Normen
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §54 Abs1
AsylG 2005 §54 Abs2
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs1 Z2
AsylG 2005 §58 Abs2
BFA-VG 2014 §9
BFA-VG 2014 §9 Abs2
BFA-VG 2014 §9 Abs2 Z2
BFA-VG 2014 §9 Abs2 Z3
BFA-VG 2014 §9 Abs3
MRK Art8 Abs2
NAG 2005 §41a Abs9
NAG 2005 §43 Abs3
NAG 2005 §45 Abs2
VwGG §34 Abs1
VwRallg
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020210121.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der 1976 geborene Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger des Irak, gelangte Mitte Mai 2015 nach Österreich und stellte hier einen Antrag auf internationalen Schutz.
2 Diesen Antrag wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 16. November 2016 zur Gänze ab (Spruchpunkte I. und II.). Unter einem sprach es (von Amts wegen) aus, dass dem Mitbeteiligten ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt werde, erließ gegen ihn gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA‑VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Mitbeteiligten in den Irak zulässig sei (Spruchpunkt III.) Schließlich setzte es gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise mit vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest (Spruchpunkt IV.).
3 Die dagegen erhobene Beschwerde zog der Mitbeteiligte in der am 10. Februar 2020 durchgeführten Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) in Bezug auf die Spruchpunkte I. und II. des bekämpften BFA‑Bescheides wieder zurück. Demzufolge stellte das BVwG mit der angefochtenen, am 10. Februar 2020 mündlich verkündeten und mit 18. Februar 2020 schriftlich ausgefertigten Entscheidung das Beschwerdeverfahren in diesem Umfang beschlussmäßig ein (Spruchpunkt A.I.). Der Beschwerde gab das BVwG dann „hinsichtlich Spruchpunkt III. und IV. des angefochtenen Bescheides“ statt und es stellte fest, dass gemäß § 9 BFA‑VG eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig sei (Spruchpunkt A.II.). Des Weiteren erteilte es dem Mitbeteiligten gemäß § 55 AsylG 2005 den Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung“ für die Dauer von zwölf Monaten (Spruchpunkt A.III.). Abschließend sprach das BVwG noch aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei (Spruchpunkt B.).
4 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
5 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nach § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).
6 In dieser Hinsicht macht das BFA in seiner Amtsrevision (zusammengefasst) zunächst geltend, es liege keine „außergewöhnliche Konstellation“ vor, die nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Hinweis auf VwGH 30.7.2015, Ra 2014/22/0055 bis 0058) erforderlich sei, dass trotz des (erst) beinahe fünfjährigen Aufenthalts des Mitbeteiligten das öffentliche Interesse an seiner Aufenthaltsbeendigung „von der Integration der mP überwogen werden würde“. Das BVwG sei im Rahmen der diesbezüglichen Beurteilung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, indem es bei der Interessenabwägung insbesondere dem Kriterium des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA‑VG („die Frage, ob das Privat‑ und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren“) und dem öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen nicht die ihm zukommende Bedeutung beigemessen habe.
7 Das BFA verweist in der Revision allerdings selbst auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung nach § 9 BFA‑VG im Allgemeinen ‑ wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde ‑ nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist (vgl. beispielsweise, auch eine Amtsrevision des BFA betreffend, VwGH 12.11.2019, Ra 2019/21/0096, Rn. 9, mwN). Wie auch bei anderen einzelfallbezogenen Beurteilungen läge eine grundsätzliche Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG somit nur dann vor, wenn die Interessenabwägung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Weise, also krass fehlerhaft, vorgenommen worden wäre (vgl. VwGH 11.5.2017, Ro 2017/21/0006, Rn. 10, mwN; siehe in diesem Sinn auch VwGH 25.10.2019, Ra 2019/01/0188, Rn. 10/11).
8 Das BVwG stellte zur Integration des Mitbeteiligten fest, er sei mit einer Partnerin selbständig als Friseur tätig und seit 5. August 2019 sozialversichert. Darüber hinaus bestehe die Zusage eines Hausbetreuungsunternehmens, ihn ab 1. April 2020 als Hausmeister und Elektriker zu beschäftigen. Der strafgerichtlich unbescholtene Mitbeteiligte sei seit Beginn seines Aufenthalts bestrebt gewesen, im Rahmen seiner Möglichkeiten die deutsche Sprache zu erlernen. Er belege seit Jahren regelmäßig Deutschkurse und zeige dabei großes Engagement und Bemühen. Er sei mittlerweile in der Lage, sich auf einfachem Sprachniveau, das „in etwa A2“ entspreche, zu verständigen. Die diesbezügliche Prüfung sei zwar im Oktober 2019 nicht positiv verlaufen, er sei aber bereits für den nächsten Prüfungstermin, noch im Februar 2020, angemeldet. Der Mitbeteiligte sei während des mittlerweile fast fünf Jahre dauernden Verfahrens immer bemüht gewesen, sich in seinem Umfeld über ehrenamtliche Arbeiten oder einfache Nachbarschaftshilfen aktiv einzubringen. Dadurch habe er erkennbare Schritte gesetzt, sich in die österreichische Gesellschaft bestmöglich einzugliedern, und er sei deshalb auch beliebt, was durch die vorgelegten Unterstützungsschreiben bestätigt werde.
Der Mitbeteiligte habe vor zwei Jahren eine Beziehung mit einer österreichischen Staatsbürgerin begonnen und sei mit ihr mittlerweile verlobt; beide planten eine Heirat. Der Mitbeteiligte wohne zwar derzeit noch beim Bruder seiner Verlobten, sei aber bereits stark in den Familienverband integriert; so habe er auch zur Tochter seiner Verlobten ein väterliches Verhältnis. Bei der diesbezüglichen Beweiswürdigung, insbesondere zur Ernsthaftigkeit dieser Beziehung und der Heiratsabsicht, verwies das BVwG vor allem auf den (positiven) persönlichen Eindruck, den der Richter im Zuge der übereinstimmenden Aussagen des Mitbeteiligten und seiner Verlobten sowie von ihrer Tochter und deren Partner, die ohne Ladung an der Verhandlung teilgenommen hätten, gewonnen habe.
Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung führte das BVwG daran anknüpfend aus, der Mitbeteiligte habe seit zwei Jahren mit seiner österreichischen Lebensgefährtin eine nachhaltige Partnerschaft begründet, sei mit ihr mittlerweile verlobt und bei der erwachsenen Tochter der Verlobten in die Vaterrolle hineingewachsen. Es bestehe daher eine enge persönliche Bindung, sodass die Rückkehrentscheidung einen Eingriff in sein Familienleben darstelle. Zugunsten des Mitbeteiligten sei überdies sein konsistentes Bemühen um Integration, insbesondere zur Erlangung von Selbsterhaltungsfähigkeit und Akzeptanz in der Gesellschaft, zu berücksichtigen. Das BVwG verkenne nicht, dass grundsätzlich ein hohes öffentliches Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen bestehe und dass das „Privatleben“ während eines unsicheren Aufenthaltsstatus entstanden sei, dennoch sei im gegenständlichen Fall in einer Gesamtschau und bei Abwägung aller Umstände das Interesse an der nicht nur vorübergehenden Fortführung seines „Privatlebens“ in Österreich höher zu bewerten. Es sei daher der Beschwerde gegen die Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen BFA‑Bescheides stattzugeben und festzustellen, dass die Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig sei. Demzufolge sei dem Mitbeteiligten für die Dauer von zwölf Monaten eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen.
9 Entgegen der Meinung in der Amtsrevision war es angesichts der beschriebenen Gesamtsituation nicht unvertretbar, dass das BVwG ‑ auch unter Verwertung des in der Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks ‑ im Ergebnis von einer „außergewöhnlichen Konstellation“ ausging, die ausnahmsweise trotz der noch nicht besonders langen Dauer des Aufenthalts in Österreich zur Feststellung der dauerhaften Unzulässigkeit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung zu führen habe. Richtig ist zwar, dass die hierfür im Besonderen maßgebliche Beziehung des Mitbeteiligten zu seiner österreichischen Verlobten nach Erlassung des erstinstanzlichen, den Antrag auf internationalen Schutz abweisenden Bescheides, somit während unsicheren Aufenthalts im Sinne des § 9 Abs. 2 Z 8 FPG eingegangen wurde. Allerdings lag die Unsicherheit des Aufenthalts nicht insofern qualifiziert vor, als das Beschwerdeverfahren noch anhängig und für den Mitbeteiligten noch keine rechtskräftig auferlegte Rückkehrverpflichtung bestand (vgl. zu dieser Abgrenzung schon VfGH 7.10.2010, B 950/10 ua, VfSlg. 19.203, Punkt II.2.4. der Entscheidungsgründe). Auch der Verwaltungsgerichtshof hat im Anschluss an diese Entscheidung schon dargelegt, dass „freilich“ ein gradueller Unterschied dahin zu machen sei, ob die Integration auf einem nur durch Folgeanträge begründeten unsicheren Aufenthaltsstatus basiere oder während eines einzigen, ohne schuldhafte Verzögerung durch den Fremden lange dauernden Asylverfahrens erfolgt sei (siehe VwGH 29.2.2012, 2010/21/0233, und daran anschließend VwGH 20.3.2012, 2010/21/0471 bis 475). Außerdem war zugunsten des Mitbeteiligten die ‑ ohne sein Verschulden ‑ unangemessen lange Dauer des gegenständlichen Verfahrens von fast fünf Jahren unter dem Gesichtspunkt des § 9 Abs. 2 Z 9 BFA‑VG („Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist“) zu berücksichtigen. Das wird in der Amtsrevision außer Acht gelassen.
10 In der Amtsrevision wird zwar auch noch kritisiert, das BVwG hätte in Bezug auf das Verhältnis des Mitbeteiligten zu seiner Verlobten und deren Tochter nicht von einem „Familienleben“ ausgehen dürfen (Hinweis auf VwGH 17.12.2019, Ro 2019/18/0006, Rn. 14/15). Darauf kommt es aber nicht entscheidungswesentlich an, weil bei der vorzunehmenden Gesamtabwägung im Ergebnis die tatsächlich bestehenden Verhältnisse maßgebend sind, sodass es fallbezogen nur von untergeordneter Bedeutung ist, ob die genannten Beziehungen als „Familienleben“ im Sinne der Z 2 oder als „Privatleben“ im Sinne der Z 3 des § 9 Abs. 2 BFA‑VG zu qualifizieren sind (vgl. VwGH 26.6.2019, Ra 2019/21/0016, Rn. 17). Die Qualifikation dieser Beziehungen als „Privatleben“ hätte daher ‑ anders als die Amtsrevision zu diesem Punkt resümierend meint ‑ nicht (per se) zu einer Bestätigung der Rückkehrentscheidung führen müssen. Im Übrigen ist dazu aber noch anzumerken, dass das BVwG ‑ wie oben wiedergegeben ‑ bei seiner Abwägung dann ohnehin nur von einem „Privatleben“ des Mitbeteiligten ausgegangen ist. Dass aber einer seit zwei Jahren bestehenden Beziehung mit einer österreichischen Staatsbürgerin, die unbestritten zu einer Verlobung geführt hat und bei der beide Teile ernsthafte Heiratsabsichten haben, auch dann, wenn noch kein gemeinsamer Haushalt besteht, ein großes Gewicht bei der Interessenabwägung zugebilligt werden durfte, kann nicht zweifelhaft sein. Verstärkend wirkt dabei, dass nach den unbekämpften Feststellungen des BVwG auch ein väterliches Verhältnis zwischen dem Mitbeteiligten und der (erwachsenen) zukünftigen Stieftochter besteht. Insoweit unterscheidet sich die vorliegende Konstellation wesentlich von dem in der Amtsrevision für vergleichbar gehaltenen, dem Erkenntnis VwGH 28.2.2019, Ro 2019/01/0003, zugrunde liegenden, einen Lehrling betreffenden Fall, in dem keine derartigen persönlichen Beziehungen bestanden und überdies auch nur eine Aufenthaltsdauer von etwa dreieinhalb Jahren gegeben war, während sich der Mitbeteiligte bis zur Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses bereits vier Jahre und neun Monate in Österreich aufhielt. Diese Einwände treffen auch auf den in der Amtsrevision ebenfalls zu Unrecht für vergleichbar gehaltenen Fall zu, über den mit dem Erkenntnis VwGH 10.4.2019, Ra 2019/18/0049, entschieden wurde.
11 Des Weiteren wirft die Amtsrevision die Frage nach dem Grund für die Zurückziehung der Beschwerde gegen die Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz auf. Hätte der Mitbeteiligte seinen „Antrag auf internationalen Schutz“ zurückgezogen, weil er bewusst, also mit einem unwahren Fluchtvorbringen, einen von vornherein unbegründeten Antrag gestellt habe, wären die für ihn sprechenden integrationsbegründenden Umstände durch den Missbrauch des Asylwerbern für die Dauer des Verfahrens eingeräumten Aufenthaltsrechts maßgeblich relativiert. Da das BVwG nicht aufgeklärt habe, warum der Mitbeteiligte seine Beschwerde betreffend internationalen Schutz zurückgezogen habe, beruhe die Interessenabwägung auf einem ungeklärten Sachverhalt im Hinblick auf das Kriterium der Z 8 des § 9 Abs. 2 BFA‑VG und sei daher mangelhaft.
12 Dem ist zu entgegnen, dass das BFA, das an der Beschwerdeverhandlung nicht teilnahm, im Verfahren vor dem BVwG kein Vorbringen zu einer missbräuchlichen Stellung des durch den Mitbeteiligten eingebrachten Antrags auf internationalen Schutz erstattete. Dass den Verwaltungsakten konkrete Hinweise für eine missbräuchliche Antragstellung hätten entnommen werden können, die für das BVwG ausreichend Anlass geboten hätten, Überlegungen in diese Richtung anzustellen, wird in der Revision aber nicht behauptet. Es wird dort überhaupt nicht inhaltlich konkretisiert, woraus sich im gegenständlichen Fall das Vorliegen eines Rechtsmissbrauchs hätte ergeben können. Entgegen der Meinung in der Amtsrevision liegt daher in Bezug auf die aufgeworfene Frage kein Ermittlungs‑ und Begründungsmangel vor (vgl. zu gleichartigen Einwänden in Amtsrevisionen des BFA die Beschlüsse VwGH 20.4.2020, Ra 2019/21/0323, und VwGH 16.4.2020, Ra 2019/21/0324).
13 Zusammenfassend kann daher in Bezug auf die vom BVwG nach den Kriterien des § 9 Abs. 2 BFA‑VG vorgenommene Interessenabwägung ‑ auch wenn das BVwG im Sinne der Argumentation in der Amtsrevision ebenso ein anderes Ergebnis in Betracht hätte ziehen können ‑ nicht von einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden krassen Fehlbeurteilung, die einer Korrektur durch den Verwaltungsgerichtshof bedarf, die Rede sein.
14 Schließlich wird in der Amtsrevision noch bemängelt, das BVwG habe der Beschwerde gegen den gesamten Spruchpunkt III. des BFA‑Bescheides vom 16. November 2016, somit auch gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005, stattgegeben. Über die Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung und die darauf aufbauenden Spruchpunkte bzw. „deren Gegenstück“, die Feststellung der dauernden Unzulässigkeit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 9 Abs. 3 BFA‑VG und die Erteilung des damit einhergehenden Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005, hätte aber erst abgesprochen werden dürfen, wenn ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt worden ist, sodass dem BVwG dafür keine Zuständigkeit zugekommen sei.
15 In der Revision wird nicht dargelegt, welche Konsequenzen die (bloße) Stattgebung der Beschwerde betreffend die vom BFA ausgesprochene Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 nach sich gezogen haben soll; ersatzlose Behebung dieses Spruchteils, insoweit beabsichtigte Zurückverweisung zur neuerlichen Entscheidung an das BFA oder gar die Erteilung eines solchen Aufenthaltstitels. Für keine dieser drei (theoretischen) Möglichkeiten geben der Spruch oder die Begründung des angefochtenen Erkenntnisses den geringsten Anhaltspunkt (siehe zum Rückgriff auf die Begründung einer Entscheidung bei Vorliegen eines auslegungsbedürftigen Spruchs etwa VwGH 17.11.2016, Ra 2016/21/0068, Rn. 9; vgl. etwa auch VwGH 23.10.2008, 2006/21/0182). Bei verständiger Deutung ist der Spruch des angefochtenen Erkenntnisses trotz seiner ungenauen Fassung somit dahin auszulegen, dass damit der Beschwerde nur gegen die dort inhaltlich bekämpfte Rückkehrentscheidung und die darauf aufbauenden Aussprüche nach § 52 Abs. 9 FPG und § 55 FPG stattgegeben wurde, nicht jedoch auch gegen die in der Begründung der Beschwerde inhaltlich gar nicht angesprochene Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 (vgl. insoweit ähnlich VwGH 27.6.2019, Ra 2019/14/0142, Rn. 17).
16 Im Übrigen trifft die Prämisse des BFA, die Feststellung der dauernden Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 9 Abs. 3 BFA‑VG und die demzufolge gemäß § 58 Abs. 2 AsylG 2005 vorzunehmende Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 setze voraus, dass ein Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005 nicht erteilt werde und dass darüber (vorweg) abgesprochen worden sein müsse, nicht zu. In dem für seine Auffassung vom BFA in der Revision als Beleg zitierten Erkenntnis VwGH 7.3.2019, Ro 2019/21/0002, wurde in Rn. 18 nur zum Ausdruck gebracht, dass ein negatives Ergebnis der amtswegigen Prüfung der Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 als Bedingung für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung konstruiert worden sei (vgl. daran anschließend auch VwGH 26.6.2019, Ra 2019/21/0146, Rn. 15, wonach es erforderlich sei, dass vor der Erlassung einer auf § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 52 Abs. 2 Z 2 FPG gestützten Rückkehrentscheidung der Antrag auf internationalen Schutz zur Gänze abgewiesen und von Amts wegen kein Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005 erteilt worden sei). Daraus ist somit für den Standpunkt in der Amtsrevision nichts zu gewinnen, wurde doch vom BVwG im vorliegenden Fall gerade keine Rückkehrentscheidung erlassen.
17 In § 58 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 wird zwar ganz allgemein und ohne eine Einschränkung bestimmt, das BFA habe die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 von Amts wegen zu prüfen, wenn der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird. Diese Bestimmung steht aber im Zusammenhang mit § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005, der normiert, dass eine Entscheidung, mit der ein Antrag auf internationalen Schutz zur Gänze abgewiesen wird, mit einer Rückkehrentscheidung ‑ zu ergänzen: vorbehaltlich ihrer Zulässigkeit unter dem Gesichtspunkt des § 9 BFA‑VG ‑ zu verbinden ist, wenn von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt wird. Die letztgenannte Voraussetzung gilt somit nur für den Fall der Verbindung der abweisenden Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz mit einer Rückkehrentscheidung. Wie erwähnt wurde auch in den in Rn. 16 angeführten Erkenntnissen nichts anderes gesagt.
18 Ist eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig und daher nicht zu erlassen, so lässt sich dem Gesetz für die diesbezügliche, nach § 9 Abs. 3 BFA‑VG vorzunehmende Feststellung nicht die Bedingung entnehmen, dass zuvor über die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 negativ abgesprochen wurde. Vielmehr entfällt diesfalls eine amtswegige Prüfung der Erteilung eines solchen Aufenthaltstitels, weil gemäß § 58 Abs. 2 AsylG 2005 (jedenfalls) ein Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG 2005 zu erteilen ist. Folgte man demgegenüber der Auffassung des BFA, dann wäre bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 57 AsylG 2005 vorrangig dieser Aufenthaltstitel zu erteilen und es käme trotz Vorliegens der Voraussetzungen nicht zur Feststellung der dauernden Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung und zur Erteilung des ‑ aufenthaltsrechtlich eine bessere Rechtsposition einräumenden (vgl. § 54 Abs. 1 und 2 AsylG 2005 sowie § 43 Abs. 3, § 41a Abs. 9 und § 45 Abs. 2 NAG) ‑ Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005. Dass eine solche (gleichheitswidrige) Konsequenz vom Gesetzgeber beabsichtigt gewesen wäre, kann ihm nicht unterstellt werden. Die Anordnung eines negativen Ergebnisses der amtswegigen Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005 als Bedingung für eine Rückkehrentscheidung hat ja offenbar auch nur den Zweck zu verhindern, dass eine Rückkehrentscheidung erlassen wird, obwohl der Drittstaatsangehörige nach der genannten Bestimmung Anspruch auf eine Aufenthaltsberechtigung hat (vgl. VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0023, 0024, Punkt 2. der Entscheidungsgründe). Diese teleologische Überlegung trifft aber ‑ wie gezeigt ‑ auf den Fall, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig und dem Drittstaatsangehörigen ein Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG 2005 zu erteilen ist, gerade nicht zu. Das spricht somit ebenfalls gegen die vom BFA vertretene Auffassung.
19 Der in der Amtsrevision erhobene Einwand der Unzuständigkeit ist daher auch aus diesen Gründen nicht zielführend und kann somit nicht die Zulässigkeit der Revision begründen; das behauptete Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt nicht vor. In dem in der Amtsrevision ins Treffen geführten Erkenntnis VwGH 25.10.2019, Ra 2019/01/0188, wurde auf die hier erörterte Frage keine inhaltliche Antwort gegeben. Es steht somit den vorstehenden Überlegungen nicht entgegen. Das gilt im Ergebnis auch für das Erkenntnis VwGH 20.11.2019, Ra 2019/20/0269, in dem zu einem ähnlichen Einwand in einer Amtsrevision des BFA eine ausdrückliche Aussage lediglich zum Fall der Erlassung einer Rückkehrentscheidung getroffen und sonst nur auf die diesbezüglich fehlende Begründung des BVwG im dort angefochtenen Erkenntnis abgestellt wurde.
20 In der Revision werden somit insgesamt keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGGohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
Wien, am 27. April 2020
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)