Fehlens der inländischen Gerichtsbarkeit durch die Rechtskraft des Eröffnungsbeschlusses saniert wird (vgl auch Schwimann in ZfRV 1964, 186), braucht diesmal nicht näher erörtert zu werden, weil der Erstrichter schon in seinem Beschluß vom 23. November 1964, wenn auch rechtsirrig unter Zitierung des § 14 der 4. DVEheG, das Verfahren selbst programmatisch mit der Übernahme der Fürsorge über das Kind durch die Heimatbehörde begrenzte und dieser Beschluß überdies mangels Zustellung an beide Parteien - eine Zustellung an den Kindesvater unterblieb - gar nicht rechtskräftig wurde. Die bloße Entgegennahme der später von den Eltern gestellten Anträge ist unter diesem Gesichtspunkt ohne Bedeutung. Die nun verfügte Einstellung des Verfahrens verstößt also nicht etwa gegen eine rechtskräftig gewordene Bejahung der inländischen Gerichtsbarkeit. Ob das Erstgericht für das von ihm eröffnete Verfahren überhaupt zuständig gewesen war, ist hier aus nachstehenden Erwägungen nicht mehr wesentlich:

Daß das Amtsgericht Berlin-Schöneberg durch die oben im einzelnen angeführten Beschlüsse die Fürsorge über die minderjährige Vera übernommen hat, bedarf keiner näheren Begründung. Fraglich könnte allerdings sein, ob es damit eine ausschließliche Zuständigkeit in Anspruch genommen hat, da es ja nicht nur mit dem Erstgericht wiederholt korrespondiert, sondern - wie eingangs hervorgehoben wurde - den (vom Erstgericht dann als überholt und gegenstandslos betrachteten) Antrag des Vaters vom 10. Jänner 1970 auf Besuchsrechtregelung für 1970 sogar befürwortet hat. Ob sich daraus eine Einschreitebefugnis des zuständigen inländischen Gerichtes für zukünftige Anlässe, insbesondere bei einer Änderung der Verhältnisse, ableiten ließe, kann unerörtert bleiben, weil die Mutter mit ihrem Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens nichts derartiges, sondern praktisch nur eine Überprüfung der vom deutschen Gericht getroffenen Entscheidung auf ihre Richtigkeit anstrebte. Wenn das Erstgericht unter diesen Umständen das Verfahren einstellte und den Antrag der Mutter auf Bestellung eines Sachverständigen abwies - konsequent wäre wohl eine Zurückweisung gewesen -, kann von einer Rechtsverweigerung keine Rede sein. Der Mutter stand es frei, sich mit entsprechenden Anträgen und Rechtsmitteln an die zuständigen deutschen Gerichte zu wenden, wovon sie auch Gebrauch gemacht hat. Daß deren Entscheidung anders ausfiel als sie für richtig hält, rechtfertigt nicht in der Ablehnung von Erhebungen mit dem Zweck einer Umgehung der Entscheidung der Berliner Gerichte einen Fall von Rechtsverweigerung zu erblicken.

III. Der Prüfung der Frage, ob das angerufene Gericht zuständig war, die verweigerte Zustimmungserklärung des Kindesvaters zum Ansuchen um Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft der Minderjährigen zu ersetzen, ist vorauszuschicken, daß nach § 19 Abs 2 StbG 1965 zu einem solchen Ansuchen an und für sich die Zustimmungserklärung des gesetzlichen Vertreters des mj Kindes erforderlich ist. Die Frage aber, wer im gegenständlichen Fall gesetzlicher Vertreter der Minderjährigen ist, ist - da die Minderjährige deutsche Staatsbürgerin ist - nach den deutschen Vorschriften - sie wurden durch das auch für Berlin geltende Gleichberechtigungsgesetz vom 18. Juni 1957 neu gestaltet - zu beurteilen (§ 10 der 4. DVEheG, vgl hiezu auch Goldemund - Ringhofer - Theuer, Das österr Staatsbürgerschaftsrecht, MGA 1969 Anm 5 zu § 19 StbG 1965). Nun steht gemäß § 1626 BGB ein deutsches Kind, solange es minderjährig ist, unter der elterlichen Gewalt des Vaters und der Mutter; diese haben kraft der elterlichen Gewalt das Recht und die Pflicht, für die Person und das Vermögen des Kindes zu sorgen; diese Sorge umfaßt auch die Vertretung des Kindes. Ist ausnahmsweise nur ein Elternteil sorgeberechtigt, hat er allein das Kind zu vertreten (vgl Palandt[29] Anm 1 zu § 1629 BGB). Nach § 1671 Abs 1 BGB bestimmt das Vormundschaftsgericht, falls die Ehe geschieden ist, welchem Elternteil die elterliche Gewalt über sein gemeinschaftliches Kind zustehen soll, dem dann auch die Vertretung des Kindes zufällt (vgl auch Palandt[29], Anm 1 zu § 1671 BGB). Im vorliegenden Fall sprach nun das Amtsgericht Berlin-Schöneberg mit Beschluß vom 26. Jänner 1965 aus, daß die elterliche Gewalt über die Minderjährige (ohne jede Einschränkung) der Mutter zusteht. Aus obigen Ausführungen folgt daher, daß der Mutter auch die gesetzliche Vertretung der Minderjährigen zusteht und daraus wieder, daß sie zur Antragstellung um Verleihung der österr Staatsbürgerschaft an die Minderjährige gar nicht die Zustimmung des Kindesvaters benötigt; sie allein ist vielmehr zur Unterfertigung einer solchen Antragstellung nach § 19 StbG 1965 berufen.

Was nun die Frage anlangt, ob zur Behandlung des gegenständlichen Antrages an und für sich die inländische Gerichtsbarkeit gegeben war, ist dem Rekursgericht darin beizupflichten, daß die Bestimmung des § 19 Abs 3 StbG 1965 eine "lex specialis" darstellt; es kam jedoch nicht der Meinung gefolgt werden, daß diese erst bei Heranziehbarkeit eines in der JN selbst normierten Zuständigkeitstatbestandes zum Tragen komme, wobei zufolge der Bestimmung des § 19 Abs 3 StbG 1965 unter der Fiktion, das Kind sei österreichischer Staatsangehöriger, nach den dann geltenden Zuständigkeitsvorschriften vorzugehen wäre. § 11 BGB bestimmte nämlich schon in der Fassung des Gleichberechtigungsgesetzes als Wohnsitz eines deutschen Kindes, dessen Eltern nicht denselben Wohnsitz haben, den Wohnsitz jenes Elternteiles, dem die gesetzliche Vertretung in den persönlichen Angelegenheiten zusteht. Die seit 1. Juli 1970 geltende Fassung des § 11 BGB durch das Nichtehelichengesetz hat daran nichts Wesentliches geändert ("Ein mj Kind teilt den Wohnsitz der Eltern; es teilt nicht den Wohnsitz eines Elternteiles, dem das Recht fehlt, für die Person des Kindes zu sorgen"; siehe hiezu auch Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch[20] 14 f Anm 1 a und Massfeller - Reinike a a O 100 Anm 3). Auch dies muß von den österreichischen Behörden anerkannt werden, da es sich dabei noch um eine Frage materiellrechtlicher Natur handelt. Damit ist freilich nichts über den allgemeinen Gerichtsstand der Minderjährigen in Streitsachen im Inland ausgesagt, auf den § 109 Abs 1, 1. Satz JN Bezug nimmt. Die subsidiäre Vorschrift des 2. Satzes im § 109 Abs 1 JN muß außer Betracht bleiben, da es sich hier ja nicht um die Bestellung eines Vormundes handelt. Nach § 66 Abs 1 JN wird der allgemeine Gerichtsstand einer Person durch deren Wohnsitz bestimmt. Ehelich geborene Kinder teilen gemäß § 71 JN den allgemeinen Gerichtsstand des Vaters, sofern sie seiner väterlichen Gewalt unterworfen sind, während uneheliche Kinder dem allgemeinen Gerichtsstand der Mutter unterstehen (§ 72 Abs 1 JN). Für einen Fall, daß die elterliche Gewalt der Mutter übertragen wäre, ist in der Jurisdiktionsnorm - immer unter der Fiktion, das Kind sei Österreicher (§ 19 Abs 3 StbG 1965) - nicht vorgesorgt, da es eine solche Institution im österreichischen Recht nicht gibt. Da weder die Voraussetzungen des § 71 JN noch jene des § 72 Abs 1 JN vorliegen, folgt daraus, daß die Minderjährige in Österreich keinen allgemeinen Gerichtsstand hat. Da Analogie im Verfahrensrecht grundsätzlich unzulässig ist - und bei der Frage der Zuständigkeit handelt es sich bereits um eine Verfahrensfrage - können die Bestimmungen der §§ 71, 72 JN auch nicht analog herangezogen werden. Es muß also in einem solchen Fall, da hier die inländische Gerichtsbarkeit an und für sich jedenfalls begrundet ist, die Bestimmung des § 28 JN Platz greifen, wonach der Oberste Gerichtshof zunächst aus den sachlich zuständigen Gerichten eines zu bestimmen hat, welches für die fragliche Rechtssache als örtlich zuständig zu gelten hat. Der Auffassung des Rekursgerichtes, die Bestimmung des § 28 JN sei hier unanwendbar, weil die Führung einer Vormundschaft oder Pflegschaft über einen Fremden grundsätzlich den Behörden seines Heimatstaates überlassen bleibe (in welchem Belange es vermeint, sich auch auf Goldemund - Ringhofer - Theuer, Das österr Staatsbürgerschaftsrecht, stützen zu können) kann nicht gefolgt werden. Wohl ist die Führung der Vormundschaft oder Pflegschaft grundsätzlich Sache der Heimatbehörde des ausländischen Kindes; das Staatsbürgerschaftsgesetz 1965 hat aber gerade für Fälle wie den vorliegenden und auch unter inhaltlicher Derogation des § 14 der 4. DVEheG eine österreichische Sondergerichtsbarkeit geschaffen, die - wenn die Absicht des Gesetzgebers verwirklicht werden soll - unter allen Umständen, sei es auch erst nach einer Zuständigkeitsordination (§ 28 JN), zum Tragen kommen muß (vgl dazu die bei Goldemund - Ringhofer - Theuer, Das österr Staatsbürgerschaftsrecht unter Anm 8 zitierten "Erläuternden Bemerkungen"). Jene Entscheidungen, die seinerzeit ausgesprochen haben, Anträge, die auf den Wechsel der Staatsbürgerschaft eines mj Ausländers abzielten, fielen nicht unter § 14 Abs 2 der 4. DVEheG (z B SZ 37/147), müssen insoweit als überholt angesehen werden.

Ob im vorliegenden Fall von einer Ordination hätte Abstand genommen werden können, weil im Zeitpunkt der Beschlußfassung des Erstgerichtes über diesen Antrag der Mutter der Beschluß auf Einstellung des seinerzeit (unter rechtsirriger Heranziehung des § 14 der 4. DVEheG) eingeleiteten Pflegschaftsverfahrens noch nicht rechtskräftig war, kann unerörtert bleiben, weil selbst dann, wenn der Antrag deshalb diesmal nicht zurück-, sondern abzuweisen gewesen wäre, da ja die Zustimmung des Kindesvaters zur Antragstellung um Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft gar nicht erforderlich ist, für die Rechtsmittelwerberin nichts gewonnen wäre. Dem in einem derartigen Formfehler könnte eine Nullität im Sinne des § 16 AußStrG keinesfalls erblickt werden.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte