VwGH Ro 2017/21/0001

VwGHRo 2017/21/000111.5.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Sulzbacher als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Halm-Forsthuber, über die Revision des S O, vertreten durch Dr. Peter Krömer, Rechtsanwalt in 3100 St. Pölten, Riemerplatz 1, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 29. November 2016, W112 2140637-1/4E, betreffend Schubhaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

12010P/TXT Grundrechte Charta Art47;
32013R0604 Dublin-III Art2 litn;
32013R0604 Dublin-III Art28 Abs2;
BFA-VG 2014 §16 Abs2;
BFA-VG 2014 §16 Abs4;
BFA-VG 2014 §17 Abs1;
BFA-VG 2014 §17 Abs2;
BFA-VG 2014 §22a Abs3 impl;
B-VG Art133 Abs4;
EURallg;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z2 idF 2015/I/070;
FrPolG 2005 §76 Abs3 Z1 idF 2015/I/070;
VwGG §25a Abs1;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §34 Abs1a;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2017:RO2017210001.J00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein iranischer Staatsangehöriger, dem von Frankreich ein Visum erteilt worden war, stellte am 13. Mai 2016 nach seiner Einreise in Österreich einen Antrag auf Gewährung von internationalem Schutz. Diesen Antrag wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) im zweiten Rechtsgang mit Bescheid vom 17. Oktober 2016 gemäß § 5 AsylG 2005 zurück. Gleichzeitig stellte es fest, für die Prüfung des Antrags sei gemäß Art. 12 Abs. 2 Dublin III-VO Frankreich, das der Übernahme des Revisionswerbers auch ausdrücklich zugestimmt hatte, zuständig. Weiters wurde gemäß § 61 Abs. 1 FPG die Außerlandesbringung des Revisionswerbers angeordnet und gemäß § 61 Abs. 2 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung nach Frankreich zulässig sei.

2 Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber Beschwerde, die seit 4. November 2016 beim Bundesverwaltungsgericht (BVwG) anhängig ist; der Beschwerde wurde vom BVwG die aufschiebende Wirkung nicht zuerkannt.

3 Nach der über entsprechenden Auftrag des BFA erfolgten Festnahme des Revisionswerbers am 21. November 2016 wurde seine (unbegleitete) Abschiebung nach Frankreich am 23. November 2016 versucht. Diese scheiterte aber daran, dass der Revisionswerber im Flugzeug, nachdem etwa 30 Passagiere an Bord waren, zu schreien begann, man solle ihm helfen, er wolle nicht nach Paris abgeschoben werden, er sei verheiratet und seine Frau lebe hier. Hierauf wurde der Revisionswerber vom Kapitän des Flugzeuges wegen Sicherheitsbedenken vom Flug ausgeschlossen und wieder in das Polizeianhaltezentrum überstellt.

4 Nach seiner Einvernahme verhängte das BFA sodann mit dem sofort in Vollzug gesetzten Mandatsbescheid vom 23. November 2016 über den Revisionswerber gemäß Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin III-VO iVm § 76 Abs. 2 Z 2 FPG die Schubhaft zur Sicherung seiner Abschiebung.

5 Mit dem beim BVwG am 25. November 2016 eingelangten Schriftsatz erhob der durch einen Rechtsanwalt vertretene Revisionswerber Beschwerde gemäß § 22a BFA-VG, wobei das BVwG davon ausging, dass sie sich nur gegen den Schubhaftbescheid, nicht aber auch gegen die darauf gegründete Anhaltung richte. Insoweit gab das BVwG dieser Beschwerde sodann mit Erkenntnis vom 29. November 2016 statt und behob den angefochtenen Bescheid vom 23. November 2016 (Spruchpunkt A.I.). Gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG stellte das BVwG fest, dass zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen (Spruchpunkt A.II.). Weiters wurde der Antrag des BFA auf Kostenersatz gemäß § 35 VwGVG abgewiesen (Spruchpunkt A.III.).

6 In Bezug auf Spruchpunkt A.I. ging das BVwG davon aus, dass das Vorliegen von erheblicher Fluchtgefahr iSd Art. 28 Abs. 2 Dublin III-VO vom BFA nicht tragfähig begründet worden sei. Besondere Umstände, die in diesem Fall erhebliche Fluchtgefahr begründeten, lägen zwar darin, dass dem Revisionswerber aufgrund der Festnahme am 21. November 2016 und seiner beabsichtigten Abschiebung nach Frankreich bewusst sei, dass ihm ein weiterer Verbleib im Bundesgebiet nicht ermöglicht werden solle, und darin, dass er den Abschiebeversuch am 23. November 2016 durch sein Verhalten vereitelt und sich der Sicherungsbedarf aufgrund des bevorstehenden Ablaufs der Überstellungsfrist am 3. Dezember 2016 noch zusätzlich verdichtet habe. Darauf habe sich das BFA im Schubhaftbescheid aber "nicht einmal im Ansatz" gestützt, sondern nur auf das Verhalten des Revisionswerbers vor seiner Festnahme, das jedoch nicht geeignet sei, erhebliche Fluchtgefahr darzutun. In Bezug auf die mit Spruchpunkt A.II. festgestellte Zulässigkeit der Fortsetzung der Schubhaft ging das BVwG sodann aus den genannten Gründen von erheblicher Fluchtgefahr und mit näherer Begründung auch von der Verhältnismäßigkeit der weiteren Anhaltung aus, und zwar insbesondere aufgrund der für 1. Dezember 2016 geplanten und somit unmittelbar bevorstehenden eskortierten Flugabschiebung des Revisionswerbers nach Frankreich und der insgesamt nur kurzen Anhaltedauer.

7 Mit Spruchpunkt B. des angefochtenen Erkenntnisses erklärte das BVwG die (ordentliche) Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für zulässig. Das begründete das BVwG (nur) damit, dass "es an einer Rechtsprechung zu § 76 Abs. 2 Z 2 iVm Abs. 3 FPG mangelt".

 

8 Gegen dieses Erkenntnis - der Sache nach nur gegen dessen Spruchpunkt A.II. - richtet sich die vorliegende Revision, zu der keine Revisionsbeantwortungen erstattet wurden. Über die Zulässigkeit der Revision hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage gemäß § 30a Abs. 6 VwGG erwogen:

9 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

10 Bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision in dieser Hinsicht ist der Verwaltungsgerichtshof nach § 34 Abs. 1a VwGG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Auch in der ordentlichen Revision hat der Revisionswerber von sich aus die unter dem erwähnten Gesichtspunkt maßgeblichen Gründe für die Zulässigkeit der Revision aufzuzeigen, sofern er der Ansicht ist, dass die Begründung des Verwaltungsgerichtes für die Zulässigkeit der Revision nicht ausreicht oder er andere Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung für relevant erachtet. Das gilt auch dann, wenn sich die Revision zwar auf die Gründe, aus denen das Verwaltungsgericht die (ordentliche) Revision für zulässig erklärt hatte, beruft, diese aber fallbezogen keine Rolle (mehr) spielen (vgl. den hg. Beschluss vom 4. August 2016, Ro 2016/21/0013, Rz 9, mwN) oder zur Begründung der Zulässigkeit der konkret erhobenen Revision nicht ausreichen (vgl. der Sache nach den hg. Beschluss vom 16. November 2015, Ro 2015/12/0012).

11 Letzteres ist hier der Fall, weil das BVwG in der Begründung zum Ausspruch der Zulässigkeit der Revision nicht darlegte, welche - konkret auf die vorliegende Sache bezogene - grundsätzliche Rechtsfrage der Verwaltungsgerichtshof (erstmals) zu lösen hätte (vgl. den zuletzt zitierten Beschluss vom 16. November 2015, Ro 2015/12/0012). Mit dem bloßen Hinweis des BVwG auf fehlende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu näher bezeichneten Verwaltungsvorschriften wird nämlich noch nicht in ausreichender Weise dargetan, dass eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vom Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der Entscheidung über die Revision zu lösen wäre (vgl. den hg. Beschluss vom 23. September 2014, Ro 2014/01/0033). Demzufolge genügt die bloße Verweisung in der Revision auf die - im Sinne der vorstehenden Ausführungen: hierfür unzureichende - Begründung des BVwG nicht, um die Zulässigkeit der Revision unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG darzustellen.

12 Die Revision macht in den weiteren Ausführungen noch geltend, der Umstand, dass sich der Revisionswerber "im Rahmen einer unrechtmäßig verhängten Schubhaft" und während des noch mit Beschwerde anhängigen Verfahrens über seinen Antrag auf internationalen Schutz "aktiv gegen eine Außerlandesbringung zur Wehr gesetzt habe, und zwar nur durch Schreien im Flugzeug," könne die Annahme von Fluchtgefahr nicht begründen, zumal ein solches Verhalten nur indiziere, dass der Revisionswerber die Entscheidung eines unabhängigen Gerichtes über die Außerlandesbringung abwarten wolle. Es lägen daher keine Umstände vor, welche die Annahme von Fluchtgefahr rechtfertigten.

13 Zunächst trifft bei diesen Ausführungen schon die Prämisse nicht zu, die Vereitelung der Flugabschiebung sei am 23. November 2016 "im Rahmen der unrechtmäßig verhängten Schubhaft" erfolgt, weil die Schubhaft erst danach verhängt wurde. Im Übrigen lässt der Revisionswerber dabei außer Acht, dass der Schubhaftbescheid (nur) wegen Begründungsmängeln aufgehoben wurde, weil das BFA die Schubhaftanordnung nicht auf die an sich schon damals vorgelegenen und sodann vom BVwG dem Fortsetzungsausspruch zugrunde gelegten Umstände gestützt hatte. Aus der deshalb angenommenen Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides lässt sich daher nicht auf die Rechtswidrigkeit des in Revision gezogenen Ausspruches über die Zulässigkeit der Fortsetzung der Schubhaft, der einen eigenen, neuen Titel für die weitere Anhaltung darstellt, schließen (vgl. das zu § 83 Abs. 4 FPG idF vor dem FNG ergangene und insoweit für § 22a Abs. 3 BFA-VG weiter gültige hg. Erkenntnis vom 19. März 2014, Zl. 2013/21/0138, Punkt 2. der Entscheidungsgründe, mwN; siehe dazu auch Punkt III.B.5. der Entscheidungsgründe des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom 12. März 2015, G 151/2014 u.a., VfSlg. 19.970).

14 Soweit der Revisionswerber noch auf das im Beschwerdestadium anhängige Verfahren über seinen Antrag auf internationalen Schutz verweist, wird nicht bestritten, dass die vom BFA im Rahmen des Bescheides vom 17. Oktober 2016 erlassene Anordnung zur Außerlandesbringung des Revisionswerbers nach Frankreich vor dem Hintergrund des § 16 Abs. 2 iVm Abs. 4 BFA-VG im Zeitpunkt der Erlassung des bekämpften Fortsetzungsausspruchs durchsetzbar war. Gegen die diesbezüglichen Regelungen bestehen vor dem Hintergrund der Überprüfungspflicht des BVwG gemäß § 17 Abs. 1 BFA-VG und der im § 17 Abs. 2 BFA-VG normierten Entscheidungsfrist auch keine unionsrechtlichen Bedenken im Sinne eines Widerspruchs zu Art. 47 GRC. Der diesbezügliche Einwand wird in der Revision im Übrigen auch nicht näher begründet.

15 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Beschluss vom 15. September 2016, Ra 2016/21/0256, unter Rz 14 schon ausgesprochen, es sei evident und bedürfe daher weder einer Klärung durch den Europäischen Gerichtshof noch durch den Verwaltungsgerichtshof, dass unter "erheblicher Fluchtgefahr" im Sinn des Art. 28 Abs. 2 Dublin III-VO allgemein eine solche Fluchtgefahr zu verstehen sei, die in ihrer Intensität über das hinausgehe, was unter Art. 2 lit. n dieser Verordnung als "Fluchtgefahr" definiert wird (siehe zu dieser Definition und zum deshalb gebotenen eingeschränkten Verständnis der entsprechenden innerstaatlichen Norm des § 76 Abs. 3 erster Satz FPG des Näheren Rz 25 des hg. Erkenntnisses vom heutigen Tag, Ro 2016/21/0021). Die grundsätzliche Annahme von (abstrakter) "Fluchtgefahr" war aber im vorliegenden Fall schon deshalb gerechtfertigt, weil der Revisionswerber durch sein Verhalten am 23. November 2016 im Sinne des Tatbestandes der Z 1 des § 76 Abs. 3 FPG die Abschiebung behinderte (vgl. dazu Rz 26 iVm Rz 32 des zuletzt genannten Erkenntnisses Ro 2016/21/0021).

16 Ob darüber hinaus konkret von "erheblicher Fluchtgefahr" auszugehen ist, sei - so der Verwaltungsgerichtshof in dem in Rz 15 einleitend zitierten Beschluss Ra 2016/21/0256 - stets eine Frage des Einzelfalles, daher nicht generell zu klären und als einzelfallbezogene Beurteilung grundsätzlich nicht revisibel, wenn diese Beurteilung auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage in vertretbarer Weise vorgenommen wurde (siehe in diesem Sinn zur fallbezogenen konkreten Annahme von "Fluchtgefahr" auch den hg. Beschluss vom 26. Jänner 2017, Ra 2016/21/0323, Rz 10, mwN). Im vorliegenden Fall durfte das BVwG aber in jedenfalls vertretbarer Weise davon ausgehen, aufgrund der (erst den Anlass für die gegenständliche Schubhaft bildenden) Vereitelung der Abschiebung am 23. November 2016 liege vor dem Hintergrund des (unbestritten angenommenen) Ablaufs der Überstellungsfrist am 3. Dezember 2016 - trotz Bestehens eines ordentlichen Wohnsitzes bei seiner Ehefrau - eine "erhebliche Fluchtgefahr" vor (vgl. zu vereitelten Abschiebemaßnahmen beispielsweise die auch vom BVwG in diesem Zusammenhang zitierten Erkenntnisse vom 11. Juni 2013, Zl. 2012/21/0114, und vom 30. August 2011, Zl. 2008/21/0588, das einen ähnlich gelagerten "Dublin-Fall" betraf). Im Übrigen ergibt sich auch aus dem in Rz 12 wiedergegebenen Vorbringen in der Revision, dass der Revisionswerber nicht die Absicht hatte, für die am 1. Dezember 2016 terminisierte neuerliche - aus seiner Sicht: vor einer Entscheidung des BVwG im anhängigen Beschwerdeverfahren unzulässige - Außerlandesbringung freiwillig zur Verfügung zu stehen. Angesichts der zeitnah geplanten Abschiebung des Revisionswerbers und seiner insgesamt nicht besonders langen Anhaltung musste vom BVwG auch keine Unverhältnismäßigkeit der weiteren Anhaltung in Schubhaft angenommen werden.

17 Aus den obigen Ausführungen folgt somit, dass die Revision mangels Vorliegens von grundsätzlichen Rechtsfragen iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG in Anwendung des § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen war.

Wien, am 11. Mai 2017

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