Normen
ARB1/80 Art6 Abs1
AuslBG §4c
B-VG Art133 Abs4
EURallg
MRK Art6
VwGG §34 Abs1
VwGVG 2014 §24 Abs4
VwRallg
62006CJ0294 Payir VORAB
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021090252.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die revisionswerbenden Parteien haben dem Bund Aufwendungen in der Höhe von 553,20 Euro binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit Bescheid der belangten Behörde vom 17. August 2020 wurde der Antrag der erstrevisionswerbenden Partei, einer KG mit Sitz in B, auf Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung gemäß § 4c Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) für den Zweitrevisionswerber, einen türkischen Staatsangehörigen, für die berufliche Tätigkeit als Küchengehilfe, abgewiesen.
2 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 20. Jänner 2021 als unbegründet ab. Die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig.
3 Begründend führte das Verwaltungsgericht ‑ im Wesentlichen und soweit von Relevanz ‑ unter Anführung der Beschäftigungszeiten des Zweitrevisionswerbers aus, dass der Zweitrevisionswerber weder eine ordnungsgemäße Beschäftigung beim gleichen Arbeitgeber in der Dauer von drei Jahren noch vier Jahre ordnungsgemäße Beschäftigung insgesamt nachweisen könne. Der Antrag könne daher nicht auf Art. 6 des Beschlusses des Assoziationsrates EWG‑Türkei (ARB) Nr. 1/80 gestützt werden. Für die zuletzt ausgeübte Beschäftigung habe der Zweitrevisionswerber keine Beschäftigungsbewilligung gehabt, weshalb er diese Beschäftigungszeit unrechtmäßig zurückgelegt habe. Diese Zeiten könnten daher auch nicht für den Erwerb von Rechten nach dem ARB Nr. 1/80 herangezogen werden.
4 Zudem sei der Zweitrevisionswerber ursprünglich nicht zum Zweck der Familienzusammenführung eingereist, sondern habe einen Aufenthaltstitel „Studierender“ erhalten. Sein im Bundesgebiet aufhältiger Bruder zähle außerdem nicht zum Kreis der Familienangehörigen im Sinne des Art. 7 ARB Nr. 1/80. Der Antrag könne daher auch nicht auf diese Bestimmung gestützt werden.
5 Von der ‑ beantragten ‑ Durchführung einer mündlichen Verhandlung hat das Verwaltungsgericht abgesehen, weil der festgestellte Sachverhalt zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Bescheides aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde hinreichend geklärt erscheine und durch die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht zu erwarten sei. Da keine Fragen der Beweiswürdigung aufgetreten seien, die die Durchführung einer mündlichen Verhandlung notwendig gemacht hätten, stünden dem Entfall der mündlichen Verhandlung auch weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte (EMRK) noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) entgegen.
6 Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision. Die belangte Behörde hat eine Revisionsbeantwortung erstattet, in der sie die Zurück‑ in eventu Abweisung der Revision beantragt.
7 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
8 Bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist der Verwaltungsgerichtshof an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nach § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a VwGG). Er hat die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
9 Dementsprechend erfolgt nach ständiger Rechtsprechung die Beurteilung der Zulässigkeit der Revision durch den Verwaltungsgerichtshof ausschließlich anhand des Vorbringens in der Zulassungsbegründung. Die Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung, die nach Ansicht des Revisionswerbers die Zulässigkeit der Revision begründet, muss sich aus dieser gesonderten Darstellung ergeben. Auf Vorbringen zur Revisionsbegründung im Zusammenhang mit der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision ist nicht einzugehen, selbst wenn es als Vorbringen zur Zulässigkeit der Revision bezeichnet ist (vgl. VwGH 26.2.2021, Ra 2021/09/0007; 25.4.2019, Ra 2019/09/0048).
10 In den gesondert vorzubringenden Gründen ist sohin konkret auf die vorliegende Rechtssache bezogen aufzuzeigen, welche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung der Verwaltungsgerichtshof in einer Entscheidung über die Revision zu lösen hätte und in welchen Punkten die angefochtene Entscheidung von welcher Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht bzw. konkret welche Rechtsfrage der Verwaltungsgerichtshof uneinheitlich oder noch gar nicht beantwortet hat (vgl. VwGH 12.3.2018, Ra 2018/09/0008, mwN).
11 Die revisionswerbenden Parteien begründen die Zulässigkeit der Revision zunächst mit einem Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Dafür zitieren sie zwar hg. Rechtsprechung der Zahl nach, führen jedoch nicht im Sinne der soeben zitierten Rechtsprechung aus, in welchen Punkten die angefochtene Entscheidung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht. Die bloße Wiedergabe von Rechtssätzen zu verschiedenen Erkenntnissen des Verwaltungsgerichtshofes reicht jedoch nicht aus (vgl. VwGH 9.9.2021, Ra 2021/09/0184, mwN).
12 Nach der ständigen und bereits zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes muss ein Revisionswerber, der eine Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes behauptet, aber konkret anführen, in welchen Punkten die angefochtene Entscheidung von welcher Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht. Dabei hat er konkret darzulegen, dass der der gegenständlich angefochtenen Entscheidung zu Grunde liegende Sachverhalt einem der von ihm ins Treffen geführten hg. Erkenntnisse gleicht, das Verwaltungsgericht im gegenständlichen Fall dennoch anders entschieden hätte und damit von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen wäre (vgl. VwGH 19.7.2021, Ra 2021/09/0164, mwN). Diesen Anforderungen an die Darlegung der Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung werden die revisionswerbenden Parteien mit ihrem Vorbringen nicht gerecht.
13 Die Zulässigkeit der Revision setzt neben einer grundsätzlichen Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aber auch voraus, dass die Revision von der Lösung dieser geltend gemachten Rechtsfrage abhängt. Davon kann nur dann ausgegangen werden, wenn auch die Relevanz der Rechtsfrage für den Verfahrensausgang begründet wird (vgl. VwGH 25.6.2020, Ra 2019/09/0157, mwN). In der Revision muss daher gemäß § 28 Abs. 3 VwGG konkret dargetan werden, warum das rechtliche Schicksal der Revision von der behaupteten Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt (vgl. VwGH 15.9.2020, Ra 2020/09/0030, mwN). In diesem Zusammenhang ist für den Verwaltungsgerichtshof überdies nicht nachvollziehbar, inwieweit die Ausführungen der revisionswerbenden Parteien zum Aufenthaltsrecht relevant sein sollen.
14 Nicht zuletzt ist darauf hinzuweisen, dass der rechtlichen Beurteilung des Verwaltungsgerichtes nicht entgegengetreten werden kann, wenn es im Revisionsfall zum Ergebnis kommt, dass der Zweitrevisionswerber die Voraussetzungen nach Art. 6 ARB Nr. 1/80 nicht erfüllt, weil er weder eine ordnungsgemäße Beschäftigung beim gleichen Arbeitgeber in der Dauer von drei Jahren noch insgesamt vier Jahre einer ordnungsgemäßen Beschäftigung nachweisen kann: Mit Art. 6 Abs. 1 ARB Nr. 1/80 wurde ein System der abgestuften Eingliederung der türkischen Arbeitnehmer in den Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaates geschaffen. Aus der Systematik und der praktischen Wirksamkeit dieses Systems folgt, dass die in den drei Spiegelstrichen dieser Bestimmung jeweils aufgestellten Bedingungen von den Betroffenen nacheinander erfüllt werden müssen (vgl. VwGH 23.7.2021, Ra 2021/22/0055, mit Hinweis auf EuGH 10.1.2006, Sedef, C‑230/03 , Rn. 37ff).
15 Erfüllt ein türkischer Staatsangehöriger die in Art. 6 Abs. 1 erster Spiegelstrich ARB Nr. 1/80 aufgestellten Voraussetzungen, kann er nach Ablauf des ersten Arbeitsjahres eine Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei demselben Arbeitgeber und damit ein entsprechendes Aufenthaltsrecht verlangen (vgl. EuGH 24.1.2008, Payir u.a., C‑294/06 , Rn. 39). Nach Ablauf des im Art. 6 Abs. 1 zweiter Spiegelstrich ARB Nr. 1/80 vorgesehenen Zeitraumes von drei Jahren ist der türkische Arbeitnehmer berechtigt, sich für den gleichen Beruf bei einem Arbeitgeber seiner Wahl auf ein unter normalen Bedingungen unterbreitetes und bei den Arbeitsämtern dieses Mitgliedstaates eingetragenes anderes Stellenangebot zu bewerben. Ein uneingeschränktes Recht auf freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung gemäß dem dritten Spiegelstrich besteht erst nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung (vgl. VwGH 23.1.2020, Ro 2019/22/0009; 28.2.2019, Ra 2018/22/0100; zum Begriff der „ordnungsgemäßen Beschäftigung“ vgl. VwGH 9.7.2021, Ra 2021/22/0120; 26.6.2012, 2010/09/0234, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des EuGH).
16 Soweit die revisionswerbenden Parteien in der Zulässigkeitsbegründung außerdem anführen, das Verwaltungsgericht habe keine mündliche Verhandlung durchgeführt, ist ihnen zunächst zuzustimmen: Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes handelt es sich beim Verfahren betreffend Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung um ein „civil right“ im Sinn der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (vgl. VwGH 22.2.2018, Ra 2017/09/0006, mit Hinweisen auf Rechtsprechung des EGMR). Bei einer solchen Entscheidung über zivilrechtliche Ansprüche oder Verpflichtungen haben die Parteien grundsätzlich ein Recht darauf, dass ihre Angelegenheit in einer ‑ im vorliegenden Fall auch beantragten ‑ öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem in der Sache entscheidenden Gericht erörtert wird, außer wenn weder eine Tatsachen- noch eine Rechtsfrage aufgeworfen wurde, deren Lösung eine mündliche Verhandlung erfordert hätte (vgl. VwGH 19.12.2017, Ra 2017/09/0003; 17.2.2015, Ra 2014/09/0007).
17 Genau eine solche Ausnahme liegt im Revisionsfall aber vor: Die relevanten Feststellungen sind unbestritten und ergeben sich unzweifelhaft aus dem Verwaltungsakt (dazu zählen insbesondere die Beschäftigungsbewilligungen des Zweitrevisionswerbers und die damit einhergehenden Beschäftigungszeiten). Die Rechtsfrage, die sich daraus ergeben hat, war bereits durch die hg. Rechtsprechung geklärt. Das Verwaltungsgericht durfte daher von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung absehen.
18 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
19 Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.
20 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG, insbesondere § 51, in Verbindung mit der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 16. Februar 2022
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