VwGH Ra 2017/16/0101

VwGHRa 2017/16/010119.10.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofräte Dr. Mairinger und Mag. Straßegger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Baumann, über die Revision des W L in W, vertreten durch Mag. Johannes Schmidt, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Nibelungengasse 8/1/1-3, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom 6. April 2017, Zl. RV/7300054/2016, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen Versäumung einer Beschwerdefrist und Zurückweisung einer Beschwerde in einer Angelegenheit des Finanzstrafgesetzes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Finanzamt Wien 9/18/19 Klosterneuburg)

Normen

FinStrG §167 Abs1;

 

Spruch:

1. den Beschluss gefasst:

Die Revision wird, soweit sie den Spruchpunkt 2 des angefochtenen Erkenntnisses (Zurückweisung der Beschwerde gegen das Erkenntnis des Spruchsenates) betrifft, als unzulässig zurückgewiesen; und

2. zu Recht erkannt:

Die Revision wird, soweit sie Spruchpunkt 1 des angefochtenen Erkenntnisses (Wiedereinsetzung in den vorigen Stand) betrifft, als unbegründet abgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber wurde durch das in der Verhandlung vor dem Spruchsenat beim Finanzamt Wien 9/18/19 Klosterneuburg mündlich verkündete Erkenntnis vom 25. Jänner 2016 schuldig erkannt, hinsichtlich mehrerer näher angeführter Abgaben, das Finanzvergehen (richtig: die Finanzvergehen) der gewerbsmäßigen Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs. 1 iVm § 38 Abs. 1 FinStrG begangen zu haben, wofür über ihn eine Geldstrafe verhängt wurde. Am selben Tag meldete der Revisionswerber dagegen Beschwerde an.

2 Die schriftliche Ausfertigung des Spruchsenatserkenntnisses wurde einem der Verteidiger des Revisionswerbers am 18. Februar 2016 zugestellt.

3 Mit Schriftsatz vom 19. Mai 2016 brachte der Revisionswerber beim Finanzamt Wien 9/18/19 Klosterneuburg einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der (angemeldeten) Beschwerde ein und führte die Beschwerde aus. Den Wiedereinsetzungsantrag begründete er im Wesentlichen damit, die Anmeldung der Beschwerde sei durch den Verteidiger Mag. S erfolgt. Im Innenverhältnis der Verteidiger sei vereinbart gewesen, dass Mag. S. nach Einlangen des Erkenntnisses mit der Beschwerdeausführung befasst sei. Die schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses sei jedoch dem Verteidiger Mag. N. zugestellt worden. Mag. S. habe am 9. Mai 2016 eine Anfrage an Mag. N. gerichtet, ob diesem eine schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses übermittelt worden sei. Mag. N. habe am 10. Mai 2016 geantwortet, dass die schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses ihm am 18. Februar 2016 zugestellt und von einer Kanzleimitarbeiterin an Mag. S. weitergeleitet worden wäre. Mag. S. habe eruieren können, dass er die Mails von Mag. N. mit der Anweisung an seine Sekretärin, N. P., ausgedruckt habe, diese möge den zugehörigen Akt beischaffen und ihm diesen sodann samt Unterlagen aushändigen. N. P. habe völlig unvorhersehbar die Mails von Mag. N vom 18. Februar 2016 samt der Anlage (Spruchsenatserkenntnis) verlegt, weshalb in weiterer Folge die Vorlage an den Verteidiger unterblieben sei. Im Hinblick auf die bisherige absolute Zuverlässigkeit der Kanzleimitarbeiterin sei dem Verteidiger kein Organisationsverschulden anzulasten. Er habe sich drauf verlassen können, dass "das vorhandene Kontrollsystem, nämlich (nach erfolgter Aktbeischaffung und Zuordnung des Poststückes) einerseits die Fristeintragung ins Fristenbuch und nachfolgende Kontrolle durch ihn selbst" funktioniere. Der Fehler der Kanzleiangestellten sei damit zu erklären, dass zu diesem Zeitpunkt eine massive Arbeitsüberlastung wegen Kündigung einer weiteren Sekretariatskraft wenige Wochen zuvor und Einarbeitungsphase der neuen Sekretärin vorgeherrscht habe.

4 Mit zwei Bescheiden jeweils vom 5. Juli 2016 wies das Finanzamt Wien 9/18/19 Klosterneuburg die Beschwerde als nicht fristgerecht eingebracht zurück und den Wiedereinsetzungsantrag ab.

5 Der Revisionswerber erhob mit Schriftsatz vom 8. August 2016 Beschwerde gegen diese Bescheide des Finanzamtes und relevierte die Unzuständigkeit der belangten Behörde, weil nicht der Vorsitzende des Spruchsenates über den Wiedereinsetzungsantrag entschieden habe. Im Übrigen führte er ins Treffen, dass die Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages unzureichend begründet sei und im Wesentlichen nur aus bloßen Stehsätzen bestünde.

6 Das Bundesfinanzgericht wies mit dem angefochtenen Erkenntnis die Beschwerde, soweit sie sich gegen die Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages richtet, mit Spruchpunkt 1 und, soweit sie sich gegen die Zurückweisung der Beschwerde gegen das Spruchsenatserkenntnis richtet, mit Spruchpunkt 2, als unbegründet ab. Das Bundesfinanzgericht sprach aus, dass eine Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

7 Nach Schilderung des Verwaltungsgeschehens und Wiedergabe rechtlicher Bestimmungen des Finanzstrafgesetzes führte das Bundesfinanzgericht zunächst zur behaupteten Unzuständigkeit der belangten Behörde aus, der Vorsitzende des Spruchsenates könne nur im Rahmen bestimmter Handlungen eines Untersuchungsverfahrens kraft jeweiliger ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung als Organ der Finanzstrafbehörde tätig werden.

8 Dem behaupteten Begründungsmangel des den Wiedereinsetzungsantrag abweisenden Bescheides begegnete das Bundesfinanzgericht damit, dass es die Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages selbst begründete:

9 Nach der Aktenlage und den Angaben im Wiedereinsetzungsantrag sei der Revisionswerber durch drei ausgewiesene Verteidiger vertreten gewesen. Das Verschulden auch nur eines der Vertreter einer Partei an der Fristversäumung sei dem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten; das Verschulden eines Kanzleibediensteten eines bevollmächtigten Rechtsanwaltes sei nur dann als Verschulden anzurechnen, wenn der Rechtsanwalt die ihm zumutbare und nach der Sachlage gebotene Überwachungspflicht jenem Bediensteten gegenüber unterlassen habe. Dem Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag zufolge habe das "Hindernis" darin bestanden, dass der "federführende" Vertreter (Mag. S.) des Revisionswerbers das angefochtene Spruchsenatserkenntnis als e-mail vom Verteidiger Mag. N erhalten und ausgedruckt habe und dass dessen Weisung an seine langjährige und zuverlässige Mitarbeiterin, diese möge dem zugehörigen Akt beischaffen und ihm diesen sodann samt Unterlagen aushändigen, verletzt worden sei.

10 Sei die Kanzleileiterin eines Parteienvertreters mit der Entgegennahme der Post und der Führung des Fristenvormerks beauftragt und nehme der Parteienvertreter seine Überwachungspflicht betreffend diese Tätigkeit nicht wahr (indem er sich lediglich die Akten vorlegen lasse und den Aktenlauf so organisiert habe, dass ihm ein fehlender oder ein unrichtiger Eintrag im Vormerkbuch nicht auffallen könne), so sei darin ein grober Verstoß gegen die ihm obliegende Pflicht zu erblicken, von dem nicht gesagt werden könne, es handle sich nur um ein Versehen geringen Grades. Dem Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag sei darüber hinaus nicht einmal andeutungsweise zu entnehmen, inwieweit der Vertreter des Revisionswerbers die Vorlage von Eingangsstücken überwacht habe, das heißt mit welchen organisatorischen - allenfalls bloß stichprobenartigen - Maßnahmen er etwaiges Fehlverhalten aufgrund der ins Treffen geführten massiven Arbeitsüberlastung durch seine (erfahrene) Sekretärin zu begegnen versucht habe. Daher treffe im Revisionsfall den Vertreter ein dem Revisionswerber zuzurechnendes Verschulden in einem über einen minderen Grad des Versehens hinausreichenden Ausmaß.

11 Da das angefochtene Erkenntnis des Spruchsenates am 18. Februar 2016 zugestellt worden sei, sei die gemeinsam mit dem Wiedereinsetzungsantrag am 20. Mai 2016 bei der Finanzstrafbehörde eingelangte Ausführung der Beschwerde als nicht fristgerecht eingebracht zurückzuweisen gewesen.

12 Die dagegen erhobene außerordentliche Revision legte das Bundesfinanzgericht unter Anschluss der Akten des Verfahrens dem Verwaltungsgerichtshof vor.

13 Der Verwaltungsgerichtshof leitete das Vorverfahren ein (§ 36 VwGG); die belangte Behörde reichte eine Revisionsbeantwortung ein und beantragte die Abweisung der Revision.

14 Der Revisionswerber erachtet sich in Ausführung des Revisionspunktes zusammengefasst im Recht, dass über seinen Wiedereinsetzungsantrag der Vorsitzende des Spruchsenates entscheidet, und im Recht auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung einer angemeldeten Beschwerde gegen ein Erkenntnis des Spruchsenates verletzt.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

15 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

16 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nicht gebunden und hat er die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG im Rahmen der dafür in der Revision (gesondert) vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

17 Der Revisionswerber begründet die Zulässigkeit seiner Revision zusammengefasst damit, das angefochtene Erkenntnis weiche von der hg. Rechtsprechung zu § 167 Abs. 2 FinStrG ab, wonach der Vorsitzende Spruchsenates als Organ des Finanzamtes Wien 9/18/19, Klosterneuburg über den Wiedereinsetzungsantrag zu entscheiden gehabt hätte.

18 Die Revision ist zulässig, jedoch nicht berechtigt. 19 Gemäß § 58 Abs. 1 lit f des Finanzstrafgesetzes (FinStrG)

sind bei Finanzvergehen wie den im Revisionsfall in Rede stehenden die zur Erhebung der beeinträchtigten Abgaben oder zur Handhabung der verletzten Vorschriften zuständigen Finanzämter als Finanzstrafbehörden zur Durchführung des Finanzstrafverfahrens zuständig. Gemäß § 58 Abs. 1 lit g FinStrG ist das Finanzamt Wien 9/18/19 Klosterneuburg zur Durchführung des Finanzstrafverfahrens als Finanzstrafbehörde zuständig, wenn ua in den Fällen der lit f ein Finanzamt mit allgemeinem Aufgabenkreis mit Sitz in Wien zuständig wäre.

20 Gemäß § 58 Abs. 2 FinStrG obliegt die Durchführung der mündlichen Verhandlung und die Fällung des Erkenntnisses, soweit nicht gerichtliche Zuständigkeit gemäß § 53 leg cit gegeben ist, einem Spruchsenat als Organ der Finanzstrafbehörde, wenn näher angeführte Voraussetzung erfüllt sind.

21 Im Verfahren vor dem Spruchsenat hat gemäß § 134 FinStrG der Vorsitzende nach Schluss der mündlichen Verhandlung aufgrund der Ergebnisse der Beratung und Abstimmung das Erkenntnis öffentlich zu verkünden und hiebei die wesentlichen Entscheidungsgründe bekanntzugeben.

22 Das Erkenntnis ist gemäß § 141 Abs. 1 FinStrG schriftlich auszufertigen; Ausfertigungen des Erkenntnisses sind ua dem Beschuldigten zuzustellen.

23 Rechtsmittel im Finanzstrafverfahren ist gemäß § 150 Abs. 1 FinStrG die Beschwerde an das Bundesfinanzgericht. Die Rechtsmittelfrist beträgt gemäß § 150 Abs. 2 leg cit einen Monat und beginnt mit der Zustellung des angefochtenen Erkenntnisses.

24 § 150 Abs. 3 und 4 FinStrG lautet:

"(3) Die Beschwerde ist bei der Behörde einzubringen, die das angefochtene Erkenntnis (den Bescheid) erlassen hat oder deren Säumigkeit behauptet wird. Sie gilt auch als rechtzeitig eingebracht, wenn sie innerhalb der Beschwerdefrist beim Bundesfinanzgericht eingebracht worden ist. Dies gilt für eine Beschwerde gegen die Ausübung unmittelbarer finanzstrafbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt sinngemäß; eine

solche Beschwerde ... Die Einbringung bei einer anderen Stelle

gilt, sofern nicht § 140 Abs. 4 anzuwenden ist, nur dann als rechtzeitig, wenn die Beschwerde noch vor Ablauf der Beschwerdefrist einer zuständigen Behörde oder dem Bundesfinanzgericht zukommt.

(4) Wurde ein Erkenntnis mündlich verkündet, so ist die Erhebung einer Beschwerde dagegen innerhalb einer Woche bei der Behörde, die das anzufechtende Erkenntnis erlassen hat, schriftlich oder mündlich zu Protokoll anzumelden. Eine angemeldete Beschwerde ist innerhalb der Frist gemäß Abs. 2 einzubringen. Eine nicht oder verspätet angemeldete Beschwerde ist zurückzuweisen, es sei denn, sie wurde von einer gemäß § 151 Abs. 1 berechtigten Person eingebracht, die bei der mündlichen Verhandlung weder anwesend noch vertreten war."

25 Gemäß § 156 Abs. 1 FinStrG hat die Finanzstrafbehörde eine Beschwerde, die gegen ein von ihr erlassenes Erkenntnis eingebracht worden ist, durch Bescheid ua dann zurückzuweisen, wenn die Beschwerde nicht fristgerecht eingebracht wurde.

26 Das Bundesfinanzgericht hat gemäß § 156 Abs. 4 FinStrG ua zu prüfen, ob ein von der Finanzstrafbehörde nicht aufgegriffener Grund zur Zurückweisung vorliegt, und hat erforderlichenfalls selbst sinngemäß nach § 156 Abs. 1 leg cit mit Beschluss vorzugehen.

27 Sofern nicht gemäß § 156 mit Beschluss die Beschwerde zurückzuweisen ist, hat das Bundesfinanzgericht gemäß § 161 Abs. 1 FinStrG in der Sache selbst mit Erkenntnis zu entscheiden.

28 Gemäß § 167 Abs. 1 FinStrG ist gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung auf Antrag des Beschuldigten eines anhängigen oder abgeschlossenen Finanzstrafverfahrens die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn der Antragsteller durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet und glaubhaft macht, dass er durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten. Dass dem Beschuldigten ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

29 § 167 Abs. 2 FinStrG idF des Finanzverwaltungsgerichtsbarkeitsgesetzes 2012, BGBl. I Nr. 14/2013, (FVwGG 2012) lautet:

"(2) Der Antrag auf Wiedereinsetzung muss binnen Monatsfrist nach Aufhören des Hindernisses bei der Finanzstrafbehörde oder beim Bundesfinanzgericht gestellt werden, je nachdem, ob die Frist bei der Finanzstrafbehörde oder beim Bundesfinanzgericht wahrzunehmen war oder dort die Verhandlung stattfinden sollte. Diese sind auch jeweils zur Entscheidung über den Antrag berufen. Das Bundesfinanzgericht entscheidet mit Beschluss. War die Frist beim Spruchsenat wahrzunehmen oder sollte die Verhandlung vor dem Spruchsenat stattfinden, entscheidet der Vorsitzende des Spruchsenates über den Wiedereinsetzungsantrag."

30 Die Materialien zum FVwGG 2012 (ErlRV 2007 BlgNR, 24. GP , 27) führen dazu aus:

"Der Antrag auf Wiedereinsetzung soll bei der Stelle (Finanzstrafbehörde oder Bundesfinanzgericht) gestellt werden, bei der die Frist wahrzunehmen war oder die Verhandlung versäumt wurde. Um allfällige Unklarheiten hinsichtlich der Entscheidungsbefugnis über Wiedereinsetzungsanträge, die beim Spruchsenat versäumte Fristen oder Verhandlungen betreffen, zu beseitigen, soll eine entsprechende Klarstellung erfolgen."

31 Strittig ist im Revisionsfall, ob über den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen ein Erkenntnis des Spruchsenates der Vorsitzende des Spruchsenates zu entscheiden hat.

32 Gemäß § 150 Abs. 3 FinStrG war die Beschwerde im Revisionsfall beim Finanzamt 9/18/19 Klosterneuburg als Finanzstrafbehörde einzubringen. Denn das Finanzamt ist jene Behörde, welche das angefochtene Erkenntnis erlassen hat. Der Spruchsenat bei diesem Finanzamt ist dem klaren Wortlaut des § 58 Abs. 2 FinStrG nicht eigene Finanzstrafbehörde, sondern handelt als Organ des Finanzamtes, welches in diesen Fällen die Finanzstrafbehörde ist.

33 Gemäß § 167 Abs. 2 erster Satz FinStrG war daher der Antrag auf Wiedereinsetzung gegen Versäumung der Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen das Erkenntnis des Spruchsenates bei der Finanzstrafbehörde, somit beim Finanzamt 9/18/19 Klosterneuburg einzubringen, denn bei diesem Finanzamt als Finanzstrafbehörde war die Frist (Beschwerdefrist) wahrzunehmen. Damit war das Finanzamt 9/18/19 Klosterneuburg als Finanzstrafbehörde zur Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag berufen.

34 Die vom Revisionswerber ins Treffen geführte Bestimmung des § 167 Abs. 2 letzter Satz FinStrG ist im Revisionsfall nicht einschlägig, denn die Frist (Beschwerdefrist) war nicht beim Spruchsenat wahrzunehmen. § 167 Abs. 2 vierter Satz zweite Alternative ("oder sollte die Verhandlung für den Spruchsenat stattfinden") kommt im Revisionsfall nicht in Betracht, weil sich der Antrag auf Wiedereinsetzung nicht gegen die Versäumung einer Verhandlung vor dem Spruchsenat, sondern gegen die Versäumung der Beschwerdefrist richtet.

35 Damit hatte - entgegen der Ansicht des Revisionswerbers - nicht der Vorsitzende des Spruchsenates über den vom Revisionswerber eingebrachten Wiedereinsetzungsantrag zu entscheiden. Die behauptete Unzuständigkeit des Finanzamtes Wien 9/18/19 Klosterneuburg als Finanzstrafbehörde bei der Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag lag daher nicht vor.

36 Der Revisionswerber trägt gegen die vom Bundesfinanzgericht bestätigte Abweisung des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vor, einem Rechtsanwalt, der seiner sehr verlässlichen, sehr erfahrenen und bisher tadellos arbeitenden Sekretärin die Weisung erteilt habe, ihm ein soeben in der Kanzlei eingegangenes Schriftstück mit dem dazu gehörigen Akt sogleich vorzulegen, müsse zugestanden werden, dass er sich darauf verlassen könne, dass ihm der Akt samt Schriftstück auch vorgelegt werde und das Schriftstück nicht plötzlich irgendwo in der Kanzlei - möglicherweise in einem anderen Akt - verschwinde.

37 Ein dem Rechtsvertreter widerfahrenes Ereignis stellt nur dann einen Wiedereinsetzungsgrund für die Partei dar, wenn dieses Ereignis für den Vertreter selbst unvorhergesehen oder unabwendbar war und es sich hiebei höchstens um einen minderen Grad des Versehens gehandelt hat (vgl. etwa den hg. Beschluss vom 27. Mai 2014, 2014/16/0001).

38 Handlungen und das Verschulden des Vertreters einer Partei sind dem Vertretenen zuzurechnen (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 27. Jänner 2011, 2010/15/0149, VwSlg 8.612/F, und vom 11. März 2010, 2008/16/0034).

39 Der Parteienvertreter selbst ist für die Berechnung einer Frist (etwa für ein Rechtsmittel) verantwortlich; er hat ihre Vormerkung anzuordnen und die richtige Eintragung im Kalender im Rahmen seiner Aufsichtspflicht zu überwachen (vgl. etwa die hg. Beschlüsse vom 6. April 2016, Ra 2016/03/0005, und vom 16. Dezember 2004, 2004/16/0198).

40 Dem Verschulden der Partei selbst an der Fristversäumung ist ein Verschulden des Vertreters, nicht jedoch ein Verschulden anderer Personen gleichzuhalten. Führt das Fehlverhalten anderer Personen, etwa das von Angestellten, zu einer Fristversäumung, so ist zu prüfen, ob der Parteienvertreter (oder die Partei selbst) dadurch ein schuldhaftes Verhalten gesetzt hat, dass er (oder sie) eine ihm (oder ihr) auferlegte Sorgfaltspflicht außer Acht gelassen hat. Das Verschulden von Kanzleikräften stellt für den Vertreter dann ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis dar, wenn der Vertreter der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht nachgekommen ist (vgl. etwa den hg. Beschluss vom 27. November 2014, Ra 2014/15/0009).

41 Dabei ist durch entsprechende Kontrollen dafür vorzusorgen, dass Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auch auszuschließen sind. Der Vertreter hat ein wirksames Kontrollsystem vorzusehen, das im Fall des Versagens einer Kanzleikraft Fristversäumungen auszuschließen geeignet ist (vgl. etwa die hg. Beschlüsse vom 28. März 2014, 2014/16/0004, und vom 21. November 2013, 2013/16/0196).

42 Rein mechanische Vorgänge, wie etwa das Kuvertieren oder die Postaufgabe, kann der Vertreter der alleinigen Erledigung der Kanzlei überlassen (vgl. etwa den hg. Beschluss vom 19. September 2013, 2013/15/0248). Fehler durch zuverlässige Angestellte einer Kanzlei im rein manipulativen Bereich können zur Wiedereinsetzung führen (vgl. etwa die hg. Beschlüsse vom 20. November 2012, 2012/13/0105, und vom 16. Dezember 2008, 2008/16/0140). Allerdings muss ein Kontrollsystem bestehen, solche Fehler zu verhindern (vgl. etwa den hg. Beschluss vom 19. April 2006, 2006/13/0050).

43 Vor dem Hintergrund der dargestellten Rechtslage ist es nicht für rechtswidrig zu befinden, wenn das Bundesfinanzgericht im Instanzenzug den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgewiesen hat, weil es - vom Revisionswerber insoweit unbekämpft - festgestellt hat, dass dem Antrag auf Wiedereinsetzung nicht zu entnehmen sei, inwieweit der Verteidiger Mag. S die Vorlage von Eingangsstücken überwachte und welche organisatorische Maßnahmen er im Hinblick auf die ins Treffen geführte massive Arbeitsüberlastung seiner erfahrenen Sekretärin gegen deren etwaiges Fehlverhalten gesetzt hätte.

44 Die Revision war daher soweit sie sich gegen die Abweisung des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand richtet, gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

45 Zur Zurückweisung der Beschwerde gegen das Spruchsenatserkenntnis als verspätet enthält die Revision keine Begründung iSd § 28 Abs. 3 VwGG, weshalb dazu eine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG vorläge. Auch vom geltend gemachten Revisionspunkt (§ 28 Abs. 1 Z 4 VwGG) ist die Zurückweisung der Beschwerde gegen das Spruchsenatserkenntnis nicht erfasst. Insoweit war die Revision daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG mit Beschluss zurückzuweisen.

46 Einen Aufwandersatz hat die belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht in ihrer Revisionsbeantwortung nicht beantragt.

Wien, am 19. Oktober 2017

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