VwGH Ra 2019/11/0015

VwGHRa 2019/11/001512.10.2021

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick und den Hofrat Dr. Grünstäudl, die Hofrätinnen Dr. Pollak und Mag. Hainz‑Sator sowie den Hofrat Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, über die gemeinsame Revision 1. des M P in K (zu Zl. Ra 2019/11/0015) und 2. des T V in N (zu Zl. Ra 2019/11/0016), beide vertreten durch Dr. Roland Grilc, Mag. Rudolf Vouk, Dr. Maria Skof, MMag. Maja Ranc und Mag. Sara Julia Grilc, Rechtsanwälte in 9020 Klagenfurt, Karfreitstraße 14/III, gegen die Erkenntnisse des Landesverwaltungsgerichts Kärnten jeweils vom 27. Juni 2018, Zlen. 1. KLVwG‑355‑359/16/2018 (zu Zl. Ra 2019/11/0015) und 2. KLVwG‑360‑364/16/2018 (zu Zl. Ra 2019/11/0016), jeweils betreffend Übertretungen des AVRAG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft St. Veit an der Glan),

Normen

ABGB §7
AVRAG 1993 §19 Abs1 Z38
AVRAG 1993 §7b Abs7
AVRAG 1993 §7i Abs5
B-VG Art7 Abs1
LSD-BG 2016 §26
LSD-BG 2016 §26 idF 2021/I/174
LSD-BG 2016 §27
LSD-BG 2016 §27 idF 2021/I/174
LSD-BG 2016 §28
LSD-BG 2016 §28 idF 2021/I/174
LSD-BG 2016 §29
LSD-BG 2016 §29 Abs1
LSD-BG 2016 §29 Abs1 idF 2021/I/174
LSD-BG 2016 §72 Abs10
VStG §5 Abs2
VStG §9 Abs1
VStG §9 Abs2
VwRallg
12010E056 AEUV Art56
62018CJ0064 Maksimovic VORAB

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2019110015.L00

 

Spruch:

I. den Beschluss gefasst:

Die Revision wird, soweit sie sich gegen die Schuldsprüche der angefochtenen Erkenntnisse richtet, zurückgewiesen.

II. zu Recht erkannt:

Im Übrigen, also im Umfang ihrer Strafaussprüche und der Aussprüche über den Beitrag zu den Verfahrenskosten, werden die angefochtenen Erkenntnisse wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat den Revisionswerbern Aufwendungen in der Höhe von insgesamt € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 1.1. Mit dem erstangefochtenen Erkenntnis wurde der Erstrevisionswerber, in teilweiser Bestätigung und teilweiser Abänderung eines Straferkenntnisses der belangten Behörde vom 11. Jänner 2018, schuldig erkannt, er habe es zu verantworten, dass die von ihm als Geschäftsführer vertretene Gesellschaft mit Sitz in Slowenien als Arbeitgeberin im Februar 2016 fünf namentlich genannte Arbeitnehmer bei einem Bauvorhaben in Österreich beschäftigt habe, ohne ihnen das nach dem Kollektivvertrag für feuerungstechnische Baubetriebe zustehende Entgelt unter Beachtung der jeweiligen Einstufungskriterien sowie die zustehenden Sonderzahlungen zu leisten. Dadurch habe der Erstrevisionswerber gegen § 7i Abs. 5 Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz (AVRAG) verstoßen, weswegen über ihn jeweils - also pro Arbeitnehmer - eine Geldstrafe in der Höhe von € 2.000,‑‑ und eine Ersatzfreiheitsstrafe von 33 Stunden verhängt wurden. Zusätzlich wurde der Revisionswerber gemäß § 52 Abs. 1 und 2 VwGVG für vier dieser Arbeitnehmer jeweils zur Zahlung eines Beitrages zu den Kosten des Strafverfahrens in der Höhe von € 400,‑‑ (20 Prozent der Höhe der Geldstrafe) verpflichtet. Das Verwaltungsgericht sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

2 Mit dem zweitangefochtenen Erkenntnis wurde der Zweitrevisionswerber, ebenfalls als Geschäftsführer der zuvor genannten Gesellschaft, der genannten Verwaltungsübertretungen schuldig erkannt und über ihn jeweils ‑ also pro Arbeitnehmer ‑ eine Geldstrafe (Ersatzfreiheitsstrafe) in der genannten Höhe verhängt sowie ihm jeweils ein Kostenbeitrag vorgeschrieben. Das Verwaltungsgericht sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

3 Das Verwaltungsgericht legte jeweils (mit näherer Begründung) dar, der Revisionswerber habe objektiv gegen den Tatbestand des § 7i Abs. 5 AVRAG verstoßen. Zur subjektiven Tatseite führte das Verwaltungsgericht aus, es könne erwartet werden, dass ein ausländischer Arbeitgeber vor Beginn einer grenzüberschreitenden Tätigkeit genaue Erkundigungen über die Rechtslage in dem Land, in dem er einen Auftrag ausführen wolle, anstelle. Ein entschuldigender Rechtsirrtum wegen der Unkenntnis des Kollektivvertrages für feuerungstechnische Baubetriebe setze geeignete Erkundigungen bei der zuständigen Stelle voraus. Wer dies verabsäume, trage das Risiko des Rechtsirrtums. Der Erstrevisionswerber habe in der mündlichen Verhandlung selbst angegeben, dass er keine Rechtsauskunft bei einer österreichischen Behörde eingeholt habe.

4 1.2. Mit Beschluss vom 9. Oktober 2018, E 3086‑3087/2018‑5, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der gegen diese Erkenntnisse erhobenen Beschwerde der Revisionswerber ab und trat die Beschwerde mit Beschluss vom 9. November 2018, E 3086‑3087/2018‑7, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

5 1.3. Gegen die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichts richtet sich die vorliegende (außerordentliche) Revision.

6 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

I. Zu den Schuldsprüchen:

7 2.1. Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof ausschließlich im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

10 2.2.1. Soweit die Revision zu ihrer Zulässigkeit die Unionsrechtswidrigkeit der Bestrafung beider Revisionswerber für die gegenständlichen Übertretungen vorbringt, ist darauf hinzuweisen, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bei mehreren zur Vertretung nach außen Berufenen einer juristischen Person jeder aus diesem Personenkreis, soweit nicht verantwortliche Beauftragte bestellt sind, für die Einhaltung der Verwaltungsvorschriften durch die juristische Person (verwaltungs‑)strafrechtlich verantwortlich ist (vgl. etwa VwGH 23.4.2013, 2012/02/0052 und 0053, mwN), und dass es gemäß § 9 Abs. 2 VStG (in Verbindung mit § 7j AVRAG) an den Revisionswerbern gelegen wäre, die Verantwortlichkeit auf einen der beiden Geschäftsführer (oder überhaupt auf eine dritte Person) zu übertragen und insoweit zu begrenzen (vgl. zu einem identen Vorbringen VwGH 20.9.2018, Ra 2018/11/0107 und 0108).

11 2.2.2. Mit dem weiteren, ebenfalls die Schuldsprüche betreffenden Revisionsvorbringen, die angefochtenen Erkenntnisse seien auch deshalb unionsrechtswidrig, weil der angewendete Kollektivvertrag (für feuerungstechnische Baubetriebe) nicht bzw. nicht mit zumutbarem Aufwand auffindbar sei, wenn man nicht wisse, dass er existiere, machen die Revisionswerber einen Rechtsirrtum geltend.

12 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entschuldigt die Unkenntnis der Verwaltungsvorschrift gemäß § 5 Abs. 2 VStG den Täter nur dann, wenn sie erwiesenermaßen unverschuldet ist und der Täter das Unerlaubte seines Verhaltens ohne Kenntnis der Verwaltungsvorschriften nicht einsehen konnte. Die Unkenntnis des Gesetzes, wie auch eine irrige Gesetzesauslegung, müssen somit unverschuldet sein. Die bloße Argumentation mit einer - allenfalls sogar plausiblen - Rechtsauffassung allein vermag ein Verschulden am objektiv unterlaufenen Rechtsirrtum nicht auszuschließen. Es bedarf vielmehr einer Objektivierung durch geeignete Erkundigungen bei der zuständigen Stelle; wer dies verabsäumt, trägt das Risiko des Rechtsirrtums (vgl. VwGH 13.4.2021, Ra 2021/09/0056 und 0057, mwN).

13 Als Geschäftsführer wären die Revisionswerber verpflichtet gewesen, sich mit den im Fall einer grenzüberschreitenden Entsendung für die Beschäftigung von Arbeitnehmern einschlägigen Vorschriften, zu denen u.a. auch ein einschlägiger Kollektivvertrag zählt, vertraut zu machen (vgl. VwGH 22.11.2017, Ra 2017/03/0098 und 0099, mwN). Es wäre Sache der Revisionswerber gewesen, sich ‑ etwa durch Anfrage bei einer zuständigen Stelle (vgl. § 7b Abs. 7 AVRAG) ‑ über die Anwendbarkeit und den Inhalt eines in den Revisionsfällen maßgeblichen Kollektivvertrages zu unterrichten (vgl. VwGH 28.1.1991, 90/19/0519).

14 Dass die Revisionswerber derartige Erkundigungen eingeholt hätten, haben sie nicht behauptet.

15 2.3. In der Revision werden daher, was die Schuldsprüche der angefochtenen Erkenntnisse betrifft, keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher insoweit zurückzuweisen.

II. Zu den verhängten Strafen und zur Vorschreibung der Kostenbeiträge:

16 3. Was die Absprüche über die Strafen und die Verfahrenskosten betrifft, erweist sich die Revision hingegen schon deswegen als zulässig und begründet, weil sie sich gegen die „kumulative“ Bestrafung pro Arbeitnehmer wendet.

17 3.1. § 7i Abs. 5 Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz (AVRAG), BGBl. Nr. 459/1993, in der im Tatzeitpunkt maßgeblichen Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 44/2016, lautete:

„(5) Wer als Arbeitgeber/in einen/e Arbeitnehmer/in beschäftigt oder beschäftigt hat, ohne ihm/ihr zumindest das nach Gesetz, Verordnung oder Kollektivvertrag zustehende Entgelt unter Beachtung der jeweiligen Einstufungskriterien, ausgenommen die in § 49 Abs. 3 ASVG angeführten Entgeltbestandteile, zu leisten, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde mit einer Geldstrafe zu bestrafen. Bei Unterentlohnungen, die durchgehend mehrere Lohnzahlungszeiträume umfassen, liegt eine einzige Verwaltungsübertretung vor. Auf Betriebsvereinbarung oder Arbeitsvertrag beruhende Überzahlungen bei den nach Gesetz, Verordnung oder Kollektivvertrag gebührenden Entgeltbestandteilen sind auf allfällige Unterentlohnungen im jeweiligen Lohnzahlungszeitraum anzurechnen. Hinsichtlich von Sonderzahlungen für die in § 7g Abs. 1 Z 1 und 2 genannten Arbeitnehmer/innen liegt eine Verwaltungsübertretung nach dem ersten Satz nur dann vor, wenn der/die Arbeitgeber/in die Sonderzahlungen nicht oder nicht vollständig bis spätestens 31. Dezember des jeweiligen Kalenderjahres leistet. Sind von der Unterentlohnung höchstens drei Arbeitnehmer/innen betroffen, beträgt die Geldstrafe für jede/n Arbeitnehmer/in 1 000 Euro bis 10 000 Euro, im Wiederholungsfall 2 000 Euro bis 20 000 Euro, sind mehr als drei Arbeitnehmer/innen betroffen, für jede/n Arbeitnehmer/in 2 000 Euro bis 20 000 Euro, im Wiederholungsfall 4 000 Euro bis 50 000 Euro.“

18 3.2. Mit dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 44/2016 wurden die Regelungen zur Bekämpfung von Lohn- und Sozialdumping im AVRAG aufgehoben und in einem eigenen Gesetz, dem Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz (LSD-BG), kodifiziert (vgl. RV 1111 BlgNR XXV. GP , 1). Gemäß § 19 Abs. 1 Z 38 AVRAG treten die §§ 7 bis 7o in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 44/2016 ‑ somit auch der Straftatbestand der Unterentlohnung gemäß § 7i Abs. 5 ‑ mit Ablauf des 31. Dezember 2016 mit der Maßgabe außer Kraft, dass diese Bestimmungen weiter auf Sachverhalte Anwendung finden, die sich vor dem 1. Jänner 2017 ereignet haben. Gemäß § 72 Abs. 1 LSD‑BG tritt dieses Bundesgesetz mit 1. Jänner 2017 in Kraft und ist auf Sachverhalte anzuwenden, die sich nach dem 31. Dezember 2016 ereignen.

19 § 29 LSD‑BG, die Nachfolgeregelung des § 7i Abs. 5 AVRAG, lautete in der Stammfassung (auszugsweise):

Unterentlohnung

§ 29. (1) Wer als Arbeitgeber einen Arbeitnehmer beschäftigt oder beschäftigt hat, ohne ihm zumindest das nach Gesetz, Verordnung oder Kollektivvertrag gebührende Entgelt unter Beachtung der jeweiligen Einstufungskriterien, ausgenommen die in § 49 Abs. 3 ASVG angeführten Entgeltbestandteile, zu leisten, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde mit einer Geldstrafe zu bestrafen. Bei Unterentlohnungen, die durchgehend mehrere Lohnzahlungszeiträume umfassen, liegt eine einzige Verwaltungsübertretung vor. Entgeltzahlungen, die das nach Gesetz, Verordnung oder Kollektivvertrag gebührende Entgelt übersteigen, sind auf allfällige Unterentlohnungen im jeweiligen Lohnzahlungszeitraum anzurechnen. Hinsichtlich von Sonderzahlungen für dem ASVG unterliegende Arbeitnehmer liegt eine Verwaltungsübertretung nach dem ersten Satz nur dann vor, wenn der Arbeitgeber die Sonderzahlungen nicht oder nicht vollständig bis spätestens 31. Dezember des jeweiligen Kalenderjahres leistet. Sind von der Unterentlohnung höchstens drei Arbeitnehmer betroffen, beträgt die Geldstrafe für jeden Arbeitnehmer 1 000 Euro bis 10 000 Euro, im Wiederholungsfall 2 000 Euro bis 20 000 Euro, sind mehr als drei Arbeitnehmer betroffen, für jeden Arbeitnehmer 2 000 Euro bis 20 000 Euro, im Wiederholungsfall 4 000 Euro bis 50 000 Euro. Ebenso ist zu bestrafen, wer als Auftraggeber im Sinne des § 14 Abs. 1 Z 3 einen Heimarbeiter beschäftigt oder beschäftigt hat, ohne ihm zumindest das nach Gesetz oder Verordnung gebührende Entgelt unter Beachtung der jeweiligen Einstufungskriterien, ausgenommen die in § 49 Abs. 3 ASVG angeführten Entgeltbestandteile, zu leisten.

(...)“

20 3.3. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat in seinem Urteil vom 12. September 2019, C‑64/18  ua., Maksimovic ua., über mehrere Vorabentscheidungsersuchen entschieden, welche zum einen die Frage nach der Unionsrechtskonformität einer Norm wie § 7i Abs. 4 AVRAG (Vorgängerbestimmung des § 28 LSD‑BG) beinhalteten, wenn diese bei grenzüberschreitendem Arbeitskräfteeinsatz für die unterlassene Bereitstellung von Lohnunterlagen zum Zweck der Überprüfung einer allfälligen Unterentlohnung von Arbeitnehmern einerseits Geldstrafen in Form von Mindeststrafen, die bei mehreren betroffenen Arbeitnehmern kumulativ und ohne Höchstgrenze verhängt werden, und andererseits Ersatzfreiheitsstrafen vorsehen. Zum anderen betrafen die Vorabentscheidungsersuchen die Frage der Unionsrechtskonformität einer Norm, die (wie § 52 VwGVG im Falle der Abweisung der Beschwerde) zwingend den Beitrag zu den Verfahrenskosten des Beschwerdeverfahrens mit 20% der verhängten Strafe vorsieht.

21 Der Gerichtshof der Europäischen Union führte dazu aus:

„39 Insoweit ist hinsichtlich der Erforderlichkeit einer Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs wie der in den Ausgangsverfahren fraglichen darauf hinzuweisen, dass die Härte der verhängten Sanktion der Schwere des mit ihr geahndeten Verstoßes entsprechen muss. Außerdem dürfen die nach den nationalen Rechtsvorschriften zulässigen administrativen oder repressiven Maßnahmen nicht die Grenzen dessen überschreiten, was zur Erreichung der mit diesen Rechtsvorschriften in legitimer Weise verfolgten Ziele erforderlich ist (vgl. entsprechend Urteil vom 31. Mai 2018, Zheng, C‑190/17 , EU:C:2018:357, Rn. 41 und 42 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

40 In diesem Zusammenhang ist erstens festzustellen, dass mit einer Regelung wie der in den Ausgangsverfahren fraglichen die Nichteinhaltung arbeitsrechtlicher Vorschriften über die Einholung verwaltungsbehördlicher Genehmigungen sowie die Bereithaltung von Lohnunterlagen geahndet werden soll.

41 Zweitens erscheint eine Regelung, die Sanktionen vorsieht, deren Höhe von der Zahl der von der Nichteinhaltung bestimmter arbeitsrechtlicher Verpflichtungen betroffenen Arbeitnehmer abhängt, für sich genommen nicht unverhältnismäßig (vgl. entsprechend Urteil vom 16. Juli 2015, Chmielewski, C‑255/14 , EU:C:2015:475, Rn. 26).

42 Der hohe Betrag der zur Ahndung der Nichteinhaltung solcher Verpflichtungen vorgesehenen Geldstrafen kann allerdings in Verbindung damit, dass es für sie keine Obergrenze gibt, wenn der Verstoß mehrere Arbeitskräfte betrifft, zur Verhängung beträchtlicher Geldstrafen führen, die sich, wie im vorliegenden Fall, auf mehrere Millionen Euro belaufen können.

43 Zudem kann der Umstand, dass die Geldstrafen einen im Vorhinein festgelegten Mindestbetrag jedenfalls nicht unterschreiten dürfen, dazu führen, dass solche Sanktionen in Fällen verhängt werden, in denen nicht erwiesen ist, dass der beanstandete Sachverhalt von besonderer Schwere ist.

44 Drittens führt das vorlegende Gericht aus, dass nach der in den Ausgangsverfahren anwendbaren innerstaatlichen Regelung im Fall der Abweisung der Beschwerde gegen den Bescheid, mit dem eine solche Sanktion verhängt wird, der Beschwerdeführer einen Verfahrenskostenbeitrag in Höhe von 20 % der Sanktion leisten muss.

45 Viertens ergibt sich aus den Vorlageentscheidungen, dass die in den Ausgangsverfahren fragliche Regelung für den Fall der Uneinbringlichkeit der verhängten Geldstrafe die Verhängung einer Ersatzfreiheitsstrafe vorsieht, die angesichts der daraus resultierenden Folgen für den Betroffenen besonders schwerwiegend ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 3. Juli 1980, Pieck, 157/79, EU:C:1980:179, Rn. 19, vom 29. Februar 1996, Skanavi und Chryssanthakopoulos, C-193/94 , EU:C:1996:70, Rn. 36, und vom 26. Oktober 2017, I, C‑195/16 , EU:C:2017:815, Rn. 77).

46 In Anbetracht dessen steht eine Regelung wie die in den Ausgangsverfahren fragliche nicht in angemessenem Verhältnis zur Schwere der geahndeten Verstöße, die in der Nichteinhaltung arbeitsrechtlicher Verpflichtungen in Bezug auf die Einholung verwaltungsbehördlicher Genehmigungen und die Bereithaltung von Lohnunterlagen bestehen.

47 Im Übrigen könnte die wirksame Durchsetzung der Verpflichtungen, deren Nichteinhaltung durch diese Regelung geahndet wird, auch mit weniger einschränkenden Maßnahmen wie der Auferlegung von Geldstrafen in geringerer Höhe oder einer Höchstgrenze für solche Strafen gewährleistet werden, und ohne sie zwangsläufig mit Ersatzfreiheitsstrafen zu verknüpfen.

48 Somit ist davon auszugehen, dass eine Regelung wie die in den Ausgangsverfahren fragliche über die Grenzen dessen hinausgeht, was zur Gewährleistung der Einhaltung der arbeitsrechtlichen Verpflichtungen in Bezug auf die Einholung verwaltungsbehördlicher Genehmigungen und die Bereithaltung von Lohnunterlagen sowie zur Sicherstellung der Erreichung der verfolgten Ziele erforderlich ist.

49 Angesichts dieser Erwägungen ist die Vereinbarkeit einer solchen Regelung mit den Art. 47 und 49 der Charta nicht zu prüfen.

50 Nach alledem ist auf die vorgelegten Fragen zu antworten, dass Art. 56 AEUV dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung wie der in den Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, die für den Fall der Nichteinhaltung arbeitsrechtlicher Verpflichtungen in Bezug auf die Einholung verwaltungsbehördlicher Genehmigungen und auf die Bereithaltung von Lohnunterlagen die Verhängung von Geldstrafen vorsieht,

– die einen im Vorhinein festgelegten Betrag nicht unterschreiten dürfen,

– die für jeden betreffenden Arbeitnehmer kumulativ und ohne Beschränkung verhängt werden,

– zu denen im Fall der Abweisung einer gegen den Strafbescheid erhobenen Beschwerde ein Verfahrenskostenbeitrag in Höhe von 20 % der verhängten Strafe hinzutritt und

– die im Fall der Uneinbringlichkeit in Ersatzfreiheitsstrafen umgewandelt werden.“

22 Mit Beschluss vom 19. Dezember 2019, C‑645/18 , NE, entschied der Gerichtshof der Europäischen Union über ein Vorabentscheidungsersuchen, welches die Vereinbarkeit von Bestimmungen des LSD‑BG betreffend die Meldung von Arbeitnehmern und die Bereithaltung von Lohnunterlagen zum Zweck der Überprüfung einer allfälligen Unterentlohnung bei grenzüberschreitendem Arbeitskräfteeinsatz betraf. Der Gerichtshof sprach dabei, unter Berufung auf sein Urteil in den Rechtssachen C‑64/18  ua., Maksimovic ua., Folgendes aus (Rn. 43; vgl. auch den insoweit identen Beschluss vom 19. Dezember 2019, C‑140/19  ua., EX ua., Rn. 45):

„Nach alledem ist auf die vorgelegten Fragen zu antworten, dass Art. 20 der Richtlinie 2014/67 dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die für den Fall der Nichteinhaltung arbeitsrechtlicher Verpflichtungen in Bezug auf die Meldung von Arbeitnehmern und die Bereithaltung von Lohnunterlagen die Verhängung hoher Geldstrafen vorsieht,

– die einen im Vorhinein festgelegten Betrag nicht unterschreiten dürfen,

– die je betroffenem Arbeitnehmer kumulativ und ohne Beschränkung verhängt werden und

– zu denen im Fall der Abweisung einer gegen das Straferkenntnis erhobenen Beschwerde ein Verfahrenskostenbeitrag in Höhe von 20 % der verhängten Strafe hinzutritt.“

23 3.4. Unter Berufung auf das Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union in den Rechtssachen C‑64/18  ua., Maksimovic ua., hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 15. Oktober 2019, Ra 2019/11/0033 und 0034, zu einer Bestrafung wegen der Nichtbereithaltung von Lohnunterlagen für 25 Arbeitnehmer nach §§ 7d Abs. 1 und 2 iVm. § 7i Abs. 4 AVRAG (Vorgängerbestimmungen der §§ 22 und 28 LSD‑BG) Folgendes ausgeführt:

„26 Im Revisionsfall hat das Verwaltungsgericht im Rahmen der Bemessung der Geldstrafe den Strafrahmen des § 7i Abs. 4 vierter Strafsatz AVRAG angewendet, der im Falle der grenzüberschreitenden Arbeitskräfteüberlassung bei nicht nachweislicher Bereitstellung von Lohnunterlagen durch den Überlasser (Z 2 leg. cit.) eine Mindeststrafe vorsieht. Nach dem zitierten Urteil des EuGH (Rn 43) ist aber die Anordnung einer Mindeststrafe für eine derartige Übertretung nicht mit dem Unionsrecht vereinbar, weil sie auch Fälle erfasst, in denen der beanstandete Sachverhalt (Nichtbereitstellung von Lohnunterlagen) im Lichte der Ausführungen des EuGH nicht von besonderer Schwere ist.

27 Liegen für einen Tatzeitpunkt Verstöße gegen die Bereitstellungsverpflichtung der Lohnunterlagen hinsichtlich mehrerer Arbeitnehmer vor, so ist es entsprechend dem zitierten EuGH-Urteil (Rn 41) zwar einerseits mit dem Unionsrecht vereinbar, wenn die Sanktion von der Zahl der betroffenen Arbeitnehmer abhängt, doch ist andererseits bei der Bemessung der Geldstrafen zu berücksichtigen, dass diese auch in ihrer Summe in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere der geahndeten Verstöße stehen müssen (Rn 42 und 46) und daher - insgesamt - kein unverhältnismäßiges Ausmaß erreichen dürfen. Dies ließe sich, so Rn 47 des Urteils, durch eine Höchstgrenze für solche Strafen gewährleisten.

28 § 7i Abs. 4 AVRAG enthält zwar Strafhöchstgrenzen, die nach ihrem Wortlaut für die Bemessung der jeweiligen Geldstrafe (‚für jede/n Arbeitnehmer/in‘) gelten, nicht aber für die Summe der Geldstrafen bei Verletzung der Bereitstellungspflicht bezüglich mehrerer Arbeitnehmer. Eine unionsrechtskonforme Rechtslage mithilfe der Verdrängung von nationalem Recht (eine andere Methode steht im Rahmen der Vollziehung der Gesetze nicht zur Verfügung) kann gegenständlich am ehesten dadurch hergestellt werden, dass die Wortfolge ‚für jede/n Arbeitnehmer/in‘ in § 7i Abs. 4 AVRAG unangewendet bleibt, weil damit im Ergebnis dem sich aus Rn 42 und 47 des Urteils des EuGH ergebenden Erfordernis einer Höchstgrenze für die Summe aller Geldstrafen bei Verstößen gegen die Bereitstellungspflicht betreffend mehrere Arbeitnehmer Rechnung getragen wird.

29 Dass damit die Verletzung der Bereitstellungspflicht, auch wenn sie mehrere Arbeitnehmer betrifft, nur mehr eine einzige Strafe nach sich zieht, ist zwingende Rechtsfolge des Erfordernisses, die Unionsrechtskonformität bei möglichst weitgehender Erhaltung des nationalen Rechts herzustellen. Denn die Alternative, mangels Normierung einer Höchststrafe durch den Gesetzgeber für Fälle der Verletzung der Bereitstellungspflicht hinsichtlich mehrerer Arbeitnehmer die gesamte Strafbestimmung wegen Unionsrechtswidrigkeit unangewendet zu lassen, würde zu einem noch weitergehenden Eingriff in das nationale Recht führen.

30 Die Bemessung der Geldstrafen für Verstöße gegen die Bereitstellungsverpflichtung von Lohnunterlagen mehrerer Arbeitnehmer, die im Revisionsfall ohne Zugrundelegung einer Strafhöchstgrenze im genannten Sinn erfolgte, entspricht daher (abgesehen von der Zugrundelegung der erwähnten Mindeststrafe) auch unter diesem Gesichtspunkt nicht den im zitierten Urteil des EuGH genannten Anforderungen.

31 Weiters wurde im angefochtenen Erkenntnis für jede Geldstrafe eine Ersatzfreiheitsstrafe verhängt (§ 16 VStG), obwohl die Verhängung einer Ersatzfreiheitsstrafe zur Durchsetzung der Verpflichtung zur Bereitstellung von Lohnunterlagen im Lichte der Ausführungen des EuGH eine nicht verhältnismäßige Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit darstellt (vgl. insbes. Rn 47 des zitierten Urteils des EuGH).

32 Demgegenüber führt der im genannten Urteil des EuGH ebenfalls angesprochene Verfahrenskostenbeitrag - für sich alleine - noch nicht zur Unionsrechtswidrigkeit (laut Rn 46 des zitierten Urteils bewirkt vielmehr erst das Zusammenwirken der davor aufgezählten Vorgaben im Strafverfahren ein nicht angemessenes Verhältnis zur Schwere der geahndeten Verstöße). Ein Verfahrenskostenbeitrag im Ausmaß eines Prozentsatzes der Geldstrafe erreicht nämlich typischerweise erst im Zusammenwirken mit übermäßig hohen Geldstrafen ein unverhältnismäßiges Ausmaß und wird daher schon bei Beachtung der zuvor genannten Kriterien betreffend die unionsrechtskonforme Bemessung einer Geldstrafe auf ein angemessenes Ausmaß begrenzt. Hinsichtlich des gesetzlich vorgesehenen Verfahrenskostenbeitrages ist daher eine Verdrängung von nationalem Recht im Lichte des zitierten Urteils des EuGH nicht geboten (der Verfahrenskostenbeitrag wird in Rn 47 dieses Urteils bei der Aufzählung in Betracht kommender Maßnahmen auch gar nicht erwähnt).

(...)

34 Bei der nach den zuvor erwähnten Gesichtspunkten vom Verwaltungsgericht neuerlich vorzunehmenden Strafbemessung werden freilich weiterhin auch die Kriterien des § 19 VStG (und damit bei der Festsetzung der Geldstrafe insbesondere auch die Einkommens- und Vermögensverhältnisse und allfällige Sorgepflichten des Beschuldigten in angemessener Weise) zu berücksichtigen sein, sowie - fallbezogen (Tatzeiten im Jahre 2015) - mildernd auch die nunmehr lange Dauer des Strafverfahrens (vgl. VwGH 25.4.2019, Ra 2018/11/0141).“

24 In vergleichbarer Weise entschied der Verwaltungsgerichtshof zu den Straftatbeständen der §§ 26 bis 28 LSD‑BG (vgl. etwa VwGH 18.2.2020, Ra 2019/11/0195, 0196; 27.4.2020, Ra 2019/11/0171; uvam.). Auch der Verfassungsgerichtshof schloss sich der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union an (vgl. etwa VfGH 27.11.2019, E 2047/2019 ua; 27.11.2019, E 2893/2019 ua; 27.11.2019, E 3530/2019 ua).

25 3.5. In Reaktion auf das Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union in den Rechtssachen C‑64/18  ua., Maksimovic ua., wurden die Strafbestimmungen der §§ 26 bis 28 und § 29 Abs. 1 LSD‑BG durch die Novelle BGBl. I Nr. 174/2021 neu gefasst (vgl. RV 943 BlgNR XXVII. GP , 1). Die §§ 29 und 72 LSD‑BG in der Fassung dieser Novelle lauten (auszugsweise):

Unterentlohnung

§ 29. (1) Wer als Arbeitgeber einen oder mehrere Arbeitnehmer beschäftigt oder beschäftigt hat, ohne ihm oder ihnen zumindest das nach Gesetz, Verordnung oder Kollektivvertrag gebührende Entgelt unter Beachtung der jeweiligen Einstufungskriterien, ausgenommen die in § 49 Abs. 3 ASVG angeführten Entgeltbestandteile, zu leisten, begeht unabhängig von der Anzahl der von der Verwaltungsübertretung betroffenen Arbeitnehmer eine einzige Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde mit einer Geldstrafe bis zu 50 000 Euro zu bestrafen. Ist im Erstfall bei Arbeitgebern mit bis zu neun Arbeitnehmern die Summe des vorenthaltenen Entgelts geringer als 20 000 Euro beträgt die Geldstrafe bis zu 20 000 Euro. Ist die Summe des vorenthaltenen Entgelts höher als 50 000 Euro, beträgt die Geldstrafe bis zu 100 000 Euro. Ist die Summe des vorenthaltenen Entgelts höher als 100 000 Euro beträgt die Geldstrafe bis zu 250 000 Euro. Ist die Summe des vorenthaltenen Entgelts höher als 100 000 Euro und wurde das Entgelt in Lohnzahlungszeiträumen der Unterentlohnung vorsätzlich um durchschnittlich mehr als 40 vH des Entgelts vorenthalten, beträgt die Geldstrafe bis zu 400 000 Euro. Wirkt der Arbeitgeber bei der Aufklärung zur Wahrheitsfindung unverzüglich und vollständig mit, ist anstelle des Strafrahmens bis 100 000 Euro oder bis 250 000 Euro der jeweils niedrigere Strafrahmen anzuwenden. Bei Unterentlohnungen, die durchgehend mehrere Lohnzahlungszeiträume umfassen, liegt eine einzige Verwaltungsübertretung vor. Entgeltzahlungen, die das nach Gesetz, Verordnung oder Kollektivvertrag gebührende Entgelt übersteigen, sind auf allfällige Unterentlohnungen im jeweiligen Lohnzahlungszeitraum anzurechnen. Hinsichtlich von Sonderzahlungen für Arbeitnehmer im Sinne des § 14 Abs. 1 Z 1 und 2 liegt eine Verwaltungsübertretung nach dem ersten Satz nur dann vor, wenn der Arbeitgeber die Sonderzahlungen nicht oder nicht vollständig bis spätestens 31. Dezember des jeweiligen Kalenderjahres leistet. Ebenso ist zu bestrafen, wer als Auftraggeber im Sinne des § 14 Abs. 1 Z 3 einen Heimarbeiter beschäftigt oder beschäftigt hat, ohne ihm zumindest das nach Gesetz oder Verordnung gebührende Entgelt unter Beachtung der jeweiligen Einstufungskriterien, ausgenommen die in § 49 Abs. 3 ASVG angeführten Entgeltbestandteile, zu leisten.

(...)

Inkrafttreten

§ 72. (...) 

(10) Die §§ 1 Abs. 2, 3, 5 bis 9, 2 Abs. 2, 3 und 4, 3 Abs. 5 und 7, 12 Abs. 1 Z 3 bis 6, 14 samt Überschrift, 15 Abs. 2, 19, 21, 22, 24 Abs. 1 erster Satz, 25a, 26 bis 28 samt Überschriften, 29 Abs. 1, 33, 34 samt Überschrift, 35 Abs. 2 und 4 und die Überschrift zu § 3 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 174/2021 treten mit 1. September 2021 in Kraft und sind auf Entsendungen und Überlassungen anzuwenden, die nach dem 31. August 2021 begonnen haben. Die §§ 2 Abs. 3 und 35 Abs. 6 in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 174/2021 treten mit Ablauf des 31. August 2021 außer Kraft und sind auf Sachverhalte anzuwenden, die sich vor dem 1. September 2021 ereignet haben. Die §§ 2 Abs. 3 und 3 Abs. 7 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 174/2021 gelten nicht für Arbeitnehmer im Sinne des § 1 Abs. 9. Die §§ 11 Abs. 1 Z 3, 20 Abs. 1 und 2 Z 1, 32 Abs. 1 Z 2 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 174/2021 treten mit Ablauf des Tages der Kundmachung dieses Bundesgesetzes in Kraft. Die §§ 26 bis 29 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 174/2021 sind auf alle zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Bestimmungen anhängigen Verfahren einschließlich von Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof und Verfassungsgerichtshof anzuwenden.“

26 In den Gesetzesmaterialien wird dazu Folgendes ausgeführt (RV 943 BlgNR XXVII. GP , 10 f):

Zu Z 22 und 23 (§§ 26 bis 29 LSDBG):

(...)

Nach dem Urteil des EuGH vom 12. September 2019, Maksimovic ua, C‑64/18  ua sind die österreichischen Strafbestimmungen zu den formalen Verpflichtungen nach den §§ 26 bis 28 unverhältnismäßig und damit unionsrechtswidrig. Der VwGH hat sich in einer Vielzahl an Entscheidungen, erstmals in jener vom 15.10.2019, Ra 2019/11/0033 bis 0034, der Ansicht des EuGH angeschlossen. Gleiches gilt für den VfGH. Im Sinne dieser Judikatur sind die Strafbestimmungen zu überarbeiten. Dabei soll im Einklang mit der vorgenannten Judikatur die Verhältnismäßigkeit durch Entfall der Kumulation und Schaffung eines Strafrahmens ohne Mindeststrafe, deren oberes Ende zugleich die Höchstgrenze im Sinne des Urteils Maksimovic ua bildet, hergestellt werden. In gleicher Weise soll § 29 adaptiert werden. Für die im Einzelfall vorzunehmende Strafbemessung gilt § 19 VStG.

(...)

In der Neuregelung des § 29 Abs. 1 LSD‑BG wird vom bisherigen Modell der Bestrafung pro Arbeitnehmer abgegangen. Anstelle dessen werden nunmehr mehrere Strafrahmen (in fünf Stufen) vorgesehen. Bei der Gestaltung der Strafrahmen wird auf die Höhe des vorenthaltenen Entgelts (Schaden) bzw. bei der letzten Stufe (bis zu 400.000 Euro) zusätzlich auf den Verschuldensgrad (vorsätzliche Begehung der Tat) als erschwerendes Moment und die Höhe der durchschnittlichen Unterentlohnung abgestellt. Für Kleinstunternehmen mit bis zu neun Arbeitnehmern wird für den Erstfall (nicht Wiederholungsfall) die Obergrenze des Strafrahmens von 50.000 Euro auf 20.000 Euro herabgesetzt, wenn auch die Summe des vorenthaltenen Entgelts unter 20.000 Euro liegt. Wirkt der Arbeitgeber bei der Wahrheitsfindung unverzüglich und vollständig etwa durch Offenlegung der Lohnbuchhaltung mit, ist anstelle des Strafrahmens bis 100.000 Euro oder bis 250.000 Euro der jeweils niedrigere Strafrahmen anzuwenden, als es der Schadenssumme entspricht (Strafmilderung), ausgenommen. Keine Anwendung findet diese Regelung, wenn die Voraussetzungen für den höchsten Strafrahmen bis zu 400.000 Euro vorliegen. Diese Regelung findet auch keine Anwendung, beim Strafrahmen bis zu 50.000 Euro, oder wenn im Erstfall bei einem Arbeitgeber mit bis zu neun Arbeitgebern die Schadenssumme unter 20.000 Euro liegt; bei letzterem fehlt es nach der Konstruktion des § 29 LSD‑BG vorweg am Vorliegen eines niedrigeren Strafrahmens, der angewendet werden könnte. Die Mitwirkung des Arbeitgebers bei der Wahrheitsfindung und die damit verbundenen Rechtsfolgen gelten nur für Verwaltungsstrafverfahren nach § 29 LSD‑BG, sie gelten nicht für das Ermittlungsverfahren der Kontrollbehörden. „Unverzüglich“ im Sinne dieser Bestimmung bedeutet, dass der Arbeitgeber unverzüglich nach Einleitung des Strafverfahrens, d.h. ab wirksamer Zustellung der Aufforderung zur Rechtfertigung zur Mitwirkung angehalten ist. Unterlässt er dies und wirkt er zu einem späteren Zeitpunkt mit, fehlt es am der Voraussetzung der „unverzüglichen“ Mitwirkung. Diesfalls ist die Mitwirkung im Rahmen der Strafbemessung entsprechend § 19 VStG zu berücksichtigen.“

27 4.1. Wie sich aus den oben wiedergegebenen Gesetzesmaterialien ergibt, ist Ziel der Novelle BGBl. I Nr. 174/2021 die Herstellung der Unionsrechtskonformität der Strafen für die sog. „Formaldelikte“ der §§ 26 bis 28 LSD‑BG im Hinblick auf die diesbezügliche Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union und die diese Rechtsprechung übernehmende Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes und des Verfassungsgerichtshofes. Nach denselben Grundsätzen, nach denen die §§ 26 bis 28 novelliert wurden, ist auch die Strafbestimmung des § 29 Abs. 1 LSD‑BG betreffend Unterentlohnung neu gefasst worden.

28 Die Strafbestimmungen der §§ 26 bis 28 und § 29 Abs. 1 LSD‑BG in der Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 174/2021 sahen einheitlich vor, dass bei einer Verwaltungsübertretung für jeden einzelnen Arbeitnehmer jeweils eine Geldstrafe nach demselben Strafrahmen zu verhängen war. Hingegen wird nach der Novelle BGBl. I Nr. 174/2021 unabhängig von der Anzahl der betroffenen Arbeitnehmer nur eine einzige Verwaltungsübertretung begangen, die mit einer (einzigen) Geldstrafe zu bestrafen ist, wodurch ‑ unabhängig von der Anzahl der betroffenen Arbeitnehmer ‑ in jedem Fall eine Höchstgrenze der zu verhängenden Geldstrafe sichergestellt ist. Mindeststrafen sehen die Straftatbestände der §§ 26 bis 28 und § 29 Abs. 1 LSD‑BG in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 174/2021 ‑ im Unterschied zur früheren Gesetzeslage ‑ nicht mehr vor.

29 4.2. Die durch die Novelle BGBl. I Nr. 174/2021 geänderten Strafbestimmungen der §§ 26 bis 28 und § 29 Abs. 1 LSD‑BG treten mit 1. September 2021 in Kraft und sind gemäß dem eindeutigen Wortlaut des § 72 Abs. 10 letzter Satz LSD‑BG auf alle in diesem Zeitpunkt anhängigen Verfahren einschließlich von Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof und dem Verfassungsgerichtshof anzuwenden. Der Gesetzgeber hat mit dieser Übergangsbestimmung erkennbar das Ziel verfolgt, in allen im Zeitpunkt des Inkrafttretens (am 1. September 2021) dieser Bestimmungen anhängigen Strafverfahren wegen Lohn- und Sozialdumpings, unabhängig davon, vor welcher Behörde oder welchem Gericht ein solches Verfahren gerade anhängig war, die Anwendung derselben Gesetzeslage sicherzustellen. Für den Verwaltungsgerichtshof folgt aus dieser Anordnung, dass er in bei ihm anhängigen Revisionsverfahren sämtliche angefochtenen Entscheidungen der Verwaltungsgerichte in Verwaltungsstrafsaschen nach dem LSD-BG, also unabhängig vom Zeitpunkt ihrer Erlassung, am Maßstab der §§ 26 bis 28 und § 29 Abs. 1 LSD‑BG in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 174/2021 zu prüfen hat.

30 Eine ausdrückliche Änderung der das Lohn- und Sozialdumping betreffenden Strafbestimmungen des AVRAG, welche in den Revisionsfällen gemäß seinem § 19 Abs. 1 Z 38 weiterhin zur Anwendung gelangen, ist durch die Novelle BGBl. I Nr. 174/2021 allerdings nicht erfolgt (vgl. Art. 3 dieser Novelle).

31 4.3. Angesichts dessen stellt sich die Frage, ob das Fehlen einer vergleichbaren textlichen Änderung der Strafbestimmungen des AVRAG durch die Novelle BGBl. I Nr. 174/2021 eine durch Analogie zu schließende echte (planwidrige) Lücke darstellt.

32 Die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat die grundsätzliche Zulässigkeit der Analogie auch im öffentlichen Recht wiederholt anerkannt. Voraussetzung hiefür ist freilich das Bestehen einer echten (dh. planwidrigen) Rechtslücke. Sie ist dort anzunehmen, wo das Gesetz, gemessen an seiner eigenen Absicht und immanenten Teleologie, unvollständig, also ergänzungsbedürftig ist, und wo seine Ergänzung nicht etwa einer vom Gesetz gewollten Beschränkung widerspricht. Da das öffentliche Recht, im Besonderen das Verwaltungsrecht, schon von der Zielsetzung her nur einzelne Rechtsbeziehungen unter dem Gesichtspunkt des öffentlichen Interesses zu regeln bestimmt ist, muss eine auftretende Rechtslücke in diesem Rechtsbereich im Zweifel als beabsichtigt angesehen werden. Eine durch Analogie zu schließende Lücke kommt nur dann in Betracht, wenn das Gesetz anders nicht vollziehbar ist oder wenn das Gesetz in eine Regelung einen Sachverhalt nicht einbezieht, auf welchen - unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes und gemessen an den mit der Regelung verfolgten Absichten des Gesetzgebers - ebendieselben Wertungsgesichtspunkte zutreffen wie auf die im Gesetz geregelten Fälle und auf den daher - schon zur Vermeidung einer verfassungsrechtlich bedenklichen Ungleichbehandlung - auch dieselben Rechtsfolgen angewendet werden müssen (vgl. VwGH 31.7.2020, Ra 2020/11/0086, mwN).

33 In den Revisionsfällen ist zunächst zu beachten, dass das Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union in den Rechtssachen C‑64/18  ua., Maksimovic ua., welches Anlass für die Novelle BGBl. I Nr. 174/2021 war, zur Rechtslage nach dem AVRAG (und nicht nach dem LSD‑BG) ergangen ist. Angesichts der deklarierten Zielsetzung der Novelle, die Strafen für die sog. Formaldelikte bei Lohn- und Sozialdumping im Hinblick auf eben dieses Urteil unionsrechtskonform auszugestalten und die Sanktionierung der Unterentlohnung nach denselben Grundsätzen vorzunehmen, kann es nicht die Absicht des Gesetzgebers gewesen sein, ausgerechnet jene Verwaltungsstrafverfahren wegen Lohn- und Sozialdumpings, welche wegen des Tatzeitpunktes noch nach den Regelungen des AVRAG zu führen sind, von den Änderungen der Strafnormen auszusparen, welche durch die Novelle BGBl. I Nr. 174/2021 für Strafverfahren nach dem LSD‑BG vorgesehen wurden. Die gegenteilige Auffassung würde zu einem nicht zu rechtfertigenden Wertungswiderspruch in Bezug auf die Bestrafung von Tathandlungen führen, welche ihrer Art nach dieselben und, wie im Fall der Unterentlohnung, nach im Wesentlichen unveränderten Tatbildern zu beurteilen sind. Dass der Gesetzgeber, der nach den Gesetzesmaterialien die Vereinbarkeit der Strafsanktionsnormen für die sog. Formaldelikte des Lohn- und Sozialdumpings mit dem Unionsrecht sicherstellen und die Unterentlohnung nach denselben Grundsätzen bestrafen wollte, gleichwohl die Sanktionierung von Tathandlungen vor dem 1. Jänner 2017 von dieser „Sanierung“ auszunehmen beabsichtigte, kann ihm nicht ernsthaft zugesonnen werden.

34 Der Verwaltungsgerichtshof geht daher davon aus, dass die Nichtaufnahme einer Änderung der die Unterentlohnung sanktionierenden Strafnorm des § 7i Abs. 5 AVRAG in der Novelle BGBl. I Nr. 174/2021 eine durch Analogie zu schließende echte (planwidrige) Lücke bewirkt hat.

35 Diese Lücke ist dahingehend zu schließen, dass unabhängig von der Anzahl der von der Unterentlohnung betroffenen Arbeitnehmer eine einzige Übertretung vorliegt, für die ‑ ohne Anwendung einer Mindeststrafe ‑ eine einzige Strafe zu verhängen ist. Dies gilt in allen anhängigen Verfahren und daher auch in solchen vor dem Verwaltungsgerichtshof. Mit einer Schließung der aufgezeigten planwidrigen Lücke in der dargestellten Weise wird sichergestellt, dass auch bei Tathandlungen vor dem 1. Jänner 2017 die für den Betroffenen günstigere Strafsanktion zur Anwendung gelangt.

36 Einer solchen Lückenschließung steht auch nicht das sog. Analogieverbot entgegen: Entsprechend dem im Strafrecht allgemein geltenden, im Bereich des Verwaltungsstrafrechtes aus § 1 Abs. 1 VStG ableitbaren Grundsatz „nullum crimen sine lege“ ist Voraussetzung für die Verhängung einer Strafe, dass die Tat zur Zeit ihrer Begehung ausdrücklich für strafbar erklärt war. Strafrechtsquelle ist ausschließlich das geschriebene Gesetz; eine Ergänzung desselben durch Analogie oder jede andere Art von Lückenschließung (etwa durch Größenschluss) zum Nachteil des Täters ist untersagt (vgl. VwGH 7.7.2017, Ra 2016/03/0099, mwN). Zu einer durch das Analogieverbot verpönten interpretativen Schaffung von Straftatbeständen (vgl. die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze II2, 2000, § 1 VStG E 16 ‑ E 22, zitierte Rechtsprechung) kommt es in den Revisionsfällen aber nicht. Vielmehr führt die gegenständliche Lückenfüllung zur Anwendung einer für die Beschuldigten günstigeren Strafnorm.

37 4.4. An der zuvor (vgl. Rn. 35) dargestellten Rechtslage gemessen erweisen sich die angefochtenen Erkenntnisse schon deswegen als rechtswidrig, weil über die Revisionswerber für die Unterentlohnung von fünf Arbeitnehmern jeweils fünf (einzelne) Geldstrafen verhängt wurden.

38 4.5. Die angefochtenen Erkenntnisse waren daher jeweils hinsichtlich des Strafausspruches (Geld- und damit verbundene Ersatzfreiheitsstrafen) und des daran anknüpfenden Kostenausspruches gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufzuheben.

39 4.6. Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff., insbesondere § 53 Abs. 1 VwGG in Verbindung mit der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 12. Oktober 2021

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