VwGH Ro 2016/21/0019

VwGHRo 2016/21/001931.8.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Honeder, über die Revision des M B, vertreten durch Mag.a Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Burggasse 116, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Juni 2016, Zl. W196 1263599-2/9E, betreffend Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 2005 §55;
AsylG 2005 §57 Abs1 Z1 idF 2015/I/070;
AsylG 2005 §58 Abs11;
AsylGDV 2005 §4 Abs1 Z2;
AsylGDV 2005 §4 Abs1 Z3;
AVG §38;
AVG §56;
AVG §68 Abs1;
FrPolG 2005 §46a Abs1 Z1 idF 2015/I/070;
FrPolG 2005 §46a Abs1 Z1;
FrPolG 2005 §46a Abs1 Z3 idF 2015/I/070;
FrPolG 2005 §46a Abs1 Z3;
FrPolG 2005 §46a Abs4 idF 2015/I/070;
FrPolG 2005 §46a idF 2015/I/070;
VwGVG 2014 §17;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

1 Mit einem am 16. Juli 2014 eingebrachten Antrag begehrte der Revisionswerber, nach seinen Angaben ein Staatsangehöriger von Sierra Leone, die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005. Begründend führte er im Wesentlichen aus, dass ihm mit 12. April 2013 erstmalig eine Karte für Geduldete ausgestellt worden sei und dass die Voraussetzungen für die Duldung weiterhin vorlägen. Darüber hinaus verwies er darauf, dass er sich während seines nunmehr über zehnjährigen Aufenthalts in Österreich sehr gut integriert habe. Er habe in Österreich den Hauptschulabschluss nachgeholt und erfolgreich einen Lehrberuf erlernt. Er habe im März 2013 die dritte Fachklasse für den Lehrberuf Maler und Anstreicher mit gutem Erfolg abgeschlossen. Im September 2014 werde er den praktischen Teil der Lehrabschlussprüfung absolvieren. Er habe in zahlreichen Praktika bereits Erfahrung in seinem zukünftigen Berufsfeld gesammelt.

2 Mit Säumnisbeschwerde vom 19. April 2015 beantragte der Revisionswerber, das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) möge über seinen Antrag vom 16. Juli 2014 auf Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 entscheiden und ihm eine Aufenthaltsberechtigung erteilen. Die Entscheidungsfrist des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) sei bereits verstrichen. Ergänzend führte er noch aus, dass ihm auch 2014 eine Karte für Geduldete ausgestellt worden sei, er über eine Unterkunft sowie Krankenversicherung verfüge und auch die Abschlussklasse seiner Lehrausbildung absolviert habe.

3 In einer an das BVwG gerichteten Eingabe vom 13. Juni 2016 erklärte der Revisionswerber, dass die Nichtverfügbarkeit eines Identitätsdokuments nach seinem rechtlichen Verständnis kein Hindernis für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 darstelle. Hierfür sprächen der Zweck sowie die Systematik der zitierten Bestimmung, weil ihm im Falle einer Verschleierung der Identität die Duldungseigenschaft gar nicht zuerkannt worden wäre. "Aus juristischer Vorsicht" ergehe "dennoch der Antrag, die Heilung von Verfahrensmängeln (insbesondere die Nichtvorlage eines Identitätsdokuments) im gegenständlichen Verfahren zuzulassen, da ein Grund gemäß § 4 Abs. 1 Z 2 AsylG-DV vorliegt, d.h. dass zur Aufrechterhaltung des Privatlebens im Sinne des Art. 8 EMRK, das Zulassen des Antrages auf Heilung des Mangels notwendig ist."

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das BVwG den Antrag des Revisionswerbers gemäß § 57 iVm § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG 2005 iVm mit § 4 Abs. 1 Z 3 AsylG-DV 2005 zurück.

5 Begründend führte das BVwG aus, dass der Revisionswerber am 10. Februar 2004 einen Asylantrag gestellt habe, wobei er angegeben habe, ein Staatsangehöriger von Sierra Leone zu sein. Dieser Antrag sei mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 15. Juli 2005 abgewiesen worden, es sei die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Sierra Leone für zulässig erklärt worden, und der Revisionswerber sei aus dem Bundesgebiet ausgewiesen worden. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde sei mit Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 1. Juni 2007 abgewiesen worden.

6 Das am 17. August 2007 an das Generalkonsulat von Sierra Leone gestellte Ersuchen um Ausstellung eines Heimreisezertifikats sei abgelehnt worden, wobei das Generalkonsulat mitgeteilt habe, den Revisionswerber nicht als Staatsangehörigen von Sierra Leone anzuerkennen. Er hätte zu geringe Ortskenntnisse seiner angeblichen Heimat dokumentieren können, besäße keinerlei Dokumente der Republik Sierra Leone und hätte keine Angaben betreffend allfällige Verwandte oder Bekannte in Sierra Leone machen können.

7 Im Zuge mehrerer niederschriftlicher Einvernahmen vor der Bundespolizeidirektion Wien sei der Revisionswerber bei seinen ursprünglichen Angaben hinsichtlich seiner Staatsangehörigkeit geblieben.

8 Im Akt befänden sich drei (im Jänner und Februar 2008 eingeholte) Sprachanalysegutachten. Aus allen ergebe sich, dass der Antragsteller eine Variante des Englischen spreche, die offensichtlich nicht in Sierra Leone gesprochen werde. Laut dem zweiten Gutachten werde diese Variante sehr wahrscheinlich in Nigeria oder möglicherweise Gambia gesprochen, laut dem dritten, von einem Analytiker aus Gambia erstellten Gutachten offensichtlich in Gambia (ebenso wie die vom Revisionswerber gesprochene Variante von Mandingo).

9 Am 17. Juni 2009 sei ein Ersuchen um Ausstellung eines Heimreisezertifikats an die Botschaft der Republik Nigeria gestellt worden, das unbeantwortet geblieben sei. Am 1. Dezember 2009 sei ein weiteres diesbezügliches Ersuchen ergangen. In einem Aktenvermerk der Fremdenpolizei vom 28. Mai 2010 sei festgehalten worden, dass die Ausstellung eines Heimreisezertifikats durch die Botschaft der Republik Nigeria nicht zu erwarten sei, weil der Revisionswerber angebe, Staatsangehöriger von Sierra Leone zu sein und nach Auffassung der nigerianischen Delegation auch von dort stamme.

10 Am 4. April 2011 sei der Revisionswerber vor die Delegation des Honorarkonsulats der Republik Gambia geladen worden. Aus einem E-Mail vom 18. April 2011 ergebe sich, dass seine Identität durch die Delegation nicht einwandfrei habe festgestellt werden können und daher nochmals in Bajul überprüft werden müsse. Aus einem E-Mail des Bundesministeriums für Inneres vom 30. August 2012 gehe hervor, dass bis dato noch keine neuen Erkenntnisse aus Bajul bekannt seien.

11 In seiner rechtlichen Beurteilung führte das BVwG - nachdem es seine Zuständigkeit zur Entscheidung auf Grund der Säumnisbeschwerde bejaht hatte - aus, dass es die tatsächliche Identität des Revisionswerbers zu ermitteln habe. Die Mitwirkungspflicht des Revisionswerbers umfasse dabei alle Handlungen, die zur Beschaffung eines fehlenden Identitätspapiers erforderlich seien und nur persönlich vorgenommen werden könnten. Dazu gehöre auch die Vorsprache bei der diplomatischen oder konsularischen Vertretung des Heimatstaates.

12 Ein Antrag nach § 57 AsylG 2005 könne unter anderem dann als unzulässig zurückgewiesen werden, wenn der Drittstaatsangehörige seiner Mitwirkungspflicht gemäß § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG 2005 nicht im erforderlichen Ausmaß nachkomme.

13 Der Revisionswerber halte sich nach rechtskräftiger Abweisung seines Asylantrags im Jahr 2007 illegal im Bundesgebiet auf. Er weigere sich, das Land zu verlassen, verschleiere durch Nichtvorlage von entsprechenden Dokumenten seine Identität und verhindere dadurch das Erlangen eines Heimreisezertifikats. Er sei seit dem Jahr 2012 "zuletzt bis 8. Juni 2016" im Besitz einer Duldungskarte gewesen, weil seine Identität nicht feststellbar sei.

14 Er habe während des gesamten Verfahrens seine tatsächliche Herkunft verschleiert. So habe er darauf beharrt, aus Sierra Leone zu stammen, was jedoch durch die eingeholten Sprachanalysegutachten nicht zu verifizieren gewesen sei. Er sei auch während des gesamten Verfahrens nicht in der Lage gewesen, dem Ergebnis der Sprachanalyse bzw. den Ausführungen der Delegation von Sierra Leone betreffend seine mangelnden Ortskenntnisse sowie Angaben über Verwandte und Bekannte nachvollziehbare Argumente entgegen zu halten, sondern habe ohne nähere Begründung darauf beharrt, aus dem von ihm angegebenen Herkunftsstaat zu kommen.

15 Es treffe zwar zu, dass der Revisionswerber sämtliche Ladungen zu Botschaftsterminen wahrgenommen habe, eigene Bemühungen zur Erlangung eines Identitätsdokuments oder Heimreisezertifikats seien jedoch unterblieben.

16 So habe er in der niederschriftlichen Einvernahme vor der Bundespolizeidirektion Wien am 7. November 2007 eingeräumt, selbständig keinen Kontakt mit seiner Botschaft aufgenommen zu haben. Er habe zwar eine neuerliche Vorsprache bei der Botschaft angekündigt; dass er dies tatsächlich umgesetzt habe, habe sich im Verfahren jedoch nicht ergeben. Aus dem Akt gehe nicht hervor, dass der Revisionswerber jemals einen Antrag auf Ausstellung eines Reisepasses oder sonstigen Identitätsdokuments gestellt hätte; dies werde von ihm auch nicht behauptet.

17 Der Revisionswerber habe daher im gegenständlichen Verfahren nicht im Sinn des § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG 2005 ausreichend mitgewirkt. Im Lichte der bisherigen Ausführungen bestehe auch kein Raum für die Annahme, es würden die Voraussetzungen für eine Mängelheilung nach § 4 Abs. 1 Z 3 AsylG-DV 2005 vorliegen.

18 Insgesamt seien somit die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 nicht vorgelegen.

19 Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig sei, weil keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dahingehend ersichtlich sei, wie weit die Mitwirkungspflicht nach § 58 Abs. 11 AsylG 2005 im Verfahren zur Erteilung eines Aufenthaltstitels reiche.

20 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens durch das BVwG - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - erwogen hat:

21 1. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

22 Auch in der ordentlichen Revision hat der Revisionswerber von sich aus die unter dem Gesichtspunkt einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung maßgeblichen Gründe der Zulässigkeit der Revision anzusprechen, sofern er der Ansicht ist, dass die Begründung des Verwaltungsgerichts für die Zulässigkeit der Revision nicht ausreicht oder er andere Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung für relevant erachtet (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 11. Mai 2017, Ra 2015/21/0240 u.a., mwN).

23 Der Revisionswerber bringt unter diesem Gesichtspunkt unter anderem vor, dass er seiner Mitwirkungspflicht nachgekommen sei, was durch die wiederholte Ausstellung bzw. Verlängerung der Karte für Geduldete mehrfach rechtsverbindlich festgestellt worden sei. Ein weiterer Verlängerungsantrag sei derzeit beim BFA anhängig. Es gebe noch keine Rechtsprechung zu der Frage, ob die Zurückweisung eines Antrags auf Erteilung einer "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" gemäß § 57 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 in Widerspruch zur Ausstellung einer Karte für Geduldete und deren mehrmaliger Verlängerung stehe. Indem § 57 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 als Tatbestandsvoraussetzung auf das Vorliegen der Voraussetzungen der Duldung abstelle, werde die Frage der Verschleierung der Identität bereits hier zum Gegenstand des Verfahrens als inhaltliche Erteilungsvoraussetzung gemacht. Eine redundante Überprüfung im Rahmen des § 58 Abs. 11 AsylG 2005 könne von der Gesetzgebung nicht intendiert gewesen sein. Werde die Vorlage eines Identitätsdokuments zur Erfolgsvoraussetzung eines Antrages gemäß § 57 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 gemacht, komme es in jenen Fällen zu einem unauflösbaren Konflikt, in denen der Fremde gemäß § 46a Abs. 1 Z 3 FPG geduldet worden sei, handle es sich dabei doch in den meisten Fällen um Fremde, die deswegen nicht abgeschoben werden könnten, weil ihre Identität nicht feststehe.

24 Die Revision erweist sich wegen der Notwendigkeit der Klarstellung der Rechtslage als zulässig.

25 2. § 46a FPG in der seit 20. Juli 2015 geltenden Fassung des FrÄG 2015 lautet auszugsweise (wobei gemäß § 125 Abs. 28 FPG vor dem 20. Juli 2015 geduldete Aufenthalte als Duldung nach § 46a Abs. 1 Z 1 bis 4 FPG in der geänderten Fassung gelten):

"§ 46a. (1) Der Aufenthalt von Fremden im Bundesgebiet ist zu dulden, solange

...

3. deren Abschiebung aus tatsächlichen, vom Fremden nicht

zu vertretenen Gründen unmöglich erscheint oder

...

(2) Die Duldung gemäß Abs. 1 Z 3 kann vom Bundesamt mit Auflagen verbunden werden; sie endet jedenfalls mit Wegfall der Hinderungsgründe. Die festgesetzten Auflagen sind dem Fremden vom Bundesamt mit Verfahrensanordnung (§ 7 Abs. 1 VwGVG) während des anhängigen Verfahrens mitzuteilen; über sie ist insbesondere hinsichtlich ihrer Fortdauer im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen. § 56 gilt sinngemäß.

(3) Vom Fremden zu vertretende Gründe liegen jedenfalls vor,

wenn er

1. seine Identität verschleiert,

2. einen Ladungstermin zur Klärung seiner Identität oder

zur Einholung eines Ersatzreisedokumentes nicht befolgt oder

3. an den zur Erlangung eines Ersatzreisedokumentes

notwendigen Schritten nicht mitwirkt oder diese vereitelt.

(4) Bei Vorliegen der Voraussetzungen nach Abs. 1 hat das Bundesamt von Amts wegen oder auf Antrag eine Karte für Geduldete auszustellen. Im Antrag ist der Grund der Duldung gemäß Abs. 1 Z 1, 2, 3 oder 4 zu bezeichnen. Die Karte dient dem Nachweis der Identität des Fremden im Verfahren vor dem Bundesamt und hat insbesondere die Bezeichnungen ‚Republik Österreich' und ‚Karte für Geduldete', weiters Namen, Geschlecht, Geburtsdatum, Staatsangehörigkeit, Lichtbild und Unterschrift des Geduldeten sowie die Bezeichnung der Behörde, Datum der Ausstellung und Namen des Genehmigenden zu enthalten. Die nähere Gestaltung der Karte legt der Bundesminister für Inneres durch Verordnung fest.

(5) Die Karte für Geduldete gilt ein Jahr beginnend mit dem

Ausstellungsdatum und wird im Falle des weiteren Vorliegens der

Voraussetzungen nach Abs. 1 über Antrag des Fremden für jeweils

ein weiteres Jahr verlängert. Die Karte ist zu entziehen, wenn

1. deren Gültigkeitsdauer abgelaufen ist;

2. die Voraussetzungen der Duldung im Sinne des Abs. 1

nicht oder nicht mehr vorliegen;

3. das Lichtbild auf der Karte den Inhaber nicht mehr

zweifelsfrei erkennen lässt oder

4. andere amtliche Eintragungen auf der Karte unlesbar

geworden sind.

Der Fremde hat die Karte unverzüglich dem Bundesamt vorzulegen, wenn die Karte entzogen wurde oder Umstände vorliegen, die eine Entziehung rechtfertigen würden. Wurde die Karte entzogen oder ist diese vorzulegen, sind die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und das Bundesamt ermächtigt, die Karte abzunehmen. Von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes abgenommene Karten sind unverzüglich dem Bundesamt vorzulegen.

(6) Der Aufenthalt des Fremden gilt mit Ausfolgung der Karte als geduldet, es sei denn das Vorliegen der Voraussetzungen nach Abs. 1 wurde bereits zu einem früheren Zeitpunkt rechtskräftig festgestellt. Diesfalls gilt der Aufenthalt ab dem Zeitpunkt der Rechtskraft der Feststellung als geduldet."

26 § 57 Abs. 1 AsylG 2005 idF des FrÄG 2015 lautet auszugsweise:

"§ 57. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' zu erteilen:

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im

Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

2. ..."

27 § 58 Abs. 11 AsylG 2005 lautet:

"§ 58 (11) Kommt der Drittstaatsangehörige seiner allgemeinen

Mitwirkungspflicht im erforderlichen Ausmaß, insbesondere im

Hinblick auf die Ermittlung und Überprüfung erkennungsdienstlicher

Daten, nicht nach, ist

1. das Verfahren zur Ausfolgung des von Amts wegen zu

erteilenden Aufenthaltstitels (Abs. 4) ohne weiteres einzustellen

oder

2. der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels

zurückzuweisen.

Über diesen Umstand ist der Drittstaatsangehörige zu belehren."

28 Die maßgeblichen Bestimmungen der AsylG-DV 2005 lauten:

"§ 4. (1) Die Behörde kann auf begründeten Antrag von Drittstaatsangehörigen die Heilung eines Mangels nach § 8 und § 58 Abs. 5, 6 und 12 AsylG 2005 zulassen:

1. im Fall eines unbegleiteten Minderjährigen zur Wahrung

des Kindeswohls,

2. zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im

Sinne des Art. 8 EMRK oder

3. im Fall der Nichtvorlage erforderlicher Urkunden oder

Nachweise, wenn deren Beschaffung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war.

(2) Beabsichtigt die Behörde den Antrag nach Abs. 1 zurück- oder abzuweisen, so hat die Behörde darüber im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen."

"§ 8. (1) Folgende Urkunden und Nachweise sind - unbeschadet weiterer Urkunden und Nachweise nach den Abs. 2 und 3 - im amtswegigen Verfahren zur Erteilung eines Aufenthaltstitels (§ 3) beizubringen oder dem Antrag auf Ausstellung eines Aufenthaltstitels (§ 3) anzuschließen:

  1. 1. gültiges Reisedokument (§ 2 Abs. 1 Z 2 und 3 NAG);

2. Geburtsurkunde oder ein dieser gleichzuhaltendes Dokument;

3. Lichtbild des Antragstellers gemäß § 5;

4. erforderlichenfalls Heiratsurkunde, Urkunde über die

Ehescheidung, Partnerschaftsurkunde, Urkunde über die Auflösung

der eingetragenen Partnerschaft, Urkunde über die Annahme an

Kindesstatt, Nachweis oder Urkunde über das

Verwandtschaftsverhältnis, Sterbeurkunde.

(2) ...

(3) Ein Nachweis über die Duldung ist zusätzlich zu den in Abs. 1 genannten Urkunden und Nachweisen dem Antrag auf Ausstellung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 anzuschließen.

(4) ..."

29 3. Dem Revisionswerber ist insoweit zuzustimmen, als bei Aufenthaltstiteln nach § 57 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 die Voraussetzungen für die verfahrensrechtliche Heilung nach § 4 Abs. 1 Z 3 AsylG-DV 2005 mit den materiellen Voraussetzungen für die Titelerteilung zusammenfallen können (ähnlich wie im Fall von Aufenthaltstiteln nach § 55 AsylG 2005 im Verhältnis zum Heilungstatbestand des § 4 Abs. 1 Z 2 AsylG-DV 2005 - vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 26. Jänner 2017, Ra 2016/21/0168, Rz 29).

§ 57 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 verlangt nämlich unter anderem, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen. Liegen die Voraussetzungen für eine Duldung nach § 46a Abs. 1 Z 3 FPG weiterhin vor - ist also die Abschiebung aus tatsächlichen, vom Fremden nicht zu vertretenden Gründen nicht möglich -, so wird einem Heilungsantrag im Hinblick auf die Nichtvorlage von Identitätsnachweisen immer dann gemäß § 4 Abs. 1 Z 3 AsylG-DV 2005 stattzugeben sein, wenn die vom Fremden nicht zu vertretenden Gründe für die Unmöglichkeit der Abschiebung darin liegen, dass die Beschaffung der notwendigen Urkunden oder Nachweise für den Fremden (im Sinn des § 4 Abs. 1 Z 3 AsylG-DV 2005) nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war. Das bedeutet, dass ein (mit einem Heilungsantrag verbundener) Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 in aller Regel nicht gemäß § 58 Abs. 11 AsylG 2005 wegen der Nichtvorlage von Identitätsdokumenten zurückgewiesen werden darf, wenn die Voraussetzungen für eine Duldung nach § 46a Abs. 1 Z 3 FPG weiterhin vorliegen; das Feststehen der Verfahrensidentität des Antragstellers ist in einem solchen Fall als ausreichend anzusehen (vgl. in diesem Sinn - zu Aufenthaltstiteln nach § 55 AsylG 2005 - auch das hg. Erkenntnis vom 15. September 2016, Ra 2016/21/0187, Punkt 2.2. der Entscheidungsgründe).

30 Es trifft allerdings nicht zu, dass aus der - wenn auch wiederholten - Ausstellung einer Karte für Geduldete in der Vergangenheit oder auch aus dem Vorhandensein einer noch gültigen Karte zwingend zu schließen ist, dass die Voraussetzungen für die Duldung im Sinn des § 57 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 "weiterhin vorliegen". Für in der Vergangenheit ausgestellte und bereits abgelaufene Karten folgt das schon aus ihrem begrenzten zeitlichen Geltungsbereich. Aber auch eine noch gültige Karte für Geduldete steht einer abweichenden Beurteilung der Voraussetzungen für die Duldung im Verfahren nach § 57 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 nicht entgegen: Nach der wiedergegebenen geltenden (und für den letzten -

offenbar aber ohnedies noch nicht entschiedenen - Verlängerungsantrag des Revisionswerbers maßgeblichen) Fassung des § 46a FPG ist der Ausstellung einer Karte für Geduldete nämlich jedenfalls keine Feststellung über die tatsächliche, vom Fremden nicht zu vertretende Unmöglichkeit der Abschiebung vorgeschaltet. Liegen die Voraussetzungen des § 46a Abs. 1 Z 3 FPG vor, ist die Karte gemäß Abs. 4 von Amts wegen oder auf Antrag auszustellen. Die Behörde hat - nur als Vorfrage - zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Duldung (hier: ob die Abschiebung aus tatsächlichen, vom Fremden nicht zu vertretenden Gründen unmöglich erscheint) vorliegen und je nach Prüfungsergebnis die Karte auszustellen oder den Antrag abzuweisen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. Juni 2016, Ra 2016/21/0078).

31 Da diese Voraussetzungen somit nicht spruchgemäß festgestellt werden, entfaltet ihre Bejahung durch die Behörde (oder durch das BVwG im Beschwerdeverfahren) keine Bindungswirkung für andere Verfahren. Hängen nämlich zwei Verfahren von derselben Vorfrage ab, bindet die Beurteilung dieser Frage in einem Verfahren die Behörde bei der Entscheidung im anderen Verfahren nicht, weil sich die (gegenseitige) Bindung der Gerichte und der Verwaltungsbehörden im Allgemeinen nur so weit erstreckt wie die Rechtskraft reicht, das heißt sie erfasst nur den Inhalt des Spruchs, nicht aber die in der Begründung vorgenommene Beurteilung von Vorfragen (vgl. dazu etwa die hg. Erkenntnisse vom 23. März 2006, Zl. 2004/07/0047, und vom 31. März 2003, Zl. 2001/10/0093).

32 Die Behörde (bzw. das BVwG) ist also bei der inhaltlichen Entscheidung über den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz zwar bei der Beurteilung des ersten Tatbestandselements des § 57 Abs. 1 Z 1 erster Halbsatz AsylG 2005, dass "der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist", an das Vorhandensein einer bereits ausgestellten Karte für Geduldete gebunden, nicht aber bei der Prüfung des zweiten Tatbestandselements des § 57 Abs. 1 Z 1 erster Halbsatz AsylG 2005, dass "die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen". Letzteres ist vielmehr im Verfahren über die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach der genannten Bestimmung unabhängig von einer allenfalls noch gültigen Duldungskarte zu beurteilen.

33 Das BVwG hatte daher im Rahmen des gegenständlichen Verfahrens selbständig zu beantworten, ob dem Revisionswerber die Beschaffung der Identitätsdokumente, die einerseits im Verfahren betreffend den Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005 vorzulegen gewesen wären und die andererseits für seine Abschiebung benötigt wurden, möglich und zumutbar war. In diesem Sinn hat es schlüssig und nachvollziehbar die Gründe für die Annahme dargelegt, dass dem Revisionswerber die Beschaffung dieser Dokumente bei entsprechender Mitwirkung möglich und zumutbar gewesen wäre. Dem BVwG kann insbesondere nicht entgegen getreten werden, wenn es daraus, dass der Revisionswerber weder aktiv zur Klärung seiner - auf Grund von Sprachanalysegutachten fraglichen - Staatsangehörigkeit beigetragen noch von sich aus irgendwelche Bemühungen zur Erlangung von Identitäts- bzw. Heimreisedokumenten gezeigt hat, den Schluss zog, er habe das Erlangen dieser Dokumente selbst verhindert. Entgegen dem Revisionsvorbringen ist dem BVwG in diesem Zusammenhang auch keine Aktenwidrigkeit vorzuwerfen: Um eine solche würde es sich nur dann handeln, wenn der Akteninhalt unrichtig wiedergegeben worden wäre bzw. wenn sich das Verwaltungsgericht bei der Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts mit dem Akteninhalt hinsichtlich der dort festgehaltenen Tatsachen in Widerspruch gesetzt hätte (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 7. September 2005, Zl. 2002/08/0199, und vom 10. Dezember 2009, Zl. 2009/09/0065). Das wird von der Revision mit dem bloßen Hinweis auf die von der nigerianischen Delegation geäußerte Vermutung (wonach der Revisionswerber vermutlich aus Sierra Leone komme) und auf einen fremdenpolizeilichen Aktenvermerk vom 20. Juli 2007 - also noch vor dem Termin bei der Delegation von Sierra Leone und vor Erstellung der Sprachanalysegutachten - nicht aufgezeigt.

34 Es bestehen daher insgesamt keine Bedenken gegen die Beurteilung, dass dem Revisionswerber die Beschaffung der benötigten Identitätsdokumente möglich und zumutbar gewesen wäre. Daraus folgt im vorliegenden Fall, dass weder eine Heilung nach § 4 Abs. 1 Z 3 AsylG-DV 2005 in Betracht kam noch die Voraussetzungen für die Duldung nach § 46a Abs. 1 Z 3 FPG weiterhin vorlagen.

35 Damit stand fest, dass auch die materiellen Bedingungen für die Erteilung eines Titels nach § 57 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 nicht erfüllt waren, sodass der Revisionswerber dadurch, dass über die von ihm ebenfalls geltend gemachten Heilungsgründe nach § 4 Abs. 1 Z 2 AsylG-DV 2005 (Notwendigkeit zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK) nicht abgesprochen wurde, nicht in den in der Revision geltend gemachten Rechten verletzt werden konnte (vgl. aber zur grundsätzlichen Erforderlichkeit der Ab- oder Zurückweisung eines Heilungsantrags unter Auseinandersetzung mit den geltend gemachten Gründen den hg. Beschluss vom 17. November 2016, Ra 2016/21/0314).

36 Soweit der Revisionswerber rügt, er sei entgegen § 58 Abs. 11 AsylG 2005 nicht über die Möglichkeit einer Antragszurückweisung belehrt worden, ist ihm entgegen zu halten, dass diesem Mangel im vorliegenden Fall angesichts des von ihm ohnedies gestellten Heilungsantrags keine Relevanz zukommt.

37 4. Die Revision war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 31. August 2017

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