VwGH Ra 2021/19/0124

VwGHRa 2021/19/01247.5.2021

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie die Hofräte Mag. Stickler und Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, in der Revisionssache des A F A in T, vertreten durch Mag. Julian Alen Motamedi, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Baumannstraße 9/12A, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. Februar 2021, W241 2216742‑1/34E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

BFA-VG 2014 §9 Abs2 Z2
BFA-VG 2014 §9 Abs2 Z3
MRK Art8

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021190124.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 23. April 2018 einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid vom 22. Februar 2019 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

2 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

3 Das BVwG führte ‑ soweit hier wesentlich ‑ zur Rückkehrentscheidung begründend aus, der strafrechtlich unbescholtene Revisionswerber habe sich bereits von 3. Dezember 2014 bis 16. Juli 2015 aufgrund eines (ersten) Antrages auf internationalen Schutz in Österreich aufgehalten. Hinsichtlich dieses (ersten) Antrages auf internationalen Schutz sei ausgesprochen worden, dass Österreich nach der Dublin III‑VO nicht zuständig sei und der Revisionswerber außer Landes gebracht worden. Der zweite ‑ nunmehr gegenständliche ‑ Antrag auf internationalen Schutz sei vom Revisionswerber unmittelbar nach seiner Wiedereinreise in Österreich gestellt worden. Der Revisionswerber führe eine Lebensgemeinschaft mit einer österreichischen Staatsbürgerin, wobei wechselseitig Unterstützungen geleistet würden, eine wirtschaftliche Abhängigkeit der Lebensgefährten voneinander aber nicht bestehe. Diese Beziehung habe bereits während des ersten Aufenthaltes des Revisionswerbers in Österreich begonnen. Seit Mai 2018 werde ein gemeinsamer Haushalt geführt, in dem auch die Mutter und der volljährige Sohn der Lebensgefährtin wohnten. Der Revisionswerber habe Deutschkurse erfolgreich absolviert und dadurch Deutschkenntnisse erworben. Er verfüge ‑ trotz fehlendem Zugang zum Arbeitsmarkt ‑ über eine Einstellungszusage und habe Kontakte auch zu weiteren österreichischen Staatsbürgern. Insgesamt überwiege aber insbesondere auch unter Berücksichtigung der Aufenthaltsdauer im Inland sowie des Umstandes, dass der Revisionswerber sich der Unsicherheit seines Aufenthaltes habe bewusst sein müssen, das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung die gegenläufigen privaten bzw. familiären Interessen des Revisionswerbers an einem Verbleib im Inland.

4 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

7 Unter dem Gesichtspunkt ihrer Zulässigkeit wendet sich die Revision gegen die Rückkehrentscheidung. Das BVwG habe bei seiner Abwägung nach Art. 8 EMRK den für einen Verbleib des Revisionswerbers im Inland sprechenden Umständen ‑ insbesondere der Lebensgemeinschaft des Revisionswerbers mit einer österreichischen Staatsbürgerin ‑ zu wenig Beachtung geschenkt.

8 Die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, hat unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA‑VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA‑VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden (vgl. etwa VwGH 5.3.2021, Ra 2020/19/0147, mwN). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen ‑ wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde ‑ nicht revisibel (vgl. etwa VwGH 25.3.2021, Ra 2021/19/0057, mwN).

9 Der Revision ist darin zuzustimmen, dass im Sinn der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) das nach Art. 8 EMRK geschützte Familienleben nicht auf durch Heirat rechtlich formalisierte Bindungen beschränkt ist, sondern auch andere faktische Familienbindungen umfasst, bei denen die Partner außerhalb des Ehestandes zusammenleben. Zur Frage, ob eine nichteheliche Lebensgemeinschaft ein Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK begründet, stellt der EGMR auf das Bestehen enger persönlicher Bindungen ab, die sich in einer Reihe von Umständen ‑ etwa dem Zusammenleben, der Länge der Beziehung oder der Geburt gemeinsamer Kinder ‑ äußern können (vgl. VwGH 29.5.2020, Ra 2020/14/0191, mwN). Es ist aber in Fällen wie dem vorliegenden letztlich nur von untergeordneter Bedeutung, ob die genannte Beziehung als „Familienleben“ oder als „Privatleben“ zu qualifizieren ist, weil bei der vorzunehmenden Gesamtabwägung im Ergebnis die tatsächlich bestehenden Verhältnisse maßgebend sind (vgl. näher VwGH 27.4.2020, Ra 2020/21/0121).

10 Das BVwG hat vorliegend nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, in der es sich einen persönlichen Eindruck vom Revisionswerber verschaffte, alle ‑ auch die in der Revision genannten ‑ maßgeblichen Umstände berücksichtigt. Insbesondere hat das BVwG in seine Erwägungen die Lebensgemeinschaft des Revisionswerbers mit einer österreichischen Staatsbürgerin und die Lebensverhältnisse des Revisionswerbers in Österreich einbezogen. Das BVwG hat aber auch zutreffend auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes verwiesen, wonach es im Sinn des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA‑VG maßgeblich relativierend ist, wenn integrationsbegründende Schritte ‑ wie vorliegend ‑ in einem Zeitraum gesetzt wurden, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (vgl. etwa VwGH 28.2.2019, Ro 2019/01/0003, mwN und näheren Ausführungen zur Bedeutung des Bewusstseins des unsicheren Aufenthalts). Weiters entspricht es der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die nach Art. 8 EMRK durchzuführende Interessenabwägung zukommt (vgl. etwa VwGH 5.3.2021, Ra 2020/19/0147, mwN und näheren Ausführungen zur Bedeutung der Aufenthaltsdauer).

11 Insgesamt vermag die Revision nicht aufzuzeigen, dass die Beurteilung des BVwG, wonach bei einer Gesamtbetrachtung das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung die gegenläufigen privaten bzw. familiären Interessen des Revisionswerbers an einem Verbleib im Inland überwiege, unvertretbar wäre.

12 Hinsichtlich des weiteren in der Revision unter dem Gesichtspunkt ihrer Zulässigkeit erstatteten Vorbringens ist darauf hinzuweisen, dass in der gesonderten Zulassungsbegründung konkret darzulegen ist, in welchen Punkten die angefochtene Entscheidung von welcher Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht bzw. konkret welche Rechtsfrage der Verwaltungsgerichtshof uneinheitlich oder noch gar nicht beantwortet hat. Lediglich pauschale Behauptungen erfüllen diese Voraussetzungen nicht (vgl. etwa VwGH 20.1.2021, Ra 2020/19/0323, mwN). Soweit die Revision zur Begründung ihrer Zulässigkeit ohne jegliche Konkretisierung vorbringt, das BVwG sei hinsichtlich der Beurteilung des Fluchtvorbringens des Revisionswerbers und der Voraussetzungen der Zuerkennung subsidiären Schutzes von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, wird sie diesen Anforderungen nicht gerecht.

13 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 7. Mai 2021

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