VwGH Ra 2016/21/0078

VwGHRa 2016/21/007830.6.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Revision des E S in W, geboren am 25. Juli 1990, vertreten durch Mag. Lukas Leszkovics, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Gusshausstraße 14/5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 22. Jänner 2016, W159 1415222-2/3E, betreffend Karte für Geduldete (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),

Normen

AVG §56;
FrPolG 2005 §46a Abs1 Z3 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §46a Abs1 Z3 idF 2015/I/070;
FrPolG 2005 §46a Abs3 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §46a Abs3 idF 2015/I/070;
FrPolG 2005 §46a Abs4 idF 2015/I/070;
FrPolG 2005 §46a idF 2015/I/070;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

1. den Beschluss gefasst:

Die Revision wird, soweit sie die mit dem angefochtenen Erkenntnis bestätigte Abweisung des Antrags auf Erlassung eines Feststellungsbescheides über die tatsächliche Unmöglichkeit der Abschiebung des Revisionswerbers bekämpft, zurückgewiesen.

2. zu Recht erkannt:

Das angefochtene Erkenntnis wird, soweit damit die Abweisung des Antrags auf Ausstellung einer Karte für Geduldete bestätigt wurde, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger von Gambia, kam Anfang Mai 2010 unter Umgehung der Grenzkontrolle nach Österreich und stellte - unter Angabe eines unrichtigen Geburtsdatums (25. Juli 1992) - einen Antrag auf Gewährung von internationalem Schutz, der erfolglos blieb. Die Beschwerde gegen den antragsabweisenden Bescheid des Bundesasylamtes wurde nämlich mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 23. November 2010 als unbegründet abgewiesen; unter einem wurde der Revisionswerber nach Gambia ausgewiesen. Am 13. Dezember 2010 wurde bei der Vertretungsbehörde Gambias um die Ausstellung eines sogenannten "Heimreisezertifikates" (Ersatzreisedokumentes iSd § 46 Abs. 2 FPG) für den Revisionswerber ersucht.

2 In der Folge wurde der Revisionswerber wegen Begehung eines Suchtmitteldeliktes rechtskräftig zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt und über ihn mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 18. März 2011 rechtskräftig ein mit zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot verhängt.

3 Da es allerdings - trotz eines neuerlichen Ersuchens vom 23. März 2011 - nicht gelang, für den Revisionswerber ein Ersatzreisedokument zu erhalten, wurde er aus der am 14. März 2011 verhängten Schubhaft am 6. April 2011 wieder entlassen. Aus demselben Grund wurde die Anfang Juni 2011 und im August 2011 angeordnete Schubhaft jeweils nur wenige Tage vollzogen. In einem Aktenvermerk hielt die Fremdenpolizeibehörde dazu am 9. August 2011 fest, die Ausstellung eines Ersatzreisedokumentes erfolge nur nach vorheriger "Identitätsfeststellung" durch die Vertretungsbehörde Gambias; "derzeit" sei keine solche Identitätsprüfung durch eine Delegation Gambias "in Aussicht". In weiteren Aktenvermerken vom 26. März 2013 und vom 12. April 2013 wurde in diesem Sinne dann jeweils konstatiert "kein HZ".

4 Am 25. März 2013 hatte sich der Revisionswerber bei einer fremdenpolizeilichen Kontrolle mit einer für einen Staatsangehörigen von Mali ausgestellten "Asylkarte" und einem auf diese Person lautenden Meldezettel ausgewiesen. Er wurde deshalb mit Urteil des Bezirksgerichtes Leopoldstadt vom 4. Juni 2014 rechtskräftig wegen § 231 Abs. 1 StGB (Gebrauch fremder Ausweise) und § 229 Abs. 1 StGB (Urkundenunterdrückung) zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von zwei Monaten verurteilt.

5 Am 17. Dezember 2014 stellte der Revisionswerber an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag auf bescheidmäßige Feststellung der tatsächlichen, von ihm nicht zu vertretenden Unmöglichkeit seiner Abschiebung gemäß § 46a Abs. 1a FPG und ("daraus resultierend") auf Ausstellung einer Karte für Geduldete gemäß § 46a Abs. 2 FPG.

6 Diesen Antrag wies das BFA mit Bescheid vom 17. Juni 2015 zur Gänze ab. Die dagegen erhobene Beschwerde wies sodann das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 22. Jänner 2016 als unbegründet ab. Weiters sprach es aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

7 Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende (außerordentliche) Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung eines Vorverfahrens - das BFA verzichtete auf eine Revisionsbeantwortung - erwogen hat:

8 Der mit "Duldung" überschriebene § 46a FPG lautet in der seit 20. Juli 2015 geltenden und mangels Übergangsvorschriften vom BVwG anzuwendenden Fassung des FrÄG 2015 auszugsweise wie folgt:

"§ 46a. (1) Der Aufenthalt von Fremden im Bundesgebiet ist zu dulden, solange

...

3. deren Abschiebung aus tatsächlichen, vom Fremden nicht zu vertretenen Gründen unmöglich erscheint oder

...

(2) ...

(3) Vom Fremden zu vertretende Gründe liegen jedenfalls vor, wenn er

  1. 1. seine Identität verschleiert,
  2. 2. einen Ladungstermin zur Klärung seiner Identität oder zur Einholung eines Ersatzreisedokumentes nicht befolgt oder

    3. an den zur Erlangung eines Ersatzreisedokumentes notwendigen Schritten nicht mitwirkt oder diese vereitelt.

(4) Bei Vorliegen der Voraussetzungen nach Abs. 1 hat das Bundesamt von Amts wegen oder auf Antrag eine Karte für Geduldete auszustellen. Im Antrag ist der Grund der Duldung gemäß Abs. 1 Z 1, 2, 3 oder 4 zu bezeichnen. Die Karte dient dem Nachweis der Identität des Fremden im Verfahren vor dem Bundesamt und hat insbesondere die Bezeichnungen ‚Republik Österreich' und ‚Karte für Geduldete', weiters Namen, Geschlecht, Geburtsdatum, Staatsangehörigkeit, Lichtbild und Unterschrift des Geduldeten sowie die Bezeichnung der Behörde, Datum der Ausstellung und Namen des Genehmigenden zu enthalten. Die nähere Gestaltung der Karte legt der Bundesminister für Inneres durch Verordnung fest.

(5) Die Karte für Geduldete gilt ein Jahr beginnend mit dem Ausstellungsdatum und wird im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen nach Abs. 1 über Antrag des Fremden für jeweils ein weiteres Jahr verlängert. ...

(6) Der Aufenthalt des Fremden gilt mit Ausfolgung der Karte als geduldet, es sei denn das Vorliegen der Voraussetzungen nach Abs. 1 wurde bereits zu einem früheren Zeitpunkt rechtskräftig festgestellt. Diesfalls gilt der Aufenthalt ab dem Zeitpunkt der Rechtskraft der Feststellung als geduldet."

9 Das BVwG hat mit dem angefochtenen Erkenntnis auch die vom BFA vorgenommene Abweisung des Antrags auf Erlassung eines Feststellungsbescheides über die tatsächliche Unmöglichkeit der Abschiebung des Revisionswerbers bestätigt. Insofern wurde allerdings außer Acht gelassen, dass nach der geltenden Fassung des § 46a FPG der Ausstellung einer Karte für Geduldete keine solche Feststellung vorgeschaltet ist. Liegen die Voraussetzungen des § 46a Abs. 1 Z 3 FPG vor, ist die Karte gemäß Abs. 4 von Amts wegen oder auf Antrag auszustellen. Die Behörde hat - nur als Vorfrage - zu prüfen, ob die im Antrag bezeichneten Voraussetzungen für die Duldung (hier: ob die Abschiebung aus tatsächlichen, vom Fremden nicht zu vertretenden Gründen unmöglich erscheint) vorliegen und je nach Prüfungsergebnis die Karte auszustellen oder den Antrag abzuweisen (vgl. die ErläutRV zum FrÄG 2015, 582 BlgNR 25. GP  19).

10 Demzufolge wäre der vom Revisionswerber gestellte Antrag auf Erlassung eines Feststellungsbescheides nach der geltenden Rechtslage nicht ab-, sondern zurückzuweisen gewesen. Der Revisionswerber ist aber dadurch, dass das BVwG keine entsprechende Maßgabebestätigung vorgenommen hat, nicht in Rechten verletzt. Diesbezüglich werden in der Revision auch keine Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG aufgezeigt, sodass sie insoweit gemäß § 34 Abs. 1 iVm Abs. 3 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen war.

11 Das BVwG hat die Bestätigung der vom BFA vorgenommenen Abweisung des vom Revisionswerber gestellten Antrags auf Ausstellung einer Karte für Geduldete (nur) mit der Verwirklichung des Tatbestandes nach § 46a Abs. 3 Z 1 FPG begründet. Der Revisionswerber habe nämlich in zweifacher Weise seine Identität verschleiert, und zwar indem er im "Asylverfahren" bewusst falsche Angaben zu seinen "Identitätsdaten (Alter)" gemacht und indem er sich bei einer fremdenrechtlichen Kontrolle im März 2013 durch eine Asylkarte und einen Meldezettel eines Staatsangehörigen von Mali ausgewiesen habe, wofür er auch strafgerichtlich verurteilt worden sei. Bei dieser Beurteilung ging das BVwG von einer "ohnedies klaren Rechtslage" aus, weshalb die (ordentliche) Revision nicht zugelassen wurde.

12 Demgegenüber wird in der Revision unter dem Gesichtspunkt ihrer Zulässigkeit die Frage als klärungsbedürftig angesehen, ob die vom BVwG ins Treffen geführten Handlungen für die Verwirklichung des Tatbestandes des § 46a Abs. 3 Z 1 FPG ausreichen. Dazu fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

13 Dem ist beizupflichten. Den in Rz 11 wiedergegebenen Überlegungen des BVwG liegt nämlich offenbar die Auffassung zu Grunde, es komme nicht darauf an, ob die "Verschleierung der Identität" iSd Z 1 des § 46a Abs. 3 FPG für die tatsächliche Unmöglichkeit der Abschiebung auch kausal war oder nicht. Zu dieser Frage hat der Verwaltungsgerichtshof noch nicht Stellung genommen. Die Revision ist daher iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG - soweit sie die Abweisung des Antrags auf Ausstellung einer Karte für Geduldete betrifft - zulässig und auch berechtigt.

14 Im vorliegenden Fall scheiterte die Abschiebung des Revisionswerbers bislang daran, dass für ihn bei der zuständigen ausländischen Behörde kein Ersatzreisedokument besorgt werden konnte. Den (im Einklang mit der Aktenlage getroffenen) Feststellungen im erstinstanzlichen Bescheid lässt sich dazu entnehmen, dass am 13. Dezember 2010 um dessen Ausstellung ersucht worden sei und sich in der Zeit vom 24. bis 26. Jänner 2011 eine Delegation aus Gambia in Österreich hätte befinden sollen. Die Vertreter der Botschaft von Gambia hätten diesen Termin jedoch am 17. Jänner 2011 abgesagt. Am 23. März 2011 sei neuerlich um ein Ersatzreisedokument angesucht worden, um das "anhängige Ansuchen" in Erinnerung zu rufen. Am 5. April 2011 sei dann eine Delegation von Gambia in das Polizeianhaltezentrum Wien-Hernals gekommen, der aber aus Zeitgründen nur fünf Personen - nicht jedoch der sich damals dort in Schubhaft befindende Revisionswerber - hätten vorgeführt werden können. In der Folge wurden dann die in der Rz 3 erwähnten Aktenvermerke der Fremdenpolizeibehörde vom 9. August 2011 und vom März/April 2013 verfasst, wonach mit der Ausstellung eines Heimreisezertifikates für den Revisionswerber "derzeit" nicht gerechnet werde und ein solches Ersatzreisedokument bisher auch nicht ausgestellt wurde.

15 Maßgeblicher Grund für die bisher nicht erlangte Ausstellung eines Ersatzreisedokumentes war somit, dass die hierfür von Seiten Gambias verlangte Identitätsprüfung durch eine entsprechende Delegation noch nicht stattgefunden hat. Das lag aber nach den wiedergegebenen Feststellungen des BFA allein in der Sphäre der Behörde. Die Ursache dafür, dass die Abschiebung des Revisionswerbers aus tatsächlichen Gründen unmöglich erscheint, ist daher von ihm nicht zu vertreten.

16 Selbst wenn somit die Angabe eines unrichtigen Geburtsdatums im Asylverfahren und die Verwendung fremder Papiere im Zuge einer fremdenpolizeilichen Kontrolle als "Verschleierung der Identität" iSd § 46a Abs. 3 Z 1 FPG zu werten wären (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 30. Juni 2015, Ra 2014/21/0040, 0041, mit dem Hinweis auf das Erkenntnis vom 28. August 2012, Zl. 2011/21/0209), ist daraus im vorliegenden Fall nichts zu gewinnen, weil diese Handlungen nicht für die mangelnde Beschaffbarkeit eines Ersatzreisedokumentes ursächlich waren.

17 Dass aber eine kausale Verknüpfung zwischen den in § 46a Abs. 3 FPG angeführten Handlungen bzw. Unterlassungen mit den Gründen für die Unmöglichkeit der Abschiebung bestehen muss, ergibt sich schon aus dem Wortlaut des § 46a Abs. 1 Z 3 iVm dem Einleitungssatz des Abs. 3. In diesem Sinn heißt es auch in den ErläutRV zum FrÄG 2011 (1078 BlgNR 24. GP  27) in diesem Zusammenhang (Unterstreichung nicht im Original): "Wie schon in der geltenden Rechtslage soll die Duldung nicht eintreten können, wenn die Unabschiebbarkeit deshalb eintritt , weil der Fremde nicht im erforderlichen Ausmaß am Verfahren, etwa zur Erlangung eines Heimreisezertifikates, mitwirkt ." Das wurde dann im Zuge der Ausschussberatungen zum FrÄG 2011 im Gesetz durch Einfügung eines Abs. 1b, der inhaltlich dem geltenden Abs. 3 entspricht, in Form der erwähnten Aufzählung in den Z 1 bis 3 näher präzisiert. Auch das spricht somit dagegen, dass schon das bloße Vorliegen der im Abs. 3 genannten Tatbestände dazu führt, der Aufenthalt des Fremden sei nicht zu dulden, obwohl dieses Verhalten des Fremden keine Auswirkungen auf seine Abschiebbarkeit hatte.

18 Im Übrigen ist daran zu erinnern, dass der Gesetzgeber in den ErläutRV zum FrÄG 2011 (aaO 27 f) im ausdrücklichen Anschluss an das hg. Erkenntnis vom 21. Dezember 2010, Zl. 2010/21/0231, zu den diesbezüglichen Änderungen im Abs. 2 (nunmehr Abs. 4) festhielt, es "reicht das bloße Bestehen einer Verfahrensidentität für die Ausstellung einer Karte für Geduldete als Voraussetzung aus". Es müsse "nicht mehr die Identität des Fremden gesichert festgestellt werden, sondern es reicht für die Ausstellung einer solchen Karte die Heranziehung jener Identitätsdaten, die schon bisher dem Verfahren zugrunde gelegt wurden". Insoweit hat sich die Rechtslage mittlerweile nicht geändert. Auch daraus ergibt sich, dass die Verschleierung der Identität nur dann der Duldung entgegensteht, wenn deshalb die Unmöglichkeit der Abschiebung bewirkt wird.

19 Vor diesem Hintergrund greift die Begründung des BVwG zu kurz. Dessen Erkenntnis war daher, soweit es die Abweisung des Antrags auf Ausstellung einer Karte für Geduldete betrifft, gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

20 Von der in der Revision beantragten Durchführung einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 5 und 6 VwGG abgesehen werden.

21 Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG, insbesondere auf § 50 VwGG, in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Das Mehrbegehren auf Ersatz der Eingabengebühr war im Hinblick auf die bewilligte Verfahrenshilfe abzuweisen.

Wien, am 30. Juni 2016

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