Normen
AsylG 2005 §35 Abs1;
AsylG 2005 §35 Abs5;
BFA-G 2014 §5 Abs3;
IPRG §3;
IPRG §4 Abs1;
IPRG §6;
VwRallg;
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018180094.L00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Die Revisionswerberin, eine syrische Staatsangehörige, stellte am 25. Juli 2016 bei der Österreichischen Botschaft Damaskus (im Folgenden: ÖB Damaskus) einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels gemäß § 35 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).
Darin machte sie geltend, dass ihr Ehemann (im Folgenden: Bezugsperson), der ebenfalls ein syrischer Staatsangehöriger sei, in Österreich den Status eines Asylberechtigten erhalten habe. Ihre Ehe sei zunächst am 1. Jänner 2015 in Syrien traditionellmuslimisch geschlossen und in weiterer Folge am 27. Dezember 2015 gerichtlich registriert und ins syrische Personenstandsregister eingetragen worden.
2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) übermittelte der ÖB Damaskus mit Schreiben vom 20. Februar 2017 eine "Mitteilung gemäß § 35 Abs. 4 AsylG 2005", wonach die Gewährung des Status eines Asyl- beziehungsweise subsidiär Schutzberechtigten nicht wahrscheinlich sei, sowie eine - nähere Ausführungen enthaltende - Stellungnahme. Das BFA begründete die negative Wahrscheinlichkeitsprognose im Wesentlichen damit, dass nach syrischem Recht traditionelle Eheschließungen nicht anerkannt würden. Vielmehr müsse eine traditionell geschlossene Ehe bei der zuständigen Behörde beziehungsweise einem zuständigen Gericht registriert werden. Die Ehe der Revisionswerberin sei jedenfalls erst nach der Ausreise der Bezugsperson, welche am 12. November 2015 (gemeint wohl: 11. November 2015) einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich gestellt habe, registriert worden. Somit habe die Ehe nicht bereits im Herkunftsstaat bestanden und handle es sich bei der Revisionswerberin daher um keine Familienangehörige gemäß § 35 Abs. 5 AsylG 2005. Da die Bezugsperson zum Zeitpunkt der Registrierung der Ehe bereits nicht mehr in ihrem Heimatstaat aufhältig gewesen sei, liege zudem eine Stellvertreterehe vor, welche den Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung (ordre public) gemäß § 6 des Bundesgesetzes vom 15. Juni 1978 über das internationale Privatrecht (im Folgenden: IPRG) widerspreche.
3 Mit Stellungnahmen vom 28. Februar 2017 und 9. März 2017 brachte die Revisionswerberin dagegen insbesondere vor, dass die traditionelle Eheschließung am 1. Jänner 2015 in Anwesenheit der Brautleute und mehrerer Trauzeugen erfolgt sei. Die Ehe sei nach syrischem Recht mit ihrer Registrierung rückwirkend ab dem Datum der traditionellen Eheschließung rechtsgültig beziehungsweise staatlich anerkannt. Eine Registrierung sei vor der Flucht der Bezugsperson nicht möglich gewesen. Bei der Registrierung handle es sich jedoch um einen (bloßen) Verwaltungsakt, der auch von einem Rechtsanwalt durchgeführt werden könne. Eine derartige Registrierung verstoße nicht gegen die Grundwerte der österreichischen Rechtsordnung.
4 Nach Mitteilung des BFA vom 27. März 2017, wonach das BFA an der negativen Wahrscheinlichkeitsprognose festhalte, wies die ÖB Damaskus den Antrag der Revisionswerberin mit Bescheid desselben Tages ab.
5 Die dagegen erhobene Beschwerde wies die ÖB Damaskus mit Beschwerdevorentscheidung vom 22. Juni 2017 ab und begründete dies damit, dass die österreichischen Vertretungsbehörden an die negative Wahrscheinlichkeitsprognose des BFA gebunden seien und die ÖB Damaskus darüber hinaus die Ansicht des BFA teile, dass die Revisionswerberin die Familienangehörigeneigenschaft im Sinne des § 35 Abs. 5 AsylG 2005 nicht erfülle.
6 Nach rechtzeitiger Erhebung eines Vorlageantrages wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die Beschwerde mit Erkenntnis vom 3. Jänner 2018 ab und erklärte die Revision für nicht zulässig.
7 In dieser Entscheidung stellte das BVwG fest, dass die Revisionswerberin die Bezugsperson, einen syrischen Staatsangehörigen, welchem mit Bescheid des BFA vom 20. April 2016 der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden sei, in Syrien am 1. Jänner 2015 "traditionell-muslimisch nach Scharia-Recht" geheiratet habe und die Ehe am 27. Dezember 2015 beim Standesamt (Zentralamt Bezirk Damaskus) eingetragen worden sei. Darüber hinaus traf das BVwG folgende Feststellungen zum syrischen Recht:
"Gemäß Art. 1 syrisches Personalstatutgesetz, Gesetz Nr. 59 vom 17.09.1953, geändert durch Gesetz Nr. 34 vom 31.12.1975 (sPSG), ist die Eheschließung ein Vertrag zwischen einem Mann und einer Frau, die zu heiraten ihm gesetzlich erlaubt ist, zum Zwecke der Gründung einer Lebensgemeinschaft und der Zeugung von Nachkommen. Gemäß Art. 8 Abs. 1 sPSG ist beim Abschluss des Ehevertrages die Stellvertretung zulässig (Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Ordner XVIII, Syrien-Tunesien, S. 11f). Die Eheschließung zwischen Muslimen kann von jedem bekannten Imam oder einem Scharia-Gelehrten durchgeführt werden. Damit ein Eintrag der Eheschließung ins Familienbuch erfolgen kann, muss eine Registrierung bzw. Anmeldung oder staatliche Anerkennung der Eheschließung erfolgen.
Eheschließungen, die von einer religiösen Stelle vollzogen wurden, müssen bei den Behörden für zivilrechtliche Angelegenheiten registriert werden, um staatlich anerkannt zu sein. Wurde die Hochzeit vor einem Scharia-Gericht durchführt, besteht die Möglichkeit, das vom Scharia-Gericht erhaltene Zertifikat an die Behörde zu schicken und die Ehe auf diese Weise zu registrieren. Erst durch die Registrierung durch die Behörde wird die Ehe staatlich anerkannt (Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 15.12.2014 zur Frage der Wirkung einer Eheschließung in Syrien)."
8 In den rechtlichen Erwägungen kam das BVwG zu dem Schluss, dass eine Ehe in Syrien nur dann staatlich anerkannt werde, wenn diese standesamtlich eingetragen werde. Zwar sei die Anwesenheit beider Eheleute "jedenfalls bei der traditionell-muslimischen Heirat gegeben" gewesen und bestünden "daher am Willen der Brautleute keine Zweifel". Entscheidungsrelevant sei im Revisionsfall aber, ob die Ehe im Zeitraum zwischen der traditionellen Eheschließung und der standesamtlichen Registrierung rückwirkend als gültig angesehen werden könne. Eine Gültigkeit von Rechtsakten, die ihre Grundlage für gewisse Zeiträume allein im "Scharia-Recht" hätten, widerspreche jedoch den Grundwerten der österreichischen Rechtsordnung, sodass gemäß § 6 IPRG "die in Syrien geltende Rückwirkung der Gültigkeit der standesamtlich registrierten Ehe" nicht anzuwenden sei. Zu den Grundwerten der österreichischen Rechtsordnung zähle unzweifelhaft, dass es neben dem staatlichen Rechtssystem keine rechtsgültigen parallelen Ordnungen geben könne. Da somit vor der Einreise der Bezugsperson nach Österreich am 11. November 2015 keine Ehe bestanden habe, sei die Revisionswerberin keine Familienangehörige im Sinn des § 35 AsylG 2005.
9 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die nun vorliegende außerordentliche Revision, in der zu ihrer Zulässigkeit und in der Sache im Wesentlichen geltend gemacht wird, dass das BVwG von näher bezeichneter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zu § 6 IPRG abgewichen sei. Die Ehe sei in Anwesenheit beider Eheleute freiwillig nach islamischem Ritus geschlossen worden. Die im staatlichen syrischen Recht vorgesehenen Formerfordernisse - wie insbesondere die spätere Registrierung - seien eingehalten worden. Dass im syrischen Recht eine auf den Zeitpunkt der traditionellen Eheschließung rückwirkende Anerkennung der Ehe normiert sei, stelle keinen Verstoß gegen die in Österreich verfassungsgesetzlich gewährleisteten Grundrechte, wie etwa das Recht auf Gleichberechtigung oder das Verbot des Ehezwangs, dar. Eine systematische Betrachtung der Bestimmungen des EheG ergebe, dass durch diese vor allem die Eheschließungsfreiheit geschützt werden solle. Diese sei im vorliegenden Fall auch gewahrt worden. Zudem verkenne das BVwG, dass sich die Gültigkeit bzw. Rechtswirksamkeit der Eheschließung ausschließlich aus den Bestimmungen im staatlichen Recht ergebe, sodass jedenfalls nicht von einer Anerkennung "paralleler Ordnungen" (gemeint der Scharia) gesprochen werden könne.
10 Die ÖB Damaskus nahm mit Schreiben vom 2. Juli 2018 von der Erstattung einer Revisionsbeantwortung Abstand.
11 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
12 Die Revision ist zulässig und begründet.
13 Rechtlicher Rahmen und allgemeine Grundsätze:
14 § 35 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 in der maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 145/2017, lautet auszugsweise (samt Überschrift):
"Anträge auf Einreise bei Vertretungsbehörden
§ 35. (1) Der Familienangehörige gemäß Abs. 5 eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde und der sich im Ausland befindet, kann zwecks Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz gemäß § 34 Abs. 1 Z 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels bei der mit konsularischen Aufgaben betrauten österreichischen Vertretungsbehörde im Ausland (Vertretungsbehörde) stellen. Erfolgt die Antragstellung auf Erteilung eines Einreisetitels mehr als drei Monate nach rechtskräftiger Zuerkennung des Status des Asylberechtigten, sind die Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 zu erfüllen.
(...)
(5) Nach dieser Bestimmung ist Familienangehöriger, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat."
15 Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes über das internationale Privatrecht, BGBl. Nr. 304/1978 idF BGBl. I Nr. 87/2015 (IPRG), lauten auszugsweise (samt Überschrift):
"Anwendung fremden Rechtes
§ 3. Ist fremdes Recht maßgebend, so ist es von Amts wegen und wie in seinem ursprünglichen Geltungsbereich anzuwenden.
Ermittlung fremden Rechtes
§ 4. (1) Das fremde Recht ist von Amts wegen zu ermitteln. Zulässige Hilfsmittel hiefür sind auch die Mitwirkung der Beteiligten, Auskünfte des Bundesministeriums für Justiz und Sachverständigengutachten.
(2) Kann das fremde Recht trotz eingehendem Bemühen innerhalb angemessener Frist nicht ermittelt werden, so ist das österreichische Recht anzuwenden.
(...)
Vorbehaltsklausel (ordre public)
§ 6. Eine Bestimmung des fremden Rechtes ist nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führen würde, das mit den Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung unvereinbar ist. An ihrer Stelle ist erforderlichenfalls die entsprechende Bestimmung des österreichischen Rechtes anzuwenden.
(...)
Personalstatut einer natürlichen Person
§ 9. (1) Das Personalstatut einer natürlichen Person ist das Recht des Staates, dem die Person angehört. Hat eine Person neben einer fremden Staatsangehörigkeit auch die österreichische Staatsbürgerschaft, so ist diese maßgebend. Für andere Mehrstaater ist die Staatsangehörigkeit des Staates maßgebend, zu dem die stärkste Beziehung besteht.
(2) Ist eine Person staatenlos oder kann ihre Staatsangehörigkeit nicht geklärt werden, so ist ihr Personalstatut das Recht des Staates, in dem sie den gewöhnlichen Aufenthalt hat.
(3) Das Personalstatut einer Person, die Flüchtling im Sinn der für Österreich geltenden internationalen Übereinkommen ist oder deren Beziehungen zu ihrem Heimatstaat aus vergleichbar schwerwiegenden Gründen abgebrochen sind, ist das Recht des Staates, in dem sie ihren Wohnsitz, mangels eines solchen ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat; eine Verweisung dieses Rechtes auf das Recht des Heimatstaates (§ 5) ist unbeachtlich.
(...)
Form der Eheschließung
§ 16. (1) Die Form einer Eheschließung im Inland ist nach den inländischen Formvorschriften zu beurteilen.
(2) Die Form einer Eheschließung im Ausland ist nach dem Personalstatut jedes der Verlobten zu beurteilen; es genügt jedoch die Einhaltung der Formvorschriften des Ortes der Eheschließung."
16 In Bezug auf ausländisches Recht gilt der Grundsatz "iura novit curia" nicht, sodass dieses in einem - grundsätzlich amtswegigen - Ermittlungsverfahren festzustellen ist, wobei aber auch hier die Mitwirkung der Beteiligten erforderlich ist, soweit eine Mitwirkungspflicht der Partei besteht (vgl. VwGH 22.3.2018, Ra 2018/01/0045).
17 Gemäß § 3 IPRG ist maßgebliches fremdes Recht von Amts wegen und wie in seinem ursprünglichen Geltungsbereich anzuwenden, wobei es in erster Linie auf die dort von der Rechtsprechung geprägte Anwendungspraxis ankommt (vgl. OGH RIS-Justiz, RS0113594). Nach § 4 Abs. 1 IPRG ist das fremde Recht und die Anwendungspraxis dazu (OGH RIS-Justiz RS0113594 (T2), siehe auch OGH RIS-Justiz RS0109415) von Amts wegen zu ermitteln. Zulässige Hilfsmittel hiefür sind etwa die Mitwirkung der Beteiligten, Sachverständigengutachten und die Inanspruchnahme der Staatendokumentation (§ 5 Abs. 3 BFA-G; vgl. VwGH 27.6.2017, Ra 2016/18/0277).
18 Der Verwaltungsgerichtshof hat zur Begründungspflicht der Erkenntnisse der Verwaltungsgerichte gemäß § 29 VwGVG bereits wiederholt ausgesprochen, dass die Begründung jenen Anforderungen zu entsprechen hat, die in seiner Rechtsprechung zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfordert dies in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalts, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche die Behörde im Falle des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Bescheides geführt haben. Diesen Erfordernissen werden die Verwaltungsgerichte dann gerecht, wenn sich die ihre Entscheidungen tragenden Überlegungen zum maßgeblichen Sachverhalt, zur Beweiswürdigung sowie zur rechtlichen Beurteilung aus den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen selbst ergeben (vgl. VwGH 15.3.2018, Ra 2016/20/0291-0292).
19 Anwendung auf den vorliegenden Sachverhalt:
20 Vorauszuschicken ist, dass das BVwG Feststellungen zum relevanten syrischen Recht getroffen hat und auf deren Grundlage im Rahmen der rechtlichen Erwägungen eine Beurteilung der Eheschließung zwischen der Revisionswerberin und der Bezugsperson vorgenommen hat. Nach den Ausführungen im angefochtenen Erkenntnis vertritt das BVwG offensichtlich - im Einklang mit dem Vorbringen der Revisionswerberin - die Ansicht, dass im vorliegenden Fall einer zunächst nach traditionellem Ritus geschlossenen Ehe, welche in weiterer Folge behördlich registriert wurde, die im syrischen Recht normierten Formerfordernisse erfüllt wurden. Damit ist aber gemäß § 16 Abs. 2 zweiter Halbsatz IPRG grundsätzlich auch für Zwecke des Internationalen Privatrechts von einer zulässigen Form der Eheschließung auszugehen. Ist die Ortsform erfüllt, sind die Personalstatute unbeachtlich (OGH RIS-Justiz RS0127050).
21 Darüber hinaus ergibt sich aus den im Rahmen der rechtlichen Erwägungen disloziert getroffenen Feststellungen des BVwG, dass die behördlich registrierte Ehe der Revisionswerberin nach den maßgeblichen syrischen Rechtsvorschriften mit ihrer nachfolgenden staatlichen Registrierung ab dem Datum der traditionellen Eheschließung am 1. Jänner 2015 als gültig zustande gekommen anzusehen ist. Dieser Regelung kommt für den vorliegenden Fall entscheidende Bedeutung zu, weil die Revisionswerberin nur dann als Familienangehörige gemäß § 35 Abs. 5 AsylG 2005 anzusehen ist, wenn die Ehe bereits vor der Einreise der Bezugsperson in das österreichische Bundesgebiet am 11. November 2015 bestanden hat. Somit stellt sich die Frage, ob diese gesetzliche Regelung im syrischen Recht - entsprechend den Ausführungen des BVwG - gegen die Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung (ordre public) verstößt und daher gemäß § 6 IPRG nicht anzuwenden ist.
22 Gemäß § 6 IPRG ist eine Bestimmung des fremden Rechts nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führen würde, das mit den Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung unvereinbar ist. An ihrer Stelle ist erforderlichenfalls die entsprechende Bestimmung des österreichischen Rechts anzuwenden. Von dieser Ausnahme ist sparsamster Gebrauch zu machen, keinesfalls ist ein Abweichen von zwingenden österreichischen Vorschriften bereits ein ordre public-Verstoß. Schutzobjekt sind primär die "Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung" und nicht subjektive Rechtspositionen von Inländern (VwGH 11.10.2016, Ra 2016/01/0025- 0026; vgl. dazu auch Verschraegen in Rummel, IPRG3 § 6 Rz 1 ff).
23 Auch der Oberste Gerichtshof hat - worauf der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung bereits wiederholt hingewiesen hat - in seiner Entscheidung vom 28. Februar 2011, 9 Ob 34/10f, unter Hinweis auf Judikatur und Lehre ausgesprochen, dass Gegenstand der Verletzung Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung sein müssten. Dabei spielten einerseits Verfassungsgrundsätze eine tragende Rolle wie das Recht auf persönliche Freiheit, Gleichberechtigung, das Verbot abstammungsmäßiger rassischer und konfessioneller Diskriminierung; außerhalb der verfassungsrechtlich geschützten Grundwertungen zählten etwa das Verbot der Kinderehe, des Ehezwangs, der Schutz des Kindeswohls im Kindschaftsrecht oder das Verbot der Ausbeutung zu den geschützten Grundwertungen. Die zweite wesentliche Voraussetzung für das Eingreifen der Vorbehaltsklausel sei, dass das Ergebnis der Anwendung fremden Sachrechts und nicht bloß dieses selbst anstößig ist und überdies eine ausreichende Inlandsbeziehung bestehe (VwGH 11.10.2016, Ra 2016/01/0025-0026, sowie 19.9.2017, Ra 2016/20/0068).
24 Der Verfassungsgerichtshof zählt zum ordre public den "Inhalt der geschützten Grundwertungen des österreichischen Rechtes (...), also die unverzichtbaren Wertvorstellungen, die die österreichische Rechtsordnung prägen. Verfassungsgrundsätze (insbesondere durch die EMRK geschützte Menschenrechte) spielen dabei jedenfalls eine tragende Rolle. Als von § 6 IPR-Gesetz geschützte Grundwerte und somit ordre public-feste Rechtsgüter werden etwa die persönliche Freiheit, die Gleichberechtigung, das Verbot abstammungsmäßiger, rassischer und konfessioneller Diskriminierung, die Freiheit der Eheschließung, die Einehe, das Verbot der Kinderehe und insbesondere auch der Schutz des Kindeswohles ... angesehen" (VfGH 11.10.2012, B 99/12 ua).
25 Vor dem Hintergrund dieser einhelligen höchstgerichtlichen Rechtsprechung kann die Begründung des angefochtenen Erkenntnisses nicht überzeugen. Das BVwG stützte sich darin allein auf den Umstand, dass eine Gültigkeit von Rechtsakten, welche ihre Grundlage für gewisse Zeiträume allein im "Scharia-Recht" hätten, den Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung widerspreche. Allerdings kann dem angefochtenen Erkenntnis - wie bereits ausgeführt - nicht entnommen werden, dass die Ehe der Revisionswerberin nicht sämtliche im staatlichen syrischen Recht geregelten Formvorschriften erfüllen würde. Auch die staatliche Anerkennung der Ehe mit ihrer nachfolgenden staatlichen Registrierung bereits ab dem Zeitpunkt der traditionellen Eheschließung ergibt sich - nach den dislozierten Feststellungen des BVwG - aus den relevanten Bestimmungen des syrischen Rechts. Insofern kann nicht davon gesprochen werden, dass sich die Gültigkeit der Ehe in dem Zeitraum zwischen der traditionellen Eheschließung und der staatlichen Registrierung allein auf "Scharia-Recht" stütze oder dass es im vorliegenden Fall zur Anerkennung von neben der staatlichen Rechtsordnung bestehenden "parallelen Ordnungen" komme.
26 Inhaltliche Vorbehalte gegen die revisionsgegenständliche Eheschließung - wie etwa eine Verletzung des Verbotes der Kinderehe oder des Ehezwanges - hat das BVwG nicht festgestellt, sondern vielmehr festgehalten, dass die Anwesenheit beider Eheleute "jedenfalls bei der traditionell-muslimischen Heirat gegeben" gewesen sei und "daher am Willen der Brautleute keine Zweifel" bestünden.
27 Der bloße Umstand der Anerkennung einer traditionellen Eheschließung mit ihrer nachfolgenden staatlichen Registrierung bereits ab dem Zeitpunkt der traditionellen Eheschließung im ausländischen Recht verstößt allerdings - entgegen der Annahme des BVwG - nicht gegen die Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung im Sinne der zitierten Judikatur der Höchstgerichte.
28 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
29 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Wien, am 6. September 2018
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