OGH 2Ob14/65

OGH2Ob14/6522.4.1965

SZ 38/64

Normen

ABGB §1325
ABGB §1325

 

Spruch:

Ist ein Rentenbegehren bloß mit der Behauptung eines unfallsbedingten konkreten Verdienstentganges gestellt worden, dann darf nicht von Amts wegen eine abstrakte Rente zugesprochen werden

Entscheidung vom 22. April 1965, 2 Ob 14/65

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz; II. Instanz:

Oberlandesgericht Graz

Text

Die Klägerin hat als Insassin des von ihrem Gatten gelenkten Personenkraftwagens am 22. Februar 1959 auf der Packer Bundesstraße durch Zusammenstoß dieses Fahrzeuges mit dem vom Beklagten gelenkten Personenkraftwagen einen Verkehrsunfall erlitten. Es ist nicht strittig, daß der Beklagte der Klägerin für die Folgen dieses Unfalls aus verschulden schadenersatzpflichtig ist.

Das Erstgericht hat den Beklagten zur Zahlung des Betrages von 108.566.84 S samt Anhang an die Klägerin verurteilt und das Mehrbegehren hinsichtlich des Betrages von 40.211.56 S sowie auf Leistung eines monatlichen Betrages von 350 S ab 1. Februar 1962 abgewiesen; zugleich hat das Erstgericht festgestellt, daß der Beklagte der Klägerin für alle weiteren Schäden und Unfallsfolgen aus dem Unfalle vom 22. Februar 1959 hafte und verpflichtet sei, die Klägerin für die künftigen Unfallsfolgen schadlos zu halten.

Den Berufungen beider Teile hat das Berufungsgericht teilweise Folge gegeben und in Abänderung des Ersturteils den Beklagten mit Teilurteil zur Zahlung des Betrages von 68.981.44 S samt Anhang sowie zur Leistung einer monatlichen Rente von 350 S ab 21. März 1964 an die Klägerin verurteilt und das Mehrbegehren hinsichtlich 45.969 S samt Anhang sowie auf Leistung einer Rente für die Zeit vom 1. Februar 1962 bis 20. März 1964 abgewiesen; zugleich hat die Berufungsinstanz den Beklagten schuldig erkannt, der Klägerin alle weiteren aus dem Verkehrsunfalle vom 22. Februar 1959 in Zukunft entstehenden Schäden zu ersetzen; beschlußmäßig hat das Berufungsgericht das Ersturteil hinsichtlich des Zuspruches von 700 S als nichtig behoben und diesen Teil des Klagebegehrens zurückgewiesen, ferner das Ersturteil hinsichtlich des Zuspruches von 24.000 S und 3785.50 S sowie bezüglich der Abweisung des Teilbegehrens von 3251.72 S und von 1990.84 S sowie im Kostenausspruche aufgehoben und dem Erstgericht hiezu die Fortsetzung der Fortsetzung der Verhandlung und neuerliche Entscheidung aufgetragen; zugleich hat das Berufungsgericht ausgesprochen, daß das Verfahren vor dem Erstgericht erst nach Rechtskraft des Beschlusses fortzusetzen sei.

Der Oberste Gerichtshof gab den Revisionen beider Parteien Folge und änderte das Teilurteil dahin ab, daß es zu lauten habe:

1. die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei den Betrag von 93.981.44 S samt Zinsen zu bezahlen; das Mehrbegehren hinsichtlich 20.969 S samt Zinsen und das gesamte Begehren auf Leistung einer Monatsrente von 350 S ab 1. Februar 1962 werden abgewiesen;

2. es wird festgestellt, daß der Beklagte der Klägerin für alle weiteren, ihr aus dem Verkehrsunfall vom 22. Februar 1959 in Zukunft entstehenden Schäden haftet.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Nach dem Vorbringen der Revisionswerber stehen folgende Fragen in dritter Instanz zur Erörterung: 1. die Bemessung des Schmerzengeldes; 2. die Berechtigung des Zuspruchs der sogenannten abstrakten Rente und 3. die Entscheidung über das Feststellungserkenntnis.

Zu 1:

Nach den vorinstanzlichen Feststellungen hat die zur Unfallszeit 40 Jahre alte Klägerin - sie ist Ärztin, mit einem Arzt verheiratet und Mutter dreier Kinder - durch den bezeichneten Verkehrsunfall ein Schädelhirntrauma, eine 10 cm lange klaffende Wunde unter dem Kinn und den Verlust mehrerer Zähne erlitten. Es handelte sich um eine schwere diffuse Schädigung des Gehirns als Folge der beim Unfall erlittenen Gehirnerschütterung und Gehirnquetschung. Die Klägerin wurde am Unfallstag bewußtlos ins Spital eingeliefert, war längere Zeit hindurch somnolent, ab 9. März 1959 zunehmend ansprechbar und erst am 20. März 1959 zeitlich und örtlich orientiert, so daß sie am 23. März 1959 zur häuslichen Weiterbehandlung aus dem Spital entlassen wurde. Als Folge der erlittenen Verletzungen besteht auch weiterhin eine deutliche Schädigung des Hörvermögens und des Geschmacks- sowie Geruchsempfindens. Der Intellekt und die Merkfähigkeit der Klägerin sind hochgradig herabgesetzt. Es besteht eine leichte Erregbarkeit mit Neigung zu explosiven Entladungen und Konfabulationstendenzen, eine hochgradige Verlangsamung des geistigen Ablaufs Antriebslosigkeit und Unsicherheit, ferner eine rasche Ermüdbarkeit, ohne daß eine Besserung dieser Folgen wahrscheinlich wäre. Körperliche Schmerzen starker Intensität sind durch 20 Tage, solche mittleren Grades durch 50 Tage und leichte Schmerzen durch 120 Tage anzunehmen. Die Klägerin war unfallsbedingt durch ein Jahr hindurch an der Ausübung ihres ärztlichen Berufes gehindert und konnte auch nach diesem Zeitraum ihre ärztliche Tätigkeit als Betriebsärztin und in der freien Praxis nicht in vollem Umfange aufnehmen. Die Erwerbsminderung der Klägerin ist mit 70% anzusetzen, wobei 30% auf die neurologischen Mängel und 40% auf die anderen Dauerfolgen entfallen. Es ist eher mit einer Verschlechterung als mit einer Besserung des Zustandes der Klägerin zu rechnen.

Bei diesen Umständen hat das Erstgericht das Schmerzengeld mit 66.000 S bemessen und das Mehrbegehren der Klägerin aus diesem Titel in der Höhe von 14.000 S als unbegrundet erachtet. Die Berufungsinstanz hat der Berufung der Klägerin in diesem Punkte nicht Folge gegeben, jedoch auf Berufung des Beklagten, diesem Rechtsmittel teilweise Folge gebend, das Schmerzengeld auf 55.000 S herabgesetzt. In dieser Hinsicht liegt die Rechtsrüge der klagenden Partei vor, worin sie die Abweisung des Mehrbegehrens von 25.000 S rügt. Dieser Rüge kann die Berechtigung nicht abgesprochen werden. Nach Lehre und Rechtsprechung (vgl. Ehrenzweig, Recht der Schuldverhältnisse, 1928, S. 630. sowie die dortselbst bezogene Judikatur) ist ja das Schmerzensgeld umso höher zu bemessen, je bedeutender die körperliche Verletzung, je länger die Heilung oder Gesundheitsstörung, je intensiver die mit der Verletzung verbundenen Schmerzen und je empfindlicher die üblen Folgen für die Gesundheit des Verletzten sind, wobei auch die seelischen Schmerzen zu berücksichtigen sind. Unter diesen Gesichtspunkten ist das Begehren der Klägerin, das Schmerzengeld mit 80.000 S zu bemessen, gerechtfertigt. Es muß doch auf die schwerwiegenden Dauerfolgen im beruflichen und privaten Leben der Klägerin Bedacht genommen werden.

Zu 2:

Das Erstgericht hat das eingeschränkte Begehren der Klägerin in bezug auf eine ab 1. Februar 1962 zu leistende Monatsrente von 350 S abgewiesen. Dieses Begehren hatte die Klägerin vor dem Erstgericht damit begrundet, daß sie vor dem Unfall neben ihrer Tätigkeit als Werksärztin der X.-AG. eine Privatpraxis ausgeübt habe; diese Praxis habe ihr einen Nettoertrag erbracht, der wegen der unfallsbedingten gesundheitlichen Nachteile weggefallen sei; in der Streitverhandlung hat die klagende Partei dazu noch vorgebracht, daß nicht nur wegen des Entganges aus der Privatordination der Klägerin, sondern auch dafür Ersatz verlangt werde, daß nach dem Unfall aus der gemeinsamen Ordination der Ehegatten um 19.000 S bis 20.000 S weniger als bei den übrigen Kassenärzten verdient worden sei. Das Erstgericht hat ausgeführt, daß der Klägerin der Nachweis eines Verdienstentganges nicht gelungen sei. Das Berufungsgericht hat - der Beweiswürdigungsrüge der Klägerin diesbezüglich nicht Folge gebend - die Feststellungen des Erstgerichtes zu diesem Punkte gebilligt, zugleich jedoch die Voraussetzungen für die Zuerkennung einer sogenannten abstrakten Rente bejaht und demgemäß der Klägerin ab Schluß der Streitverhandlung eine Monatsrente von 350 S zuerkannt. Zutreffend nimmt die beklagte Partei dagegen in der Revision Stellung. Die Klägerin hatte doch im maßgeblichen erstinstanzlichen Verfahren lediglich den unfallsbedingten Entgang ihres Einkommens aus der ärztlichen Praxis verlangt und keineswegs Umstände geltend gemacht, aus denen die Judikatur bei gleichbleibendem Verdienst des Verletzten die Rente mit Sicherungsfunktion zuspricht. Die Berufungsinstanz durfte nicht von Amts wegen Umstände für die Zuerkennung der Rente heranziehen, auf welche sich die Klägerin vor dem Erstgericht - und auch in der Berufung - nicht berufen hatte. Bereits aus diesen Erwägungen muß der Revision des Beklagten in diesem Punkt Erfolg beschieden sein und demgemäß insoweit auf Abänderung des Berufungsurteils laut Spruch erkannt werden.

Zu 3:

Gegen das von den Vorinstanzen übereinstimmend gefällte Feststellungserkenntnis hinsichtlich der Ersatzpflicht des Beklagten für die weiteren der Klägerin aus dem Verkehrsunfall vom 22. Februar 1959 in Zukunft entstehenden Schäden bestehen keine Bedenken. Nach ständiger Praxis des Revisionsgerichtes (vgl. z. B. 7 Ob 236/62, ZVR. 1963, Spruchbeilage Nr. 102; 2 Ob 417/51, SZ. XXIV 187) ist das im § 228 ZPO. geforderte Feststellungsinteresse zu bejahen, wenn die Möglichkeit künftiger Unfallsfolgen nicht auszuschließen ist. Nun hat das Erstgericht mit Billigung der Berufungsinstanz auf Grund der eingeholten ärztlichen Sachverständigengutachten angenommen, daß nicht nur gesundheitliche Dauerfolgen für die Klägerin entstanden seien, sondern auch noch weitere Folgen aus dem Unfall nicht auszuschließen, nach dem derzeitigen ärztlichen Befund sogar wahrscheinlich seien. Bei diesen Umständen ist ein Rechtsirrtum nicht zu erkennen, wenn die Untergerichte dem bezeichneten Feststellungsbegehren der Klägerin stattgegeben haben. Die Ausführungen des Revisionswerbers, daß neben der Zuerkennung einer sogenannten abstrakten Rente die positive Erledigung des Feststellungsbegehrens rechtlich unbegrundet sei, sind gegenstandslos, weil nach der Entscheidung dritter Instanz das Rentenbegehren der Klägerin abgewiesen wird.

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