Normen
AVG §66 Abs2
AVG §8
BauO Krnt 1996 §34 Abs3
BauO NÖ 2014 §34 Abs2
BauO NÖ 2014 §35
BauO NÖ 2014 §6
BauO NÖ 2014 §6 Abs1
BauO NÖ 2014 §6 Abs1 Z3
BauO NÖ 2014 §6 Abs2
BauO NÖ 2014 §70 Abs6
BauO Wr §71a
BauRallg
B-VG Art18 Abs1
B-VG Art7 Abs1
VwGG §34 Abs1
VwGVG 2014 §24
VwGVG 2014 §28
VwGVG 2014 §28 Abs3
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2017:RO2016050007.J00
Spruch:
1. den Beschluss gefasst:
Die Revision der Zweitrevisionswerberin wird zurückgewiesen.
Die Zweitrevisionswerberin hat der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
und
2. zu Recht erkannt:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Die Marktgemeinde Hinterbrühl hat dem Erstrevisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1 Der Erstrevisionswerber ist Eigentümer eines näher bezeichneten Grundstückes im Gebiet der Marktgemeinde H. mit einem Gebäude, dessen Westfassade im Erdgeschoss insgesamt fünf und im Dachgeschoss ein Fenster aufweist. Die mitbeteiligte Partei ist Eigentümerin der westlich an dieses Grundstück angrenzenden Liegenschaft.
2 Mit Schreiben vom 5. August 2009 erklärte die mitbeteiligte Partei in dem einen Dachgeschossausbau dieses Gebäudes betreffenden Baubewilligungsverfahren gegenüber der Baubehörde, gegen den geplanten Ausbau und die vorgesehene Aufstockung Einspruch zu erheben. Dazu ergänzend brachte sie mit ihrer am 12. August 2009 bei der Marktgemeinde H. eingelangten Eingabe (u.a.) vor, dass die von ihrem Grundstück aus sichtbaren drei Fenster nie genehmigt worden sein dürften. Sollten diese Fenster „auf Widerruf“ eingebaut worden sein, so widerrufe sie dies hiemit.
3 Mit Eingabe vom 22. August 2013 stellte (u.a.) der Erstrevisionswerber bei der Baubehörde den Antrag auf „Feststellung des vermuteten Konsenses hinsichtlich der bislang ohne nachweisbarem Konsens bestehenden Fensteröffnungen ... in der Westfassade des Gebäudes“ (des Erstrevisionswerbers), weil diese vor 1949 entstanden, in ihrer Größe und Lage nicht verändert und auch bewilligungsfähig gewesen seien.
4 Die mitbeteiligte Partei brachte gegenüber dem Bürgermeister der Marktgemeinde H. (im Folgenden: Bürgermeister) mit Schreiben vom 25. November 2013 (u.a.) vor, dass der von ihr ca. drei Jahre zuvor gestellte Antrag auf Beseitigung der illegal eingebauten Fenster in der Feuermauer (des Gebäudes auf der Liegenschaft des Erstrevisionswerbers) bisher unbearbeitet und unbeantwortet geblieben und sie dadurch in der Benützung ihrer an die Feuermauer angrenzenden Terrasse aufgrund einer Geruchs‑ und Lärmbelästigung stark beeinträchtigt sei. Auf Anraten habe sie beschlossen, eine Mauer zu errichten, und sie ersuche, dem Antrag auf Bewilligung zur Errichtung dieser Grenzmauer stattzugeben.
5 In einem Schreiben vom 14. Mai 2014 erklärte die mitbeteiligte Partei gegenüber der Baubehörde (u.a.), dass sie ihre Anträge auf Schließung (Abbruch) sämtlicher in der Feuermauer des Nachbargebäudes befindlichen Fenster aufrechthalte und sich gegen die Feststellung des vermuteten Konsenses hinsichtlich der von den Bauwerbern begehrten Fensteröffnungen ausspreche.
6 Mit Eingabe vom 11. Juni 2015 zog (u.a.) der Erstrevisionswerber das Ansuchen vom 22. August 2013 um Feststellung des vermuteten Konsenses der (näher bezeichneten drei) bestehenden Fenster zurück.
7 Mit weiterer Eingabe vom 11. Juni 2015 beantragte der Erstrevisionswerber bei der Baubehörde die Erlassung eines Feststellungsbescheides gemäß § 70 Abs. 6 NÖ Bauordnung 2014 (im Folgenden: BO) hinsichtlich „des über 30 Jahre alten Bestehens der beiden“ in dieser Eingabe planmäßig dargestellten, mit „F2“ und „F3“ bezeichneten (erdgeschossigen) Fenster an der Westfassade seines Gebäudes, weil für diese ein Konsens nicht auffindbar sei.
8 Die mitbeteiligte Partei sprach sich mit dem mit 7. September 2014 (offenbar gemeint: 2015) datierten Schriftsatz gegen diesen Feststellungsantrag aus und brachte (u.a.) vor, es werde bestritten, dass die Fenster „F2“ und „F3“ vor mehr als 30 Jahren eingebaut worden seien, und der konsenslose Zustand (der Fenster) sei durch die nicht erfolgte Entscheidung der Baubehörde über ihren Abbruch‑ und Beseitigungsantrag nicht saniert.
9 Mit Bescheid des Bürgermeisters vom 29. September 2015 wurde unter Spruchpunkt „I) Feststellungsbescheid“ ausgesprochen, dass gemäß § 70 Abs. 6 BO die Fenster in der westseitigen Außenwand des Gebäudes auf dem Grundstück des Erstrevisionswerbers aufgrund dessen Antrages vom 11. Juni 2015 nach den (näher bezeichneten) Bestandplänen vom 1. November 2014 gemäß § 70 Abs. 6 BO als bewilligt gälten. Unter Spruchpunkt „II) Baubehördlicher Auftrag“ des Bescheides wurden die Anträge der mitbeteiligten Partei „hinsichtlich Abmauerung der unter I. genannten Fenster, somit der Behebung eines Baugebrechens“ gemäß § 34 BO abgewiesen.
10 Dazu führte der Bürgermeister (u.a.) aus, der Nachweis, dass die Fenster seit über 30 Jahren bestünden, werde durch ein Bild aus dem Jahre 1971 und die Angaben des Erstrevisionswerbers sowie zweier (näher genannter) Personen erbracht. Die Voraussetzungen des § 70 Abs. 6 BO seien erfüllt, und im Zusammenhang mit dieser Bestimmung verfüge der Nachbar über keine Parteistellung und kein Nachbarrecht. Im Verfahren nach § 34 BO bestehe hingegen zweifellos eine Parteistellung der mitbeteiligten Partei. Da das Recht des Bestandes der Fenster durch Zeitablauf von mehr als 30 Jahren entstanden sei und der Feststellungsbescheid deklarativen Charakter habe, erübrige sich die Erteilung eines baubehördlichen Auftrages.
11 Die von der mitbeteiligten Partei dagegen erhobene Berufung wurde mit Bescheid des Gemeindesvorstandes der Marktgemeinde H. (im Folgenden: Gemeindevorstand) vom 25. November 2015 gemäß § 66 Abs. 4 AVG iVm §§ 34 und 70 Abs. 6 BO hinsichtlich des Spruchpunktes I. des erstinstanzlichen Bescheides zurückgewiesen und hinsichtlich dessen Spruchpunktes II. abgewiesen.
12 Dazu führte der Gemeindevorstand zusammengefasst aus, dass in § 70 Abs. 6 BO keine Rede von Nachbarrechten und das Verfahren nach § 70 leg. cit. auch in § 6 leg. cit. nicht enthalten sei. Die Bestimmung des § 70 Abs. 6 BO sei so formuliert, dass „dieses Recht“ quasi durch Zeitablauf ersessen werde und dies nur durch die Behörde beurkundet werde, um für die Zukunft Rechtssicherheit zu erlangen. Da die mitbeteiligte Partei keine Parteistellung habe, sei ihr Rechtsmittel gegen den Feststellungsbescheid als unzulässig zurückzuweisen. Was die Frage eines baubehördlichen Auftrages betreffe, so seien zwar die im Gesetz vorgesehenen Entscheidungsfristen nicht eingehalten worden, es sei jedoch kein Devolutionsantrag bei der Berufungsbehörde gestellt worden. Im gegenständlichen Fall sei durch Zustellung eines Bescheides im Rahmen des Verfahrens nach § 34 BO die Rechtsposition des Nachbarn (der mitbeteiligten Partei) gewahrt worden.
13 Da ein baubehördlicher Auftrag nicht mehr erlassen werden könne, wenn eine Bewilligung vorliege, und der Feststellungsbescheid inhaltlich einer Bewilligung gleichzuhalten sei, seien der diesbezügliche Antrag der mitbeteiligten Partei und das eingebrachte Rechtsmittel abzuweisen.
14 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde unter Hinweis auf die §§ 27, 28 VwGVG und § 25a VwGG (unter Spruchpunkt 1.) dieser Berufungsbescheid in teilweiser Stattgebung der von der mitbeteiligten Partei dagegen erhobenen Beschwerde dahin abgeändert, dass der erstinstanzliche Bescheid in beiden Spruchpunkten aufgehoben und gemäß § 66 Abs. 2 AVG das Verfahren zur Erlassung eines neuen Bescheides an den Bürgermeister zurückverwiesen wurde, sowie (unter Spruchpunkt 2.) eine ordentliche Revision gegen dieses Erkenntnis für zulässig erklärt.
15 Dazu führte das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (im Folgenden: Verwaltungsgericht) im Wesentlichen aus, dass bei der Interpretation eines Gesetzeswortlautes ‑ entgegen der Rechtsansicht des Gemeindevorstandes ‑ auch die Materialien heranzuziehen seien und aus der im Motivenbericht zu § 70 Abs. 6 BO zum Ausdruck gebrachten negativen Voraussetzung verletzter Nachbarrechte zur Vermeidung gleichheitswidriger Interpretationsergebnisse geschlossen werden müsse, dass der Gesetzgeber mit dieser Bestimmung den Nachbarn Parteistellung im Feststellungsverfahren zur Wahrung ihrer Rechte eingeräumt habe. Wie der Verfassungsgerichtshof zur vergleichbaren Rechtslage im Änderungsanzeigeverfahren nach der Gewerbeordnung ausgesprochen habe, sei zur Wahrung des Rechtes auf den gesetzlichen Richter eine beschränkte Parteistellung hinsichtlich der Anwendbarkeit der Bestimmungen über das vereinfachte Verfahren verfassungsrechtlich geboten. Wie dort erscheine daher auch im vorliegenden Fall zur Vermeidung einer vom historischen Gesetzgeber nicht intendierten Verkürzung der mitbeteiligten Partei um ihr Recht auf den gesetzlichen Richter eine verfassungskonforme Interpretation der Rechtslage unter Berücksichtigung des zitierten Motivenberichtes mit dem Ergebnis geboten, dass der mitbeteiligten Partei im Verfahren gemäß § 70 Abs. 6 BO eine auf ihre subjektiv-öffentlichen Rechte gemäß § 6 leg. cit. eingeschränkte Parteistellung zukomme. Diese Konsequenz ergebe sich schon aus dem untrennbaren sachlichen Zusammenhang des § 70 Abs. 6 leg. cit. mit § 34 leg. cit., der den Nachbarn unbestritten insoweit Parteistellung einräume. Der dagegen vom Gemeindevorstand ins Treffen geführten Argumentation, dass § 70 Abs. 6 BO nicht im die Parteistellung abschließend regelnden § 6 BO aufgezählt sei, sei, unabhängig von der gebotenen Interpretation des zitierten Motivenberichtes, auch der Charakter des § 70 Abs. 6 leg. cit. als einer ‑ zudem befristeten ‑ Übergangsbestimmung entgegenzuhalten, der eine Erwähnung in § 6 BO nicht erwarten lasse. Die Parteistellung der mitbeteiligten Partei sei daher im Umfang ihrer Rechte gemäß § 6 leg. cit. zu bejahen, und der Berufung gegen Spruchpunkt I. des erstinstanzlichen Bescheides sei daher jedenfalls insoweit stattzugeben, als Ermittlungen zum Einwand der mitbeteiligten Partei in Verkennung dieser Rechtslage gänzlich unterblieben seien.
16 Ein positiver Feststellungsbescheid gemäß § 70 Abs. 6 BO beseitige mit der Konsenswidrigkeit gleichzeitig eine wesentliche Verfahrensvoraussetzung gemäß § 34 leg. cit. und unterscheide sich daher grundsätzlich von der Rechtswirkung eines Feststellungsbescheides zur Umweltverträglichkeitsprüfung, zu der die Rechtsprechung eine Bindungswirkung gegenüber den daran nicht als Parteien beteiligten Nachbarn mit der Begründung als unbedenklich anerkannt habe, dass „die Nachbarn ihre Nachbarrechte in den einzelnen Materienverfahren geltend machen können“. Dadurch, dass der Gemeindevorstand die Abweisung des Abbruchantrages der mitbeteiligten Partei einzig mit dem Ergebnis des Feststellungsverfahrens gemäß § 70 Abs. 6 BO begründet habe, verwehre er der mitbeteiligten Partei die materiellrechtliche Beurteilung der behaupteten Betroffenheit in ihren Nachbarrechten, und er begründe dies ausschließlich mit der vermeintlich vom Feststellungsbescheid gemäß § 70 Abs. 6 BO entfalteten Bindungswirkung. Soweit der Gemeindevorstand damit im Ergebnis der mitbeteiligten Partei die Prüfung der eingewendeten Verletzung des Brandschutzes unter Verweis auf das Ergebnis eines Verfahrens verweigere, indem er ihr keine Parteistellung einräume, nehme er eine mit dem zitierten Motivenbericht nicht im Einklang stehende Bindungswirkung an. Aufgrund dieses Rechtsirrtums habe der Gemeindevorstand jegliche Ermittlungen zur eingewendeten Gefährdung des Brandschutzes des Wohnhauses der mitbeteiligten Partei unterlassen, obwohl das Gesetz dieser ein subjektiv‑öffentliches Recht auf Gewährung dieses Schutzes einräume.
17 Wenngleich das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner Verpflichtung zur Entscheidung in der Sache diesen Mangel grundsätzlich selbst zu beheben hätte, mangle es im vorliegenden Fall aus dem Grund vollständig unterbliebener Feststellungen zum Brandschutz und auch zur Bestandsdauer des dritten Fensters in einem derartigen Ausmaß an nachvollziehbaren Entscheidungsgrundlagen, dass die Wiederholung einer mündlichen Verhandlung geboten erscheine. Der Bürgermeister werde daher nach erfolgter Feststellung des relevanten Sachverhaltes ‑ insbesondere hinsichtlich der Einwendung der mitbeteiligten Partei zum gebotenen Brandschutz ‑ unter Wahrung des Parteiengehörs neu zu entscheiden haben.
18 Die ordentliche Revision sei zulässig, weil im gegenständlichen Verfahren unter Heranziehung der Gesetzesmaterialien zur Interpretation des § 70 Abs. 6 BO eine Rechtsfrage zu lösen gewesen sei, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukomme, insbesondere weil eine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu dieser Bestimmung fehle.
19 Gegen dieses Erkenntnis richten sich die vorliegenden Revisionen, in denen jeweils die Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.
20 Die mitbeteiligte Partei erstattete zu beiden Revisionen jeweils eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag, die jeweilige Revision abzuweisen.
21 Der Gemeindevorstand erstattete unter Bezugnahme auf beide Revisionen eine gemeinsame, als „Aufgetragene Stellungnahme der belangten Behörde“ bezeichnete Revisionsbeantwortung mit der Erklärung, sich dem Antrag auf Aufhebung der (angefochtenen) Entscheidung anzuschließen.
22 Der Erstrevisionswerber hat mit Schriftsatz vom 26. Juli 2016 auf die Revisionsbeantwortung der mitbeteiligten Partei repliziert.
II.
23 Der Verwaltungsgerichtshof hat die beiden Revisionsverfahren wegen ihres sachlichen und rechtlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden.
Zur Revision der Zweitrevisionswerberin:
24 Gemäß Art 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B‑VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B‑VG).
25 Bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision ist der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 34 Abs. 1a VwGG nicht an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 leg. cit. gebunden.
26 Im vorliegenden Fall hat das Verwaltungsgericht eine ordentliche Revision mit der Begründung zugelassen, dass unter Heranziehung der Gesetzesmaterialien zur Interpretation des § 70 Abs. 6 BO eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG zu lösen sei, insbesondere weil eine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu dieser Bestimmung fehle.
27 Die genannte Entscheidungsbegründung stellt keine ausreichende Begründung für die Zulässigkeit einer ordentlichen Revision dar, weil nach ständiger hg. Judikatur (vgl. etwa die Beschlüsse vom 24. Februar 2015, Ro 2014/05/0097, und vom 22. Februar 2017, Ro 2016/10/0009, mwN) der bloße Umstand, dass zu einer bestimmten Regelung keine hg. Rechtsprechung besteht, noch keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG begründet.
28 Nach ständiger hg. Judikatur hat ein Revisionswerber auch bei Erhebung einer ordentlichen Revision von sich aus die Zulässigkeit der Revision gesondert darzulegen, wenn die Begründung der Revisionszulässigkeit durch das Verwaltungsgericht nicht ausreicht (vgl. etwa den Beschluss vom 23. November 2016, Ro 2016/05/0014, mwN). Ein über die Begründung des Verwaltungsgerichtes hinausgehendes Vorbringen oder die Formulierung einer Rechtsfrage ist in den Revisionsausführungen betreffend die Zulässigkeit der Revision nicht enthalten.
29 Im Hinblick darauf war die von der Zweitrevisionswerberin erhobene Revision in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
Zur Revision des Erstrevisionswerbers:
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
30 Die Revision, die ein die Begründung des Verwaltungsgerichtes für die Zulässigkeit der ordentlichen Revision ergänzendes weiteres Vorbringen für das Vorliegen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VGenthält, ist in Bezug auf die relevierte Frage, ob der mitbeteiligten Partei als Nachbarn im Verfahren nach § 70 Abs. 6 BO eine Parteistellung zukommt, und in Anbetracht der Ausführungen zur meritorischen Entscheidungspflicht im Sinne des § 28 VwGVG zulässig. Ihr kommt auch Berechtigung zu.
31 Das Verwaltungsgericht hatte seiner Entscheidung die Sach‑ und Rechtslage zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses zugrunde zu legen (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 16. Februar 2017, Ra 2015/05/0060, mwN).
32 Die BO, LGBl. Nr. 1/2015, in der hier maßgeblichen Fassung LGBl. Nr. 89/2015 lautet in ihren §§ 6, 34 und 70 auszugsweise wie folgt:
„§ 6
Parteien und Nachbarn
(1) In Baubewilligungsverfahren und baupolizeilichen Verfahren nach § 34 Abs. 2 und § 35 haben Parteistellung:
...
3. die Eigentümer der Grundstücke, die an das Baugrundstück angrenzen oder von diesem durch dazwischen liegende Grundflächen mit einer Gesamtbreite bis zu 14 m (z. B. schmale Grundstücke, Verkehrsflächen, Gewässer, Grüngürtel) getrennt sind (Nachbarn), ...
...
Nachbarn sind nur dann Parteien, wenn sie durch das fertiggestellte Bauvorhaben bzw. das Bauwerk und dessen Benützung in den in Abs. 2 erschöpfend festgelegten subjektiv‑öffentlichen Rechten beeinträchtigt werden können.
(2) Subjektiv ‑ öffentliche Rechte werden begründet durch jene Bestimmungen dieses Gesetzes, des NÖ Raumordnungsgesetzes 2014, LGBl. Nr. 3/2015 in der geltenden Fassung, der NÖ Aufzugsordnung, LGBl. 8220, sowie der Durchführungsverordnungen zu diesen Gesetzen, die
1. die Standsicherheit, die Trockenheit und den Brandschutz der bewilligungs- oder anzeigepflichtigen Bauwerke der Nachbarn (Abs. 1 Z 4)
sowie
2. den Schutz vor Emissionen (§ 48), ausgenommen jene, die sich aus der Benützung eines Gebäudes zu Zwecken jeder Art der Wohnnutzung ergeben,
gewährleisten und über
3. die Bebauungsweise, die Bebauungshöhe, den Bauwich, die Abstände zwischen Bauwerken oder deren zulässige Höhe, soweit diese Bestimmungen der Erzielung einer ausreichenden Belichtung auf Hauptfenster (§ 4 Z 3 und 21) der zulässigen (bestehende bewilligte und zukünftig bewilligungsfähige) Gebäude der Nachbarn dienen.
...“
„§ 34
Vermeidung und Behebung von Baugebrechen
(1) Der Eigentümer eines Bauwerks hat dafür zu sorgen, dass dieses in einem der Bewilligung (§ 23) oder der Anzeige (§ 15) entsprechenden Zustand ausgeführt und erhalten und nur zu den bewilligten oder angezeigten Zwecken (z. B. landwirtschaftlicher Betrieb bei landwirtschaftlichem Wohngebäude) genutzt wird. Er hat Baugebrechen zu beheben.
(2) Kommt der Eigentümer eines Bauwerks seiner Verpflichtung nach Abs. 1 nicht nach, hat die Baubehörde nach Überprüfung des Bauwerks ungeachtet eines anhängigen Antrages nach § 14 oder einer anhängigen Anzeige nach § 15, unter Gewährung einer angemessenen Frist, die Behebung des Baugebrechens zu verfügen.
...“
„§ 70
Übergangsbestimmungen
...
(6) Hat ein Gebäude im Bauland ursprünglich eine Baubewilligung aufgewiesen, wurde von dieser jedoch vor mehr als 30 Jahren ohne baubehördliche Beanstandung abgewichen und kann es nicht nach § 14 neuerlich bewilligt werden, gilt dieses Gebäude als bewilligt, wenn dies unter ausdrücklicher Bezugnahme auf diese Bestimmung beantragt wird, der Behörde die Zustimmung des Grundeigentümers (der Mehrheit der Miteigentümer) nachgewiesen wird und vollständige Bestandspläne vorgelegt werden. Die Baubehörde hat darüber einen Feststellungsbescheid zu erlassen.
Weiters ist § 35 Abs. 2 Z 2 auf jene Gebäude nicht anzuwenden, in denen aufgrund des § 71 der Bauordnung für Wien, LGBl. Nr. 11/1930, oder des § 108a der Bauordnung für NÖ, LGBl. Nr. 36/1883, Baubewilligungen auf Widerruf erteilt wurden. Bei der Erlassung eines Feststellungsbescheides gelten die Voraussetzungen des ersten Satzes sinngemäß.
Dieser Absatz tritt mit 31. Dezember 2024 außer Kraft.
...“
33 Die Revision bringt im Wesentlichen vor, die Gesetzesmaterialien zur Übergangsbestimmung des § 70 Abs. 6 BO seien keinesfalls eindeutig dahin zu verstehen, dass Nachbarrechte eine entscheidende Rolle spielten oder den Nachbarn eine Parteistellung zukommen würde, und sähen mehrere Anwendungsfälle des ersten Satzes des § 70 Abs. 6 BO vor ‑ einerseits ein Abweichen von der Baubewilligung, ohne dadurch Nachbarrechte zu verletzen, und andererseits („bzw.“) ein solches Abweichen, ohne von der Baubehörde beanstandet worden zu sein (im Gesetzestext des ersten Satzes habe allerdings nur der zweite dieser beiden Fälle Niederschlag gefunden). Jedenfalls sei aufgrund der Verwendung des Wortes „bzw.“ im Motivenbericht keinesfalls mit Sicherheit abzuleiten, dass der Gesetzgeber eine Feststellung im Sinne des § 70 Abs. 6 BO nur für jene Fälle habe zulassen wollen, in denen keine Nachbarrechte verletzt würden, sonst hätte er die beiden Satzteile mit „und“ verknüpft.
34 Dem klaren Gesetzestext könne entnommen werden, dass es auf die ‑ grundsätzlich nur im Rahmen eines Baubewilligungsverfahrens nach § 14 BO bestehende ‑ Parteistellung zur Geltendmachung von Nachbarrechten im Feststellungsverfahren nach § 70 Abs. 6 BO nicht ankommen solle. Einerseits wäre die gegenständliche Bestimmung gar nicht anwendbar, wenn ein Verfahren zur Erteilung einer Baubewilligung nach § 14 BO durchgeführt werden könnte, und andererseits habe der Gesetzgeber ein Feststellungsverfahrens geregelt, bei dem es sich weder um ein Baubewilligungsverfahren noch um ein baupolizeiliches Verfahren im Sinne des § 6 BO handle. Somit seien die in § 6 BO geregelten Parteienrechte im gegenständlichen Verfahren nicht von Bedeutung, und es komme den Nachbarn nach § 70 Abs. 6 BO keine Parteistellung zu.
35 Ein Vergleich mit § 71a Bauordnung für Wien, der ebenso ein Verfahren für Gebäude, die seit mehr als 30 Jahren ohne Baubewilligung bestünden, kenne ‑ danach stünden einer Bewilligung für Bauten langen Bestandes „die Verletzung subjektiv‑öffentlicher Nachbarrechte und die Verminderung der Bebaubarkeit von Nachbargrundflächen“ nicht entgegen ‑, zeige, dass auch nach anderen Landesgesetzen die Feststellung einer Bewilligung ohne Parteistellung der Nachbarn erfolge. Auch dem § 40 Steiermärkisches Baugesetz, der ein Feststellungsverfahren für Anlagen kenne, die als „rechtmäßiger Bestand“ aufzufassen seien, könne eine Parteistellung von Nachbarn nicht entnommen werden.
36 Aber selbst wenn im Sinne der angeführten Gesetzesmaterialien eine Feststellung nach § 70 Abs. 6 BO nur hinsichtlich eines von der Baubewilligung abweichenden Bestandes, „ohne dadurch Nachbarrechte zu verletzen“, in Betracht käme, führte dies nicht zwingend zu einer Parteistellung der Nachbarn. In zahlreichen Bau‑ und sonstigen Genehmigungsverfahren seien bestimmte Interessen nämlich nur von Amts wegen wahrzunehmen. So hätten Nachbarn im Anzeigeverfahren nach § 15 BO, in einem Bauauftragsverfahren nach den §§ 48 und 49 Oö. Bauordnung 1994 und in zahlreichen Genehmigungsverfahren (etwa im Veranstaltungs‑, Eisenbahn‑ oder Straßenrecht) keine Parteistellung.
37 Das zu § 29 Tiroler Bauordnung ergangene, die Parteistellung von Nachbarn in einem Feststellungsverfahren bejahende Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 26. Juni 2014, Zl. 2013/06/0196, sei auf das NÖ Baurecht nicht übertragbar, zumal § 70 Abs. 6 BO zwar ausdrücklich die Zustimmung des Grundeigentümers verlange, die BO jedoch keine Parteistellung von Nachbarn im Feststellungs- und Anzeigeverfahren kenne.
38 Zu beachten sei, dass der Gesetzestext (des § 70 Abs. 6 BO) eine Berücksichtigung von Nachbarinteressen überhaupt nicht anordne und die Materialien nicht von einer Parteistellung der Nachbarn sprächen, sondern lediglich davon, dass der Bestand Nachbarrechte nicht verletze, sodass selbst bei einer einschränkenden Auslegung des Wortlautes des § 70 Abs. 6 leg. cit. aufgrund des Motivenberichtes nicht zwingend daraus eine Parteistellung (der Nachbarn) zu folgern wäre.
39 Wenn das Verwaltungsgericht meine, dass der Nachbar im Bauauftragsverfahren nicht an das Ergebnis des Feststellungsverfahrens nach § 70 Abs. 6 BO gebunden sei, so sei das Verwaltungsgericht auch mit dieser Auffassung nicht im Recht. So werde zwar in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes des öfteren zu verschiedenen Rechtsbereichen ausgesprochen, dass eine Partei nicht an das Ergebnis von Verfahren gebunden werden könne, an denen sie nicht beteiligt gewesen sei. Dies gelte jedoch gerade im Bereich des Baurechtes nicht uneingeschränkt. Beispielsweise sei ein Nachbar an einem Anzeigeverfahren gemäß § 15 BO nicht beteiligt, und dennoch müsse er im Falle eines Bauauftragsverfahrens (auch wenn er in diesem Parteistellung genießen sollte) selbstverständlich eine rechtmäßige Anzeige nach § 15 BO bei der Prüfung der Voraussetzung, ob eine Konsenswidrigkeit vorliege, akzeptieren.
40 Ferner rege der Revisionswerber an, dass der Verwaltungsgerichtshof für den Fall, dass er davon ausgehe, dass die Frage des Eingriffs in Nachbarrechte im gegenständlichen Verfahren zu prüfen sei, zur Vermeidung weiterer Rechtmittelverfahren bereits zum jetzigen Zeitpunkt klarstellen solle, nach welcher Sach- und Rechtslage die Frage des Brandschutzes in Bezug auf das Nachbargrundstück zu beurteilen sei. Im Gegensatz zur ausdrücklichen Regelung des § 40 Abs. 3 Steiermärkisches Baugesetz fehle in § 70 Abs. 6 BO eine ausdrückliche gesetzliche Vorgabe. Aus § 70 Abs. 6 BO sei hingegen eindeutig abzuleiten, dass es auf die Sach‑ und Rechtslage zum Zeitpunkt der Vornahme der von der Baubewilligung abweichenden Bauführung ankomme.
41 Dazu ist Folgendes auszuführen:
42 Nach ständiger Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (vgl. etwa das Erkenntnis vom 27. September 2003, G 18/03 ua, VfSlg 16.982, mwN) besteht grundsätzlich keine Verfassungsnorm, die Parteirechte in einem Verfahren überhaupt oder in einem bestimmten Umfang garantiert; den Umfang der Parteirechte in einem Verwaltungsverfahren bestimmt der einfache Gesetzgeber. Das die Parteirechte bestimmende Gesetz könnte allerdings etwa aus dem Grunde mangelnder Determinierung oder wegen Verstoßes gegen das Gleichheitsgebot verfassungswidrig sein.
43 Gemäß § 8 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 ‑ AVG, BGBl. Nr. 51, sind Personen, die eine Tätigkeit der Behörde in Anspruch nehmen oder auf die sich die Tätigkeit der Behörde bezieht, Beteiligte und, insoweit sie an der Sache vermöge eines Rechtsanspruches oder eines rechtlichen Interesses beteiligt sind, Parteien.
44 Nach ständiger hg. Judikatur kann die Frage, wer in einem konkreten Verwaltungsverfahren die Rechtsstellung einer Partei besitzt, anhand des AVG allein nicht gelöst werden. Die Parteistellung muss vielmehr aus den jeweils zur Anwendung kommenden Verwaltungsvorschriften, sofern dort die Parteien eines Verfahrens nicht ausdrücklich genannt sind, abgeleitet werden. Hiebei ist für die Beurteilung der Frage der Parteistellung maßgebend, ob die Sachentscheidung in die Rechtssphäre des Betreffenden ‑ wobei das in Anspruch genommene Recht oder rechtliche Interesse seinen Ursprung in Verhältnissen des Privatrechts oder des öffentlichen Recht haben kann ‑ bestimmend eingreift und darin eine unmittelbare, nicht bloß abgeleitete und mittelbare Wirkung zum Ausdruck kommt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 4. November 2016, Zl. Ro 2014/05/0029, mwN).
45 Nach § 70 Abs. 6 erster Unterabsatz BO gilt ein Gebäude im Bauland, das ursprünglich eine Baubewilligung aufgewiesen hat, von der vor mehr als 30 Jahren ohne baubehördliche Beanstandung abgewichen wurde und das nicht nach § 14 leg. cit. neuerlich bewilligt werden kann, dann als bewilligt, wenn dies unter ausdrücklicher Bezugnahme auf diese Bestimmung beantragt wird, der Behörde die Zustimmung des Grundeigentümers (der Mehrheit der Miteigentümer) nachgewiesen wird und vollständige Bestandspläne vorgelegt werden. Darüber hat die Baubehörde einen Feststellungsbescheid zu erlassen.
46 Maßgeblich ist im vorliegenden Fall, dass § 6 BO, der die Parteistellung in Bauverfahren regelt, keine Anordnung enthält, dass ein Nachbar in einem gemäß § 70 Abs. 6 erster Unterabsatz leg. cit. geführten Verfahren als Partei beizuziehen ist. Auch § 70 Abs. 6 leg. cit. sieht diesbezüglich nichts ausdrücklich vor. Die Bestimmung des § 70 Abs. 6 leg. cit. stellt nach ihrem Wortlaut nicht darauf ab, ob durch den konsenswidrigen Bestand eines Gebäudes oder dessen Benützung ein subjektiv‑öffentliches Nachbarrecht (§ 6 Abs. 2 leg. cit.) verletzt wurde oder wird, und es kann ihr auch nicht entnommen werden, dass sie andere Nachbarrechte als jene des § 6 Abs. 2 leg. cit. normierte oder dass die Nachbarrechte des § 6 Abs. 2 leg. cit. durch § 70 Abs. 6 leg. cit. eingeschränkt worden wären (vgl. hingegen § 71a Bauordnung für Wien).
47 § 6 Abs. 1 BO räumt den Nachbarn gemäß Z 3 ausdrücklich die Parteistellung im baupolizeilichen Verfahren ein. Nach der dazu ergangenen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. u.a. den Beschluss vom 3. April 2003, Zl. 2002/05/1238, mwN) hat der Nachbar im Sinne des § 6 Abs. 1 Z 3 leg. cit. dann Parteistellung in einem baupolizeilichen Verfahren, wenn er die Erlassung eines baupolizeilichen Auftrages wegen Verletzung eines subjektiv‑öffentlichen Nachbarrechtes beantragt hat (vgl. auch das Erkenntnis vom 28. Mai 2013, Zl. 2013/05/0030). Wurde durch ein Abweichen von einer Baubewilligung im Sinne des § 70 Abs. 6 leg. cit. in ein Nachbarrecht (§ 6 Abs. 2 leg. cit.) eingegriffen, so hat der Nachbar gemäß § 6 Abs. 1 Z 3 BO, der behauptet, durch ein fertiggestelltes Bauvorhaben bzw. ein Bauwerk und dessen Benützung in den in § 6 Abs. 2 leg. cit. erschöpfend festgelegten subjektiv‑öffentlichen Rechten beeinträchtigt zu werden, das Recht, die Erlassung eines baupolizeilichen Auftrages gemäß § 34 Abs. 2 oder § 35 leg. cit. zu beantragen (vgl. zu diesem Antragsrecht etwa W. Pallitsch/Ph. Pallitsch/W. Kleewein, NÖ Baurecht9 § 34 NÖ BO 2014 E 38, § 35 NÖ BO 2014 E 29 f), um gegen die Verletzung dieses subjektiv‑öffentlichen Rechtes Abhilfe zu schaffen, wobei die BO ‑ anders als etwa § 34 Abs. 3 Kärntner Bauordnung 1996 ‑ keine Befristung des Rechtes eines Nachbarn, die Erlassung eines baupolizeilichen Antrages bei der Baubehörde zu beantragen, vorsieht.
48 Im Hinblick darauf, dass die BO einerseits in § 70 Abs. 6 auf subjektiv‑öffentliche Nachbarrechte keinen Bezug nimmt und andererseits den Nachbarn im Sinne des § 6 Abs. 1 Z 3 ‑ wie oben dargestellt ‑ das Recht einräumt, gegen die Verletzung ihrer subjektiv‑öffentlichen Rechte (§ 6 Abs. 2 leg. cit.) durch Stellung eines Antrages auf Erlassung eines baupolizeilichen Auftrages bei der Baubehörde Abhilfe zu schaffen, führt auch eine systematische Betrachtung der genannten Bestimmungen der BO unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Gleichheitsgebotes (vgl. dazu aus der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes etwa dessen Erkenntnisse vom 1. Oktober 1999, G 73/99, VfSlg 15.581, und vom 26. Februar 2004, G 226/03, VfSlg 17.143) nicht zu dem Ergebnis, dass den Nachbarn in einem Verfahren gemäß § 70 Abs. 6 erster Unterabsatz BO Parteistellung einzuräumen und in diesem Verfahren die Frage der Verletzung eines der in § 6 Abs. 2 leg. cit. festgelegten Nachbarrechte zu beurteilen ist. Erachtet sich ein Nachbar als durch einen bestehenden, nicht bewilligten Bau in Nachbarrechten verletzt, so hat er ‑ und zwar unabhängig davon, ob ein Verfahren über einen Antrag nach § 70 Abs. 6 erster Satz leg. cit. bei der Baubehörde anhängig ist oder ein einem solchen Antrag stattgebender Bescheid bereits erlassen wurde ‑ das Recht, die Erlassung eines baupolizeilichen Auftrages gemäß § 34 Abs. 2 oder § 35 leg. cit. zu beantragen, um sich gegen die genannte Rechtsverletzung zur Wehr zu setzen. Da den Nachbarn in dem gemäß § 70 Abs. 6 erster Unterabsatz BO geführten Verfahren keine Parteistellung zukommt, kann ein nach dieser Gesetzesbestimmung erlassener Bescheid ihnen gegenüber auch keine Rechtswirkungen entfalten (vgl. in diesem Zusammenhang etwa das hg. Erkenntnis vom 28. Mai 2014, Zl. 2012/07/0016, mwN). Die Baubehörde kann sich in einem baupolizeilichen Verfahren daher dem Nachbarn gegenüber nicht auf die Bindungswirkung eines bereits gemäß § 70 Abs. 6 BO rechtskräftig ergangenen Bescheides berufen.
49 Mit der Auffassung, dass der mitbeteiligten Partei im gegenständlichen Verfahren gemäß § 70 Abs. 6 BO Parteistellung zukam und der Gemeindevorstand die von der mitbeteiligten Partei in Bezug auf Spruchpunkt I. des erstinstanzlichen Bescheides erhobene Berufung nicht hätte zurückweisen dürfen, verkannte daher das Verwaltungsgericht das Gesetz.
50 Im Hinblick darauf ist das angefochtene Erkenntnis schon im Umfang seines Abspruches in Bezug auf den die Berufung der mitbeteiligten Partei gegen Spruchpunkt I. des erstinstanzlichen Bescheides zurückweisenden Teil des Berufungsbescheides mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet.
51 Da ‑ wie oben dargelegt ‑ ein nach § 70 Abs. 6 erster Unterabsatz BO erlassener Bescheid gegenüber einem Nachbarn keine Rechtswirkungen entfaltet, ist die in Bezug auf den Spruchpunkt II. des erstinstanzlichen Bescheides bestätigenden Teil des Berufungsbescheides vertretene Auffassung des Verwaltungsgerichtes, dass der Gemeindevorstand den Antrag der mitbeteiligten Partei auf Erlassung eines baubehördlichen Auftrages nicht mit dem Hinweis auf eine vermeintlich vom Feststellungsbescheid gemäß § 70 Abs. 6 BO entfaltete Bindungswirkung hätte abweisen dürfen, insoweit nicht zu beanstanden. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht daher den Berufungsbescheid in diesem Umfang als rechtswidrig beurteilt. Dennoch erweist sich das angefochtene Erkenntnis auch in dieser Hinsicht als inhaltlich rechtswidrig, und zwar aus den folgenden Gründen:
52 Die Revision bringt vor, dass nach der ständigen hg. Judikatur ein prinzipieller Vorrang der Pflicht der Verwaltungsgerichte zur meritorischen Entscheidung bestehe und der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 26. Juni 2014, Ro 2014/03/0063, ausgesprochen habe, dass angesichts der Zielsetzung des VwGVG (meritorische Entscheidung der Verwaltungsgerichte, Verfahrensbeschleunigung und angemessene Verfahrensdauer) die Zurückverweisungsmöglichkeit nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG eine Ausnahme darstelle. Von der Möglichkeit der Zurückverweisung dürfe nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden, und die Notwendigkeit ergänzender Ermittlungen durch Sachverständigengutachten rechtfertige grundsätzlich nicht die Aufhebung und Zurückverweisung an die belangte Behörde (vgl. auch die hg. Erkenntnisse vom 4. August 2015, Ra 2015/06/0039, und vom 5. November 2015, Ra 2014/06/0047).
53 § 28 VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, lautet auszugsweise:
„Erkenntnisse
§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B‑VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B‑VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
...“
54 Das angefochtene Erkenntnis, mit dem der Berufungsbescheid unter Bezugnahme auf § 28 VwGVG dahin abgeändert wurde, dass in Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG der erstinstanzliche Bescheid aufgehoben und die Angelegenheit an die erstinstanzliche Behörde zur Erlassung eines neuen Bescheides zurückverwiesen wurde, stellt keine die Rechtssache endgültig erledigende Entscheidung dar.
55 Der Verwaltungsgerichtshof hat sich bereits wiederholt mit der Frage auseinandergesetzt, unter welchen Voraussetzungen das Verwaltungsgericht den Bescheid einer Verwaltungsbehörde aufheben und die Sache an diese zurückverweisen darf. So sind nach ständiger hg. Judikatur (vgl. nochmals das Erkenntnis, Ro 2014/03/0063, oder etwa das Erkenntnis vom 29. März 2017, Ra 2016/10/0146, mwN) die Ausnahmen von der Verpflichtung der Verwaltungsgerichte, in der Sache selbst zu entscheiden (vgl. zum prinzipiellen Vorrang einer „meritorischen Entscheidungspflicht“ der Verwaltungsgerichte auch das hg. Erkenntnis vom 1. September 2015, Ro 2014/15/0029), strikt auf den ihnen gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken. Das Verwaltungsgericht hat daher nachvollziehbar zu begründen, warum es eine meritorische Entscheidungszuständigkeit nicht als gegeben annimmt.
56 Im vorliegenden Fall hat das Verwaltungsgericht die Aufhebung des erstinstanzlichen Bescheides und die Zurückverweisung der Angelegenheit an den Bürgermeister in Bezug auf die baupolizeiliche Entscheidung im Wesentlichen damit begründet, dass es, wenngleich es im Rahmen seiner Verpflichtung zur Entscheidung in der Sache diesen Mangel grundsätzlich selbst zu beheben hätte, aufgrund vollständig unterbliebener Feststellungen zum Brandschutz in einem derartigen Ausmaß an nachvollziehbaren Entscheidungsgrundlagen mangle, dass die Wiederholung einer mündlichen Verhandlung geboten erscheine.
57 Nach der hg. Judikatur (vgl. etwa das Erkenntnis vom 26. April 2016, Ro 2015/03/0038) stellt die allfällige Notwendigkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach § 66 Abs. 2 AVG für sich genommen keinen Grund für eine Aufhebung und Zurückverweisung dar. Das Vorliegen einer krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücke im Sinne der hg. Rechtsprechung (vgl. dazu neuerlich die oben bereits genannten Erkenntnisse, Ro 2014/03/0063 und Ra 2016/10/0146) hat das Verwaltungsgericht nicht dargelegt und seine den erstinstanzlichen Bescheid aufhebende und die Angelegenheit zurückverweisende Entscheidung somit nicht ausreichend begründet.
58 Im Übrigen liegt in einem Fall, in dem lediglich ergänzende Ermittlungen vorzunehmen sind, die (ergänzende) Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht jedenfalls im Interesse der Raschheit. Hiebei ist nicht bloß auf die voraussichtliche Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens abzustellen, sondern auf die Dauer des bis zur meritorischen Entscheidung in der Sache insgesamt erforderlichen Verfahrens Bedacht zu nehmen. Nur bei dieser Sichtweise kann nämlich ein den Zielsetzungen der Verwaltungsgerichtsbarkeits‑Novelle 2012, BGBl. I Nr 51, (insbesondere Ausbau des Rechtsschutzsystems im Sinne einer Verfahrensbeschleunigung, grundsätzliche Beseitigung des administrativen Instanzenzugs; vgl. dazu nochmals das Erkenntnis, Ro 2014/03/0063, mwN) Rechnung tragendes Ergebnis erzielt werden (vgl. in diesem Zusammenhang auch das oben genannte Erkenntnis, Ro 2015/03/0038).
59 Im Hinblick darauf war das angefochtene Erkenntnis zur Gänze gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Zur Kostenentscheidung:
60 Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die Bestimmungen der §§ 47 ff iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 518/2013 idF BGBl. II Nr. 8/2014.
Wien, am 10. Juli 2017
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