Normen
ABGB §1332
ABGB §6
ABGB §8
VwGG §42 Abs4
VwGVG 2014 §33 Abs1
VwGVG 2014 §33 Abs5
VwGVG 2014 §7 Abs4
VwRallg
ZustG §17 Abs2
ZustG §17 Abs4
ZustG §23 Abs3
ZustG §26a Z1 idF 2020/I/042
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020210408.L00
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
In Anwendung des § 42 Abs. 4 VwGG wird Spruchpunkt A.I. des angefochtenen Beschlusses dahin abgeändert, dass dem Antrag des Revisionswerbers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13. Mai 2020 gemäß § 33 Abs. 1 VwGVG stattgegeben wird, und wird Spruchpunkt A.II. des angefochtenen Beschlusses ersatzlos behoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) erließ gegen den Revisionswerber, einen serbischen Staatsangehörigen, im Hinblick auf eine strafgerichtliche Verurteilung wegen eines Suchtmitteldeliktes mit Bescheid vom 13. Mai 2020 ‑ verbunden mit dem Ausspruch, dass ihm ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 (von Amts wegen) nicht erteilt werde ‑ gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005 iVm § 9 BFA‑VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG und verband damit gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein mit neun Jahren befristetes Einreiseverbot. Unter einem wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Serbien zulässig sei. Einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung wurde gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA‑VG die aufschiebende Wirkung aberkannt und gemäß § 55 Abs. 4 FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt.
2 Dieser Bescheid wurde dem Vertreter des Revisionswerbers, Rechtsanwalt Mag. T., nach dem Inhalt des diesbezüglichen Zustellnachweises an seiner Kanzleiadresse am 15. Mai 2020 zugestellt.
3 Mit dem am selben Tag beim BFA eingebrachten, vom neuen Rechtsvertreter, der D. gem. GmbH, verfassten Schriftsatz vom 15. Juni 2020 erhob der Revisionswerber eine Beschwerde gegen den Bescheid des BFA vom 13. Mai 2020.
4 Nach einem Verspätungsvorhalt durch das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) erstattete der Revisionswerber am 6. August 2020 eine Stellungnahme, in der ‑ verbunden mit einer (nochmaligen) Beschwerde gegen den Bescheid des BFA vom 13. Mai 2020 ‑ fristgerecht auch ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist gestellt wurde. Zusammengefasst wurde vorgebracht, der D. gem. GmbH sei vom Revisionswerber die Bescheidausfertigung, auf deren erster Seite sich der von der Rechtsanwaltsanwaltskanzlei Mag. T. angebrachte Eingangsstempel „EINGELANGT 18. Mai 2020“ befunden habe, übergeben worden. Der Revisionswerber und seine nunmehrige Rechtsvertretung hätten somit davon ausgehen dürfen, dass der Bescheid an diesem Tag zugestellt worden sei und die Beschwerdefrist an diesem Tag zu laufen begonnen habe. Das Einlangen des Bescheides am 18. Mai 2020 sei auch auf telefonische Nachfrage bei der Rechtsanwaltskanzlei Mag. T. bestätigt worden. „Vor diesem Hintergrund“ sei der 15. Juni 2020 der letzte Tag der (vierwöchigen) Rechtsmittelfrist gewesen und die Beschwerde sei somit als rechtzeitig eingebracht anzusehen. Jedenfalls hätten der Revisionswerber und seine nunmehrige Rechtsvertretung nicht vorhersehen können, dass der am Bescheid befindliche Eingangsstempel einer „etablierten Anwaltskanzlei“ nicht das tatsächliche Zustelldatum angebe. Vielmehr hätten sie auf dessen Richtigkeit vertrauen dürfen. Es sei ihnen somit kein Verschulden, jedenfalls aber keine auffallende Sorglosigkeit in Bezug auf die verspätete Einbringung der Beschwerde anzulasten.
5 Mit dem angefochtenen Beschluss wies das BVwG den Wiedereinsetzungsantrag gemäß § 33 Abs. 1 VwGVG als unbegründet ab (Spruchpunkt A.I.) und es wies die Beschwerde gemäß § 7 Abs. 4 VwGVG iVm § 31 Abs. 1 VwGVG als verspätet zurück (Spruchpunkt A.II.). Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.
6 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung eines Vorverfahrens ‑ Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet ‑ erwogen hat:
7 Die Revision erweist sich ‑ wie sich aus den weiteren Ausführungen ergibt ‑ entgegen dem gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG nicht bindenden Ausspruch des BVwG unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B‑VG als zulässig; sie ist auch berechtigt.
8 Das BVwG ging im angefochtenen Beschluss davon aus, dass der Bescheid des BFA vom 13. Mai 2020 dem (damaligen) Vertreter des Revisionswerbers, Rechtsanwalt Mag. T., am 15. Mai 2020 „persönlich, ordnungsgemäß und nachweislich“ zugestellt worden sei. Beweiswürdigend verwies das BVwG dazu auf den „unzweifelhaften Zustellnachweis, der sich im Original im Verfahrensakt befindet“ und aus dem sich „das Datum der persönlichen Zustellung an die damalige Rechtsvertretung ergibt“.
9 Diesbezüglich wird in der Revision zu Recht kritisiert, auf dem Zustellnachweis sei zwar das Datum der Übernahme mit 15. Mai 2020 eingetragen, statt einer Unterschrift zu ihrer Bestätigung sei aber nur „mündlich“ vermerkt worden. Dem Zustellschein sei somit zu entnehmen, dass der Bescheid des BFA vom 13. Mai 2020 „unter Anwendung des § 26a ZustG idFv BGBl. I Nr. 16/2020“ zugestellt worden sei, wobei sich jedoch im gesamten angefochtenen Beschluss kein Hinweis auf diese für die gegenständliche Zustellung maßgebliche Bestimmung finde. Das trifft zu.
10 Im Anschluss an die seit 22. März 2020 geltende, durch das 2. COVID‑19‑Gesetz, BGBl. I Nr. 16/2020, eingefügte und im Wesentlichen inhaltsgleiche Vorgängerbestimmung normierte § 26a ZustG idF des 12. COVID‑19‑Gesetzes, BGBl. I Nr. 42/2020, für den Geltungszeitraum von 15. Mai 2020 bis 30. Juni 2020 unter der Überschrift „Zustellrechtliche Begleitmaßnahmen zu COVID‑19“ (auszugsweise) Folgendes:
„§ 26a. Zur Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19 gelten für die Zustellung mit Zustellnachweis der von Gerichten bzw. von Verwaltungsbehörden zu übermittelnden Dokumente sowie die durch die Gerichte bzw. die Verwaltungsbehörden vorzunehmende Zustellung von Dokumenten ausländischer Behörden (§ 1) folgende Erleichterungen:
1. Das Dokument wird dem Empfänger zugestellt, indem es in die für die Abgabestelle bestimmte Abgabeeinrichtung (§ 17 Abs. 2) eingelegt oder an der Abgabestelle zurückgelassen wird; die Zustellung gilt in diesem Zeitpunkt als bewirkt. Soweit dies ohne Gefährdung der Gesundheit des Zustellers möglich ist, ist der Empfänger durch schriftliche, mündliche oder telefonische Mitteilung an ihn selbst oder an Personen, von denen angenommen werden kann, dass sie mit dem Empfänger in Verbindung treten können, von der Zustellung zu verständigen. Die Zustellung wird nicht bewirkt, wenn sich ergibt, dass der Empfänger wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung mit dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag wirksam.
2. ...
3. Die Zustellung, die Form der Verständigung von der Zustellung sowie gegebenenfalls die Gründe, aus denen eine Verständigung nicht möglich war, sind vom Zusteller auf dem Zustellnachweis (Zustellschein, Rückschein) zu beurkunden. ...“
11 Daran anknüpfend wird in der Revision vorgebracht, im gegenständlichen Verfahren sei der Bescheid des BFA vom 13. Mai 2020 auf Basis dieser Zustellerleichterungen am 15. Mai 2020 (Freitag) in die Abgabeeinrichtung der Rechtsanwaltskanzlei Mag. T. eingelegt worden. Entgegen dem Vermerk auf dem Zustellschein sei davon keine mündliche Mitteilung gemacht worden. Der Empfänger, nämlich der bevollmächtige Rechtsanwalt, habe von diesem Zustellvorgang erst am darauffolgenden Werktag, dem 18. Mai 2020 (Montag), Kenntnis erlangt, weshalb dieser Tag auch als Datum des Einlangens auf dem Bescheid vermerkt worden sei. Wegen Abwesenheit des Empfängers von der Abgabestelle und fehlender Kenntnis vom Zustellvorgang gelte die Zustellung daher (erst) mit dem auf die Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag, dem 19. Mai 2020, als bewirkt. Zumindest sei § 26a ZustG vor dem Hintergrund des Art. 8 iVm Art. 13 EMRK und des Art. 47 GRC aus Rechtsschutzerwägungen dahin auszulegen, dass als Zeitpunkt der Zustellung nicht „der Vermerk des Postboten“ sondern das Auffinden des Schriftstücks in der Abgabeeinrichtung (Postkasten) zu gelten habe. Demnach erweise sich die am 15. Juni 2020 eingebrachte Beschwerde als rechtzeitig.
12 Der Verwaltungsgerichtshof setzte sich mit der in Rede stehenden Zustellvorschrift bereits in seinem Beschluss VwGH 16.11.2020, Ra 2020/09/0058, in einem sachverhaltsmäßig mit dem vorliegenden vergleichbaren Fall auseinander und führte zu deren Auslegung unter Rn. 15 bis 18 Folgendes aus:
„Bereits nach dem eindeutigen Wortlaut des hier auf die Zustellung anzuwendenden § 26a Z 1 ZustG wird das Dokument dem Empfänger zugestellt, indem es in die für die Abgabestelle bestimmte Abgabeeinrichtung eingelegt oder an der Abgabestelle zurückgelassen wird. Ausdrücklich wird normiert, dass die Zustellung in diesem Zeitpunkt ‑ also mit dem Einlegen der Sendung in die Abgabeeinrichtung (das sind gemäß § 17 Abs. 2 ZustG: Briefkasten, Hausbrieffach oder Briefeinwurf) oder dem Zurücklassen an der Abgabestelle ‑ als bewirkt gilt.
Die in § 26a Z 1 zweiter Satz ZustG vorgesehene Verständigung des Empfängers folgt der Zustellung nach. Der Empfänger ist von der ‑ bereits erfolgten ‑ Zustellung zu verständigen. Die Wirksamkeit der Zustellung wird nach dem klaren Gesetzeswortlaut vom Erfolg der Verständigung, die zudem (nur) dann zu erfolgen hat, soweit dies ohne Gefährdung der Gesundheit des Zustellers möglich ist, nicht abhängig gemacht. Nach dem klaren Wortlaut ist die Zustellung mit dem Einlegen in die Abgabeeinrichtung bewirkt; die Verständigung ist somit nicht Voraussetzung für deren Wirksamkeit. Mit anderen Worten: Eine unterbliebene (oder erfolglos versuchte) Verständigung steht der Wirksamkeit der Zustellung nach § 26a Z 1 ZustG nicht entgegen. Nach § 26a Z 1 letzter Satz ZustG wird die Zustellung (nur) dann nicht bewirkt, wenn sich ergibt, dass der Empfänger wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte. In diesem Fall wird die Zustellung mit dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag wirksam.
Im Hinblick auf diesen klaren Gesetzeswortlaut, der sich auch in die Systematik des Zustellgesetzes einfügt (siehe etwa zur Gültigkeit einer Zustellung durch Hinterlegung, selbst wenn die Verständigung entfernt wurde § 17 Abs. 4 ZustG, oder zur Verständigung des Empfängers einer Zustellung ohne Zustellversuch nach § 23 Abs. 3 ZustG ‚[s]oweit dies zweckmäßig ist‘ ‑ und die dazu ergangene Rechtsprechung VwGH 22.4.2009, 2006/15/0207; 12.12.1996, 96/07/0203) sind die zum eindeutigen Wortlaut des Gesetzes in Widerspruch stehenden Gesetzesmaterialen (IA 397/A 27. GP 40) für die Auslegung bedeutungslos (VwGH 10.9.2020, Ro 2020/15/0016; 13.2.2018, Ra 2017/02/0219, je mwN).
Für den vorliegenden Fall bedeutet dies ‑ ausgehend vom Vorbringen des Revisionswerbers zum Ablauf der Zustellung ‑ Folgendes: Durch das Einlegen des Bescheids am 22. Mai 2020 in das Hausbrieffach des Vertreters des Revisionswerbers wurde diesem mit diesem Tag das Dokument wirksam zugestellt. Das Fehlschlagen der ‑ hier über die Gegensprechanlage versuchten ‑ Verständigung von der Zustellung verhinderte die Wirksamkeit der Zustellung nicht. Dadurch dass sich der Empfänger an diesem Freitag sowie dem darauffolgenden Wochenende nicht in der Rechtsanwaltskanzlei aufhielt, lag noch keine solche Abwesenheit von der Abgabestelle vor, dass er nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte (siehe VwGH 22.6.2020, Ra 2019/01/0117, 0118; 22.12.2016, Ra 2016/16/0094; 25.6.2015, Ro 2014/07/0107, VwSlg. 19.150 A/2015, jeweils zum insoweit regelungsgleichen § 17 Abs. 3 ZustG). Es wäre daher auch nach dem Revisionsvorbringen von einer Zustellung am 22. Mai 2020 auszugehen.“
13 Diese Erwägungen lassen sich sinngemäß auf den vorliegenden Fall übertragen, sodass sich die Einwände des Revisionswerbers, das BVwG habe nicht auf § 26a ZustG Bedacht genommen und deshalb Ermittlungen insbesondere zur unterlassenen Mitteilung vom Zustellvorgang, zur Abwesenheit des Rechtsvertreters von seiner Kanzlei während des Wochenendes und zur Kenntniserlangung von der Zustellung erst am 18. Mai 2020 unterlassen, als nicht entscheidungswesentlich erweisen. Im Ergebnis war das BVwG nämlich im Recht, indem es von einer wirksamen Zustellung des Bescheides des BFA vom 13. Mai 2020 an den damaligen Rechtsvertreter des Revisionswerbers am 15. Mai 2020 ausging, demzufolge das Ende der gemäß § 7 Abs. 4 VwGVG bestehenden vierwöchigen Beschwerdefrist mit Ablauf des 12. Juni 2020 annahm und demnach seiner Entscheidung die verspätete Einbringung der Revision am 15. Juni 2020 zugrunde legte.
14 Die Abweisung des somit maßgeblichen Wiedereinsetzungsantrages begründete das BVwG vor allem damit, dass die D. gem. GmbH einen erhöhten Sorgfaltsmaßstab hätte anlegen müssen, weil ihr der „fristauslösende Bescheid“ nicht selbst zugestellt worden sei. Somit hätte sie nicht „blind“ auf einen angebrachten „Poststempel einer etablierten Rechtsanwaltskanzlei vertrauen und eine Zustellung als gegeben hinnehmen dürfen“. Vielmehr hätte sie sich bei geeigneter Stelle, nämlich beim BFA, über die Zustellung des Bescheides erkundigen und sich somit Gewissheit über den tatsächliche Zustellungszeitpunkt verschaffen müssen. Es wäre die Pflicht der Rechtsvertretung gewesen, die tatsächliche Zustellung des „fristauslösenden Bescheides“ zu hinterfragen und abzuklären, sodass auch bei einem Vertreterwechsel ein allenfalls unterlaufener Fehler hätte aufgedeckt werden können. Ein derartiges Außerachtlassen der im Verkehr zwischen den Parteienvertretern untereinander und auch mit Gerichten bzw. Behörden erforderlichen und zumutbaren Sorgfalt in einem Maß, wie es hier erfolgt sei, könne nicht mehr als minderer Grad des Versehens bezeichnet werden.
15 Dem hält die Revision entgegen, dass die D. gem. GmbH das Zustelldatum nicht nur an Hand des auf dem Bescheid angeführten Eingangsvermerks kontrolliert habe, sondern darüber hinaus in der Rechtsanwaltskanzlei Mag. T telefonisch nachgefragt habe und von deren Seite das Einlangen des Bescheides am 18. Mai 2020 bestätigt worden sei. Angesichts dieser konkret gesetzten Maßnahmen erweise sich die Beurteilung des BVwG als unvertretbar.
16 Gemäß § 33 Abs. 1 VwGVG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (unter anderem dann) zu bewilligen, wenn sie glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt hat und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt, wobei das Verschulden des Vertreters einer Partei an der Fristversäumung dem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten ist. Die Beurteilung, ob ein im Sinn des § 33 Abs. 1 VwGVG unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis ohne grobes Verschulden zur Versäumnis geführt hat, also die Qualifikation des Verschuldensgrades, unterliegt ‑ als Ergebnis einer alle maßgeblichen Umstände des Einzelfalls berücksichtigenden Abwägung ‑ der einzelfallbezogenen Beurteilung des Verwaltungsgerichtes (vgl. zum Ganzen etwa VwGH 27.8.2020 Ra 2020/21/0310, Rn. 10 iVm Rn. 13 und Rn. 11, mwN). Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge nur dann vor, wenn diese Beurteilung ‑ worauf sich die Revision offenbar bezieht ‑ in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Weise vorgenommen worden wäre (vgl. VwGH 24.1.2019, Ra 2019/21/0008, Rn. 12, mwN).
17 Letzteres ist im vorliegenden Fall gegeben, weil das BVwG in zu strenger Weise von dem Mitarbeiter der D. gem. GmbH verlangte, sich beim BFA über den tatsächlichen Zustellzeitpunkt zu erkundigen, obwohl überhaupt keine Anhaltspunkte dafür vorlagen, dass die von der ‑ auch vom BVwG als „etabliert“ angesehenen ‑ Rechtsanwaltskanzlei angebrachte Eingangsstampiglie, deren inhaltliche Richtigkeit nach dem unbestrittenen Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag auf telefonische Nachfrage auch noch einmal bestätigt wurde, ein falsches Eingangsdatum ausweisen könnte. Fehlten solche Anhaltspunkte, dann durfte vom nunmehrigen Rechtsvertreter des Revisionswerbers auf den Wahrheitsgehalt des vermerkten Zeitpunkts der Zustellung des Bescheides des BFA vom 13. Mai 2020 vertraut werden, ohne dass ihm deshalb in Bezug auf die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche Sorgfalt eine besondere Nachlässigkeit anzulasten wäre (vgl. VwGH 17.1.1995, 94/11/0352).
18 Die vom BVwG vorgenommene Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages erweist sich daher als inhaltlich rechtswidrig. In Stattgebung der Revision konnte die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand durch eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes gemäß § 42 Abs. 4 VwGG in der Sache selbst bewilligt werden. Da gemäß § 33 Abs. 5 VwGVG durch die Bewilligung der Wiedereinsetzung das Verfahren in die Lage zurücktritt, in der es sich vor dem Eintritt der Versäumung befunden hat, war unter einem der die Beschwerde als verspätet zurückweisende Spruchpunkt ersatzlos zu beheben.
19 Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 11. März 2021
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