OGH 8Ob361/64

OGH8Ob361/642.2.1965

SZ 38/15

Normen

Abkommen vom 12. 6. 1902 zur Regelung der Vormundschaft über Minderjährige Art2
ABGB §142
4. Durchführungsverordnung zum Ehegesetz §18
Abkommen vom 12. 6. 1902 zur Regelung der Vormundschaft über Minderjährige Art2
ABGB §142
4. Durchführungsverordnung zum Ehegesetz §18

 

Spruch:

Keine pflegschaftsbehördliche Maßnahme gemäß § 142 ABGB. bei Übernahme der Fürsorge durch den italienischen Konsul für einen italienischen Minderjährigen im Auftrag des italienischen Pflegschaftsgerichtes

Entscheidung vom 2. Februar 1965, 8 Ob 361/64

I. Instanz: Bezirksgericht Favoriten; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien

Text

Die am 24. März 1961 geborene mj. Manuela P. besitzt ebenso wie ihr ehelicher Vater die italienische Staatsbürgerschaft. Der eheliche Vater wohnt in Senigallia, die Mutter des Kindes in Wien. Mit Beschluß vom 20. Dezember 1963 überwies das Erstgericht die Minderjährige vorläufig bis zur endgültigen Entscheidung in die Pflege und Erziehung der ehelichen Mutter. Mit Zuschrift vom 28. April 1964 beauftragte das italienische Gericht in Senigallia den italienischen Konsul in Wien, der österreichischen Behörde mitzuteilen, daß der eheliche Vater der Minderjährigen berechtigt sei, die väterliche Gewalt unter Aufsicht des Pflegschaftsrichters in Senigallia auszuüben, und ermächtigte gleichzeitig den italienischen Konsul in Wien, die Minderjährige vorläufig bis zu dem Zeitpunkt in Obhut zu nehmen, in dem der eheliche Vater tatsächlich in der Lage sein werde, die väterliche Gewalt auszuüben. Dieser Beschluß des italienischen Pflegschaftsgerichtes wurde dem Erstgericht zur Kenntnis gebracht.

Das Erstgericht stellte hierauf mit sofortiger Wirkung die Pflegschaft über die Minderjährige ein, sprach aus, daß der Beschluß vom 20. Dezember 1963 außer Kraft trete und wies den Antrag der ehelichen Mutter, ihr Ansuchen um Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft an die Minderjährige pflegschaftsbehördlich zu genehmigen und den ehelichen Vater zu einer Unterhaltsleistung für die Minderjährige zu verhalten, ab (Beschluß vom 13. August 1964).

Das Rekursgericht bestätigte den Beschluß des Erstgerichtes mit der Maßgabe, daß die Anträge auf pflegschaftsbehördliche Genehmigung des Ansuchens um Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft an die Minderjährige und auf Festsetzung des vom ehelichen Vater für diese zu leistenden Unterhaltes zurückgewiesen werden. Das Rekursgericht vertrat gleich dem Erstgericht die Auffassung, daß sich aus dem Wortlaut der Entscheidung der Heimatbehörde der Minderjährigen ergebe, daß diese die Fürsorge für das Kind unter Inanspruchnahme der ausschließlichen Zuständigkeit übernommen und ein Verfahren im Sinne des § 14 (2) der 4. DVzEheG. bereits eingeleitet habe. Es sei daher für die Führung eines Pflegschaftsverfahrens über die Minderjährige durch ein inländisches Gericht im Sinne der genannten Gesetzesstelle kein Raum mehr. Dies habe zwangsläufig die Einstellung des im Inland mit dem Ziele eingeleiteten Verfahrens, vorläufige Maßnahmen zu treffen, und die Außerwirksamkeitssetzung solcher Maßnahmen, soweit sie schon getroffen wurden, zur Folge. Wenn auch der österreichischen Rechtsordnung die Führung vormundschaftsbehörlicher Geschäfte hinsichtlich österreichischer Staatsbürger im Ausland durch diplomatische und konsularische Vertreter fremd sei, hindere dies nicht die Zulassung der Wahrnehmung solcher Geschäfte für ausländische Pflegebedürftige im Inland durch diplomatische und konsularische Vertreter des Heimatstaates. Die Republik Österreich habe der Wahrnehmung solcher Geschäfte durch eine ausländische Vertretungsbehörde im Inland im Sinne des Art. 2 des Abkommens vom 12. Juni 1902 zur Regelung der Vormundschaft über Minderjährige (Mitteilung im JABl. 1954, S. 52) im Verhältnis zu Italien weder ausdrücklich noch faktisch widersprochen. Wenn das nach den Regeln des österreichischen internationalen Privatrechtes anzuwendende italienische Recht die Wahrnehmung dieser Geschäfte durch italienische Vertretungsbehörden im Ausland vorsehe, so verletze dies weder das inländische Rechtsempfinden, noch stelle es einen unerträglichen Einbruch in die österreichische Rechtsordnung dar. Zu einer Anwendung des § 18 der 4. DVzEheG. bestehe daher kein Anlaß. Die Einstellung des inländischen Pflegschaftsverfahrens verstoße auch nicht gegen die guten Sitten, weil für die Wahrnehmung pflegschaftsbehördlicher Aufgaben durch die Inanspruchnahme der diesbezüglichen ausschließlichen Zuständigkeit durch die Heimatbehörde entsprechend vorgesorgt sei.

Die Mutter sei überdies keineswegs verpflichtet, für die Kosten der Pflege und Erziehung aufzukommen, es stehe ihr frei, sich im Sinne des Übereinkommens über das auf Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern anzuwendende Recht vom 24. Oktober 1956, BGBl. Nr. 293/1961, mit entsprechenden Anträgen an die zuständigen italienischen Behörden zu wenden.

Der Oberste Gerichtshof wies den wegen offenbarer Gesetzwidrigkeit erhobenen Revisionsrekurs der ehelichen Mutter der Minderjährigen zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Das Rechtsmittel ist mangels Vorliegens eines der in § 16 (1) AußStrG. erschöpfend aufgezählten Anfechtungsgrunde nicht zulässig.

Das Erstgericht hat eine Entscheidung über die Anträge der ehelichen Mutter auf pflegschaftsbehördliche Genehmigung des Ansuchens um Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft an die Minderjährige und auf Verpflichtung des ehelichen Vaters zur Unterhaltsleistung an die Minderjährige, wie sich aus der Begründung seiner Entscheidung ergibt, wegen Mangels der inländischen Gerichtsbarkeit abgelehnt. Es hat also über die Ansprüche nicht materiellrechtlich entschieden, sondern aus formellen Gründen abgelehnt, über sie zu entscheiden. Wenn es dessenungeachtet die Anträge abgewiesen hat, so handelt es sich hiebei bloß um ein Vergreifen im Ausdruck. Das Rekursgericht hat dem Rechnung getragen, indem es die Entscheidung des Erstgerichtes mit der Maßgabe bestätigte, daß die genannten Anträge der ehelichen Mutter zurückgewiesen werden. Es liegt also in Wahrheit eine den erstgerichtlichen Beschluß im vollen Umfang bestätigende Entscheidung des Rekursgerichtes vor. Das hat auch die Rekurswerberin erkannt, die den Beschluß des Zweitgerichtes ausdrücklich mit einem der im § 16 AußStrG. angeführten Rekursgrunde, nämlich dem der offenbaren Gesetzwidrigkeit, anficht.

Die Inanspruchnahme der Zuständigkeit - auch für pflegschaftsbehördliche Maßnahmen nach § 142 ABGB. - betreffend einen italienischen Staatsbürger, durch das zuständige italienische Pflegschaftsgericht widerstreitet weder den guten Sitten noch verstößt sie gegen den Zweck eines österreichischen Gesetzes (§ 18 der 4. DVzEheG.). Diesbezüglich ist auf § 14 der 4. DVzEheG. und das Abkommen vom 12. Juni 1902 zur Regelung der Vormundschaft über Minderjährige, kundgemacht in der Anlage VII der Vollzugsanweisung vom 15. Juni 1920, StGBl. Nr. 304, zu verweisen.

Es ist richtig, daß das österreichische Recht die Ausübung einer Pflegschaft oder Vormundschaft durch konsularische Behörden nicht kennt. Dessenungeachtet sieht das Abkommen vom 12. Juni 1902, dessen Wiederanwendbarkeit durch Notenwechsel zwischen der österreichischen Bundesregierung und der italienischen Regierung festgestellt wurde (s. JABl. 1954, S. 52), im Art. 2 die Übernahme der Fürsorge durch konsularische Vertreter des Heimatstaates vor. Da Österreich, in dessen Gebiet sich die Minderjährige befindet, dagegen nicht Widerspruch erhoben, einen diesbezüglichen Vorbehalt zu machen unterlassen hat, ist die Berufung auf die Unvereinbarkeit der Fürsorgeübernahme durch den italienischen Konsul mit dem inländischen Recht nicht zulässig (vgl. Scheucher: "Der ordre public im österreichischen Recht", ZfRV. 1960, S. 24). Es erübrigt sich daher zu untersuchen, ob diese Übernahme der Fürsorge durch den konsularischen Vertreter eines fremden Staates für einen diesem fremden Staate Angehörigen innerhalb des inländischen Rechtsbereiches das inländische Rechtsempfinden in einem unerträglichen Maß verletze (zur Frage der Begriffsbestimmung des ordre public vgl. Scheucher, a. a. O., S. 16).

Es sind aber auch keine Umstände hervorgekommen, die eine Übergabe des Kindes in die Pflege und Erziehung des Vaters als eine dem österreichischen ordre public (§ 18 der 4. DVzEheG.) widerstreitende Maßnahme erkennen ließen. Nur dann, wenn mit Rücksicht auf das Verhalten des Vaters zum Kind und der Erziehung und Pflege besonders abträgliche Eigenschaften des Vaters das körperliche oder sittliche Wohl des Kindes gefährdet wäre, könnte eine Verletzung des inländischen Rechtsempfindens in Frage kommen, wobei aber noch immer zu bedenken wäre, daß pflegschaftsbehördliche Maßnahmen ausländischer Staaten gegenüber ihren Staatsangehörigen keine allzu große "Inlandsberührung" haben (vgl. Scheucher a. a. O., S. 20). Ein Verstoß gegen § 142 ABGB. scheidet daher aus.

Es ist auch nicht einzusehen, gegen welche ausdrückliche gesetzliche Regelung sonst der angefochtene Beschluß verstoßen sollte.

Aus der vom italienischen Pflegschaftsgericht getroffenen Entscheidung ergibt sich jedenfalls eindeutig, daß der ausländische Staat nunmehr die ausschließliche Zuständigkeit zur Regelung der Pflegschaftsangelegenheit für sich in Anspruch nimmt. Damit ist aber nach ständiger Rechtsprechung (vgl. insbesondere die Entscheidung SZ. XXV 28, ferner EvBl. 1951 Nr. 40, S. 69, 8 Ob 341/64, 6 Ob 254, 271/59) kein Raum mehr für pflegschaftsbehördliche Maßnahmen eines inländischen Gerichtes. Ob die Inanspruchnahme der Zuständigkeit durch das ausländische Gericht auch für den Bereich des § 142 ABGB. die Aufhebung einer im Rahmen dieser Gesetzesstelle vom inländischen Gericht getroffenen pflegschaftsbehördlichen Maßnahme notwendig macht, insbesondere wenn auf den vorläufigen Charakter dieser Maßnahme im Hinblick auf § 14 (2) der 4. DVzEheG. hingewiesen wurde, ist im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt. Von einer offenbaren Gesetzwidrigkeit gemäß § 16 (1) AußStrG. kann aber nur dann gesprochen werden, wenn ein Fall im Gesetz selbst ausdrücklich und so klar gelöst ist, daß kein Zweifel über die Absicht des Gesetzgebers aufkommen kann, und trotzdem eine damit im Widerspruch stehende Entscheidung gefällt wurde (vgl. SZ. XXI 10 u. v. a.).

Mangelt es an der inländischen Gerichtsbarkeit, dann fehlt es auch an der Zuständigkeit eines inländischen Pflegschaftsgerichtes zur Entscheidung über die Anträge der ehelichen Mutter auf Genehmigung des Staatsbürgerschaftsansuchens und Verpflichtung des ehelichen Vaters zur Unterhaltsleistung. Abschließend sei noch bemerkt, daß die Genehmigung eines Antrages, der auf den Wechsel der Staatsbürgerschaft eines Minderjährigen abzielt, keine vorläufige Maßnahme ist (1 Ob 161/64).

Aus diesen Erwägungen war wie im Spruch zu entscheiden.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte